Sonntag, 26. Juli 2020

Ralph Williams: Kleines Missverständnis (1957)


Connor reiste nicht gern per Flugzeug. Er verspürte keine Flugangst, doch ihn plagte ein chronisches Nebenhöhlenproblem, das seine Ohren verstopfte und ihm Kopfschmerzen bereitete, so dass er mehr Zeit brauchte, um sich von der Reise zu erholen als für die Reise selbst. Wenn es irgendwie ging, reiste er mit der Bahn.
Nichtsdestotrotz hatte seine Firma kürzlich eine eigene Spezialmaschine gechartert, und so war sein Chef, der Verkaufsleiter, auch dazu verpflichtet, sie zu nutzen. Connor hatte versucht, der Verkaufsleitung sein Nebenhöhlenproblem zu erklären, doch sein Chef war ein deftiger Typ voller Lebenskraft, der die Gebrechlichkeiten seiner Untergebenen für eine raffinierte Form des Simulierens hielt. Und als Connor merkte, dass er mit seinen Klagen nicht weiterkam, ließ er die Sache fallen. Er war ohnehin nicht allzu zufrieden mit seinem Job; es war einfacher, erstmal so weiterzumachen wie bisher und sich dabei ohne Hast nach einem Arbeitgeber umzusehen, der kein Flugzeug sein eigen nannte. Oder zumindest seine Außenmitarbeiter nicht dazu zwang, es zu benutzen.
So erreichte Connor Springfield per Flugzeug, und weil der Firmenpilot sich für einen tollen Hecht hielt und ein Luftloch von zwanzig Meilen Durchmesser dazu nutzte, den Autopiloten auszuschalten, um im Kamikazeflug sein Ziel fünfzehn Minuten eher erreichen, kroch Connor taub wie eine Sumpfotter und mit hirnzerreißenden Kopfschmerzen aus der Maschine.
Wenigstens war es schon nach fünf, als er anlangte, und damit zu spät für irgendwelche Dienstgespräche. Connor schleppte sich direkt in sein Hotel, schluckte drei Aspirin und warf sich aufs Bett, um sich gesund zu schlafen.
Er erwachte gegen Mitternacht. Seine Kopfschmerzen waren weg, und er fühlte sich erheblich besser. Seine Ohren fühlten sich immer noch verstopft an, doch sie würden am nächsten Tag wahrscheinlich okey sein. So konnte er mit etwas Glück seine Geschäfte morgen abschließen und die Stadt mit dem Zug verlassen, bevor die Maschine am Donnerstag zurückkam.
Inzwischen war er hungrig geworden. Ihm war vorhin viel zu elend gewesen, als dass er ans Essen hätte denken können.
Das Hotelrestaurant hatte seit 22 Uhr geschlossen, wie ein Schild an der Glastür verkündete. Connor spazierte durch die Lobby, trat hinaus auf die Straße und suchte sie mit den Augen links und rechts nach Restaurantschildern ab. Ein paar Straßen weiter gab es ein größeres und wesentlich opulenteres Hotel, an dem ein Schild leuchtete. Er schlenderte hinüber und schaute hinein. Anscheinend was dies einer der populären nächtlichen Hot-Spots der Stadt. Es gab eine Bar, eine kleine Tanzfläche und eine Band. Der Laden war proppenvoll und laut. Essen würde hier überteuert sein und sich um diese Zeit auf ein Sandwich beschränken. Angesichts des Lärms und seiner verstopften Ohren sah er Schwierigkeiten voraus, sich dem Kellner verständlich zu machen, der ihn todsicher für einen dieser unhöflichen „Ein-Kaffee-und-ein-Sandwich“-Kunden halten würde.
Er lief die Straße einen Block weit hinunter bis zu einer Kreuzung und spähte in beide Richtungen, unentschlossen am Bordstein vor der Ampel schwankend. Es gab ein paar Bar-Schilder, doch keine Hinweise auf eine Gaststätte, nicht mal auf einen Imbiss.
Tolle Stadt.
Naja, vielleicht kannte der Nachtdienst in seinem Hotel irgendwas.
Er ging zum Hotel zurück und fand den Angestellten über die Empfangstheke gelehnt im Gespräch mit einem der Gäste. Als Connor näherkam, nickte der Gast lächelnd und verschwand die Treppen hinauf, in der Hand eine zusammengefaltete Zeitung schwenkend. Der Angestellte wandte sich Connor zu und sah ihn fragend an. Connor sagte ihm, was er wollte, und der Angestellte erzählte ihm irgendwas, das Connor nicht ganz verstand wegen seiner halbtauben Ohren, und wies in die Richtung des größeren Hotels.
Connor schüttelte seinen Kopf. „ Ein Käsesandwich und jede Menge Radau für einen Haufen Kohle und noch mal die Hälfte obendrauf für Trinkgeld!“ sagte er liebenswürdig. „Ich kenne diese Lokale. Gibts nicht irgendein ruhiges Restaurant hier ganz in der Nähe, wo man einfach was zu Essen bekommt, ne anständige Mahlzeit?“
Es ist ganz schön spät für ne anständige Mahlzeit!“, sagte der Angestellte. Sein Tonfall verriet, dass jeder, der so irreguläre Essgewohnheiten besaß, selbst schuld war, wenn ihn jetzt der Hunger plagte.
Connors Job sorgte oft dafür, dass sein hitziges Temperament gehörig unter Druck geriet. Natürlich konnte er keine offene Aggression als Ventil benutzten, und so hatte er eine persönliche Standardabwehr entwickelt, wenn ihm jemand besonders grob kam - eine ironische Masche, absichtlich in größter Überzeugung das Gegenteil von dem zu behaupten, was offensichtlich war, um sein Gegenüber zu verwirren und zu ärgern. Also sagte er kalt:
Ich speise nie vor Mitternacht. Schlecht für die Verdauung.“
Der Angestellte sah erschrocken aus. (Connor war mit dem Ergebnis sehr zufrieden.)
Nicht vor Mitternacht?“
Er studierte Connor skeptisch. Dann lehnte er sich über die Theke und erkundigte sich nach etwas in einer leisen, verschämten Weise.
Was?“ fragte Connor absichtlich lautstark.
Der Angestellte sah sich nervös in der Lobby um. „Sind Sie auf Spezialdiät, Sir?“ fragte er, beugte sich noch weiter vor, immer noch leise wispernd, aber diesmal bewegte er die Lippen übertrieben beim Sprechen, anscheinend, um ihnen eine gewisse feierliche Note zu verleihen.
Wahrscheinlich hält er mich für bekloppt“, dachte Connor. „Ach, zur Hölle mit ihm“. Er nickte kurz.
Der Angestellte leckte seine dünnen Lippen, kritzelte abwesend irgendwas auf seinem Notitzblock und studierte Connor aus den Augenwinkeln. „Na schön“, seufzte er endlich, mit einer etwas lauteren Stimme, als hätte er widerwillig vor dessen Schwerhörigkeit kapituliert, „es gibt da einen Ort, ein bisschen die Straße rauf, ne Art Spelunke, aber es heißt, die haben einen guten Koch. Ne Menge Leute auf Spezialdiät aus dieser Stadt essen da. Könnte sein, dass Sie dort was nach Ihrem Geschmack finden.“
Er gab Connor genaue Richtungsanweisungen; Connor dankte ihm und zog eiligst los, um so den vielen Fragen zu entgehen, die sein Gegenüber offensichtlich plagten.
Er hatte einige Schwierigkeiten, das Lokal zu finden; es war nicht direkt von der Straße aus zu erreichen, sondern man musste sich durch eine enge Nebengasse zwängen; niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass es dort so etwas gäbe, es sei denn, man suchte ganz bewusst nach dem kleinen roten Schild „Café“.
Es gab einen kurzen Tresen mit Barhockern und drei Séparées entlang der Wand. In einem davon saßen zwei unscheinbare Individuen, tranken Bier und unterhielten sich. Ein kleiner rundgesichtiger Mann mit einem Hut, der auf seinem kahlen Schädel weit nach hinten gerutscht war, saß auf einem der Barhocker und las eine Zeitung, im Mund einen Zahnstocher und vor sich eine Tasse Kaffee. Der Barmann, angetan mit T-Shirt und schmieriger Schürze, war dabei, ranziges Fett von einer Kochplatte zu kratzen.
