Samstag, 18. April 2020

Harry Harrison Kroll: Altweibersommer (1924) Horror


Harry Harrison Kroll: Altweibersommer

Man findet gar viel fliegende Fäden im Herbste, wenn die Spinnen brüten und die Jugend fortgehet in die Welt – wer derlei Gespinst erblicket, dem ists ein Zeichen, dass die Feen ihn geleiten zu großem Reichthume.“
Alter Volks-Aberglaube

William Thompson saß am Eingang des Erdlochs und betrachtete versunken die Spinnenweben. Ihn hatte die Jagd in diese Gegend der zahllosen Kalksteinhöhlen in Kentucky geführt – die Jagd nach einer besonderen Spezies der Gattung Arimnes, der am brillantesten schillernden Spinne der gemäßigten Klimazonen. Seine Forschungsarbeit an der Vanderbilt-Universität machte diese Entdeckung nötig. Er hatte von Gerüchten in der Gegend gehört, die von einer großen farbigen Spinne munkelten, und so war er hergekommen in der Hoffnung, seine Sehnsucht zu befriedigen.
Man erzählte sich, dass Jahre zuvor Israel Hicks, ein Wahnsinniger, der sich von einem bösen Geist verfolgt glaubte, hierhergezogen war, um Spinnen zu züchten – in der Hoffnung, ein Spinnennetz zu erschaffen, das sich eignete, den Dämon einzufangen, der ihn zur Raserei gebracht hatte. Es wurde versichert, dass er, bevor er wahnsinnig wurde, irgendwo als reicher wohlhabender Farmer gelebt hatte. Viele glaubten sogar, dass er enorme Reichtümer besessen hatte. Auf jeden Fall war er, der letzte seines Geschlechts, allein gekommen, und er hatte hier allein gehaust, seine ganze Zeit und Energie drauf verwendend, Spinnen zu fangen, die er in einem mysteriösen Insektenhaus einzusperren pflegte, das niemand jemals betreten durfte. Nun war der alte Mann schon viele Jahre tot und wurde wahrscheinlich nicht mehr von seinem bösen Dämon geplagt, und niemand schien mehr etwas Konkretes über ihn und seine sonderbare Halluzination zu wissen.
Irgendwo hier in der Nähe gibt es Spinnen“, sagte sich William, als er fortfuhr, die feinen seidenen Fäden zu betrachten, die aus dem Loch wehten.
Wenn ich in die Höhle hinunterkäme, würde ich vielleicht finden, was ich suche.“
Er bemühte sich, durch das Erdloch hinunterzugelangen; doch es war eng und unbequem, und so gab er es bald auf.
Seltsam, dieser Luftzug“, fuhr er fort zu meditieren,“Ich habe an solchen Gletscherhöhlen noch nie eine derart starke Strömung verspürt...“
Er testete die Windstärke, indem er einige trockene Blätter in die Öffnung warf. Sie erhoben sich mehrere Meter über den Boden, bevor die Luftströmung schwächer wurde und sie zu Boden sanken.
Tja“, sagte er sich gedankenvoll, „wenn ich das andere Ende der Passage finden könnte – die Chancen ständen gar nicht so schlecht, dass ich meine Spinne finde.“
Er begann andere Löcher in der Umgebung zu untersuchen, von denen zahllose existierten; in einem fernen geologischem Zeitalter hatte vermutlich eine Erdgasexplosion den gesamten Untergrund durchsiebt und unzählige Höhlen als Folge der Detonation hinterlassen. Doch an keiner weiteren Höhlung konnte er Zugluft feststellen. Ein entzündetes Streichholz (ein untrüglicher Test für die leiseste Luftbewegung) brannte über ihnen so ruhig wie eine Kerzenflamme in einer geschlossenen Kammer. Es war offensichtlich, dass es keine direkte Verbindung zwischen diesen Löchern und Willliams entdeckter Höhle gab.
Die Luft muss doch irgendwie reinkommen“, überlegte er. „Sie kommt raus, also strömt sie auch ein. Irgendeins dieser Löcher müsste also eine saugende Strömung aufweisen.“
Doch soviel er auch umherforschte – er fand nichts. Nach geraumer Zeit und erschöpfender Suche kehrte er zum „Kaminloch“ zurück, wie er es im Stillen nannte.
Israel Hicks“, erinnerte er sich an die Geschichten, die ihm in der Umgebung erzählt wurden,“pflegte zu sagen, dass man nie außer im Hebst fliegende Spinnenfäden zu sehen bekommt – das hängt zusammen mit der neuen Spinnenbrut. Und jeder Idiot weiß, dass da, wo die Spinnenweben herkommen, Spinnen sein müssen. Wenn ich das andere Ende der Höhle finde, stoße ich höchstwahrscheinlich auf Hicks Spinnen-Inkubator. Und ich wette, der ist ein verdammt interessantes Objekt für einen Biologen.“
Der Gedanke faszinierte ihn, denn der alte Irre stand in dem Ruf, eine illustre Spinnensammlung besessen zu haben. William trieb einen langen Stock auf und stocherte damit in der Höhlung herum. Er fand heraus, dass der Schacht tief ins Erdreich hinunterreichte und in Richtung des baufälligen Hauses verlief, in dem der alte Mann gewohnt hatte, und das in der Entfernung von etwa hundert Metern auf einem Hügel aufragte. William kratzte sich verblüfft am Kopf. Endete der Schacht vielleicht irgendwo in der Nähe des Hauses– oder sogar darin?
Er eilte den Hügel hinauf in den Hof des Anwesens. Eine umständliche Durchsuchung des Grundstücks brachte kein Schacht-Ende der Art, wie er es im Sinn hatte, zum Vorschein. Er setzte die Suche im zerfallenen alten Gebäude fort.
Der Fußboden existierte nicht mehr. Ein offenes Kellerloch starrte, einem Auge gleich, leer zum löchrigen Schindeldach hinauf. William kletterte hinunter. Unten stand er dumpf da, fast gelähmt vor Enttäuschung, denn nichts von Interesse war weit und breit im Dämmerlicht zu erblicken. Dann gewahrte er plötzlich, wie er so auf dem steinernen Kellerboden herumstand, einen eisigen Zug an seinen Füßen. Er bückte sich für einen Test mit seiner Hand und spürte eine stetige Strömung Hand und Füße umspielen, die zwischen den Ritzen der Pflasterung verschwand. Als er genau hinhörte, konnte er sogar eine Art Pfeifen hören.
Aha“ rief er.“Der alte Spinner hat einen Geheimgang in sein Spinnenparadies angelegt. Schauen wir mal, was unter dem Stein ist...“
Und so wuchtete der die Platte beiseite und entdeckte einen natürlichen Tunnel, der tief ins Eingeweide der Erde hinunterreichte. Der junge Biologe hatte seine Taschenlampe bei sich, und so begann er, nachdem er sich durch die Öffnung gezwängt hatte, mit dem Abstieg. Bald war das Tageslicht hinter ihm entschwunden. Eine weitere Biegung, und ihn umgab stygische Finsternis. Und immer tiefer, tiefer ging es hinab. Hätte er nicht beträchtliche Erfahrungen mit Höhlen besessen, er würde vermutlich die Nerven verloren und kein weiteres Vordringen mehr gewagt haben.
Überall hingen Spinnenweben – Millionen von ihnen, angelegt in den vielen Jahren, nachdem Israel Hicks die Tiere hier angesiedelt hatte. Es gab keinen Zweifel für William, dass er auf die Spinnenzuchtanlage des alten Irren gestoßen war. Die Chancen, sein Exemplar hier zu finden, standen gut, denn Hicks war auf seine Art ein Connoiseur gewesen, und es war unwahrscheinlich, dass er irgendeine Spezies dieser Region übersehen hätte.
Wie vermutet, erreichte er bald eine Ausweitung des Ganges, die sich wiederum zu einer langen, höhlenartigen Kammer öffnete. Als er in diesen großen Raum trat, schloss sich plötzlich eine eine gewaltige Felstür, nicht unähnlich den Verschlüssen in alten Grabkammern, donnernd hinter ihm. Er stockte ängstlich in dem Glauben, dass ihm nun der Rückzug abgeschnitten worden war. Doch dann beruhigte ihn ein weit entfernter Schimmer von Tageslicht – offensichtlich war es das Erdloch, das er früher entdeckt hatte. Zur Not konnte er dort versuchen zu entweichen – genau wie die fliegenden Fäden. Er ging weiter, sorgfältig links und rechts die Umgebung mit der Lampe ableuchtend.
Was für ein fürchterlicher, gespenstischer Ort das war! Die endlose, schleimige Höhlendecke schimmerten grau von den aschenfarbenen Geweben der Spinnentiere. Feuchte Perlen hingen an vielen langen Gebilden, die ihn mit eisigen Ergüssen besprenkelten. Buchstäblich tausende neugieriger agiler Kreaturen sprangen bei seinen Schritten hervor in Hoffnung auf mögliche Beute. Und ebenso blitzschnell zogen sie sich wieder in ihr silbernes Refugium zurück, der wenn der Strahl der Taschenlampe auf sie traf. Ihre unzähligen listigen Augen mit ihrer lauernden Schärfe flößten ihm fast Furcht ein, und ein kalter Schauer rann ihm über den Rücken.
Dann blieb er mit einem unfreiwilligen Aufschrei plötzlich stehen. Er hatte gefunden, wonach er suchte, da war seine Trophäe, eine wunderschöne Arimnes, und sie besaß die vielleicht hinreißendsten geometrischen Muster, die er bei dieser Spezies je gesehen hatte. Sie war fast so groß wie ein Silberdollar, mit langen, grazilen Beinen, einer brillanten Zeichnung auf dem Kopf und einer anderen auf ihrem Rücken, und intensiven tiefschwarzen Augen.
Sein Problem bestand nun, da er sie gefunden hatte, darin, sie zu einzufangen. Und das war kein geringes Problem, wie er wohl wusste, denn die Arimnes war so schlau, wie sie schön war, und ebenso groß wie ihre Schlauheit waren ihr Mut und ihre Wildheit. Außerdem verspürte Williams keine Lust darauf, von dieser Lady gebissen zu werden. Obwohl die Gattung im allgemeinen zu den ungiftigen gezählt wurde, oder wenigstens zu den ungefährlichen, gab es doch authentische Berichte, nach denen seltene Untergruppen dieses Typs mit tödlichem Gift aufgetaucht waren.
Doch er hatte eine selbstgebaute Apparatur mitgebracht, eine Angelrute in Kombination mit einem starken Draht und Gaze, mit der er das Tier zu fangen gedachte, und so begann er behutsam und geschickt mit seiner Jagd.
Die Spinne floh, William folgte. Dann, mit listiger Plötzlichkeit, stürzte das Biest auf eine Felsspalte zu – breit, doch zu schmal für einen Menschen, um sich hindurchzuquetschen - und verschwand darin. An diesem Rückzugsort konnte William es nicht erreichen.
Keine Überredungskunst konnten die Lady überzeugen, aus ihrem Versteck zu kommen. Am Ende aller Weisheit, begann er mit dem Ende der Angelrute wild in der Spalte herumzustochern. Er wollte zwar ein lebendes Exemplar, doch ein totes war immer noch besser als gar keins.
Das war, wie er zu spät bemerkte, ein fataler Fehler. Als sei dies ein Signal gewesen, auf das die Spinnenhorden gewartet hatten, sprangen sie zu Tausenden hervor und stürzten sich auf ihn wie ein riesiger hungriger Mob.
Große haarige Ungeheuer ließen sich von oben auf sein Haupt fallen, sie krochen über sein ungeschütztes Gesicht, er fühlte, wie sie seine Hosenbeine emporklommen. Obwohl er sie mit wilden Gebärden abstreifte, sie aus seinen Augen wischte und versuchte, sie in der Dunkelheit zu zertrampeln, schienen seine panischen Aktionen nur noch mehr von ihnen anzulocken.
Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er kannte die Gewohnheiten von Spinnen. Er wusste, dass sie etwa anderthalb Jahre ohne Nahrung auskamen, um sich dann in einem solchen Zustand gefräßig auf alles Lebende zu stürzen, und so wurde ihm auch klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ihn durch die schiere Anzahl überwältigen und seinen Körper gnadenlos verzehren würden. Hier in der Dunkelheit, nur bewaffnet mit einer Taschenlampe, schien es so gut wie aussichtslos, ihnen zu widerstehen. Es war völlig unmöglich, den Weg zurückzulaufen, den er gekommen war, denn die Felsentür hatte ihm den Rückzug abgeschnitten. Er konnte nur vorwärts gehen. Und genau das tat er auch, die Spinnen vom Gesicht streifend, als er voranschritt, in der verzweifelten Hoffnung, die Vorsehung möge ihm einen Weg zeigen, wie er durch das enge kamingleiche Loch am Ende der Höhle entkommen könne. Er arbeitete sich so gut voran, wie es nur irgend ging, seinen Hut tief über die Augen gezogen, sein Kragen hochgestellt, und stetig nach den zubeißenden, gefräßigen Arachnaiden schlagend.
Undeutlich nahm er wahr, wie sich das nebelhafte Licht auf der gegenüberliegenden Seite der Höhle verstärkte, als es sich jener Ecke näherte. Und tatsächlich begann die Öffnung eine klare Gestalt anzunehmen. Wenn es ihm gelang, nur noch eine kurze Spanne Zeit durchzuhalten, würde er dort entkommen können. Doch schon plagten ihn große Schmerzen in allen Teilen seines Körpers. Ihm wurde schwindlig – ob aus Furcht oder des Giftes wegen, konnte er nicht sagen – Hände und Gesicht begannen von den Bissen wahrnehmbar anzuschwellen.
Und dann blieb er stehen – in eisigem Schrecken!
Direkt vor dem Loch, das ihm eine Flucht von diesem grausigen Ort versprach, einen Ausgang zum guten alten Sonnenschein an der Oberfläche, nahm er die Form der gigantischsten Spinne war, die er je in seinem Leben erblickt hatte! Von dort, wo er stand, schien sie, soweit er das in seinem benebelten Zustand einschätzen konnte, über einen halben Meter groß zu sein. Sie gehörte zu einer Gattung, von der er zwar gelesen hatte, doch sie war, soviel er wusste, noch niemals von den Augen eines Weißen erblickt worden – die Goldene Monsterspinne, beheimatet in den Tropen. An den Stellen, an denen das Licht von oben auf sie fiel, spiegelte sich der Glanz ungetrübten kostbaren Metalls – das Gold, von der sich ihr Name ableitete.
Seltsam genug – je weiter er sich zu ihr vorwagte, desto mehr von den kleineren Biestern fielen trotz ihrer Wildheit von ihm ab und blieben zurück. Jetzt stand er im Zirkel des Tageslichts, und das half ihm, sie endgültig abzustreifen. Viele verendeten unter seinen knirschenden Absätzen.
Kein Wunder, dass sie sich davonmachen“, dachte William vage. „Die fette alte Dame hat ausreichend Kapazität, diese kleinen Fische allesamt zu verspeisen, wenn sie ihr zu nahe kämen.“
Nach dem ersten Schock raffte er seine Kräfte zusammen und näherte sich weiter – in Erwartung des unausweichlichen Showdowns. Er würde kämpfen müssen, und zwar auf Tod und Leben. Entweder er würde dran glauben - oder die Riesenspinne.
Die Kreatur bewegte sich keinen Millimeter, als er sich näher und näher heranschlich – erbarmungslos starrten ihre goldenen Augen. Sie bewahrte auch dann ihre meisterhafte Gelassenheit, als William, alles auf eine Karte setzend, mit seiner Stahl-Angelrute ausholte in dem Bestreben, das Biest mit dem Rohr in zwei Teile zu spalten.
Er hatte gut gezielt. Das wusste er bereits, bevor der Schlag fiel. Das Rohr sauste scharf und präzise auf den Mittelpunkt des Spinnenkörpers. Und dann sah William etwas, das ihn fast zusammenbrechen ließ vor Erleichterung, etwas, das seine Sinne einen Moment lang weigerten zu glauben. Anstatt dass das Tier sich in Todesqual wand, zerschellte es, nicht unähnlich einer dämonischen Erscheinung, mir einem metallischen Scheppern und Klirren!
Es dauerte eine geraume Zeit, bis William seine Sinne wieder so weit beisammen hatte und seine Beine wieder so kräftig waren, dass er den Mut aufbrachte, sich die Resultate dieser seltsamen Verwandlung anzusehen.
Als er es tat, sah er, dass die Spinne aus goldenen Münzen bestanden hatte, die so kunstvoll zusammengeklebt waren, dass sie das Tier perfekt imitierten.
Und als er wieder zusammenhängend denken konnte, ahnte er, was es damit auf sich hatte. Der alte Hicks hatte zwei Götter: sein Geld, von dem nur wenige wussten, und die Spinnen, die er ausbrütete und liebte. Er hatte sein Vermögen hier unter den wachsamen Augen der Spinnen platziert. Das Arrangieren einiger Münzen zu der Form einer großen Spinne war ein verschrobener Ausdruck seines Wahnsinns – eine Fusion seiner Verehrung für beide Götter.
Und getreu ihres Auftrags, den sie vor vielen Jahren erhalten hatten, waren die Spinnen in ihrer tödlichen Wachsamkeit fast erfolgreich gewesen...
William kroch aus der Höhle so schnell er nur konnte, doch nicht ohne die Münzen in seine Taschen und seinen Hut zu stopfen. Draußen im herrlichen Sonnenschein atmete er frei, und er spürte bald zu seiner Erleichterung, das keiner der Bisse ihm auf längere Sicht - von einigen schmerzliche Unannehmlichkeiten abgesehen - zu schaffen machen würde.
Dies Abenteuer brachte ihm zwei merkwürdige abergläubische Vorstellungen im Zusammenhang mit Spinnen wieder ins Gedächtnis: dass Spinnen ihre Netze nie in der Nähe von Gold anbringen und sich Gold auch nicht nähern, und dass im Herbst, wenn die Spinnen brüten, und die Jugend in die Welt zieht, ein feines Garn durch die Luft fliegt. Wer ihm folgt, den leiten die Feen zu großem Reichtum.
Originaltitel:
Fairy Gossamer
Weird Tales, Dezember 1924
Übersetzung: Matthias Käther © 2020


Jesse Franklin Bone: Einfuhrverbot für Horgels (1957) SF


Jesse Franklin Bone - Einfuhrverbot für Horgels


Wenn Pulp-Fiction-Fans vom Magazin „Super-Science Fiction“ (ja, der Bindestrich sitzt richtig!) sprechen, tritt für gewöhnlich ein bewunderndes Glimmen in ihre Augen. Die Zeitschrift ist so etwas wie DAS kleine gallische Pulp-Dorf in einer Welt seriöser Science Fiction gewesen. Über seinen Chefredakteur W.W. Scott weiß man wenig. Fest steht, dass er das Magazin Ende 1956 begründete, zu einer Zeit, als „echte“ SF-Fans für pulpische Geschichten mit fiesen Alien-Monstern nicht mehr viel übrig hatten. Doch Scott fand heraus, dass die Autoren selbst sehr wohl noch Lust auf solche Gruselgeschichten verspürten, wie sie die Szene der 30er und 40er beherrschten, und so gründete er eins berüchtigsten Monster-Pulp-Hefte. Der Erfolg war kläglich – er brachte es nur auf 18 Ausgaben, die letzte erschien Ende 1959.
Doch heute ist Super-Science Fiction sehr gesucht, nicht zuletzt wegen der vielen großen SF-Schriftsteller, die hier augenzwinkernde Monster-Beiträge lieferten, unter ihnen Isaac Asimov, Henry Slesar, Harlan Ellison und Robert Silverberg.
In der kleinen internationalen Sammlerszene waren einige Exemplare von Ikonen wie Lenny S. und aMouse gescannt worden, doch es gelang lange nicht – anders als bei Zeitschriften wie Astounding SF oder Amazing Stories – die klaffenden Lücken zu schließen. 8 der 18 Ausgaben schienen unauffindbar.
Auf der Suche nach einer raren Erzählung des Autors Winston K. Marks stieß ich auf den Sammler Jerry Schneider, der tatsächlich 7 der 8 fehlenden Ausgaben besitzt! Während ich das schreibe, raucht sein Scanner.
Unter dem bereits gescannten Material fand sich auch diese kleine Kostbarkeit, die ich während der düsteren Corona-Tage im April 2020 mit Vergnügen übersetzte. Dass es hier auch um eine Quarantäne geht, wenn auch um eine ganz andere, erhöhte den Genuss noch.
I

Hatten Sie jemals eine Katze?“ fragte Thompson. Er lehnte sich vor – ein kleiner grauer Mann in den späten Sechzigern – und starrte seinen Besucher durch eine altmodische Zweistärkenbrille über den Schreibtisch hinweg an, der die beiden voneinander trennte. Der junge Mann, der vor diesem Schreibtisch stand, zappelte ungeduldig vor sich hin. Thompson blickte auf die Visitenkarte, auf der zu lesen stand: „Edward Farnsworth,
Internationale Shows. Agent“ und kraulte die Ohren seiner riesigen Siamkatze, die auf seinem Schoß saß. Die Katze blickte auf mit trägen blauen Augen, registrierte Farnsworth mit einem besonders gleichgültigen Blick, streckte sich, gähnte, und schloss die Augen wieder. Es war offensichtlich, dass der große braungebrannte Besucher eine Angelegenheit von vollkommener Unwichtigkeit war.
Nehmen Sie Cato hier“, fuhr Thompson fort. „Er ist ein besonders schönes Exemplar seiner Spezies. Haben Sie jemals etwas Ähnliches besessen wie ihn?“
Ja, einmal“, antwortete Farnsworth. „Als ich auf der Venus war. Aber ich sehe nicht recht, was das mit meinem Anliegen zu tun hat. Alles, was ich will, ist eine einfache Antwort. Bekomme ich die Erlaubnis zur Einfuhr von einem Paar venusianischer Horgels oder nicht?“
Nicht.“ sagte Thompson knapp.
Das ist jetzt das vierte Mal“, seufzte Farnsworth. Ich schätze, dann werde ich mich an eine höhere Institution wenden müssen.“
Es gibt keine höhere Institution, Freundchen. Hier ist das Ende der Fahnenstange.“
Ihr Bürokraten!“ Farnsworths Stimme war erfüllt von schlecht unterdrückter Wut. „Ihr sitzt hier hinter dem Schreibtisch und spielt Gott! Erzählt arbeitenden Leuten, was sie dürfen und was sie nicht dürfen, als ob ihr die Weisheit mit Löffeln gefressen hättet! Ihr gebt keinen Pfifferling drauf, dass eure dämlichen Entscheidungen Menschen ruinieren können. Warum in aller Welt wollen Sie nicht erlauben, dass so etwas Süßes und Cleveres wie die Horgels zur Erde gebracht werden? Sie sind völlig harmlos! Und sie selbst sind auch nicht in Gefahr – sie kommen perfekt in terrestrischer Umgebung klar. Und sie würden unsere Show vor dem Bankrott retten. Das Publikum würde sie einfach anbeten, wenn man ihnen eine Chance gäbe!“
Ja, ich schätze, das stimmt“, seufzte Thompson. „Aber ich bezweifle, dass sie jemals eine Gelegenheit dazu bekommen werden. Horgels haben Einfuhrverbot.“ Es lag eine Spur von Erbitterung in seiner Stimme.
Katzen mögen sie nicht!“ ergänzte er ominös.
Was hat das denn jetzt damit zu tun?“
Ich wiederhole meine Frage – hatten Sie jemals eine Katze?“
Und ich wiederhole meine Antwort, Sir: Ja, hatte ich. Sie wissen genau wie ich, dass Katzen Vorschrift sind, wenn man sich auf der Venus aufhält, weiß Gott, warum. Es gibt da drüben jetzt Millionen von Katzen, und einen Mann dazu zu zwingen, mit einer Siamkatze an der Leine herumzuspazieren, wann immer er aus dem Haus geht, scheint mir ziemlich schrullig!“
Sie sind genau wie alle andern“, seufzte Thompson. „Sie werfen Worte und Fakten hoffnungslos durcheinander. Sie haben niemals in Ihrem Leben eine Katze besessen, Sie ...“
Aber...“
Sie dachten nur, Sie hätten eine!“ beendete Thompson seinen Satz freundlich.
Ich hab Papiere, die es beweisen!“
Na und? Hat eine Katze Ihnen jemals gehorcht, wenn Sie ihr etwas befahlen? Hat sie jemals ihre Bequemlichkeit geopfert, um Ihnen gefällig zu sein? Hat sie irgendeine ihrer Gewohnheiten geändert, um Ihnen entgegenzukommen?“
Farnsworth schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht behaupten, dass sie das gemacht hätte,“ gab er zu. „Ist 'ne widerliche egoistische Brut. Ich hasse Katzen.“
Aber Sie lieben Horgels.“
Oh ja! Bin ganz verrückt nach ihnen. Sie sind süß, und clever, und liebenswert.“
Hm. Ja, sind sind sie. Genau da liegt das Problem. Sie sind zu süß, zu clever, zu liebenswert.“
Sowas ist unmöglich!“
Ach wirklich? Sagen Sie mal – wie lange waren Sie in der Nähe dieser Horgels?“
Ein paar Tage vielleicht. So eine Farmer-Sumpfratte auf der Venus besaß welche. Hielt sie in einem Käfig. Hat sie nie berührt. Er ließ sie von einem Eingeborenen füttern. Die armen kleinen Dinger waren völlig verstört. Ich glaube, sie waren noch nie vorher in einem Käfig gewesen, und ich verstehe auch nicht, was sie da drin zu suchen hatten. Das sind die wuschelweichsten, allerschnuckligsten Dinger. Sie würden perfekte Haustiere abgeben.“
Zweifellos würden sie das“, sagte Thompson. „Gutgut, dann ist ja kein Schaden entstanden. Ach, ganz nebenbei: Haben Sie irgendwelche Katzen in der Gegend gesehen?“
Bei den Horgels? Nee. Außer meiner eigenen natürlich. Aber gehört hab ich sie. Jaulten die ganze Nacht, die Mistviecher.“
Gut. Ein Problem weniger. Ich dachte schon, ich müsste Sie fragen, wo dieser Händler genau lebt. Jaja, ich weiß, Sie würden's mir nicht sagen.“
Thompson strahlte ihn freundlich über seine Brillengläser hinweg an.
Die Katzen werden sich drum kümmern. Ist nur eine Frage der Zeit.“
Sie meinen – sie bringen diese kleinen Dinger um, die keiner Fliege was zuleide tun?“
Klar! Das ist eine Frage des Überlebens und der stärkeren Spezies.“ Etwas Stahlhartes schwang in Thompsons Stimme mit. „Katzen sind große Freunde direkten Handelns. Jetzt setzen Sie sich endlich hin, junger Mann, und ich erzähle Ihnen, warum Sie niemals eine Einfuhrerlaubnis von dieser Behörde hier bekommen werden, und warum Ihnen nie wieder gestattet werden wird, die Venus zu besuchen.“
Das – das können Sie doch nicht machen!“
Ich habs schon gemacht,“ antwortete Thompson sanft. „Ich habe die Reiseerlaubnis annulliert, bevor ich Sie auch nur gesehen habe.“
Sie haben -was ??“
Sie haben mich gehört, Freundchen. Die Venus ist dicht für Sie.“
Aber warum?“
Setzen Sie sich hin, und ich erzähls Ihnen!“
Farmsworth babbelte verstört vor sich hin, aber er gehorchte. Auf jeden Fall, überlegte er bitter, würde er so wenigstens etwas aus diesem äußerst unbefriedigenden Gespräch herausholen.