Ein billiger Restaurantgeruch durchdrang das Lokal, das gereifte Bouquet jahrelang vernachlässigter Spritzer längst verdorbenen Essens, ungereinigter Eisfächer, überhitzter Pfannen und verbrannter Eier. All das wirkte nicht sehr vielversprechend, und Connor erwog, in die Hotelbar zurückzukehren. Doch zumindest war es hier ruhig – und so sauber, wie man es von einem Ort dieser Art erwarten konnte.
Er setzte sich auf einen Hocker am Ende des Tresens. Der Barmann kam und fragte: „Was solls denn sein?“
Ich bin nicht anspruchsvoll“, erwiderte Connor. Solange es tot und viel ist ... Ich bin hungrig wie ein verdammter Wolf. Was haben Sie denn so?“
Der Barman wischte verträumt mit einem Lappen über den Tresen. „Steak okey?“ fragte er. „Pommes?“
Connor nickte. „Das ist okey. Halbdurch.“
Der Barmann ging zurück zum Kühlschrank. Der fette Mann senkte seine Zeitung und starrte zu Connor hinüber. „Warm heut nacht, gell?“ fragte er.
Trotz seines Gewerbes was Connor ein zurückhaltender Mann, und wahrscheinlich war er deswegen auch nicht besonders geeignet für seinen Verkaufsjob. Er mochte keine Fremden, die versuchten, ihn an öffentlichen Orten in ein Gespräch zu ziehen. Außerdem war er gerade nicht in der Stimmung für Konversation.
Ein Ohr hatte sich wieder freigeploppt, während er vom Hotel hierher gewandert war, doch da war immer noch ein Klingeln, das es ihm schwer machte, zu verstehen, was andere sagten.
Er grunzte unverbindlich und schlürfte seinen Kaffee.
Der fette Man ließ sich davon nicht entmutigen. „Fremd in der Stadt, gell?“ fragte er.
Nicht wirklich“, gab Connor zurück, der die bukolische Selbstgewissheit seines dicken Gegenübers verabscheute. Doch er war tatsächlich kein Fremder. Er hatte zwar nie hier gelebt, aber er war oft dienstlich in Springfield gewesen, wenn auch nicht in den letzten Jahren. „Wie kommen Sie darauf?“
Der fette Mann grinste anbiedernd, zeigte seine schlechten Zähne und einen weißlichen Gaumen.
Mensch, ich kenn jeden in diesem Kaff hier. Ich bin der Bestatter, es ist mein Beruf, jeden zu kennen.“ Seine Stirn zerfurchte sich. „Sagen Sie mal, wie haben Sie diese Spelunke gefunden? Nicht viele von außerhalb kommen hierher, um zu essen.“
Habs gerochen. Ist doch klar, oder?“ sagte Connor lakonisch. Er blickte auf seine Uhr. „Was hält ihn davon ab, das Steak zu bringen?“
Der fette Mann gluckste. „Es wird gleich kommen“ beschwichtigte er. „Ernie ist glaubt nicht dran, daß es was bringt, Dinge zu überhasten.“
Die beiden Männer in dem schwarzen Separée tranken ihr Bier aus und gingen. Der Fette versuchte, noch ein paar mehr Bemerkungen an den Mann zu bringen, die Connor keiner Antwort würdigte, und kehrte dann zu seiner Zeitung zurück. Endlich kam das Steak.
Es war verdorben. Connor konnte es riechen, als er den ersten Bissen zum Mund führte. Er legte die Gabel wieder hin ohne zu probieren, zündete sich eine Zigarette an und fragte sich, ob er jetzt Stress machen oder einfach abhauen sollte. Er könnte den Mann bitten, ihm ein paar Eier in die Pfanne zu hauen, aber wie die Dinge heute nacht lagen, waren die wahrscheinlich auch schlecht. Und der Barmann war ohnehin in der Küche verschwunden und schien es nicht sehr eilig zu haben, zurückzukehren. Vielleicht, dachte Connor, sollte er einfach zurück ins Bett gehen und die ganze Sache mit dem Abendessen vergessen.
Das Problem war nur – er war immer noch hungrig.
Der Kaffee war nicht schlecht, er nippte daran und rauchte, versuchte, sich zu einer Entscheidung durchzuringen.
Der fette Mann hatte ihn verstohlen über den Rand seiner Zeitung beobachtet. Er legte sie nun hin und lehnte sich zu Connor hinüber. „Was ist los?“ fragte er vertrauenerheischend, „Fleisch nicht gut?“
Connor sah ihn an und sagte nichts.
Der fette Mann grinste. „Bißchen reif, wette ich, gell?“
Nee. Nicht wirklich.“, sann Connor laut, die Gabel hebend und den Bissen mit klinischer Genauigkeit examinierend, „Eher zu frisch, würde ich sagen. Ich kann frisches Fleisch nicht ausstehen.“
Zu frisch?“ Die Augen des Fetten weiteten sich. „Das kann ich mir bei Ernie gar nicht vorstellen. No, Sir, nicht Ernie, der würde nie sein gutes Frischfleisch an Fremde verhökern.“ Er langte zum Teller hinüber und ergriff die Gabel, auf der immer noch der Steak-Bissen streckte und schnüffelte geräuschvoll daran.
Uuah, Jungejunge, Sie müssen total plemplem sein. Das ist nicht frisch, es ist verdammtnochmal fast verwest!“
Connor starrte ihn in stummer Wut an. Soso, Ernie verschwendete also kein frisches Fleisch an Fremde? Er schnappte sich die Gabel und schob sie dem Fetten grob unter dessen dürftigen Schnurrbart. „Und ich sag, es ist zu frisch!“ schnauzte er. „Sehen Sie hin, es ist sogar noch blutig! Was glaubt er, was ich bin, ein verdammter Vampir?“
Der fette Mann wich auf seinem Stuhl zurück, erschrak, und lachte dann schallend. „Vampir, was? Mann, der war wirklich gut, den muss ich mir merken!“ Dann schrie er: „He, Ernie! Komm mal raus! Weißt du was? Du servierst jetzt Blut für Vampire! Sagt der Typ hier. Das müssen wir den Jungs erzählen.“
Er schnaufte und gluckste glücklich. Ernie kam raus und besah sich das unberührte Steak auf Connors Teller.
Wo ist das Problem?“ brummte er.
Es ist zu frisch und blutig, kicherte der fette Mann. „Er sagt, er ist kein Vampir, er kann das nicht essen.“
Tja, wenn Sie's nicht mögen, müssen Sie's nicht essen“ sagte Ernie zu Connor. „Macht dann nen Dollar sechzig.“
Connor schüttelte den Kopf. „Das macht dann keinen Cent.“ erwiderte er. „Das Fleisch ist nicht genießbar.“
Zu frisch und blutig!“ japste der Fette. „Oh, Jesus!“ Er wischte sich die Augen.
Sie haben ein Steak bestellt, und Sie haben eins bekommen“, sagte Ernie ausdruckslos. „Wollen Sie wirklich, dass ich die Bullen hole?“
Da liegen Sie genau richtig“, fauchte Connor. „Ich werde sie einen Blick auf das Steak werfen lassen, damit sie raffen, was für eine Sorte Essen Sie hier servieren. Ich nehme mal an, Sie haben nie von den Hygienevorschriften in diesem Bundesstaat gehört?“
Ernie schob sein Kinn vor und sagte nichts. Er nahm den Teller und kippte das Essen in den Mülleimer, um dann hinter dem Tresen hervorzukommen und sich vor Connor aufzubauen.
So“, raunte er. „ Sie werden jetzt die Eins Sechzig bezahlen, oder ich mach Ihnen Beine!“
He, Moment, wartet mal, Jungs“, mischte sich der fette Mann ein. „Du brauchst nicht so grob mit den Kumpel hier zu sein, Ernie. Du weißt selbst, daß das Fleisch nicht gut war, er hats nur laut ausgesprochen, das ist alles.“
Ernie sah unentschlossen aus, und Fatty setzte nach. „Ich sag dir was – warum machst du ihm nicht was anderes, irgendwas, das er essen kann? Dafür wird er auch blechen. Das ist doch fair, oder?“
Ernie war offensichtlich nicht dieser Ansicht. „Ich mach ihm was immer er bestellt, aber er hat auch das Steak zu bezahlen. Mein Essen kostet mich was. Kanns mir nicht leisten, es zum Fenster rauszuwerfen, bloß weil irgendwelche Weicheier zu mimosenhaft sind, ums runterzukriegen.“
Connor schüttelte nachdrücklich seinen Kopf. „Ich werd das Steak nicht bezahlen, und wenn Sie mir blödkommen, krieg ich Sie so schnell dran wegen tätlichen Angriffs, dass Sie nicht wissen, wo hinten und vorne ist.“
Ach ja?“ knurrte Ernie und trat einen Schritt näher.
He, wartet! Wartet doch mal!“ Der fette Mann lehnte sich vor und senkte seine Stimme verschwörerisch. „Wie wärs denn damit? Ernie, du hast doch noch dieses Stück... Wildfleisch, das ich letzte Woche mitgebracht habe, das wird auch nicht ewig halten. Wieso nimmst du nicht das als Friedensangebot? Dann kann er dafür soviel bezahlen wie für das Steak, und du machst keine Miese dabei. Und alle sind glücklich.“
Ernie zuckte die Achseln. „Es ist dein Fleisch. Wenn du es weggeben willst, ist es dein Problem. Trotzdem will ich das Geld für mein Steak.“
Was ist das für eine Sorte Wildfleisch?“ fragte Connor misstrauisch.
Der fette Man zwinkerte ihm zu und grinste. „Sie werden es mögen“, versicherte er. „Ist was Spezielles. Wir sollten dafür aber rübergehen ins Hinterzimmer. Ernie serviert es nicht gern hier draußen. Könnte jemand reinkommen.“
Connor war nicht erpicht darauf, in dubiose Geschäfte mit verbotenem Wildbret verwickelt zu werden, doch er hatte die Nase voll von der Streiterei, und er sah keinen Ausweg aus dem Dilemma: entweder zu zahlen oder eine Schlägerei anzufangen, und er konnte sich für keine der beiden Unannehmlichkeiten entscheiden. So stand er zögernd vom Stuhl auf und folgte dem fetten Mann ins Hinterzimmer. Dort standen ein Tisch und ein paar Küchenstühle herum, außerdem gabs noch einen kleinen alten Schrank in der Ecke. Der fette Mann watschelte mit vertrautem Gehabe zu dem Schränkchen hinüber und entnahm ihm eine halbvolle Flasche mit einer klaren Flüssigkeit samt zwei Gläsern.
Wie wärs mit einem Schlückchen, während wir warten?“
Warum nicht? Was ist das?“ fragte Connor.
Tja, auf jeden Fall keine Einbalsamierungsflüssigkeit, obwohl ich Bestatter bin, aber eigentlich erfüllt sie denselben Zweck. Ist guter alter Kornbrand.“
Okey“ gab Connor nach. „Aber nur einen kleinen, bitte.“
Es war tatsächlich Korn, ganz wie er sein sollte. Sie nahmen einen zweiten an dem Tisch unter einer schlichten herabhängenden Glühbirne, und Connor begann sich ein wenig milder gestimmt zu fühlen. Der fette Mann meinte es augenscheinlich nur gut mit ihm; er hatte sein Bestes getan, um eine kitzlige Situation zu entspannen, und Connor fing an, sich seiner anfänglichen Unhöflichkeit zu schämen.
Bald kam Ernie mit einer neuen Schüssel Pommes frittes und einem bedeckten Servierteller. Er setzte den Teller auf den Tisch und lüftete die Haube.
Ein unerträglicher Gestank durchflutete augenblicklich den Raum.
Das ist 'ne Überraschung, was?“ rief der fette Mann begeistert.
Connor drehte seinen Kopf und starrte mit eingefrorenem Blick auf das Ding auf dem Teller.
Lang richtig zu, Junge!“, sagte der fette Mann.
Connor versuchte sich zu erheben, stemmte sich an der Tischkante hoch, wich zurück und stolperte rücklings über den Stuhl hinter ihm. Dann lag er da, würgend, unfähig aufzustehen. Undeutlich hörte er Ernie schreien:
Du verdammter Idiot, Jake, das ist allein deine Schuld!“
Der fette Man schien seine Hände zu ringen; er hörte ihn stammeln: „Aber, Mensch, Ernie, wie sollte ich das denn wissen? Er musste doch der Typ sein, den Ed Perkins hergeschickt hat! Hat zu Perkins gesagt, er isst nie vor Mitternacht, er braucht ne Spezialdiät. Und er mag kein Blut! Er hat doch selbst gemeint, das Fleisch, das du ihm gegeben hast, wär ihm zu frisch. Ich...ich dachte, ich überrasche ihn, du weißt selbst, ich kriege bei mir immer mehr, als ich brauche, wie konnte ich...“
Schnauze!“ zischte Ernie. „Du und dieser Idiot Perkins habt es wieder mal vermasselt, so siehts aus. Ihr verdammten Ghule seid so bescheuert! Mir reichts, ihr könnt euch einen andern Treffpunkt für eure Geschäfte suchen!“ Er sah auf Connor hinunter, der immer noch in den umgestürzten Stuhl verheddert auf dem Boden lag. „Tja, wir können ihn hier nicht schreiend rauslaufen lassen.“ Er umrundete den Tisch und kam auf Connor zu, ein Steakmesser in der Hand.

Ralph Williams
Mistaken Identity
Tales of the Frightened #1, 1957
Übersetzung: Matthias Käther © 2020


Arthur J. Burks: Stalagmiten (1935)



Frank Logan, bis vor drei Tagen Beauftragter für die Guardia Touristengebiete, die dem Arahona- Zuckerunternehmen gehörten, hielt das Ende seiner letzten Schnurrolle – der siebzehnten – in seiner Hand. Er starrte mich an mit großen Augen, in denen ich mehr zu sehen glaubte als nur eine Andeutung von Furcht.
Hedda“, flüsterte er, ehrfürchtig angesichts der gigantischen Höhlen von Hondo Valle, die wir zweiundsiebzig Stunden zuvor betreten hatten, „es ist wie ein Abstieg in die Hölle. Dante muss an solch einen Ort gedacht haben, als er sein Inferno schrieb. Fehlen nur noch die Flammen.“
Mein Herz hämmerte, nicht nur, weil ich gehofft hatte, hier meinem Traum, die größte weibliche Naturforscherin und Archeologin der Welt zu werden, in Erfüllung gehen zu sehen, sondern weil Frank „Hedda“ zu mir gesagt hatte, so als ob der Name ihm schon immer vertrauter gewesen war als das förmliche „Miss Merrit“, das er bisher so sorgsam benutzt hatte.
Siebzehn entrollte Schnurknäuel waren alles, was wir hatten, um uns den Weg durch ein Labyrinth aus Stalagmiten und abzweigenden Tunneln zu weisen. Ein Ende war am Eingang der Höhle befestigt. Frank Logan, den ich inzwischen sehr schätzen gelernt hatte, hielt das andere.
Und immer noch erstreckte sich die immense Höhle vor uns. Geradeaus, jenseits des Lichtkegels, den wir produzierten, lauerte die ebenholzschwarze Oberfläche eines Stroms. Woher er kam, wohin er sich wand – wer konnte das wissen? Es gab keinen solchen Fluss an der Oberfläche von Santo Domingo – und man hatte jeden Zoll dieser kleinen Republik vermessen und kartographiert. Zur Rechten und Linken des Flusses, als würden sie am Ufer stehen und darüber nachsinnen, ob sie hineinspringen und ein erfrischendes Bad nehmen sollten, ragten weiße Säulen auf, Stalagmiten, die der Gestalt von Frauen so sehr ähnelten, dass sie fast zu atmen und sich zu bewegen schienen – wachsende Geschöpfe, lebenswarm. In ihrem Rücken, weiße Reihen hinter weißen Reihen, allmählich in der gigantischen Weite der pechschwarzen Höhle verschwindend, gab es andere „Frauen“, wartend. Ich wusste es, ohne es sehen zu können – dieser Wald von weißen Säulen erstreckte sich von Unendlichkeit zu Unendlichkeit – weit hinaus, jenseits des dunklen, trostlosen, schweigenden Stroms. Wo immer sein anderes Ufer sein mochte, der steinerne Wald folgte ihm weiter bis Gott weiß wohin.