II

Sehr schön!“ freute sich Thompson. „Es geht doch nichts über eine schöne lehrreiche Lektion. Und die erste Tatsache, die diese Lektion enthält, wird Sie überraschen: Ich war nicht immer ein Bürokrat. Einst war ich Biotechniker im Space Service und ein Mitglied der ersten Venusexpedition. Wir waren fünf an Bord der „Venus I“. Archie Slezak, der Pilot, Ed Smith, der Navigator, Mitsui Watanabe, der Ingenieur, und ich. Und natürlich Katy, die Schiffskatze.
Sie war natürlich kein eingetragenes Crewmitglied, eine riesiges, schwarzes, kurzhaariges Biest zweifelhafter Abstammung. Bei ihrer Größe würde ich sagen, da war irgendwo mal eine Wildkatze in ihrem Stammbaum, doch abgesehen von der Tatsache, dass sie aussah wie ein schwarzer Panther, war sie anhänglich genug auf ihre Art – und wir alle kamen ganz gut klar mit ihr. Alle außer Watanabe. Der liebte sie. Ich glaube sogar, dass er es war, der sie an Bord schmuggelte, bevor wir starteten, auch wenn er es niemals zugab. Er war ein Haustier-Fan. Bloß dass sie ihn eigentlich nie groß beachtete. Meistens streunte sie irgendwo in den dunklen Winkeln des Schiffs herum, nachdem der Beschleunigungsdruck nicht mehr zu spüren war.
Natürlich hatten wir ein bisschen künstliche Schwerkraft, aber die betrug nur etwa ein Achtel der Erdschwerkraft, grade genug, um mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben. Katy liebte das. Es war kein Problem für sie, sechs Meter durch den Kontrollraum zu springen und dann auf jemandes Schultern zu landen, so leicht, dass wir sie kaum spürten. Sie hatte ein unglaubliches Gefühl für die richtige Distanz, und konnte uns mit ihren Clownerien stundenlang bei Laune halten.
Für 'ne Katze war sie liebenswert genug, bloß ich traute ihr eigentlich nie so richtig. Da war zu viel Wildkatze in ihr“ - er bückte sich, kraulte Catos Ohren und schmunzelte, als der dicke Kater ihm leise auf Siamesisch Liebesworte zuraunte.
Aber was...,“ begann Farnsworth.
Nur Geduld, ich erzähls ja. Wie ich schon sagte, wir alle dachten, sie sei amüsant, aber nutzlos - bis zu dem Tag, als sie zu uns mit einer toten Ratte im Maul hereingeschwebt kam. Er war eine schwangere, vollgestopft mit Jungen, und ich kann Ihnen sagen, das hat uns einen Riesenschrecken eingejagt!
Ratten und Raumschiffe – sehr ungemütliche Kombination. Ratten gebären schnell und mutieren leicht durch die atomare Triebwerksstrahlung. Und wenn sie erstmal drin sind im Schiff, sind sie extrem schwer zu kontrollieren. Besonders fies wird’s, wenn eine intelligente Mutation auftaucht. Aber Katy stoppte diese Bedrohung, bevor sie begann.
Wir stiegen in unsere Raumanzüge und ließen die Luft aus dem Schiff. Nicht mal Ratten können im Vakuum leben, und wir ließen das Schiff lang genug offen, um sicherzustellen, dass auch das letzte bisschen Sauerstoff aus den Fiberglas-Isolierungszwischenräumen im Rumpf verschwunden war. Glücklicherweise war nicht einer unserer unerwünschten Gäste lange genug der Strahlung ausgesetzt, um irgendwelche Mutationen zu entwickeln, und so gelang und eine vollständige Ausrottung. Wanatabe hatte eine Art Drucktank für Katy gebastelt, und während des Blowdowns saß sie selbstherrlich drin wie eine königliche Witwe, während wir die Ratten erledigten.
Danach war Katy eine Heldin. Und sie nutzte es gründlich aus! Es war fast so, als ob sie wusste, dass sie nun einen privilegierten Status erreicht hatte. Sie kommandierte uns herum und starrte uns fordernd an, so dass wir aufsprangen, falls wir auf einem ihrer Lieblingsplätze saßen. Sie war nicht besonders nett in dieser Hinsicht, und wenn Sie je von eine Mieze rumgescheucht wurden, wissen Sie, was ich meine.
Sie wollte verhätschelt werden, allerdings zu ihren eigenen Bedingungen und Zeiten, und ich kann Ihnen sagen – sie suchte sich die miesesten Zeiten aus. Wann immer Smitty mit Berechnungen beschäftigt war, setzte sich das Vieh auf seine Blätter, Schwanz hochgereckt, mit bildschönem Buckel und einem Schnurren so laut wie eine Dynamomaschine. Unweigerlich würde sie, wenn ich die Algentanks auf ihr ökologisches Gleichgewicht hin überprüfte, garantiert versuchen, die Ökologie durcheinander zu bringen. Und in jedem Fall, in dem sich Mitsui den Maschinen widmen wollte, konnten Sie drauf wetten, dass er sich vorher der Katze widmen musste.
Sie war eine Pest.
Doch dem armen Slezak ergings am übelsten von uns allen. Aus irgendeinem unbekannten Grund liebte Katy ihn – und Archie hasste Katzen! Sie pflegte um ihn herumzustreichen und Liebenswürdigkeiten auf kätzisch zu gurren, um dann knochenlos wie ein nasser Sack in seinen Schoß zu plumsen und zu schlafen.
Könnte sein, dass Archies Körpertemperatur was damit zu tun hatte; er war immer ein bisschen mehr aufgeheizt als wir es waren. Aber Archie pflegte zu sagen, dass sie ihn absichtlich ausgesucht hatte aus schierer Bosheit – tja, und da konnte ich ihm eigentlich nicht widersprechen.

III

Wir verbrachten zwei Monate im Trägheitsmodus – damit meine ich nicht, dass wir nichts taten, sondern dass das Schiff ohne zusätzlichen Antrieb mit seinem Startschub dahinflog – und dann leiteten wir den Bremsvorgang ein. Nachdem die Flugbahn genau justiert war, drehten wir uns in Richtung Venus, schalteten die Treibwerke hoch, und den Rest besorgte der Planet. Dann tauchten wir ein in den Ionengürtel und drehten ein paar Runden um die Venus, und die Moleküle der oberen Schichten verlangsamten unsren Schwung, ohne uns allzusehr aufzuheizen. Gleichzeitig erlaubten die Entschleunigungsrunden uns, einen Blick auf die Welt unter uns zu werfen.
Wir checkten die Atmosphäre. Die Oberschicht bestand hauptsächlich aus Kohlendioxid und Formaldehyd, genau so, wie die Astronomie-Jungs es vorhergesagt hatten. Doch das Zeug war weder dick noch wolkig. Die Wolken waren alle weit unten, nahe der Oberfläche. Wie Sie ja wissen, hat Venus eine Schwergas-basierte Atmosphäre, doch der Sauerstoffanteil war hoch; hoch genug jedenfalls, um atmen zu können, wenn Sie damit leben konnten, daß es überall roch wie im Leichenschauhaus. [Formaldehyd wird zum Einbalsamieren von Leichen verwendet. Anm. d. Übers.]
Unsere Anweisungen lauteten zu landen, wenn es irgendwie möglich war, und so machte Slezak alles an Bord bereit fürs Runterkommen. Wir kamen auch gut runter, und setzten auf einem dieser flachen Hügel auf, die aus dem Sumpf herausragen. Viel war natürlich nicht zu sehen. Venus war ein herrlich beschissener Ort mit diesem ständigen Regen und dem Duft eines viertklassigen Beerdigungsinstituts. Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Sie wissen ja selbst, wie es ist. Sie waren ja da.“
Hat sich nicht sehr verbessert“, gestand Farnsworth.
Jede Verbesserung auf der Venus wäre ein Segen“, fuhr Thompson fort.
Wie auch immer, wie taten das Übliche, rammten die Fahne in den Boden und nahmen den Planeten in Besitz, und während Slezak und ich im Schiff blieben um aufzupassen, zogen Smitty und Watanabe los auf Entdeckungstour. Wir zogen Streichhölzer. Slezak und ich hatten gewonnen.
Aber auch wir blieben nicht im Schiff, sondern strichen in der Nähe rum und drehten ein paar Runden, um uns die Beine zu vertreten. Unsere Expedition war nicht dafür ausgerüstet, große Forschungsausflüge zu unternehmen, aber wir mussten schließlich ein bisschen was machen, um unserer Eroberung einen Anstrich von Legalität zu geben. Die wirkliche Arbeit kam später, wenn die Jungs zu Hause unsere Daten auszuwerten begannen. Aber zumindest hatten wir die Ehre, die ersten Menschen zu sein, die den Fuß auf die Venus setzten.“ Thompson hustete entsetzlich und lächelte, als der Anfall vorüber war. „Schon die Erinnerung macht mich krank!“ erklärte er. „Ich konnte Formaldehyd nie ausstehen. Meine Lungen haben den Zustand ihrer Einbalsamierung inzwischen überwunden, aber mein Gedächtnis... schon an die Venus zu denken verursacht mir Hustenreiz.
Es dauerte etwa ne Stunde, bis Smitty und Mitsui zurückkamen. Mitsui hatte einen Horgel in seinen Armen. Wie gesagt, er war vorher schon ein großer Haustier-Fan gewesen, aber diesmal, dachten wir alle, hatte er wirklich den Hauptgewinn gezogen. Niemand von uns hatte je zuvor einen Horgel gesehen, und das Vieh sah so unschuldig und schnucklig aus, dass wir alle sofort hin und weg waren.
Mit seinem rosa Fell und den violetten Augen sah es einer Kinderpuppe verblüffend ähnlich – ein winziger Teddy-Bär mit Knopfnase, schwarzen, händeähnlichen Pfoten und einem Ausdruck äußersten Vertrauens auf seinem spitz zulaufenden Gesichtchen. Aber das allein erklärte noch nicht seine Ausstrahlung. Ich schätze, in jedem Mann steckt ein Funken Mütterlichkeit. Denn dieses verdammte Ding rührte daran – es rührte an etwas, das man nicht anders als den 'mütterlichen' Instinkt bezeichnen kann. Es lässt sich nicht anders beschreiben.
Das Ding machte uns alle butterweich, und jeder von uns wollte es unbedingt halten und beschützen.“
Ich weiß“, sagte Farnsworth. „Hab so ein Ding selbst auf dem Arm gehabt.“
Mitsui hatte sich vollständig in das Wesen verknallt. Sie wissen ja, wie emotional diese Japaner sein können. Er wiegte und schaukelte es in seinen Armen und flüsterte ihm süße Worte in die kleinen Muschelöhrchen- und es gurrte zu ihm zurück! Eigentlich hätte mich dieses Getue anwidern sollen – aber ich wollte nichts anderes, als es genauso machen – ich sehnte mich so danach, dass es wehtat! Ich wollte die Weichheit seines Fells fühlen, mit ihm schmusen und es knuddeln. Ich wollte es, wie man eine Frau will. Smitty war grün vor Eifersucht – und sogar Slezak sah interessiert aus. Wir alle benahmen uns ein wenig sonderbar. Aber ich denke, damals erschien uns das alles ziemlich angemessen.
Katy reagierte allerdings nicht so, wie wir dachten. Sie kam zum Haupteingang heraus, stolzierte deliziös herum, als liefe sie auf rohen Eiern und hätte Angst sie zu zerbrechen – aber in dem Moment, als sie den kleinen rosa Flauschball in Watanabes Armen sah, änderte sich ihr Gehabe blitzartig. Sie machte einen Buckel, und ihr Schwaz sah aus wie eine Flaschenbürste! Sie ließ ein hassvolles Gejaule ertönen und griff Mitsui völlig überraschend an. Sie schlug ihre Krallen in seine Kleidung, kletterte an ihm hoch und kroch auf den Horgel zu, wütend fauchend und erfüllt von unsäglicher Raserei!
Der Horgel schrie nur einmal auf. Er klang so sehr wie ein verletztes Baby, dass wir vor Schreck für einen Moment völlig paralysiert waren. Und während wir so dastanden, sprang er aus Mitsuis Armen und rannte unbeholfen über die verkohlte Landeebene auf den 40 Meter entfernten Dschungel zu. Er sollte ihn nie erreichen. Katy war hinter ihm her wie der Blitz. Sie erwischte ihn nach 15 Metern, und zu dem Zeitpunkt, als wir die Szene erreichten, hatte sie ihn schon rasch und vollständig zerlegt.
Wissen Sie, ich habe Katzen oft töten sehen, und es schien mir stets, als ginge es ihnen vor allem um den Spaß dabei. Katzen scheinen immer aus sportlichen Gründen zu töten, als wäre es ihr liebstes Hobby.
Doch diesmal war nichts Sportliches an Katy. Sie packte diesen Horgel einfach und riss ihn in kleine Fetzen.
Mitsuis Herz war gebrochen. So wie er sich benahm, hätte man glatt denken können, Katy hätte seinen kleinen Bruder gekillt. 'Ich habe das kleine Ding geliebt!' schluchzte er. 'Ich werde niemals wieder so etwas Vertrauensseliges und Liebevolles finden! Oh, diese verdammte dreckige Mistkatze!'
Etwas an dieser Klagearie ließ mich aufhorchen. Mitsui war bisher immer derjenige gewesen, der Katy bei allem verteidigt hatte. Er mochte sie unheimlich gern und verschwendete dreimal soviel Zuneigung an sie wie alle andern. Aber nun hätte er sie mit Freude getötet. Katy ihrerseits schien zu spüren, wie er sich fühlte, denn sie trat einen schnellen Rückzug zum Raumschiff an und versteckte sich dort in einer dieser dunklen Ecken, die sie so gut kannte, während Mitsiu auf der Suche nach ihr das Schiff durchstreifte und auf japanisch die Flüche ganzer Generationen auf ihr mörderisches Haupt beschwor.
Katy ignorierte ihn natürlich.
Allmählich kochte Mitsui nach einer Stunde oder so wieder runter, aber er verbrachte den Rest des Abends damit, eine stabile Box mit verschließbarer Klappe zu bauen.
'Ist nicht so, dass ich Katy nicht mag' entschuldigte er sich, 'aber ich liebte das kleine Ding.'
Er wartete geduldig, bis Katy aus ihrem Versteck kam, schaufelte sie hoch und stopfte ihren überraschten Körper in die Box. 'Da bleibst du drin, bis du gelernt hast, dich zu benehmen', knurrte er grimmig. Dann, ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er raus, um ne halbe Stunde später mit einem neuen rosa Viech wiederzukommen, genauso eins wie das, das wir verloren hatten. Er grinste von einem Ohr zum andern. 'Dahinten ist eine Art Dorf', sagte er, in Richtig Ausgangsportal zeigend, 'und von diesen Dingern gibt’s da so viel wie Flöhe auf 'nem Hunderücken. Die Eingeborenen halten sie als Haustiere.'
Und so hatte Mitsui als erster Mensch ganz nebenbei die dominierende Intelligenz auf der Venus entdeckt. Aber das war uns ziemlich schnurz. Wir wollten nichts weiter als eine von diesen entzückenden Kreaturen für uns allein. Und dieses Mal zogen wir keine Strohhalme. Wir gingen alle zusammen los und ließen eine schäumende Katy einsam zurück in ihrer Box.