Wir hatten fünf Stunden, nachdem wir die Höhle betreten hatten, keine einzige Fledermaus mehr bemerkt. Der Ort glich nichts, das wir je gesehen hatten.
Ein plötzlicher Schrei, seelenzermürbend, so grausig in seinem Effekt, dass es schien, meine ganze Schädeldecke würde zu Eis gerinnen und sich dann heben, gellte aus der Dunkelheit. Es war extrem unheimlich, dies Geheule absoluten Horrors. Ich schien zu Stein zu erstarren, wie einer von diesen Stalagmiten. Franks Gesicht hätte nicht weißer werden können. Er ließ seine Lampe fallen. Sie verlosch. Es blieb nur noch meine Petroleumlampe, um die Finsternis zu zerstreuen. Hätte ich sie auch fallenlassen, wir hätten uns in fünf Irre verwandelt, bevor die Echos des grässlichen Schreis ganz verhallt wären.
Ich wandte langsam meinen Kopf zur Seite, voller Furcht vor dem, was da geschrien hatte, doch ich wusste, ich musste mich umwenden. Ich musste einfach wissen, was es war.
Es war Juan Mota, einer unserer Eingeborenen. Es war offensichtlich, dass er geschrien hatte, weil sein Mund immer noch offenstand. Seine Augen waren aufgerissen, so weit es nur irgend ging. Er stand da, eine Bronzestatue, sein Arm samt Zeigefinger ausgestreckt. Er schien wie hypnotisiert zu sein, und als ich sah, worauf er zeigte, wusste ich, warum. Drei Meter von uns entfernt lag das Ende unserer siebzehnten Rolle Garn, sorgfältig entrollt, seit wir die Höhle betreten hatten, damit wir ihr bei der Rückkehr wieder hinausfolgen konnten. Ohne sie wäre jede Hoffnung vergeblich gewesen, jemals wieder das Tageslicht zu erblicken.
Das Ende der Schnur, scheinbar lebendig, bewegte sich weg von uns, schneller und schneller, wie eine dünne krauchende Schlange. Frank Logan schrie, stürzte dem sich windenden Ende nach, das vor ihm davonhuschte, ihn in die Dunkelheit lockend, in der er verschwand. Das Getappe seiner laufenden Schritte hallte zu uns herüber, und es klang wie das Fallen zahlloser Erdklumpen auf endlose Gräberreihen.
Ich werde das lähmende Entsetzen nie vergessen, das mich ergriff, als Frank in der fast fühlbaren Dunkelheit verschwand. Ich war mir in diesem Moment sicher, dass sich - von unser Gruppe abgesehen - nichts Lebendes meilenweit in unserer Nähe aufhielt. Ich war mir sicher, und doch bestand kein Zweifel daran, dass die Schnur davonkroch! Sie konnte sich natürlich nicht von allein bewegen, doch sie bewegte sich. Es gab keine menschliche Hand, um sie über den Boden zu ziehen, doch sie bewegte sich. Hätte jemand am anderen Ende, am Eingang der Höhle daran gezogen, hätten wir diesen Effekt hier nicht bemerkt – das Eigengewicht der Schnurmasse war zu groß; das Garn wäre eher gerissen als dass es unser Ende in Bewegung gesetzt hätte.
Gott! Oh Gott!“, stöhnte ich, „Schick ihn mir zurück!“
Die drei Einheimischen, immer noch starrend wie drei Hypnotisierte, die durch ein Stichwort an ihre Stelle gebannt worden waren, sahen jetzt zu mir herüber und ahnten, dass ich betete. Der, der geschrien hatte, weil er als erster das lebendig gewordene Schnurende erblickt und gesehen hatte, wie es sich in den finsteren Erebus entfernte, begann abwechselnd auf Spanisch zu beten und zu fluchten.
Ai, Dios! Ai, diabolo carrajo! Ai, Virgen de Altagracia!“
Es war mir, als ob die schwarzen Wasser des Untergrundstromes aus ihrem Bett krochen, unsichtbar und doch fühlbar, und sich kalt wie der Hauch eines Gletschers an mich schmiegten und meinen schwitzenden Körper zu umschließen begannen, so dass er von Eis umhüllt schien.
Ich musste diese spanische Litanei der Dominikaner zum Schweigen bringen. Doch ich fürchtete mich davor, zu schreien – die schrecklichen Echos machten mir Angst. Noch mehr allerdings fürchtete ich mich davor, nicht zu schreien.
Frank! Frank! Um Himmels willen, komm wieder her!“
Die Echos, gleich flatternden schwarzen Fledermäusen, flohen vor mir in alle Richtungen, als ob jedes schreckerfüllte Wort Flügel bekommen hatte und meinem Mund entflohen war, um Frank dort irgendwo im Erebus zu finden: nach vorn, zurück, nach rechts und links flatterten sie, sogar über die Oberfläche des schwarzen Flusses, der nirgendwo begann und tödlich schweigend im Nirvana endete.
Jedes Wort gebar neue Worte, und all die Worte schwangen sich auf, um Frank Logan zu suchen. Und all die Worte schrien zu mir zurück: „Frank! Frank! Um Himmels willen, komm wieder her!“
Die Echos erstarben. Die Furcht, mein Licht könnte erlöschen, war so groß, dass ich den Atem zurückhielt. Ich machte mir Sorgen, die Lampe, die nun auf dem Höhlenboden stand, könnte umkippen. Ich wagte nicht, sie zu berühren, wurde von der Angst geplagt, ich könne ungeschickterweise ihr Licht auslöschen, das nun wertvoller war als alle Reichtümer der Welt.
Ich hörte die Schritte just in dem Moment, als das Licht verlosch. Sie kamen von überall her. Er schwang etwas mit ihnen – die Hast eines Menschen, der furchtbare Angst hatte. Doch Frank rief nicht nach mir. Er wusste, was die Echos anrichten konnten. Er rannte panisch zu mir zurück, als ob er verfolgt würde. Sein Entsetzen eilte ihm voraus, um unsichtbare eiskalte Tentakel um mein Herz zu winden, und so wurde auch ich vom Entsetzen gepackt. Wovor floh er? Was für ein Ding verfolgte ihn, so dass er ohne Schnurende zurückkam? Denn so schnell hätte er mit dem Garn nie laufen können.
Die drei Eingeborenen schrien, immer und immer wieder. Die Schreie erschütterten mich bis tief in die Seele hinein. Doch selbst diese grässlichen Schreie hatten nicht den grauenhaften Effekt, den das auf mich machte, was ich für einen winzigen Augenblick erspäht hatte, bevor die Dunkelheit über uns hereinbrach – etwas hinter Frank Logan, das auf ihn zurannte und versuchte, ihn einzuholen, mit ausgestreckten Armen.
Er konnte mich nicht verfehlen. Alles, was er zu tun hatte, war, sich weiter auf mich zuzubewegen – es waren keine weißen Säulen zischen uns, nichts, das die Arme ausstreckte... Ich selbst streckte ihm nun die Arme entgegen, um ihn aufzufangen.
Ich konnte die vor Angst wahnsinnigen Eingeborenen davonrennen hören, ihre Sandalen kratzten über den Kalksteinboden der gigantischen Höhle. Dann hörte ich hinter mir plötzlich ein Plätschern, einen Schreckensruf und ein seltsames Gurgeln – seltsam wegen der Echos – und wusste, dass der Strom einen meiner Männer verschlungen hatte.
Die andern beiden rannten irgendwohin, fast in Frank Logan hinein.