IV

Das Dorf war eine Ansammlung elender Hütten, vollgestopft mit humanoiden Eingeborenen. Sie kennen sie ja, dumme, apathische Primitive, die einem auf Schritt und Tritt folgen – entweder um zu betteln oder zu stehlen. Wie mir zu Ohren gekommen ist, sollen sie sich nicht sehr verändert haben.
Der einzige Unterschied zu heute war, dass dieses Dorf geradezu überschwemmt war mit Horgels. Sie tauchten überall auf und wuselten furchtlos durch die Siedlung, so als wären sie eine Meute von Schoßhunden.
Soweit wir das beurteilen konnten, waren die Eingeborenen ein harmloser Haufen. Was wir in Erfahrung bringen konnten, lief darauf hinaus, dass sie ihre Zeit totschlugen, indem die fischten und sich um ihre Haustiere und Kinder kümmerten. Die Art, wie sie diese rosa Flauschbälle verhätschelten, war frappierend. Ich habe sogar stillende Mütter gesehen, die sie an derselben Brust säugten wie ihre Kinder! Diese Horgels schienen alle anderen Wesen zu einem gigantischen Ausbruch von vollkommener Liebe und Zärtlichkeit zu inspirieren.
Die Ureinwohner protestierten nicht, als sich jeder von uns einen Horgel vom Boden aufschaufelte und in seinen Armen wog. Es gab jede Menge davon, und sie schienen Gemeinbesitz zu sein. Die Horgels mochten uns anscheinend ebenso gern wie wir sie, denn im Handumdrehen benahmen wir uns trotz unseres Raumfahrer-Berufs alle wie kleine Kinder. Sie hatten einen von ihnen in den Händen, Sie wissen, wie man sich fühlt.“
Farnswoth nickte. „Sie sind umwerfend“, schwärmte er. „Ich habe nie wieder so etwas gefühlt wie damals, als ich sie im Arm hielt. Es gibt keinen Ausdruck dafür.“
Genauso ist es, Freundchen. Wahre Liebe!“ säuselte Thompson mit sanfter Stimme, um dann zynisch zu werden. „Jedenfalls schleppten wir sie natürlich mit ins Schiff, und Katy drehte völlig durch in ihrer Box. Sie fluchte, fauchte, schrie, spuckte und kratzte, bis sie völlig erschöpft war – dann lag sie auf dem Boden der Box und knurrte uns an. Es war kein schönes Geräusch, aber es brachte ihr nichts. Die Box hätte auch einen Lux ausgehalten. Wir hörten gar nicht hin.
Wir waren fasziniert von den Horgels. Sie waren wundervoll: Wuschlig, clever, anhänglich und auch noch intelligent! Mitsui brachte seinem innerhalb von Minuten bei, „Sitz“ zu machen, und daraufhin verbrachten wir Stunden damit, ihre Fähigkeiten zu erforschen.
Sie konnten fast alles außer reden – und selbst da waren sie nahe dran. Sie schienen instinktiv zu wissen, was wir wollten – und was uns am meisten gefiel. Und dann taten sie genau das.
Wir hatten nie wieder im Leben so viel Spaß wie dabei, den Mätzchen und Possen unserer neuen Haustiere zuzusehen. Sie waren die geborenen Komödianten, und brachten uns ganze Nächte lang zum Lachen. Das war eine glückliche Zeit für alle von uns. Und wenn wir schließlich ins Bett gingen, hatte jeder seinen Horgel im Arm.
Und niemand dachte daran, Katy zu füttern!
Es wär aber vermutlich auch nicht viel dabei rausgekommen, wenn wirs getan hätten, denn sie war so durchgedreht, dass sie jedes Futter verschmäht hätte. Und ihr Zustand wurde nicht besser. Allerdings vergaßen wir sie nicht ganz – nach etwa einem Tag gaben wir ihr Futter und ließen sie allein. Wenn sie fressen wollte – o.k. Ansonsten kümmerten wir uns nicht im sie. Tja, sie war eine Katze – also war sie vernünftig – und so fraß sie. Doch sie hatte für diese Freundlichkeit von uns nicht viel Dankbarkeit oder gar Zuneigung übrig. Sie zog sich lediglich in die hinterste Ecke ihrer Box zurück und fauchte uns an.
Wir verbrachten noch mehrere Tage auf der Insel im Sumpf, fanden aber nicht Interessantes außer den Eingeborenen und den Horgels. Wir machten Fotos und Notizen und gaben uns verzweifelte Mühe, wenigsten etwas von der absolut unverständlichen Sprache der Einwohner zu verstehen. Das Einzige, was wir aus ihnen herausholen konnten, war der Name der rosa Kreaturen, und dass jeder sie liebte.
Natürlich mussten wir früher aufbrechen, als uns lieb war, doch Venus war dabei, die Konjunktion zu verlassen, und wenn wir zu lange warteten, würde unser Tankvorrat nicht bis zurück zur Erde reichen. So verstauten wir unsere Horgels und uns selbst im Schiff, dampften ab in Richtung Erde und sagten dem Formaldehyd-Gestank der Venusluft Lebewohl.

V

Wir waren etwa eine Woche unterwegs und hatten unsere Höchstgeschwindigkeit erreicht, als es passierte. Irgendwie gelang es Katy, ihr Gefängnis zu öffnen und zu entkommen. Das erste, das ich von ihr mitbekam, war, dass sie meinen Horgel umbrachte. Sie zerbiss sein Rückgrat, als es schlafend in meinem Bett lag. Sie hatte sich so leise angeschlichen, dass ich überhaupt nicht wusste, wie mir geschah, bis ich erwachte und meinen süßen kleinen Flauscheball kalt und steif in meiner Armbeuge fand.
Ich hielt danach die ganze Zeit nach der Katze Ausschau, jede freie Minute, die ich erübrigen konnte. Um sie zu töten. Meinen Horgel zu verlieren war wie ein Kind zu verlieren! Ich war untröstlich – und ich verzehrte mich vor Neid über meine glücklicheren Crewmitglieder. Ihre Horgels waren noch am Leben, und meiner war tot! Und die Kameraden waren absolut eigensüchtig! Sie mussten wissen, wie ich mich fühlte, aber sie dachten gar nicht daran, ihre Horgels auch nur für eine Minute mit mir zu teilen. Ich kam mir vor wie ein Single auf einer einsamen Insel, die ausschließlich mit glücklichen und zufriedenen Paaren bevölkert ist. Ich war außen vor – und todunglücklich!
Es war schon seltsam, wie die Horgels plötzlich zum Symbol wurden für all die attraktiven Frauen, die ich begehrt und nie bekommen hatte. Neben dem Verlust meines Lieblings war es die Gleichgültigkeit meiner Schiffskameraden, die meinen Schmerz noch unerträglicher machte, als er sonst schon gewesen wäre. Ich war schlimm dran. Zunächst war ich nur verletzt und deprimiert, doch nach und nach fing ich an, die andern für ihr Glück zu hassen. Ich hasste sie für ihre Selbstsucht, ihr mangelndes Einfühlungsvermögen. Und schließlich dachte ich an Mord.
Welches Recht hatten diese anderen, Horgels zu besitzen, wenn ich keinen hatte? Ich grübelte finster darüber nach, während wir erdwärts rasten. Ich verfluchte sie dafür, dass sie all die Freuden liebevoller Gesellschaft genossen, während ich allein in der Kälte saß. Und während ich so darüber nachdachte, kam mir in den Sinn, dass Smitty derjenige von uns war, den wir am leichtesten entbehren konnten. Ich lauerte ihm in einem Gang auf und zertrümmerte ihm beinahe den Schädel mit einem Schraubenschlüssel. Er sackte zu Boden, Blut schoss aus seinem Kopf, doch ich verschwendete keinen Gedanken an ihn, bevor ich seinen Horgel hatte. Sobald ich den rosa Flascheball in meinen Armen lielt, tat er mir leid. Ich schleppte ihn zu seiner Liege und verband seine Verletzung, so gut ich konnte. Den Horgel gab ich natürlich nicht zurück.
Seltsamerweise schienen die andern über meine Untat nicht im mindesten schockiert zu sein. Solange es wegen eines Horgels war, und natürlich nicht wegen ihres Horgels, schien für sie alles in Ordnung. Doch nachdem sich Smitty etwas erholt hatte, begann ich zu fürchten, er könne versuchen, sich das Tier zurückzuholen. Und das, schwor ich mir grimmig, würde nie passieren. Das Exemplar, das ich gestohlen hatte, war mir ebenso teuer wie das, was ich verloren hatte – ich hätte nichts in der Welt dafür eingetauscht. Es war meine ganze Freude, und ich wachte wie ein Schießhund darüber, dass ihm nichts zustieß.
Ich konnte Katy und ihren Hass auf die kleinen Viecher nicht vergessen. Und die Katze lief immer noch frei rum, streifte irgendwo durchs Schiff auf der Suche nach Horgels, die sie töten konnte. Allerdings suchte ich nicht nach ihr. Ich ging keinerlei Risiko ein, meinen Liebling zu verlieren. Stattdessen hielt ich mich an Orten auf, die mir sicher schienen – und schleppte den Schraubenschlüssel, mit dem ich Smitty beinahe erschlagen hatte, immer mit mir herum. Und nicht nur wegen Katy.
Das war allerdings ziemliche Energieverschwendung. Als die Tage vergingen und Katy nirgendwo auftauchte, ließ unsere Wachsamkeit nach. Außerdem wollten die Horgels auch nicht ununterbrochen herumgeschleppt werden. Sie waren aktive kleine Dinger, die gerne rumtollten.
Und so gaben wir allmählich nach und erlaubten ihnen, im Kontrollzentrum herumzulaufen. Nach gründlicher Durchsuchung des Raums, versteht sich. Hier pflegten sie zu spielen und miteinander zu toben, während wir sie sorgsam und habgierig im Auge behielten. Smitty betrachtete sie von seiner Liege aus, wo er mit bandagiertem Kopf lag – und sein Blick bekam einen mörderischen Ausdruck, wenn er auf mich fiel. Ich wusste nur zu gut, was ihm durch den Sinn ging, und bis zu einem gewissen Grad hatte ich Mitgefühl mit ihm. Doch ein Haustier wie ein Horgel war den Hass aller Smittys dieser Welt wert. Ich fühlte mich super. Ich hatte einen Horgel und er nicht.
Und dann schlug Katy zu! Sie musste mit teuflischer Geduld auf ihre Gelegenheit gewartet haben, denn als Mitsui die Tür öffnete, um nach den Triebwerken zu sehen, huschte sie hinein.
Ein Hieb mit ihrer Tatze legte die Gedärme der fragilen kleinen Kreatur frei, die ihr am nächsten war. Sie schnappte sich ein weiteres Tier und galoppierte damit durch die Tür und das Schiff mit diesen langen eleganten Sprüngen, die sie während unserer Weltraumreise so perfektioniert hatte. Das alles passierte derart schnell, dass weder Slezak noch ich die Zeit fanden einzugreifen. Mitzui hatte nur die Gelegenheit zu einem erschrockenen Fluch, als Katy mit dem herzzerreißend schreienden Horgel den Gang hinunterfegte. Das Gekreisch erstarb zu einem erstickten Wimmern, als sie verschwand.
Wir fanden den zerrissenen rosa Körper ein paar Minuten später im Triebwerksraum. Aber keine Spur von Katy.
Jetzt gabs also statt vier Männern und drei Horgels nur noch einen Horgel und vier Kerle.
Slezak und ich hielten es eine Woche aus, bevor wir eine aus Not und Verzweiflung geborene Vereinbarung trafen. Wir würden Mitsui den letzten Horgel wegnehmen und ihn zwischen uns teilen. Wenn wir gezwungen waren, Mitsui umzubringen, um das Tier zu bekommen, nun, so war das eben Pech für ihn.
Wir schüttelten uns die Hände, um den Packt zu besiegeln, aber ich wusste nach einem Blick in seine Augen, dass er nicht daran dachte, sich an die Abmachung zu halten. Und ich hatte keine Lust mehr auf gebrochene Versprechen. Also beschloss ich, ihn zu töten, nachdem wir mit Mitsui fertig waren. Dann würde ich Smitty endgültig eliminieren und hätte die entzückende Kreatur ganz für mich allein ohne lästige Konkurrenz, die meine Freude trüben könnte. Und ich würde Katy keine weitere Chance geben.
All das war perfekt und logisch durchdacht. Schließlich gab es nur einen Horgel, und er sollte demjenigen gehören, der am besten auf ihn aufpassen konnte. Ich war zweifellos derjenige welche – nachdem ich schon zwei verloren hatte, war ich erfahrener als die anderen und der Gefahren voll bewusst, die von der Katze ausgingen.
Aber es war schwierig, Mitsui in einem unaufmerksamen Moment abzupassen. Er stolzierte mit dem Horgel unter seiner Jacke herum – und einer geladenen Pistole in der Tasche. Anscheinend hatte er die Kanone trotz des strengen Verbots privater Waffen mit eingeschmuggelt. Er sagte, es sei wegen Katy, aber Slezak und ich wussten es besser. Wir wussten, dass die Waffe für uns bestimmt war, wenn wir versuchen würden, ihm den Horgel abzunehmen. Das ließ uns sehr vorsichtig sein.
So sehr wir das liebenswerte kleine Wesen haben wollten, mit dem Leben bezahlen wollten wir dafür nicht.
Es brachte auch nichts, Gewehre zu tragen. Sie waren nur für den Außengebrauch – selbst wenn wir ihren Rückstoß bei einem Achtel Erdschwerkraft hätten händeln können, wären sie doch in den beengten Eingeweiden des Schiffes viel zu unhandlich gewesen.
Es war eine schräge Situation – und sie hätte durchaus ihre komischen Seiten gehabt – ohne ihre tödlichen Untertöne. Smitty erholte sich bald so weit, dass er wieder rumlaufen konnte, und natürlich fraternisierte er mit uns zwei Habenichtsen. Er war noch ziemlich schwach, aber jede Hilfe stärkte unsere Sache und schwächte Mitzuis. Trotzdem war ich mir immer der unheilsschwangeren Blicke bewusst, mit denen er mich betrachtete.
Ich musste Smitty endgültig loswerden, nachdem wir Mitsui losgeworden waren, sonst würde er sich mit Slezak zusammenraufen, um mich zu killen. Ich erwischte die beiden eins-, zweimal dabei, wie sie heimlich miteinander flüsterten, und ihre schuldbewussten Blicke waren Beweis genug für ihre düsteren Absichten. Doch niemand von uns wagte es, Mitsuis Kanone zu trotzen.
So lagen die Dinge für fast eine Woche. Wir hatten schon die ersten Ausläufer der Erdatmosphäre erreicht, und Mitsui war mit den Maschinen beschäftigt, als wir unseren Coup starteten. Ich sprang ihn von hinten an, wären Slezak und Smith in von den Seiten angingen.
Aber ich hatte vergessen, dass der Japaner sich genauso mit Jiu Jitsu auskannte wie wir mit Boxen. Er bückte sich – und ich flog plötzlich über seinen Kopf. Ich landete mit einem Plumps auf dem Boden, der mir den Atem aus dem Leib trieb. Ich war gelähmt vor Schmerzen und ganz benommen vom Schock, doch ich sah mit Befriedigung, dass Slezak seine Pistole erwischt hatte.
Doch Mitsui war noch nicht fertig mit uns. Er behandelte Smith mit einem Judogriff, der ihm fast den Kopf von den Schultern gerissen hätte und wandte sich dann Slezak zu – eine gedrungene eisenharte Furie mit tödlichen Händen. Slezak hatte nicht mal Zeit, die Waffe zu heben.
Doch der Kampf hatte Mitsuis Jacke aufgerissen, und der Horgel fiel aus den zerschlissenen Fetzen. Mit einem entsetzten Aufheulen bückte sich Mitsui, um das rosa Fell-Geschöpf aufzuheben. Slezak rammte ihm krachend den Griff der Kanone auf den Hinterkopf, bevor jemand von uns begriff, was den Japaner so laut hatte aufschreien lassen. Katy sprang hinter einem Maschinengehäuse hervor, entriss den Horgel aus Archies zuschnappenden Händen und killte das Wesen mit einem einzigen Biss!
Ohne Slezaks Verzweiflungsschrei auch nur im Geringsten zu beachten, zerkratzte und zerschlitzte sie das Ding zu blutigen Streifen, machte dann einen Buckel und fauchte uns an, als wollte sie sagen: 'Tja, jetzt habe das letzte kleine Monster gekillt – was wollt ihr dagegen tun?'
Slezak beugte ich hinab und nahm die Katze fast zärtlich hoch, drehte sich um – und schmetterte ihren Kopf gegen die Bordwand mit einer Wucht, die ein Pferd getötet hätte. Dann fiel er auf die Knie, sammelte die blutigen Fetzen des Horgels auf und weinte wie ein Baby.
Irgendwie bekamen wir es hin, das Schiff zu landen, und als das Empfangskomitee uns begrüßte, verwandelten sich dessen Beglückwünschungen in schreckenvolles Starren. Natürlich fanden sie raus, was passiert war, und sie schickten bei der nächsten Expedition keine Forscher hoch, sondern Katzen, ein paar hundert Stück. Das Schiff registrierte die genaue Landungsposition, ließ die Katzen raus und kam zurück. Erst danach sandten sie neue Forschungteams hin. Und so verfahren sie bis heute. Seit etwa 50 Jahren versuchten sie nun den Planeten zu „desinfizieren“ - offensichtlich ist ihnen das nicht ganz gelungen.“
Waren Sie nochmal auf der Venus, um nachzusehen, was die Katzen angestellt haben?“ fragte Farnsworth.
Thompson schüttelte seinen Kopf. „Nein“, gab er zu, „ich bin nie zurückgekehrt. Ich...hatte nicht den Mut,“ fügte er hinzu. „Ich mag Horgels nämlich auch, wissen Sie? Aber solange ich ein paar Millionen Kilometer von ihnen entfernt bin, ist es nicht so schlimm. Ich kanns mir sogar erlauben, philosophisch über diese Angelegenheit zu nachzudenken. Aber da oben... Das alles nochmal zu erleben, und nochmal zu fühlen, was ich einst gefühlt habe... das würde mich in den Wahnsinn treiben!
Und nebenbei bemerkt, Farnsworth, das ist genau der Grund, warum Sie Erd-Arrest haben. Nun, da Sie wissen, dass wir die Horgels methodisch ausrotten, müssen Sie einsehen, dass die Venus kein gesunder Ort für Sie ist. Es mag Ihnen seltsam vorkommen – aber die Regierung sorgt sich um die Gesundheit ihrer Bürger und hat kein Verlangen danach, sie in unnötiger Gefahr für Leib und Verstand zu wissen. Nachdem Sie einen Horgel auf dem Arm hatten, sind Sie ein untragbares Risiko. Sie sind lebenslänglich auf die Erde verbannt!“
Farnsworths Protest wurde abgeschnitten, indem Thompson unmittelbar fortfuhr und damit radikal jeder möglichen Unterbrechung zuvorkam.
Sehen Sie, unsere Experten fanden heraus, wo das Problem lag. Horgels sind eine ernstzunehmende Bedrohung. Wir Raumfahrer haben sie vorher nie in diesem Licht gesehen. Denn wir dachten, wir besitzen diese Viecher, und in Wirklichkeit war genau andersrum. Und sie waren gierig. Sie wollten nicht nur einen Menschen, sie wollten alle! Auf der Erde wäre so ein Geschöpf zerstörerischer als die Atombombe. Was ein einziges Exemplar an Bord uns antat, war nur eine winzige Kostprobe dessen, was sie wirklich ausrichten könnten, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gegeben hätte.“ Thompson schauderte. „Dank Katy sind wir an diesem Schicksal grade noch mal verbeigeschrammt.“
Aber warum hasste die Katze sie so sehr?“ fragte Farnsworth neugierig.
Thompson erhob sich seufzend und schob Cato von sich, der mit einem geschmeidigen Satz zu Boden sprang und dort sein Missfallen kundtat. Er blickte zum Katze hinab und lächelte. „Du denkst vielleicht, du besitzt mich, alter Junge – aber was du denkst und was ich denke sind, schätze ich, zwei verschiedene Dinge.“ Er wandte sich Farnsworth zu und antwortete bedächtig: „Was Ihre Frage angeht - da gibt es zwei mögliche Lösungen. Die Biologen sagen, es hat was mit dem Körpergeruch der Horgels zu tun – der Effekt scheint eine Art von negativer Katzenminze zu sein. Aber ich glaube, da liegen sie falsch. Ich glaube, es ist etwas viel Grundsätzlicheres. Sehen Sie – wie ich schon gesagt habe, Sie besitzen eine Katze nicht. Die Katze besitzt Sie – und die Horgel-Viecher – sie kommen diesem Besitzrecht in die Quere. Katy war die Schiffsqueen, und sie konnte die Konkurrenz nicht ertragen. Und dafür sollte ihr die menschliche Rasse ewig dankbar sein.“

Originaltitel:
Quarantained Species
Super-Science Fiction 1957-12
Übersetzung: Matthias Käther © 2020


Paul Chadwick - Die Mordmaschine (1932)


Der Pulp-Fiction Autor Paul Chadwick ist heute vor allem noch bekannt als Mitbegründer der modernen Spionage- und Super-Hero-Genres. Er erfand die beliebte Pulp-Roman-Serie „Secret Agent X“, die viele Züge von James Bond vorwegnimmt, und schrieb 15 der 41 Romane selbst. Doch Chadwick war auch der Erfinder einer sonderbaren literarischen Figur, die sowohl in der Horror- und wie in der SF-Literatur ein Außenseiterdasein führt: Sein Journalist und Privatdetektiv Wade Hammond gehört irgendwie allen beiden Genres an, passt aber nirgendwo so richtig hin. Er ist kein echter Okkult-Detektiv, weil er seine Aufgabe gerade darin sieht, das Natürliche in scheinbar übernatürlichen Verbrechen zu finden. Meist handelt es sich um perfide und ekelhafte Erfindungen mieser, zynischer Genies. Damit aber wurde er in den 1930er Jahren auch zu einem Outcast der Science-Fiction-Fans. Das Bild der SF war im großen und ganzen positiv, der technische Fortschritt selbst war begrüßenswert, auch wenn er mitunter auch von wahnsinnigen Wissenschaftlern missbraucht wurde. Konsequent dystopische SF-Autoren wie David H. Keller blieben die Ausnahme und wurden wegen ihrer düsteren Weltsicht auch eher dem Horror-Genre zugerechnet.
In Wade Hammonds Welt sind neue Erfindungen eine echte Bedrohung, und sie werden in der Regel nicht von Wahnsinnigen, sondern sehr klugen und sinistren Figuren eingesetzt.
Der sonderbare Akte-X-Touch der Wade-Hammond-Geschichten ist auch heute noch reizvoll, die Stories sind temporeich und entwickeln oft eine erstaunlich modern anmutende beklemmende Atmosphäre.
Allerdings leiden sie auch unter der typischen Schwäche der Pulp-Tagesproduktion. Hastig fabriziert und nie für eine Anthologie überarbeitet, haben sie zuweilen Logiklöcher und kleinere Unstimmigkeiten im Handlungsablauf, so schön die Twists und so charmant die lakonische Hard-Boiled-Sprache der Texte auch sind. Durch diese Sorglosigkeit qualifizieren sich die Storys nicht für den Olymp der Horror- oder SF-Literatur, doch ich fand es reizvoll, zumindest eine davon trotz ihrer Schwächen in deutscher Sprache zu konservieren.
Denn es geht um ein erstaunlich modernes Thema – eine Drohne. Doch diese Drohne kommt nicht aus der Luft, sondern die Straße entlang – es ist eine menschenähnliche Drohne auf zwei Beinen...
Chadwick schrieb seine vierzig Wade-Hammond-Abenteuer zwischen 1931 und 36 für das Magazin Ten Detective Aces ( das verwirrenderweise vor 1933 anders hieß, nämlich Detective Dragnet). Dies hier ist die siebente Geschichte.

Paul Chadwick: Die Mordmaschine

I

Die Klingel über der Flurtür schreckte Wade Hammond mit gerunzelter Stirn aus seinem Sessel hoch. Jede Bewegung seines hageren, tigerhaften Körpers drückte Verärgerung aus. Er flippte seine Zigarette genervt ins offene Kaminfeuer und schmetterte sein Buch auf den Tisch. Er hasste es, mitten in einer guten Story gestört zu werden. Selbst wenn es Freunde waren, die störten.
Doch der Mann im Türrahmen war kein Freund. Wade hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
Er war bucklig, nicht größer als Eins fünfzig. Schlanke, drahtige Figur. Sein Kopf war schief geneigt – in die Richtung seines goldgriffigen Gehstocks. Eine riesige Zigarre klemmte zwischen seinen Lippen.
Hallihallo“, grüßte Wade, bemüht, seine Stimme herzlich klingen zu lassen.
Der Bucklige zog eine Visitenkarte mit schmutziggelben Ecken hervor und überreichte sie Wade mit einer triumphalen Geste. Dort prangten die eingravierten Worte:

Dr. Adolph Blatten
Radio-Techniker & Beratender Ingenieur

Wade musterte die Zeilen interessiert. Die Augen des Buckligen starrten ihn an, als er aufblickte. Der Mann nahm die Zigarre aus dem Mund.
Sie kennen mich nicht“, sagte er, „aber ich habe von Ihnen gehört, Hammond. Ihr Name war in der Presse im Zusammenhang mit eins, zwei Mordfällen. Man sagt, Sie wären sowas wie ein Amateurschnüffler.“
Wade nickte. „So sagt man.“ stimmte er bei.
Wenn Sie ein paar Minuten für mich hätten – ich würde Sie gern sprechen.“
Wade nickte erneut, und diesmal trat er von seiner Türschwelle zurück.
Der Bucklige kam herein, seine Hände reibend und sich höflich verbeugend. Er begann umstandslos, seinen Überzieher aufzuknöpfen. Der Märzwind warf sich gegen die Außenwand des Appartment-Hauses, rüttelte an den Fenstern und heulte durch die Eisenzäune in den Gassen. Wade schauderte.
Es ist kalt draußen“, sagte er. „Besser, Sie setzen sich nahe ans Feuer. Es plaudert sich leichter, wenns kuschlig ist.“ Er deutete auf einen tiefen Sessel. Doch der Bucklige stolzierte zu einer Couch am andern Ende des Raums.
Das hier ist bequemer für mich, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, entschuldigte er sich.
Er zündete ein Streichholz an und paffte einige Momente lang vor sich hin. Die Zigarre war so groß, daß sie den winzigen Kopf und den deformierten Körper aus der Balance zu bringen schien. Hinter ihm an der Wand zeichneten die Flammen schaurig verzerrte Schatten seines Buckels.
Die Atmosphäre im Raum wirkte plötzlich seltsam angespannt. Wade fragte sich, was der Mann wollte, und warum er unter der ruhigen Oberfläche so aufgewühlt zu sein schien.
Blatten drehte ihm schließlich das Gesicht zu. Die Pupillen seiner Augen hatten sich zu winzigen Stecknadelköpfen verengt. Es lag ein Hauch von Vibration in seiner Stimme.
Ich werde Ihnen eine seltsame Geschichte erzählen, Hammond. Ich bitte Sie um Hilfe in einem der seltsamsten Fälle, von denen Sie je gehört haben.“
Wade nickte. „Schießen Sie los“ sagte er und zündete sich seinerseits eine Zigarette an.
Doch zunächst“ fuhr Blatten fort, „muss ich Sie bitten, alles, was ich sage, für sich zu behalten. Wenn die Presse Wind davon bekommt, bin ich beruflich erledigt. Sie würden mich als wahnsinnig brandmarken – oder als Schwindler. Das ist auch der Grund, warum ich zu Ihnen komme und nicht zur Polizei gehe.“
Bleibt rundherum Privatsache“ versicherte Wade. „Vertrauen Sie mir. Alles, was Sie sagen, wird wohlbehütet unter dieser Mütze verstaut.“
Blatten nickte zufrieden und legte los.
Haben Sie jemals von drahtloser Fernsteuerung gehört? Sie wissen, heute kann man ganze Schlachtschiffe fernsteuern, Flugzeuge sind fernlenkbar mit Hilfe gyroskopischer Leitung - sowohl vom Boden als auch von einem andern Flugzeug aus.“
Jaja“, bestätigte Wade. „Das ist Schlagzeilenfutter in letzter Zeit“.
Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen mitteilen würde, dass ich einen künstlichen Menschen konstruiert habe, der alles vermag, außer reden und denken, und dessen Bewegungen per Fernsteuerung gelenkt werden können?“
Wade hob die Augenbrauen.
Würde den Burschen gern mal sehen. Wäre sowas wie eine technische Kuriosität.“
Blattens Stimme erhob sich nun aufgeregt. „Natürlich würden Sie den gern sehen. Aber genau da liegt das Problem. Sie werden ihn nicht sehen, und ich auch nicht! Es sei denn, Sie helfen mir! Das Ding ist mir gestohlen worden – gestohlen genau in dem Augenblick, als ich das Patent einreichen und die Erfindung der Öffentlichkeit bekannt machen wollte! Irgendwer hat mich ausspioniert, Hammond. Irgendjemand ist dabei, mein Werk zu diskreditieren... oder Schlimmeres. Offen gestanden, ich befürchte Entsetzliches, jetzt, wo das Ding in die Hände meiner Feinde gefallen ist!“
Ihrer Feinde?“
Batten zuckte ungeduldig mit den Achseln. „Natürlich! Jeder Mann hat Feinde, Leute, die ihn nicht ausstehen können und ihm schaden wollen, wo sie nur können. Wenn meine Erfindung nicht mit dieser Absicht gestohlen wurde, dann war der Dieb vermutlich vom Wert des hochkomplizierten Mechanismus überzeugt. Doch ich befürchte etwas viel grauenhafteres, Hammond, etwas Entsetzliches...“
Blatten unterbrach seinen Redeschwall und starrte Wade mit schmalen Augenlidern an.
Und zwar?“ fragte Wade sanft.
Mord!“ Blatten stieß das Wort fast wie eine Herausforderung hervor, seine Stimme schrill vor Furcht. „Das ist es, was mich verfolgt. Außer dem Fehlen von Sprache und Denken hat dieser mechanische Roboter wenige Beschränkungen. Er könnte als Killermasche missbraucht werden. Denken Sie nur einen Moment über diese gruselige Möglichkeit nach, Hammond! Sich vorzustellen, welchen teuflischen Gebrauch irgendeine skrupellose Person von dem Ding machen könnte!“
Blatten erhob sich und ging im Raum aufgeregt auf und ab. Sein grotesker Schatten folgte ihm an der Wand.
Wade fragte: „Wann genau ist das passiert? Und wo war Ihre Erfindung, als sie gestohlen wurde?“
Ich habe den Diebstahl etwa gegen sieben Uhr heute Abend bemerkt“, antwortete Blatten. „Ich hatte das Ding in meiner Werkstatt unter Schloss und Riegel gehalten. Jemand hat ein Seitenfenster aufgebrochen. Ich fand draußen eine Trittleiter. Die mechanische Kreatur und der Fernsteuer-Apparat waren beide verschwunden.“
Wade nickte. Auch er stand auf. Sein braungebranntes, schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem bleistiftdünnen Schnurrbart war nun ausdruckslos. Er klopfte mit seiner Zigarette auf dem Daumennagel herum und platzierte sie dann zwischen seinen Lippen.
Mal angenommen, ich beschließe, Ihnen zu helfen“, fragte er, „was für eine Vorgehensweise würden Sie mir nahelegen?“
Sie sind der Spezialist in Sachen Detektivarbeit!“ fauchte Blatten. „Nicht ich. Kommen Sie mit zur Werkstatt. Ich werde Ihnen ein paar Fotografien von dem Ding zeigen. Sie könnten einen Blick auf das aufgebrochene Fenster werfen. Vielleicht finden Sie einen Hinweis – oder zwei.“
O.K.“, brummte Wade. Er ging in den Nachbarraum und holte Hut und Mantel. Dann nahm er ein abgenutztes Lederholster vom Haken an der Wand. In ihm befand sich ein stahlblauer achtundreißiger Colt, eine Waffe, die ihn schon bei so manchem Abenteuer begleitet hatte.
Das mochte nicht viel nützen beim Umgang mit einem mechanischen Angreifer, doch er steckte sie trotzdem ein, hauptsächlich aus Macht der Gewohnheit. Er gab seinem Hut einen Schubs zu einer Seite hin und wandte sich dann um zu Blatten, der ihm kaum bis zur Schulter reichte.
Na dann! Auf geht’s! Mein Wagen steht in der Garage – gleich um die Ecke.“
Den brauchen Sie nicht rausholen“, enwiderte Blatten. „Meiner steht direkt vor der Tür.“