Frank kollidierte heftig mit mir. Ich wollte, dass das passierte, doch als es soweit war, so plötzlich in der Finsternis, biss ich mir auf die Lippen, um nicht wild loszukreischen. Ich klammerte mich an ihn, tastete sein Gesicht ab, seine Kehle, dort, wo der Kragen offenstand, um sicherzugehen, dass es sich wirklich um Frank handelte.
Doch wen anders hatte ich denn erwartet?
Wir wichen etwa fünfzehn Meter vom Flussufer zurück und setzten uns auf den Boden. „Wir müssen nachdenken“, flüsterte Frank. „Die Schnur habe ich verloren. Keine Ahnung, wer oder was an ihr gezogen hat. Aber ich bin mir sicher, Süße, dass es etwas Menschliches war. Es muss so sein! Etwas andres zu glauben würde uns in den Wahnsinn treiben...“
Ich wusste, was er meinte: Versteinerte Körper von Frauen in Weiß, irgendwie erfüllt mit Leben, hier in der Finsternis. Nur Stalagmiten, natürlich, Säulen, die im Laufe unzähliger Jahrhunderte durch herabfallende Kalktropfen entstanden waren. Doch ich hatte eine berührt. Sie war warm gewesen. Und sie war unter meiner Berührung zusammengezuckt.
Wir waren dem Untergang geweiht in diesem Erebus der ewigen Finsternis. Unsere drei Einheimischen hatten wir verloren. Inzwischen waren die andern beiden vermutlich in Abgründe gestürzt, oder in den Fluss – um für immer zu verschwinden, wie Mota. Oder sie irrten hirnlos und automatengleich umher, schoben sich durch die Dunkelheit, hämmerten ihre Köpfe gegen unsichtbare weiße Säulen...
Wie als Antwort auf meine Gedanken hörte ich weit entfernt einen schrillen Schrei, irgendwo nahe des Abhangs am Ende der Höhle...
Virgen de Alta...!“
Der Schrei brach sich an gellendem Gelächter.
Er war das kreischende, vernunftlose Lachen einer wahnsinnigen Frau!
Ein Streichholz flammte auf.
Ich wirbelte herum, um in Frank Logans Gesicht zu sehen. Der bleiche Horror, der dort eingebrannt war, wird mich immer verfolgen. Frank war der tapferste Mann, den ich je gekannt hatte, doch nun bebte er vor Schrecken. Seine Augen verrieten etwas - eine bloße Andeutung - von dem, was er glaubte erblickt zu haben, als er in die Dunkelheit floh, mit ausgestreckten Armen. Er nickte, versuchte seine Lippen mit seiner trockenen Zunge zu befeuchten, und ich konnte ihn etwas von schlanken Frauen in Weiß murmeln hören.
Irgendwie schaffte Frank es, die Lampe wieder zu entzünden. Gut! Wir mussten unsere Ruhe wiederfinden. Das sagte ich mir immer wieder, und ich spürte, dass Frank dasselbe dachte. Wir waren im Schein der Laterne eng zusammengerückt und hatten unsere Hände ineinander verschränkt. Falls wir uns verloren, dann... Ich wagte nicht einmal daran zu denken. Wenn meine Gedanken in diese Richtung irrten, verwandelte sich mein Herz zu Stein. Und doch... Trotz all des Grauens, das plötzlich in diesem Höhlensystem auf uns hereingebrochen war, empfand ich eine gewisse Freude, hier mit Frank zu sein.
Ich hatte bisher in meinem Leben nicht viel mit Männern zu tun gehabt, von meinem Bruder abgesehen. Frank... oh ja, ich wusste, wie es um mich stand, und Frank wusste es auch. Draußen... wenn es jemals wieder ein Draußen geben sollte, würden wir glücklich sein. Ich würde um ihn kämpfen – gegen jeden und alles. Und ich würde ihm zeigen, dass auch eine Naturforscherin, meist in raue Outdoorkleidung gehüllt, im Abendkleid wunderschön aussah...
Süße“, flüsterte Frank. Wie sehr mich das Wort elektrisierte!
Ja?“ Da war etwas euphorisches in meiner Stimme, gegen meinen Willen.
Ich liebe dich.“
Und ich dich.“
Wir dürfen uns von jetzt an nichts mehr verschweigen! Durchaus möglich, dass wir beide hier umkommen. Da ist etwas, das ich dir erzählen muss.“
Ja?“
Da draußen, jenseits des Lichts, Hedda, da hatte ich nur eine Sache im Kopf: mir das Ende der Schnur zu schnappen, bevor sie außer Reichweite war. Sie jagte vor mir her mit diabolischer Zielstrebigkeit. Doch als mir klar wurde, dass ich verloren war, wenn sie mir entkam, weil ich dann nicht mehr zu euch zurückfinden würde, kehrte ich um. Hedda...“
Ja, mein Lieber?“
Also...ich sah vier Steinsäulen, diese Stalagmiten, zwischen mir und dem Licht, verstehst du? Sie sahen aus wie Frauen in Weiß, genau so haben wir sie schon öfter beschrieben. Doch das war nicht alles. Sie bewegten sich! Bei Gott, Hedda, ich schwöre es! Du weißt, sie gleichen Frauen ohne Augen, mit Gliedmaßen, die von einer Art dünnem Mantel bedeckt zu sein scheinen, oder einem feinen weißen Schleier... Nun...als ich mir sicher war, dass sie sich bewegten, schien mir, als würden diese Schleier beiseitegeschoben...als würden ihre Arme sich heben... Nur noch ein Augenblick, und ich würde ihre Arme, ihre Hände gesehen haben. Ich konnte ihre Umrisse durch das Schleierzeug sehen... Ich konnte ihre Körper sehen, weiße Körper, Hedda, herrlich geformt. Und dann ging das Licht aus. Ich versuchte aus dem Gedächtnis einen Kurs zu wählen, der mich nicht mit diesen ... unmöglichen Kreaturen in Berührung brachte, und doch ...
Frank hielt inne, während eine kalte Hand der Furcht mein Herz zusammenpresste, dann etwas lockerließ, um wieder fest zuzudrücken.
Ich rannte im Dunkeln in eine der Frauen“ fuhr Frank fort, „Sie war warm, menschlich. Ich konnte sogar ihr Parfüm riechen – oder ich dachte zumindest, ich könnte es. Ich weiß, das ist alles Einbildung, Hedda, und doch war ich mir sicher, es roch wie Parfüm. Noch etwas: Die Arme der Frau schlossen sich um mich. Ich konnte die Rundung ihrer Brüste fühlen, konnte fühlen, wie sich ihr Kopf senkte, als ob sie vorhatte, mich zu küssen...oder ihre Zähne in mein Fleisch zu schlagen! Hedda... Mit ganzer Seele wünschte ich mir für einen Moment, dort stehenzubleiben, um zu wissen, was passieren würde! Du siehst, ich verberge nichts vor dir. Aber irgendeine innere Warnung hat mich gerettet. Ich duckte mich unter ihren Armen hinweg, und rannte, genau auf dich zu...“
Wie kann ich nur das Grauen beschreiben, das mich ergriff, als er mir diese Dinge erzählte, an die er augenscheinlich fest glaubte?
Sie werden uns umzingeln, Frank“, flüsterte ich. „Ich fürchte mich vor dem Dunkeln, aber noch mehr vor diesen Frauen. Frank – wie kann so etwas möglich sein?“
Bei Gott, ich glaube, es ist genauso geschehen, wie ich es dir erzählt habe!“
Die Lampe begann unheilvoll zu flackern.
Wir werden das Licht wieder auslöschen, um Petroleum zu sparen.“, schlug ich vor. „Wir benutzen Sie nur im Notfall. Wir müssen unsere Lampen um jeden Preis festhalten. Du weißt, der Ausgang liegt in direkter Linie zur der Stelle, zu der du gerannt bist, um die Schnur einzufangen. Das Beste, was wir tun können, ist, in diese Richtung zu marschieren. Ich bin dazu bereit, weil es nichts anderes gibt, das wir tun könnten.“
Wir löschten das Licht aus. Er hielt seine Lampe in der rechten Hand, ich meine in der Linken. Wir fassten uns an den freien Händen und begannen unsere Wanderung durch Erebus, in einer Schwärze, die tiefer war als die Finsterniss am Fuße der Brunnen von Shallajai.