II

Heftige Regenschauer schlugen gegen die Scheibe, als sie in die Straße einbogen, in der Blatten seine Werkstatt hatte. Schmuddlige Fabriken und finstere Läden ragten allerorten aus dem Dunkel. Keine erfreuliche Wohngegend.
Blatten stoppte seinen Wagen vor einem Grundstück mit einem hohen Bretterzaun. Sie liefen durch die Pforte und traten bald in einen einstöckigen Wellblechschuppen. Der Bucklige knipste einen Schalter an, und der Raum wurde durchflutet vom violettem Licht einer Quecksilberdampf-Lampe über ihren Köpfen.
Wade starrte interessiert auf den komplexen Wirrwarr elektrischer Apparaturen rings um ihn. Er sah eine Metalldrehbank, eine kleine Pressmaschine, einen elektrischen Brennofen und dutzende Radio-Einzelteile.
Blatten bahnte sich einen Weg zu einer kleinen Vitrine. Dort öffnete er eine Schublade und zog verschiedene Fotografien heraus.
Und hier ist der gute Junge höchstselbst!“ rief er, nicht ohne Stolz in der Stimme.
Ein Frösteln kroch Wades Rückgrat hoch, als er die groteske elektromechanische Gestalt erblickte, die ihn aus den Bildern anstarrte. Die biegsame Metallhülle hatte Blatten mit ganz normaler Kleidung bedeckt. Die Klamotten hingen schlaff herunter, fast so, wie sie an einem Skelett hängen würden. Das Ding hatte einen leeren, starrenden Blick und eine hohe, kantige Stirn, die seltsam totenschädelhaft wirkte. Seine Hände waren offensichtlich mit Gummihandschuhen überzogen. Sie sahen verstörend menschlich aus.
Er gewinnt nie einen Preis beim Beauty-Contest,“ kommentierte Wade.
Wahrscheinlich nicht“, räumte Blatten ein. „Aber Sie sollten sehen, was er drauf hat! In jedem Schenkel befindet sich eine spezielle elektrische Batterie. Sie betreiben den Elektromotor im Körperinneren – übrigens verfügt er über mehrere PS. Der Motor versorgt den Körper mit Energie durch ein Kabelsystem, das ich selbst erfunden habe. Die große Flexiblität erlaubt dem Geschöpf, jede natürliche Haltung einzunehmen, die auch ein Mensch einnehmen kann.
Es gibt ein kleines Gyroskop in seinem Kopf – das ist das Kontrollzentrum und entspricht etwa der Funktion der menschlichen Cochleae – also des Gleichgewichtsorgans. Dieses Gyroskop operiert auf der Basis von Radioimpulsen und ist direkt mit dem Koordinationssystem des Motors verbunden. Es kontrolliert so jede einzelne Bewegung, die die Kreatur macht.“
Blattens Gesicht glühte voller Enthusiasmus. Er reichte Wade eine der Fotografien. „Vielleicht behalten Sie die besser“. Dann verengten sich seine Augen, und er wies zur anderen Seite des Raums.
Da ist das Fenster, durch das der Dieb kam. Ich habe alles so gelassen, wie ich es vorgefunden habe.“
Wade spazierte hinüber zum Fenster. Er sah, dass der Verschluss aufgebrochen war. Es gab Markierungen an der Stelle des Schieberahmens, an der das Brecheisen angesetzt wurde. Er schob den Rahmen hoch und lehnte sich hinaus, richtete seine Taschenlampe auf den Boden. Die schotterbestreute Erde war aufgewühlt, doch die Abdrücke von Fußspuren waren zu undeutlich - selbst ein Spurenexperte hätte da nicht mehr viel rausholen können.
Wo haben Sie das Ding aufbewahrt?“
Blatten deutete auf eine längliche Kiste in der Nähe des Fensters. Wade erschrak heftig, als er bemerkte, dass sie exakt so aussah wie ein Sarg. Der Deckel war geöffnet, und das Innere mit Filz ausgeschlagen. Er examinierte die lackierte Oberfläche und bemerkte in geringer Entfernung einen öligen Fleck auf dem Boden.
Keine Fingerabdrücke. Der Dieb hatte sich alle Mühe gegeben, sie sorgfältig abzuwischen.
Blatten runzelte die Stirn und kaute auf seinem Zigarrenstummel herum. „Wir müssen was unternehmen, Hammond“, ächzte er. „Versetzen Sie sich in meine Lage! Denken Sie an das Geld und die Zeit, die ich in dieses Ding investiert habe. Stellen Sie sich meine Enttäuschung vor, meine Sorgen... Diese Sache kostet mich zehn Jahre meines Lebens!“
Wade nickte mitfühlend. „Ich weiß bloß nicht, wo ich anfangen soll, um es wieder aufzutreiben“, gab er zu. „Eigentlich könnte die Polizei Ihnen hier besser weiterhelfen. Es wäre...“
Er unterbrach sich plötzlich und neigte sich vor. Im Rahmen des Fensters, durch das man den mechanischen Mann gezerrt hatte, bemerkte er etwas, das ihm zuvor nicht aufgefallen war.
Eine Schraube hatte sich gelockert, der Kopf stand etwa drei Millimeter über dem Holz. An ihr hatte sich ein kleiner Fussel braunen Fadens verfangen. Offensichtlich war er von einem Mantel abgerissen worden.
Wade zupfte ihn mit Daumen in Zeigefinger ab.
Was ist hiermit?“ frage er. „Stammt das von den Klamotten des Roboters, oder könnte es sein, dass der Dieb es hinterlassen hat?“
Blatten starrte erregt auf den Faden. „Das muß vom Dieb stammen!“ kreischte er. „Mein Automat war in Grau gekleidet. Wir müssen den Mann finden, der diesen brauen Mantel trägt, Hammond! Ich würde Sie sogar die Polizei holen lassen, wenn Sie sie dazu bringen könnten, den Mund zu halten!“
Wir werden sie holen müssen, fürchte ich, Blatten. Um ganz ehrlich zu sein: Das ist hier ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Uns bleibt nicht viel mehr, als zu warten und die Augen offenzuhalten. Seien Sie wachsam! Versuchen Sie, unauffällig mit jeder Person zu sprechen, die Sie verdächtigen. Und wenn Sie auch nur den leisesten Verdacht haben – lassen Sie's mich wissen. Ich helfe, wo ich kann – aber ich das hier ist eine Sackgasse. Ein Detektiv ist kein Magier, egal ob Profi oder Amateur. Ich schlage vor, Sie kommen morgen bei mir vorbei, nachdem Sie mit jedem gesprochen haben, der für Sie in Frage kommt. Vielleicht haben Sie einen Arbeiter auf Abwegen. Ein Typ, dem klar ist, was Sie hier bauen.“
Blatten nickte missgelaunt. „Wie schon gesagt, es ist nicht so sehr der Verlust, der mir zu schaffen macht. Es sind die möglichen Konsequenzen. Ich werde keine ruhige Minute haben, bevor wir das Ding zurückbekommen. Kommen Sie, ich fahre Sie zurück.“
Nicht nötig“ brummte Wade. „Ich laufe. Der Regen hat nachgelassen. Ein kleiner Spaziergang wird mir guttun.“

III

Wade hatte ein anderes Motiv. Er ging nicht direkt zurück zu seinem Apartment. Stattdessen lenkte er seine Schritte zur Stadtbibliothek und verbrachte eine Stunde in der Wissenschaftsabteilung. Er vergrub sich in Literatur zum Thema Fernsteuerung. Ihm war der Gedanke gekommen, bei Blatten könnte einfach eine Schraube locker sein. Er könnte aus irgendwelchen Gründen die ganze Zeit Mist erzählt haben.
Doch das Fachbuch, das er durchstöberte, eins der aktuellsten zum Thema, bestätigte, was der Bucklige behauptete. Es gab keinen Grund, weshalb ein Erfinder mit ausreichendem Hintergrundwissen und Geschick keinen mechanischen Menschen konstruieren sollte, wie Blatten ihn auf den Bildern gezeigt hatte. Doch er blieb skeptisch, was das Bedrohungspotienzial in der Öffentlichkeit anging. Plausibler war, dass Blatten über dem kostbaren Verlust hysterisch geworden war und seiner Phantasie nun freien Lauf ließ.
Die weitere Entwicklung dieser seltsamen Affäre sollte ihn jedoch brutal eines Besseren belehren.
Als Wade sein gemütliches Junggesellenquartier aufschloss, hörte er das scharfe Klingeln seines Telefons, und ein Gefühl düsterer Vorahnung überwältigte ihn. Ein bisschen spät für freundschaftliche Privatgespräche.
Er schritt schnell zu seinem im eleganten französischen Stil entworfenen Gerät und nahm den Hörer ab.
Hammond hier.“
Die krächzende Stimme am andern Ende war Wade vertraut – es war die von Inspektor Thompson vom Morddezernat. Der alte Haudegen hatte Wade schon bei vielen Fällen zu Rate gezogen.
Hallo, Hammond. Ich hole Sie doch nicht aus dem Bett, oder?“
Nein, bin grad rein nach einem Spaziergang. Was ist los?“
Jede Menge, Hammond, jede Menge! Wir haben hier eine mächtig seltsame Sorte Mord oben im Bayside Drive. Ein Cop von der Streife hat grade die Details durchgegeben. Strickland, schwerreicher Typ, und einer der Chefs von Strickland & Barnes, Inc., ist in seinem Haus umgebracht worden.
Der Butler ist total außer Rand und Band. Nachdem in den Salon geeilt ist, sagt er, hat er eine Art „Wilden Mann“ gesehen, der durch das Fenster flüchtete. Klingt ziemlich nach 'nem Kindermärchen für mich, aber was soll ich sagen - der Mord ist real genug. Drüben ist die Hölle los! Wollen Sie sichs mal anschaun? Die Nummer ist 597.“
Darauf können Sie wetten, Chief. Ich hab Hut und Mantel noch an. Ich werd meine Reifen qualmen lassen. Wahrscheinlich bin ich noch vor Ihnen da.“
In dieser Hinsicht lag er falsch. Er hörte die heulenden Sirenen des Polizeiwagens vor ihm, als er in den Bayside Drive einbog. Er trat das Gaspedal durch und langte nur eine Minute nach Thompson an, der bereits die Treppenstufen von Nr. 597 erklomm.
Es war ein altmodisches Reihenhaus nahe der Straße, ausgestattet mit Blumengarten und großem Vorplatz.
Der Cop, der telefoniert hatte, stand im Flur, umringt von diversen Nachbarn des Ermordeten, die den Eingang verstopften. Verängstigt dreinschauende Bedienstete lungerten ratlos herum. Thompson wischte sich nervös über seine Glatze und nickte zu Wade herüber. Er zeigte auf die geschlossene Tür zum Salon.
Gerade richtig, Hammond. Die Leiche ist da drin. Sie sagen, das Fenster ist völlig zerstört.“
Ein Schwall eiskalter Nachtluft empfing sie, als den Salon betraten. Der Schieberahmen des Fensters zum Garten war nach innen aufgebrochen und die Scheiben komplett zertrümmert. Auf dem Teppich breiteten sich unzählige Scherben aus.
In der Mitte des Raumes, neben einem umgeworfenen Tisch, lag die Leiche eines Mannes, etwa fünfzig Jahre alt, gut gekleidet und athletisch gebaut. Der Kopf war grotesk zur Seite gedreht.
Das ist Strickland“ sagte der Inspektor. „War offensichtlich in einen Kampf verwickelt. Sieht aus, als wär sein Genick gebrochen. Der Typ, der hier reinkam und ihn angriff, muss ein ziemlich kräftiger Teufel gewesen sein. War auf jeden Fall völlig wahnsinnig oder sehr betrunken, um ein Fenster so zerstören zu können.“
Thompson sprach ohne Emotionen. Mord war sein Tagesgeschäft. Doch Wades Gesicht war angespannt. Auch er hatte schon etliche Mordschauplätze betreten. Die meisten passten zu einem bestimmten Muster. Doch schon ein flüchtiger Blick enthüllte Details, die auch einem weniger erfahrenen Detektiv sofort klargemacht hätten, dass hier etwas nicht stimmte. Warum war der Mörder eingedrungen wie ein Elefant im Porzellanladen?
Ich hätte gern den Butler gesprochen, der behauptet, den Täter gesehen zu haben“, verlangte Wade. „Er sollte in der Lage sein, Licht ins Dunkel zu bringen.“
Ich fürchte nein“, widersprach Thompson. „Sie sagen, der Typ ist völlig durchgedreht vor Angst. Der Anblick seines Herrn, der von einem Einbrecher angegriffen wurde, war zu viel für ihn. Sie sagen, er hatte eine Art Anfall. Er wurde ins Obergeschoss gebracht.“
Vielleicht hatte er einen guten Grund für seinen Anfall“ murmelte Wade. „Das ist kein stinknormaler Raubmord, Chief. Irgendwas ist komisch an der Sache“.
Tja, der Typ, der das hier durchgezogen hat, war vermutlich eine Art Halbirrer, schätze ich. Und der Butler hielt ihn für einen wilden Mann oder was auch immer.“
Lassen Sie uns trotzdem raufgehen und mit ihm reden. Vielleicht ist er nicht so plemplem wie Sie glauben.“
Thompson warf Hammond einen scharfen Blick zu. „Wissen Sie irgendwas über die Sache, das ich nicht weiß?“
Noch nicht. Lassen Sie uns einfach mit dem Butler reden.“
Sie zwängten sich an einer Gruppe von Thompsons Männern aus dem Hauptquartier vorbei, die eben hereingeströmt kamen. Hinter ihnen, in der Vorhalle, versuchte ein Pulk von Zeitungsreportern, sich einen Weg zum Tatort zu bahnen. Die Cops hielten sie zurück.
Die Boulevardblätter werden das herrlich breittreten“, murmelte Wade.
Sie fanden den Butler in einem Hinterzimmer im ersten Stock. Ein Küchenmädchen saß bei ihm. Der alte Mann war bleich wie der Tod. Er warf seinen Kopf von einer Seite zur anderen und brabbelte vor sich hin.
Als er Wade und den Inspektor hereinkommen sah, richtete er seine Augen auf sie und schien seine Sinne wiederzuerlangen.
Wade ging zu dem Sessel hinüber, in dem der alte Mann benommen saß. „Erzählen Sie uns, was Sie gesehen haben!“ forderte er ihn auf. „Die Polizei versucht, den Mann dingfest zu machen, der Ihren Herrn umgebracht hat.“
Der Butler krächzte heiser. „Das war kein normaler Mann! Ich habe das dem Officer unten auch gesagt! Aber er hat mir nicht geglaubt. Die denken, ich bin verrückt! Alle da unten! Das Ding, das ich da unten gesehen hab, was eine Art von – Monster. Es ging nicht wie ein Mensch. Kein Mann bewegt sich so. Und es hatte ein Gesicht wie...wie ein Totenschädel!“
Das Küchenmädchen bekreuzigte sich.
Thompson starrte den greisen Butler mitleidig an. Doch Wade griff in seine Tasche und und zog das Foto heraus, das Blatten ihm gegeben hatte.
Reißen Sie sich zusammen, Mensch!“, rief er. „Ok, die Sache ist ziemlich rätselhaft. Sagen Sie, hatte dieses Monster oder dieser Wilde oder wie Sie das Ding nannten, irgendeine Ähnlichkeit mit dem hier?“
Er schob dem Butler das Bild vor die Nase. Unter dem Bademantel, den er trug, straffte sich der dürre Körper das Mannes wie eine Bogensehne. Seine Kinnbacken öffneten und schlossen sich krampfhaft. Dann fand er seine Stimme wieder.
Das ist es!“ schrie er. „Das ist das Ding, das Mr. Strickland umgebracht hat! Bitte! Lassen Sie es nicht wieder hier rein!“
Wade wandte sich zu Thompson um. Der Inspektor schnappte nach der Fotografie in dessen Hand, sein Gesicht war finster.
Ich dachte, Sie wüssten nichts über die Sache, Hammond?“
Bis eben nicht“ erwiderte Wade kühl, „aber nachdem ich die Story des Butlers gehört habe, und er das Bild identifiziert hat, sieht die Sache anders aus. Nun scheint es. als würde die Sache hier perfekt zu einer Angelegenheit passen, die ich am frühen Abend bearbeitet habe. Das klingt jetzt ziemlich schräg, Chief, aber dieses Ding, das Strickland tötete und den Butler fast um den Verstand gebracht hat, war tatsächlich ein Monster. Ein mechanisches. Es wurde einem Erfinder namens Blatten gestohlen – etwa gegen Sieben heute abend. Es kann per Fernsteuerung gelenkt werden. Blatten bat mich um Hilfe, um es wiederzufinden. Wenn wirs nicht finden, Chief, weiß der Himmel, was noch alles passiert! Es könnte eine ganze Mordserie geben, eine Terror-Welle...“
Thompson fluchte kräftig.
Das ist das Verrückteste, das mir je untergekommen ist!“ knirschte er. Die Presse wird uns auslachen, Hammond, wenn wir mit so einer Story an die Öffentlichkeit treten!“
Glaub ich nicht. Die Reporter, die wir hier haben, sind in Ordnung. Wir zeigen ihnen das zerstörte Fenster und lassen sie einen Blick auf die Leiche werfen. Die Leute müssen gewarnt werden! Keiner kann sagen, wo das Ding als nächstes auftauchen wird. Kommen Sie, gehen wir mal nachschauen, ob Ihre Männer irgendwelche Fußspuren gefunden haben.“
Es gab Fußspuren. Jede Menge davon. Sie kamen von der Straße. Sie führten zur Straße zurück. Auf dem harten Pflaster etwas Genaues auszumachen war zwecklos. Das Ding war auf der Hinterseite des Hauses aufgetaucht, offensichtlich kam es dort von einer der dunkleren Gemeindestraßen. Vor Wades Augen flammte eine angsteinflößende Szenerie auf: Ein schreckliches nichtmenschliches Wesen, das durch die Finsternis kroch... Irgendwo, wusste er, gab es im Hintergrund ein gerissenes menschliches Hirn, das dieses Wesen kontrollierte - mit Hilfe mysteriöser Funk-Impulse hatte es das schreckliche Werk in Gang gesetzt.