[Die Brunnen werden in Burks Geschichten immer wieder mal erwähnt, es scheint sich im eine Art Insidergag zu handeln, ähnlich wie Lovecrafts Necronomicon. Siehe auch seine Erzählung „Shallajai“, Weird Tales, Juli 1950. Anm. des Übersetzters]
Frank,“ flüsterte ich, flüsterte es so leise wie möglich, weil selbst der Atem vom Echo zurückgeworfen wurde, „Was für eine Art Parfüm benutzen sie?“
Es war das süßliche Parfüm, das ich manchmal bei hiesigen Beerdigungen gerochen habe, irgendetwas aus dem Saft vieler tropischer Blüten. Das Parfüm einer „leichten“ Frau ...“
Ich weiß“, gab ich zurück, „ich habe es auch gerochen. Frank ... Ich rieche es jetzt!“
Es bestand kein Zweifel. Ich hatte eine Kirche in Barahona besucht, in die schöne einheimische Frauen kamen, gekleidet in Weiß, getränkt in ihr Parfüm. Die Höhle schien durchdrungen davon, eine übelkeiterregende süßliche Note. Sie erfüllte mich mit Abscheu. Ich konnte mir vorstellen, dass dieser Duft in der Lage war, Männern den Kopf zu verdrehen – Männern, die, sich ihrer kaum bewusst, ein starkes Verlangen nach dem Exotischen besaßen.
Ich benutze kein Parfüm. Nun wünschte ich mir sehnlichst, ich hätte es getan – hätte eins aufgelegt, das meinen Freund veranlassen würde, mich so sehr zu begehren, dass keine andere ihn wanken ließ!
Diese Stalagmiten, die Frauen so sehr ähnelten, waren Frauen! Unser Eindringen in die zeitlosen Tiefen hatten sie irgendwie entfesselt. War das so unmöglich? Was für eine Sorte Wesen hatte am Anfang aller Zeiten diese Höhlen bewohnt? Hatten sie Geheimnisse besessen, die wir nie erfahren würden? Waren sie Weiße gewesen? Hatten sie, im Bewusstsein ihres Todes, Mittel gefunden, ihre Frauen in diese weißen Säulen zu bannen, so dass sie wiederbelebt werden konnten, wenn es zu einer Katastrophe kam? Hatten wir sie aus Versehen befreit? Wenn ja, warum wendeten sie sich gegen uns? Gegen mich? Begehrten sie alle Frank Logan, mit einer Wollust, die sich seit Äonen angestaut hatte, hier, im Erebus? Und was würden sie tun, um ihre Lust zu stillen, wenn meine Mutmaßungen korrekt waren? Waren sie untot? Alterslos wie Lilith?
Meine Hand wurde fast aus der Franks gerissen. Er schrie auf. Die Echos des Schreis hallten donnernd durch die hohe, schwarze Kathedrale, die sich überallhin erstreckte. Ich brauchte keine geflüsterte Erklärung, um zu wissen, was passiert war.
Eine warme, kleine Hand hatte mein Handgelenk ergriffen. Ihr Gegenstück musste sich um Franks Handgelenk gelegt haben. Dann begannen die beiden Hände mit aller Macht zu zerren – sie versuchten, meinen Liebsten und mich zu trennen. Es misslang nur, weil wir uns aus verzweifelter Angst, auseinandergerissen zu werden, aneinander klammerten. Und doch... Es schien mir, Frank umfasste meine Hand danach mit einer gewissen Zurückhaltung.
Ich roch das seltsame Parfüm. „Ich werde dich festhalten, Frank“, flüsterte ich, „selbst, wenn sie mich töten sollten!“
Ich werde dich nie verlassen!“, hauchte er zurück, doch ich spürte einen seltsamen, schrecklichen Zweifel in seiner Stimme.
Der unsichtbare Angreifer verschwand, als ob sie – oder es – nie existiert hätte. Wir gingen weiter. Plötzlich blieben wir abrupt stehen. Wir waren gegen einen Stalagmiten gestoßen, so dass unsere umschlungenen Hände ihn berührten. Wir hatten zwei Möglichkeiten – links oder rechts herumzugehen, oder uns kurz zu trennen, um ihn so zwischen uns passieren zu lassen.
Wir zögerten. Und während wir so dastanden, fühlte ich deutlich die Wärme des Stalagmiten. Sein Körper pulsierte, pulsierte, als schlüge ein Herz in ihm – und das Pochen wurde immer kräftiger, als ob unsere Berührung den Stein zum Leben erweckt hätte.
Warte!“ sagte ich zu Frank. Ich senkte meine Lampe, holte ein Streichholz aus meiner Tasche und entzündete es mit meinem Daumennagel, ein Trick, den mir mein Bruder beigebracht hatte.
[Neben den Sicherheitszündhölzern, die man nur an der Reibefläche der Schachtel entzünden konnte, waren in den Dreißigern auch noch Allzweck-Zündhölzer weit verbreitet, die sich überall anreißen ließen. Anm. d. Ü.]
Zu meiner Linken befand sich das bleiche, furchtverzerrte Gesicht von Frank Logan.
Zwischen uns, vor unseren verschränkten Händen, stand der schneeweiße Stalagmit. Er war genau das – ein Stalagmit. Ich starrte ihn an, bis das Streichholz nur noch glomm. Es war ein Stalagmit. Es war nichts andres, konnte nichts anderes sein. Doch im Dämmerlicht der Umgebung, während ich noch konzentriert die weiße Säule musterte, nahm ich aus den Augenwinkeln unbestimmte Bewegungen wahr – als würden Geister sich sich in Totengewändern durch die Dunkelheit eines Grabmals bewegen. Ihre raschelnden Stoffe, die vage Drohungen zu wispern schienen, wühlten die Atmosphäre der Höhle auf, so dass sie überquoll vom Gestank des Parfüms.
Diese „Frauen“ schienen weder Köpfe noch Augen zu besitzen. Sie wirkten wie verschleierte Bräute, die sich selbst schüchtern verhüllten.
Das Streichholz verlosch endgültig. Die weißen Wesen überall um uns herum schienen auf uns zuzustürzen, so wie die Dunkelheit selbst auf den sterbenden Punkt des Lichtes zuzustürzen schien – und erneut, wie auf ein Signal hin, konnte ich wieder den klopfenden Herzschlag der Säule spüren, die uns aufhielt.
Ich erhaschte die Andeutung eines elfenhaften Lachens, und die Säule bewegte sich! Ob sie einfach rückwärts aus unserer Reichweite trat oder sich unter unseren Armen hinwegduckte, weiß ich nicht. Es spielte auch keine Rolle. Nun hatte ich keinerlei Zweifel mehr, so materialistisch ich sonst auch eingestellt war. Wir hatten es praktisch gesehen – eine der Stalagmiten war zur Frau in weißen Kleidern geworden, eingehüllt in ein exotisches Parfüm.
Ich sagte nichts. Frank auch nicht. Es gab auch nicht wirklich etwas zu sagen. Überall um uns herum geschah etwas grauenhaft Unmögliches. Wir wussten, es war unmöglich, genau wie wir uns sicher waren, dass wir nicht träumten.
Für gut eine halbe Stunde, obwohl uns klar war, dass die Höhle mit Stalagmiten vollgestopft war wie ein tropischer Urwald mit Baumstämmen, begegneten wir keinem einzigen, obwohl wir uns so geradlinig wie möglich bewegten. Hätten wir es darauf angelegt, hätten wir in dieser Zeit verschiedene von ihren berühren können. Die Antwort auf dies Paradox war offensichtlich. Sie mieden uns!
Ich betete, denn ich glaubte eine dieser Gewissheiten zu spüren, die Männer manchmal „weibliche Intuition“ nennen; ich war überzeugt, ich würde selbst diese Höhle niemals lebend verlassen. Was Frank Logan anging... Nun, ich würde ihn eher mit meinen eigenen Händen erschlagen als als ihn der Gnade dieser... was immer diese Kreaturen waren, zu überlassen!
Dann plötzlich stießen wir gleich mehrmals hintereinander in schneller Folge an einige der Säulen, so hart, dass unsere Hände fast auseinandergerissen wurden. Zweimal wichen wir ihnen nach links aus, zweimal nach rechts. Wir hielten nicht lange genug inne, um festzustellen, ob sie sich bewegten, ob ihre Herzen schlugen; doch eins spürten wir beide: dass ihre Körper warm waren, sich unter unserer Berührung menschlich anfühlten.
Es musste eine teuflische Absicht in diesen plötzlichen Kontakten gelegen haben, denn bald machte ich eine grauenhafte Entdeckung.
Die Hand, die ich umklammert hielt, war nicht länger die Hand von Frank Logan!
Die Nägel waren zu lang, die Finger zu fragil und schlank – und zu weich!
Doch ich schrie nicht.
Mit diabolischer Sicherheit schoss auf einmal eine weitere Hand aus dem Dunkel auf mich zu. Es war eine warme Hand, eine Frauenhand, und sie gehörte nicht zu dem Wesen, dessen Hand mich nun mit irrwitziger Grausamkeit umkrampfte. Die zweite Hand schloss sich um meinen Mund, erstickte meinen Schrei. Doch ich ließ mich nicht kleinkriegen. Ich würde diesen Furien schon zeigen, mit wem sie es zu tun hatten, mit welch einer Kämpfernatur sie sich anlegten. Ich begann, meine Zähne – die wirklich hart und stark sind – in die unsichtbare Hand zu graben. Auf meinen wilden Versuch hin hörte ich ein leises, wisperndes Lachen. Und die Harpyie hatte gut lachen, denn ich hatte in eine Steinhand gebissen, oder genauer: ich hatte es versucht, denn meine Zähne hinterließen keine Spuren. Das kieselharte Gefühl an den Zähnen erzeugte eine Gänsehaut. Blut schoss aus meinen Lippen; der grausame Stein hatte sie aufgerissen. Stein? Ja, doch ein weicher, anschmiegsamer Stein, der sich nahtlos auf meinen Mund legen konnte, so dass Schreie unmöglich waren.
Ich versuchte, mich rückwärts aus der Affäre zu ziehen. Sofort erfasste eine Hand meinen rechten Unterarm, den Arm, der immer noch die wertvolle Lampe umklammert hielt. Eine andere Hand griff nach meinem Ellenbogen. Weitere schnappten sich meine Knöchel.
Und plötzlich wurde ich getragen. Die Lampe pendelte gegen die Körper, die mich davonschleppten – pendelte gegen sie mit einem Geräusch, als ob sie gegen sprödes Gestein schlug!
Und während ich so getragen wurde, befühlten zarte und fragile Hände meinen Körper auf furchtbare Weise. Ich vernahm das kichernde, wispernde Gelächter, das klang wie nichts, das ich je zuvor gehört hatte. Das war wenig überraschend, denn nichts in dieser Höhle von Hondo Valle klang nach irgendetwas, dass ein menschliches Ohr je vernommen hatte.
Endlich, nach einer Zeitspanne, die mir wie Jahrhunderte erschien, setzten sie mich nieder. Ich wisperndes Lachen hielt an. Ihre Hände fuhren im Rhythmus ihres Lachens über meinen Körper.
Ich werde ihre grausigen, obszönen Liebkosungen mein Leben lang nicht vergessen ...
Dann ließen sie von mir ab.
Mein Kopf flog zurück, und ich schrie. Niemals ist solch ein Schrei je irgendwo vernommen worden, da bin ich sicher. Es lag Schrecken, Horror, Verzweiflung und Flehen in dem Schrei; all das fühlte ich, als ich meine Stimme erhob.
Frank! Frank! Wo bist du?“
Die Echos klangen wie Donnergrollen. Sie kamen aus allen Richtungen zu mir zurück – sogar unter mir waren sie zu hören!
Da wusste ich, warum ich mich nicht bewegt hatte, dass mich eine innere Stimme vor der Gefahr des Abgrunds gewarnt hatte.
Ich stand so da für eine Minute, bis die Echos verklungen waren. Ich wartete darauf, dass Frank Logan antwortete.
Doch es kam keine Antwort. Eine weitere Minute verging. Was war mit ihm los, dass er nicht antwortete? Dann, nachdem sich meine Kehle zugeschnürt und mich fast erstickt hatte angesichts der möglichen Antworten auf diese Frage, setzte meine Vernunft wieder ein. Natürlich würden sie ihm nie erlauben zu antworten. Sie hatten mit ihren Händen meinen Mund verschlossen, und sie würden auch ihn daran hindern, mir zu antworten.
Ich weigerte mich zu glauben, dass er vielleicht, umgeben von diesen Wesen in Weiß, aus Neugierde nicht antwortete. Hatte er nicht schon zugegeben, dass er neugierig war?
Selbst wenn – mein verzweifeltes Flehen würde durch seinen hypnotischen Zustand dringen, und er würde zu mir kommen, wenn er konnte, würde mir antworten, wenn er es vermochte. Doch sein schwerer Tritt war nirgendwo in der Höhle zu hören. Ich war nun auf mich selbst angewiesen.
Mir schien, als balancierte ich auf einem extrem schmalen Steinpfad entlang. Ich zündete ein Streichholz an, doch die Zugluft löschte es aus, bevor es richtig brannte. Ich konnte außerhalb des Lichts nichts erkennen als ewige Dunkelheit. Ich schirmte mit meiner Hand das nächste Streichholz ab.
Dann setzte ich mich auf den Boden, denn mir wurde übel, ich wurde so geflutet von lähmenden Horror, dass ich abgestürzt wäre, hätte mich nicht an dem schmalen Grat, auf dem ich saß, festgeklammert, um mich im Gleichgewicht zu halten.
Und als ich saß, entglitt die Lampe meinem Griff. Sie fiel in schwärzeste Dunkelheit. Ich lauschte angespannt für zehn Sekunden … Zwanzig … Dreißig.
Ich hörte sie niemals aufschlagen, nirgendwann, nirgendwo.
Ich dachte: Oh Gott! Ein Aufschrei allein hätte die Felsnadel, auf der ich saß, durch ihre Vibrationen abbrechen können. Diese … Diese grässlichen Kreaturen hatten mich hier zurückgelassen in der Absicht, ich möge in den Abgrund fallen und so Frank ganz ihnen überlassen.
Fantastisch? Natürlich. Unmöglich? Ganz sicher. Wenn Sie das denken, dann haben Sie sich niemals in Ihren Alpträumen an eine fragile Felsnadel über einem bodenlosen Abgrund geklammert, sonst würden Sie dieser unglaublichen Geschichte vielleicht doch Glauben schenken.
Ich kroch. Endlich fühlten meine Hände nicht mehr nur Leere links und rechts von meinem Körper. Ich keuchte wie ein erschöpfter Langstreckenläufer. Ich würgte. Mir war hundeelend. Ich drehte mich auf den Rücken und fluchte eine Minute lang wie ein Kerl. Dann stand ich auf und begann langsam in die Richtung zu gehen, aus der ich verschleppt worden war. Ich war tödlich entschlossen. Wenn ich in einen andren Abgrund taumelte – na schön. Ich konnte schließlich nicht im finsteren Erebus sitzen und flennen. Wenn diese schaurigen weißen Biester Frank Logan haben wollten, dann würden sie um ihn kämpfen müssen.
Als ich weiterging, rief ich immer wieder seinen Namen. Die Echos kamen zu mir zurück – aus jeder Richtung außer von unten. Momentan schien also kein Abgrund in der Nähe zu sein, doch ich war sicher, dass es jede Menge andre geben musste.
Endlich, nachdem alle Richtungen zu einer verschmolzen waren, als ich nur noch eine körperlose Wesenheit war, die sich durch stygische Finsternis bewegte, ungeleitet vor jeglichem Licht, nicht einmal dem der Phantasie, hörte ich etwas: das summende Flüstern von Frauen, Stimmen, die erfüllt waren von vager, einschmeichelnder Zärtlichkeit.