IV

Die Zeitungen brachten die Geschichte in riesigen furchteinflößenden Schlagzeilen, die alles andere in den frühen Morgenausgaben verdrängten. Eine der heißesten Storys seit langem. Die Jungs hatten alles aus der Sache herausgeholt, was herauszuholen war. Die Großfahndung lief auf Hochtouren. Beamte in Zivil durchkämmten die Stadt.
Derweil statteten Inspektor Thompson und Wade Blatten einen Besuch in seiner Werkstatt ab. Sie fanden ihn blass und zitternd vor. Sorgenringe hatten sich unter seinen Augen gebildet. Er hielt eine frische Zeitung in den Händen.
Hammond! Es ist passiert! Das, was ich befürchtet habe! Den armen Teufel, Strickland, hats erwischt. Kann denn die Polizei gar nichts tun?“
Meine Männer überwachen jeden Quadratmeter der Stadt!“ sagte Thompson grimmig. „Der Mörder wird sich nicht ewig verstecken können. Wir bekommen jede Menge Hinweise, nur ist es in diesem Stadium natürlich schwierig, die falschen von den wertvollen zu unterscheiden. Bei einer Horrorstory wie dieser drehen die Leute völlig durch. Sie verwechseln ihre eigene Großmutter mit der Mordmaschine.“
Der Inspektor hatte recht. Im weiteren Verlauf des Tages fluteten aus allen Teilen der Stadt Augenzeugenberichte von Bürgern herein, die das Monster gesehen hatten. Wenn die Zivilbeamten ihnen nachgingen, erwiesen sie sich für gewöhnlich als falscher Alarm.
Erst in der Dämmerung erreichte das Hauptquartier ein Anruf, der die grimmigen Männer aufscheuchte. Wade war gerade im Büro des Inspektors. Er sah, wie Thompson den Hörer aufnahm, hörte ihn einsilbig antworten. Dann wirbelte er in seinem Drehsessel herum. „Klingt wie ein Volltreffer, Hammond! Das Blatten-Monster wurde wieder beobachtet. Ein Gärtner auf dem Grundstück des Caloway-Anwesens am Stadtrand sah etwas aus dem Gebüsch kommen. Er schnappte sich eine Flinte und verbrachte eine Stunde damit, es zu jagen. Seine Beschreibungen stimmen mit dem überein, was wir von Blatten wissen und passen auch zum Foto, das wir haben. Ich schicke eine Einheit rüber, um die Gegend abzusuchen. Sind Sie dabei?“
Klar“, erwiderte Wade. „Aber wir klingeln vorher besser kurz bei Blatten an.“
Gute Idee. Er sollte bei Fuß sein, falls wir sein Püppchen auftreiben.“
Thompson holte Blatten an die Strippe und wies ihn an, er möge sich mit Wade und ihm auf dem Caloway-Anwesen treffen.
Es war fast völlig dunkel, als sie sich auf den Weg in die Vorstadt machten. Daniel Caloway, Rechtsanwalt und Besitzer des Anwesens, war ein Invalide und ans Bett gefesselt. Irgendwelche Herz-Probleme. Bisher wusste er noch nichts von der ganzen Aufregung. Es gab keinen Grund, ihn zu belästigen und ihn unnötigerweise aufzuregen. Wade und Thompson bekamen ihn nicht zu Gesicht.
Blattens Limousine glitt an ihnen vorbei und parkte an einer Ecke des Blocks, als die beiden auf das Haus zuschritten, um das Personal zu verhören. Wade wartete, bis der Bucklige zu ihnen aufgeschlossen hatte.
Bleiben Sie besser mit uns zusammen, Blatten“, mahnte er, „wenn sich das Monster hier irgendwo auf dem Grundstück herumtreibt, könnte es jederzeit über Sie herfallen. Der Mann, der es geklaut hat, weiß jetzt, dass Sie mit der Polizei zusammenarbeiten.“
Bladden nickte. Sein Gesicht sah besorgt und abgezehrt aus. „Eine verdammte Schande!“ keuchte er. „Caloway liegt krank da drin, und diese ganze Aufregung wird ihn nicht grade gesünder machen.“
Niemand wird’s ihm verraten“ beschwichtigte Wade. „Sie haben überall die Fensterläden dichtgemacht, so dass er unsere Scheinwerfer nicht sehen kann. Er braucht nichts davon zu wissen, bevor es vorüber ist.“
In diesem Moment kam ihnen eine Gestalt entgegengeschlurft – Tony Cabral, der portugiesische Gärtner. Er hielt eine doppelläufige Schrotflinte in seinen Händen. Ein gehetzter Ausdruck glomm in seinen Augen.
Zeigen Sie uns, wo Sie das Ding sahen!“, rief Wade. „Dort sollten Fußspuren zu sehen sein!“
Thompson dirigierte seine Männer zu verschiedenen strategischen Punkten des Anwesens. Dann folgten er, Wade und Blatten dem Gärtner. Cadral führte sie einen Pfad entlang, vorbei ein einer großen offenen Rasenfläche, hin zu einem Sommerhaus am Rand eines Wäldchens.
Hier wars!“ keuchte er. „Ich habe da drüben das Krokusbeet umgegraben und dabei hochgesehen. Das Ding stand nahe am Waldrand, neben diesen Büschen da drüben. Ich schwenkte meinen Spaten, und es verschwand. Ich konnte es laut durchs Unterholz brechen hören.“
Ihre Augen weiteten sich, als sie in die dunklen Zwischenräume der laublosen Stämme starrten. Blatten zitterte nervös.
Wenn Sie es nochmal sehen“ empfahl er, „feuern Sie auf den Kopf. Das wird den Gleichgewichtsmechanismus zerstören.“
Sie bewegten sich langsam auf die Büsche zu. Wade schwenkte seine elektrische Taschenlampe über die feuchte Erde. Dann sahen sie die Fußabdrücke, sahen, wie das Ding sich umgewendet hatte. Sie waren in der Lage, der Fährte aus zertretenen Zweigen für einige Zeit in den Wald hinein zu folgen. Dann gerieten sie auf felsigen Untergrund und verloren die Spur. Von hier aus musste der Roboter von Fels zu Fels gesprungen sein.
Sie kehrten auf den Waldweg und zum Stadtrand zurück, leuchteten dort in die Büsche. Über den flachen Rasen hinweg konnten sie das Haus und die heruntergelassenen Läden an Caloways Fenstern sehen.
Plötzlich hielt Wade inne. Die anderen bleiben ebenfalls stehen. Ein Ton drang zu ihnen herüber. Es klang wie ein hoher, gellender Schreckensschrei.
Was ist das?“ fragte Thompson.
Bevor das Echo seiner Stimme verklang, hörten sie eine Serie von krachenden Schlägen und das Geräusch von splitterndem Glas.
Hören Sie“ zischte Wade. „Da wird ein Fenster eingeschlagen! Die Mordmaschine ist drüben am Haus!“
Sie rannten so schnell sie konnten über den Rasen. Cabral, der Gärtner fummelte an seiner Flinte herum. Sein Gesicht war blass. Blatten bebte beim Laufen. Wade und Thompson hatten ihre Automatics gezogen.
Als sie den Pfad erreichten, kam das Haus deutlicher in Sicht. Ein weiterer grausiger, kehliger Schrei erreichte ihre Ohren. Er wurde abrupt abgeschnitten; eine tödliche Stille folgte.
Dann richtete Wade den Strahl seiner Lampe auf die Front des Gebäudes. Er war noch zu weit entfernt, um sie wirklich effektiv zu erhellen. Doch er konnte eine seltsame Figur erkennen, die aus einem der Fenster sprang, dem Fenster, das zu Caloways Zimmer gehörte.
Es ist der Automat!“ kreischte Blatten. Er hat Caloway getötet! Ein weiterer Mord!“
Schnell!“ rief Wade. „Wir kriegen ihn!“
Sie sahen, wie sich das Ding für einen Moment umdrehte, unsicher wankte und dann mit unglaublicher Schnelligkeit die Hausfront entlanglief.
In diesem Moment kam einer von Thompsons Männern um die Ecke. Er erblicke das Monster auf dem Pfad und hob seine Schusswaffe. Doch er war um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Einer der Arme der Maschine schnellte vor. Man hörte ein dumpfes „Flop“ , und der Zivilbeamte überschlug sich wieder und wieder, so als hätte der Arm eines Stahlkrans ihn getroffen. Wade zuckte zusammen, als er das grässliche Geräusch hörte, mit dem der entstellte Körper gegen die Hauswand klatsche.
Die Maschine rannte weiter und wurde bald vom Dunkel verschluckt. Doch sie konnten ihrer ungefähren Richtung gut folgen. Ihre Schritte machten jede Menge Lärm.
Sie rennt zur Straße!“, keuchte Wade.
Andere Detektive kamen ihnen nun entgegengelaufen. Taschenlampen flackerten in alle Richtungen.
Da ist sie!“ rief Thompson.
Für einen Moment sahen sie einen dunklen Flecken, der sich gegen die Heckenwand am Ende des Anwesens abhob. Es schien kurz durch die Luft zu schweben – dann verschwand es.
Es ist drübergesprungen!“ schrie Wade.
Sie erreichten die Heckenwand wenige Sekunden später. Sie war so hoch, dass sie nicht hinüberblicken konnten und so dick, dass es zwecklos schien, sich dort ohne Axt oder wenigstens einem Messer hindurchzwängen zu wollen. Einen Moment lang hörten sie die sich entfernenden Schritte auf auf dem Straßenpflaster dröhnen.
Wade rannte parallel zur Ecke in Richtung Toreinfahrt. Die anderen folgten. Als sie die Straße erreichten, war niemand mehr in Sicht. Außer Wades Limousine und den andern parkenden Autos samt der Polizeikavalkade war nichts auszumachen.
Sie könnte die Straße überquert und ins offene Feld gelaufen sein“, schlug Wade vor. „Oder sie hockt in einem der Wagen. Besser, wir durchsuchen sie alle, oder, was denken Sie, Chief?“
Sie hetzten die Reihe der parkenden Autos entlang und ließen die Strahlen ihrer Lampen über sie gleiten. Ohne Erfolg.
Ihr sucht hier alles nach Spuren ab“ schnauzte Thompson einige seiner Leute an. „Ich gehe rein und schaue nach, was mit Caloway passiert ist.“
Wade fuhr noch eine Weile fort, die Wagen zu untersuchen. Dann folgte er Thompson ins Haus. Er fand Blatten auf der Vortreppe sitzend, seinen Kopf in beide Hände vergraben. Der Erfinder stöhnte und wiegte geschockt seinen Körper hin und her. Wade versuchte ihn aufzumuntern.
Nehmen Sie's sich nicht so zu Herzen, Blatten. Ist nicht ihre Schuld, dass der Dieb diese grässlichen Dinge mit dem Automaten anstellt. Wir werden den Täter schon finden. Er hat sich vermutlich die ganze Zeit irgendwo in der Nähe versteckt. Von dort aus konnte er das Ding lenken, als wir aus dem Weg waren. Die Detektive suchen jetzt die ganze Gegend ab.“
Sie schauderten, als sie sahen, wie zwei Beamte einen zerschundenen Körper ins Haus trugen.
Ist er tot?“ fragte Wade.
Einer der Cops nickte. „Das ist Hannigan. Kannte ihn gut. Bevor ich befördert wurde, haben wir drüben im 9. Bezirk Streife geschoben.“
Caloway war ebenfalls tot. Gebrochenes Genick. Das Ding musste nach seinem zweiten Schrei im Bett kurzen Prozess mit ihm gemacht haben. Thompsons Gesicht war weiß und grimmig, Wades eine starre Maske.
Wenn wir nur wüssten, wo die Kontrollstation für dieses Monster versteckt war!“ fluchte er. „Wie nahe müsste man rankommen, Blatten?“
Ungefähr eine Viertelmeile.“ gab Blatten dumpf zurück. „Er könnte die Kontrollbox auf dem Rücksitz eines Taxis platziert haben, oder irgendwo in einem Haus in der Nähe.“
He, das ist eine Idee!“ rief Thompson. Er wandte sich an einen der Cops. „Ihr könnt nichts mehr tun für Hannigan. Durchsucht jedes Haus in der Nachbarschaft. Bringt in Erfahrung, ob sich hier schon länger irgendwelche Fremde rumtreiben, oder ob irgendwer einen Groll gegen Caloway hegte!“
Ich schlage vor, wir lassen uns von Blatten die kompletten Skizzen zum Roboter und zum Kontrollmechanismus geben“, sagte Wade. „Wir behandeln das vertraulich, Blatten. Es könnte helfen, den Mörder zu schnappen.“
O.K. Im Moment ist mir das Ding ohnehin völlig egal. Genau wie mein Patent. Kommen Sie mit in meine Werkstatt, und ich gebe Ihnen die Originalpläne. Wenn Sie sie nicht mehr brauchen, können Sie sie vernichten, wenn Sie wollen. Wir sollten den Automaten ebenfalls zerstören, wenn wir ihn erwischen. Ich werde nie über diese Sache hinwegkommen!“
Tja, ihr Jungs aus der Wissenschaft seid anscheinend nicht ganz so schlau, wie ihr denkt, erwiderte Thompson harsch. „Ihr hört besser auf, an Sachen herumzudoktern, die ihr nicht im Griff habt.“
Sie brauchen es ihm nicht unter die Nase zu reiben, Chief“, beschwichtigte Wade nüchtern. „Blatten hat alles getan, was in seiner Macht stand. Er kam sofort zu mir. Ist nicht seine Schuld, dass das Ding gestohlen wurde.“
Die ausgesandten Detektive fanden keine Spur der Mordmaschine. Sie gingen von der Theorie aus, dass sie irgendwo in einem Haus in der Nachbarschaft versteckt wurde. Thompson schärfte seinen Sergeanten sein, dass sie die Gegend erst verlassen durften, nachdem sie jeden Raum jedes einzelnen Gebäudes gründlich durchsucht hätten.
Und jetzt lassen Sie uns losziehen und diese Baupläne von Blatten holen“, drängte Wade. „Vielleicht lässt sich aus ihnen ein Anhaltspunkt ermitteln, wo sich der Dieb versteckt gehalten haben könnte, als er die Maschine auf seine Opfer losließ.“


V

Blatten fuhr sie durch die dunklen Straßen zu seiner Werkstatt. Drinnen nahmen sie unter dem violetten Licht der Quecksilberdampf-Lampe an einem Kartentisch Platz. Blatten brachte ein halbes dutzend Skizzen und Werkzeichnungen. Seine Hände zitterten und sein Gesicht zuckte, so als befände es sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs angesichts des Grauens, das er verursacht hatte.
Hier ist der Entwurf des Kontrollmechanismus“, sagte er. „Kurzwellen auf einer hohen Frequenz wirken auf einen Detektor im Kopf der Maschine. Die ausgesendeten Impulse sind vergleichsweise schwach und kommen aus einem handelsüblichen Funk-Übertragungsgerät, wie es seit zehn, fünfzehn Jahren auf dem Markt ist. Zwei spezielle Regler kontrollieren die Stärke und die Frequenz der Wellen und führen den Automaten.“
Thompson sah ziemlich überfordert aus während dieses Vortrags, und Wade wünschte sich, dass er mehr von einem Wissenschaftler in sich hätte. Doch seine Augen sprühten aufgeregt.
Da fällt mir was ein,“ fuhr er plötzlich auf. „Fast hätte ichs vergessen. Ich habe einen Hinweis sichergestellt.“
Er holte den Umschlag aus seiner Tasche und zog den kleinen Fussel heraus.
Ein Faden, den ich von einer losen Schraube abgezupft habe – an Blattons Fensterrahmen. Blatten sagte mir, dass seine... Puppe in Grau gekleidet war, also dürfte dieses Fadenstück von der Kleidung des Diebs stammen.“
Aber das wissen...“ setzte Blatten an.
Wades Finger tauchten nochmals in den Umschlag. „Und hier ist ein zweiter Faden, den ich heute Nacht gefunden habe. Auch braun. Sehen Sie genau hin. Dasselbe Fabrikat.“
Wo haben Sie das her?“ fragte Thomspon.
Ich habs erspäht, als ich die Straße nach dem Monster abgesucht habe. Sie ahnen garantiert nicht, wo.“
An der Hecke?“
Nein“, knurrte Wade. „Ich zeigs Ihnen, wenn wir zurückgehen. Sie müssen die genaue Lage sehen, um zu verstehen, welche Bedeutung es hat. Es wird Sie interessieren. Beide.“
Blatten zündete sich eine Zigarre an. Seine Augen flackerten. „Je eher Sie den Dieb finden, desto besser“, murmelte er. Ich kann kein Auge zutun, solange dieses Ding frei herumläuft, Hammond. Ich bin der indirekte Schuldige an diesen Morden.“
Wade griff nach einer Skizze des Roboters auf dem Tisch. Seine Hand erstarrte mitten in der Bewegung. Seine Augen trafen sich mit denen von Thompson.
Hören Sie das?“ fragte er.
Jetzt hörten sie es beide. Jemand – oder etwas - kam durch den Straßeneingang der Werkstatt. Blatten erhob sich.
Wer ist da?“ schrie er scharf.
Thompson und Wade fuhren auf ihren Stühlen herum. Sie hörten, wie Blatten vor Angst röchelte.
Hören Sie!“ keuchte er, “diese Schritte! Das ist kein Mensch! Das ist meine Maschine! Gott! Der Mörder hat sie auf uns gehetzt!“
Thompson fluchte grässlich und sprang auf, seinen Stuhl dabei umwerfend.
Er zog seine Automatic. Auch Wade kam langsam hoch.
Durch die Schatten der Werkstatt hallten nun Schritte, die näher und näher kamen. Sie hatten eine gespenstische abgezirkelte Qualität, die Wade Schauer den Rücken hinunterjagte. Wie ein laufender Toter...
Die Klinke der Tür, die zum Vorraum führte, drehte sich.
Es kommt rein! Es kommt rein!“ schrie Blatten. Seine Blicke funkelten wild und hell.
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Obwohl er darauf vorbereitet war, hatte Wade das Gefühl, als würde sein Blut in den Adern erkalten. Die Mordmaschine stand in einem Pool schwarzer Schatten. Ihre leeren Augen schienen ihn anzustarren. Sie drücke die Tür mir einer langsamen, mechanischen Bewegung weiter auf.
Dann waren ihre Füße wieder in Bewegung, sie bewegte sich vorwärts, blitzschnell wie das Schicksal selbst. Da war die hohe glatte Stirn, die totelschädelähnlichen Augenhöhlen, die riesigen, herabhängenden Hände, die Füße, die über den Boden schlurften wie die eines Schlafwandlers.
Schießen Sie auf den Kopf!“ schrie Blatten, „Das ist die einzige Möglichkeit! Erwischen Sie den Gyroskop-Kontrollmechanismus! Der Mörder ist irgendwo da draußen und hat das Ding auf uns gehetzt!“
Der Bucklige lehnte sich zitternd gegen Tisch, seine Augen weiteten sich, als die von ihm selbst konstruierte Monstrosität näherkam.
Thompson hob seine Automatic und und schritt auf das Ding zu. Er galt als einer der sichersten Schützen der Kripo; seine Kugel fanden fast immer ihr Ziel. Die scharfe Detonation der Waffe ließ sie alle aus ihrer Schreckstarre erwachen.
Wade beobachtete angespannt, wie sich der alte Verbrecherjäger nicht damit zufrieden gab, aus der Distanz zu feuern, sondern sich der Maschine Schuss für Schuss mutig näherte. Doch Die Schüsse prallten ab. Wade sah graue Schlieren auf dem Metall, wo die Kugeln entlanggeschrammt waren. Das Monstrum kam näher und näher – und machte nun einen plötzlichen raschen Ausfall nach vorn. Wade schrie eine Warnung. Thompson sprang zurück, doch nicht, bevor ein vorschnellender Arm ihn erwischte und ihm die Automatic aus der Hand schlug. Der Inspektor taumelte und ging zu Boden.
Blatten hastete davon. Wade sah ihn an der Wand kauern. Jetzt wandte sich der Automat Wade zu, die Arme ausgestreckt, die selben Arme, die Strickland und Caloway das Genick gebrochen und Hannigan in den Tod geschickt hatten.
Aufpassen! Vorsicht!“ schrie Blatten. „Laufen Sie, Hammond! Laufen Sie um ihr Leben!“
Wade sprang zurück und schob den Tisch zwischen sich und die Mordmaschine. Vielleicht konnte das die Kreatur für Sekunden aufhalten... Doch sie ergriff den Tisch mit beiden Händen und warf ihn zur Seite, als er ein Strohballen.
Schießen! Schießen Sie, Hammond“ rief Thompson vom Boden aus.
Ein finsteres Licht glomm in Wades Augen auf. Das Schießeisen lag in seiner Hand, doch anstatt auf die Maschine zu feuern, fasste er die Automatic plötzlich am Lauf und wirbelte herum. Er stürzte direkt auf Blatten zu.
Thompson starrte verblüfft. Die Mordmaschine befand sich nur drei Meter hinter Wade, die Arme ausgestreckt.
Wade hob seine Automatik und hämmerte plötzlich mit dem Griff auf Blattens Schultern ein. Er riss an der Kleidung des Mannes und schlug wieder und wieder mit der Waffe zu. Hammond schien plötzlich wahnsinnig geworden zu sein.
Doch jetzt hörte man ein Krachen von leichtem Holz, so als ob eine Violine unter schweren Schlägen zerbrechen würde, dann das Dröhnen von Metall auf Metall.
Blatten versuchte sich wegzuducken, doch Wade packte ihn beim Arm, riss ihn zurück und fuhr fort, mit der Kanone auf seinen Rücken einzudreschen. Blatten hatte die Zähne gebleckt und versuchte nun, Wades Kehle zu packen. Doch Wade wich aus, griff nach seinem Mantel und riss ihn buchstäblich von seinem Rücken.
Und jetzt konnte Inspektor Thompson das Ledergeschirr sehen, das dieser angebliche Bucklige trug, er sah, dass der Buckel überhaupt kein Buckel war, sondern ein clever abgerundeter Behälter, hergestellt aus Holz und Metall, perfekt designt, um eine Rückgratverkrümmung vorzutäuschen. Ein Behälter, der ein kleines, aber mächtiges Funksignal-Set enthielt.
Wade zog Blatten das Ding vom Rücken, zog zwei verborgene Regler aus seiner Tasche und stieß dann den Erfinder zu Boden.
Die Mordmaschine war plötzlich in ihren Bewegungen erstarrt. Sie stand unsicher schwankend da, die Hände an den Seiten herabhängend. Man konnte nur das leise Surren ihres Mechanismus hören. Dann wurde es still. Das Ding fiel langsam in sich zusammen und lag wie tot da, das trügerische Abbild eines reg- und harmlosen Mannes.
Da haben Sie Ihren Mörder!“ sagte Wade und deutete mit seiner Waffe auf Blatten, der nun wirklich ganz unverstellt ängstlich in der Ecke kauerte. „Das ist der Mann, der sich selbst als Krüppel ausgab, um die ganze Zeit das Funksignal-Set auf dem Rücken zu tragen, so dass er unerkannt eine Reihe schrecklicher Morde begehen konnte. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass irgendwas faul an der Sache war, doch ich war nicht sicher, bevor die Mordmaschine über die Hecke flüchtete - und ich den zweiten braunen Faden fand – an der Tür seiner Limousine!
Hätten Sie sich den Rücksitz seines Wagens genauer angesehen, hätten Sie festgestellt, dass er sonderbar konstruiert war – Die Lehne ungewöhnlich hoch der Raum unter dem Sitz sonderbar ausgehöhlt. Dort hat er das Ding versteckt. Dort sandte er es hin, nachdem er es über die Hecke springen ließ. Als ich die Kreatur zum ersten Mal aus der Nähe sah, war mir klar, dass er gelogen hatte. Sie war nicht so angezogen, wie er sagte – sie trug braun, nicht grau.
Er log auch, was die Verletzlichkeit des Maschinenkopfes anging. Ich wette, wir werden dort verstärkte Stahlplatten finden. Mit normalen Kugeln wäre das Monster nie zu stoppen gewesen. Er wollte, dass wir unsere Munition dort verschwendeten und so dem Ding die Chance gaben, uns zu töten – nachdem ihm dämmerte, dass ich ihm auf der Spur war.“
Aber was war sein Motiv? Warum die Morde?“ krächzte Thompson heiser.
Dieser große Patent-Prozess vor ein paar Jahren“, antwortete Wade. „Stricklands Firma gewann ihn gegen einen Typen namens Bloch. Caloway war Stricklands Anwalt, erinnern Sie sich? Bloch muss seinen Namen in Blatten geändert haben, und nachdem er seinen Kontrollmechanismus für den Rücken verfeinert hatte, schmiedete er einen grausigen Racheplan – mit der Maschine. Ich war sein Sahnehäubchen – sein absolut wasserdichtes Alibi – doch damit übertrieb er seine Perfektion.“
Er wandte sich zum Erfinder um. „Sie haben gute Chancen, Elektrizität ganz aus der Nähe zu erforschen, Blatten – wenn die Regierung sie durch Ihren Stuhl jagt!“

Paul Chadwick: The Murder Monster
Erstdruck: Detective Dragnet May 1932
Übersetzung: Matthias Käther © 2019/20














Laurence Kirk: Dr. Macbeth (1940)

Heute möchte man es kaum noch glauben: Die „Cosmopolitan“ war mal ein richtig gutes Literaturmagazin! Bereits im 19. Jahrhundert gegründe...