In meiner Einbildung sah ich weiche Hände, die mit den Haaren und Wangen meines Liebsten beschäftigt waren, während hinter ihnen andere Frauen warteten, Frauen mit sich sehnenden Händen, die sich öffneten und schlossen.
Ich hörte eine Stimme sagen: „Mein Gott! Oh mein Gott!“
Es war Entsetzten – und ein schreckliches Verlangen – in Franks Stimme! Ich schrie und stürze vorwärts.
Ich glaube, es war das Wissen um dies unaussprechlich Entsetzliche, das mit Frank passierte, das mich die vielen tausend Echos von überall her ignorieren und mich direkt in die dichte Masse der Frauen in Weiß rennen ließ.
Ich war mordlustig, furchtlos, durchdrungen von dem Wunsch zu zerreißen, zu verstümmeln, zu zerstören. Ich machte Frank keine Vorwürfe, denn Männer waren schwach. Sie waren schwach, seit es sie gab, und sie würden es bleiben, solange sie auf Erden weilten.
Die Wesen, die Frauen in Weiß, die erwachten Stalagmiten, was immer sie sein mochten – sie waren schuld. Und sie würden dafür bezahlen.
Ich war nun absolut ruhig. Hätte es nur eine dieser Kreaturen gegeben, die Frank Logan gefährlich geworden waren, nur eine einzige – ich hätte dieses Wesen umschlungen und wäre mit ihm in den Abgrund gesprungen, um Frank zu retten.
Diesmal, als ich ihre warmen Körper berührte, fühlten sie sich nicht an wie spröder Stein. Wenn sie jemals Stalagmiten gewesen waren – jetzt waren es keine mehr. Es waren Frauen. Frauen, die aufrechten Sarkophagen entstiegen waren, in denen sie seit tausenden von Jahren geruht hatten? Vielleicht. Ich wusste es nicht, und es war mir auch egal. Frauen waren Frauen, ihr Alter spielte keine Rolle. Sie waren unersättlich. Sie nahmen, was sie kriegen konnten. Sollte mir recht sein, solange sie nichts nahmen, was mir gehörte. Und Frank Logan gehörte mir. Er hatte es selbst gesagt.
Meine Hände griffen in feingewobene Kleider. Ich riss sie auseinander. Ich fühlte warmes weibliches Fleisch unter meinen Händen, Körper, Brüste, Gesichter.
Dein Gesicht wird keinen Liebhaber mehr bezirzen!“ schrie ich, und grub meine Fingernägel hinein. Hände grapschten nach mir. Menschliche Hände, nicht aus Stein. Das Parfüm, das an ihrer Kleidung haftete, stieg mir in die Nase. Die Frauen waren überall.
Ich hörte Frank hilfesuchend flüstern: „Hedda!“
Für mich war er in diesem Moment nur ein Kind – ein Kind, das meinen Schutz brauchte.
Ich watete zu ihm durch. Männer besitzen oft eine gewisse Ritterlichkeit, wenn sie sich mit Frauen anlegen – Frauen kennen solche Zurückhaltung nicht. Und je schwächer die Frau ist, von der sie sich bedroht fühlen, desto hasserfüllter wenden sie sich gegen die andere Frau – denn sie wissen, dass gerade diese Schwäche für den Mann attraktiv und damit für sie umso gefährlicher sein konnte.
Endlich befand ich mich inmitten eines Knäuels verschiedener Kreaturen, die neben Frank zu knien schienen. Ich bückte mich und zerrte sie weg. Mir schien, einige waren nackt, aber ich bin nicht ganz sicher. Auf jeden Fall waren es ihre Schultern.
Doch nun fand ich heraus, dass ich mich geirrt hatte - dass die Art ihres Verlangens anderer Natur war als vermutet. Ich spürte es, als meine Hände über Franks Körper glitten.
Frank Logan war fast tot! Kein Wunder, dass er stöhnte! Diese Frauen in Weiß hatten sein Blut aus einem Dutzend verschiedener Wunden gesaugt, zehrten sein Leben, seine Seele auf. Vampire? Ich glaube nicht an Vampire. Außerdem, wenn es nur das gewesen wäre, hätten sie auch mein Blut genommen. Was dann? Es gab kein Mittel herauszufinden, was sie zu ihrer Blutorgie inspirierte, sie sprachen keine Sprache, die ich kannte. Sie wisperten nur, leise, verstohlen; und dies Geflüster verriet mir endlich, was ich auch früher schon hätte ahnen können: sie flüsterten, weil sie im Laufe der Äonen herausgefunden hatten, dass Geflüster hier deutlicher zu verstehen war als die lautesten Rufe.
Die Frauen wichen vor mir zurück. Ich warf mich über Frank. Ich massierte seinen Kopf, schlug ihm ins Gesicht. Er ächzte und murmelte vor sich hin.
Frank! Frank!“, rief ich. „ich habe die Schnur gefunden! Ich bin darüber gestolpert, auf dem Weg zu dir!“
Das stimmte. Doch ich hätte es auch gesagt, falls es nicht wahr gewesen wäre, wenn es nur dazu gedient hätte, ihn aufzurütteln und seine Lebensgeister zu sammeln. Er grunzte, stellte undeutliche Fragen. Ich schlug ihm erneut ins Gesicht.
Ich konnte sie fühlen, die Frauen, wie sie um uns herumwuselten. Doch sie blieben auf Distanz, weil sie die Schärfe meiner Krallen gespürt hatten. Sie hätten angreifen können, hätten mich überwältigen können wie kurz zuvor. Ich glaube inzwischen, dass sie mich aus abergläubischer Furcht verschonten, weil ich nicht, wie sie gehofft hatten, in den Abgrund gestürzt, sondern zurückgekehrt war, zurückgekehrt durch die Finsternis, zu ihnen, wie eine der ihren, zu ihnen, die blind waren und begabt mit der Fähigkeit der Blinden, sicher ihren Weg zu finden.
Ich kenne den Grund nicht, fest steht, sie hielten sich zurück. Ich bekam Frank letztendlich auf die Füße und begann mit ihm loszugehen, ihn mit einem Arm stützend, während der andere sich an der Schnur entlangtastete. Es gab keine Möglichkeit, seine Lampe zu entzünden und zu verwenden, nicht, bevor Frank sein Bewusstsein völlig wiedererlangt hatte.
Und die ganze Zeit begleiteten sie uns, die Frauen in Weiß; still wie Gespenster umschwebten sie uns links und rechts, immer knapp außer Reichweite, vor uns auseinanderweichend, sich hinter uns vereinend, während wir schneller und schneller dem Ausgang zuhasteten, von dem wir nun mit Sicherheit wussten, dass wir ihn finden würden.
Ich kann sie bis heute nicht erklären, diese Frauen in Weiß. Denn bald gab es wieder viele der Stalagmiten, die sich überhaupt nicht bewegten, Stalagmiten, die wir umrunden mussten während unserer Wanderung in die Freiheit, hinaus ins himmlische Sonnenlicht.
Wir knieten nieder, dort im ersten Lichtschimmer, fielen auf die Knie und dankten den Göttern – welche von ihnen auch immer uns befreit haben mochten.
Immer noch knieend, schauten wir zurück. Es gab keine Frauen in Weiß mehr. Wir fragten uns in diesem Augenblick, ob wir sie uns nicht allesamt eingebildet hatten. Wir waren uns nicht sicher – wir bezweifelten so ziemlich alles, was wir erlebt hatten. Außer, dass wir uns liebten, und dass wir frei waren.
Doch auf meinen Körper waren die Kratzer vieler Fingernägel zu sehen – und auf Franks die Abdrücke gieriger Zähne.

Arthur J. Burks
Women of Stone
Dime Mystery Magazine, Juni 1935
Übersetzung: Matthias Käther © 2020




Laurence Kirk: Dr. Macbeth (1940)

Heute möchte man es kaum noch glauben: Die „Cosmopolitan“ war mal ein richtig gutes Literaturmagazin! Bereits im 19. Jahrhundert gegründe...