Eine Geschichte über ein Gespenst beim Zahnarzt - Tudor Jenks war Kinderbuchautor, veröffentlichte aber zuweilen auch Geschichten in so legendären Pulps wie "Argosy", dem ersten Pulp-Magazin überhaupt.
Solange das Leben ohne besondere
Vorkommnisse vor sich hin gleitet, quasi auf spiegelglatter
Oberfläche, sind Männer meines Schlages sehr zufrieden. Tumulte,
Schlägereien, Abenteuer und aufregende Ereignisse langweilen mich
unsäglich. Wenn das Schicksal mich zum Revolutionär oder Feldherrn
gemacht hätte, wäre ich wahrscheinlich sehr bald ausgestiegen, um
meine Ruhe zu haben. Doch ich bin nichts dergleichen. Vorn an meinem
Haus steht „Dr. Med.“, und hinten im Haus steht ein
Behandlungsstuhl, der für die Unglücklichen reserviert ist, denen
kalte und heiße Drinks, Zucker oder andere schmelzfeindliche
Substanzen übel mitgespielt haben.
Sie ahnen es: Ich bin Zahnarzt. Und ich
bin genervt - ausgerechnet ich mußte unfreiwillig die Hauptrolle in
einer ekelhaften Horrorgeschichte spielen.
Also nicht was Sie vielleicht denken.
Der elektrische Bohrer ist nicht abgerutscht und hat sich in das Hirn
eines Patienten gefressen. Ich habe auch niemanden unter der Narkose
verloren, der mich dann als Geist heimsuchen kam.
Um einen Geist geht es schon. Aber es
war nicht auch nicht der Geist eines Freundes oder auch nur eines
Bekannten.
Es war ein mir völlig unbekanntes
Monster. Und es hatte keine wirklich gute Begründung für sein
Erscheinen. Ach ja, und dann tauchte das Scheusal auch noch außerhalb
der Sprechzeiten auf.
Aber von vorn.
Ich hab spät gearbeitet, an einem
komplizierten Gebiß, als ich ein Grabesstöhnen aus dem
Behandlungszimmer dringen hörte. Es war hundertprozentig ein
Grabesstöhnen. Leute wie ich kennen sich mit Gestöhn aller Art gut
aus.
Ich schaute in den dunklen Raum und
sagte: „Hallo...?“
Der Stöhnen kam wieder. Ich trat ein
und riß die Augen auf. Ich sah eine wabernde grünliche Lichtfigur
hin- und herwanken, direkt neben den Kunsttoff-Falttüren vor dem
Behandlungs-Stuhl. Das Ding mußte mich erblickt haben, denn nach
einem weiteren schaurigen Stöhner sagte es:
„Ohhh...Sie sind doch Zahnarzt,
oder?“
„Genau,“ sagte ich, „worum geht’s
denn?“
„Ohhhh! Ohhhh!“ wiederholte es,
sich nähernd, „Ich ich habe schreckliche Zahnschmerzen! Ohhhh!“
„Das... ist ein Witz, oder?“ fragte
ich todernst. „Falls ja, lach ich morgen drüber. Was soll der
Schwachsinn mit übernatürlichen Zahnschmerzen? Spuken Sie bei einem
Süßwarenhersteller. Oder einem Koch. Äh... Sie sind...waren doch
kein Ex-Patient von mir, oder?“
„Neeieein!!“ heulte mein Besucher.
„Aber Sie sind der nächste Zahnarzt. Und...huuuuhhh...das ist
schlimmer als der Tod!“
„Aber...Sie...ha...ha...haben keine
Macht über mich!“ behauptete ich kühn. „Geister suchen doch
immer Typen heim, die es auch verdienen. Ich hab mir nichts
zuschulden kommen lassen. Alle meine Patienten sind am Leben.
Ähm...wie wärs mit einem von diesen Tierversuchsfritzen? Und
überhaupt - wenn Sie wegen einer Behandlung kommen, sind Sie zu
spät. Es ist lange nach der Sprechzeit. Haben Sie mein Schild nicht
gelesen?“
„Doch!“ erklärte mein grüner
Besucher, und in seiner Stimme klang etwas Triumphierendes mit, „ich
hab Ihr Schild gelesen, und deshalb hab ich auch
Macht...autsch...über Sie!“
„Hä? Was faseln Sie da?“
„Kommen Sie mal mit!“ forderte der
Geist mich auf, in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Ich
folgte ihm – seltsam unfreiwillig...
Er wallte zur Haustür, die sich
geräuschlos auf sein Nähern hin öffnete. Das Gespenst postierte
sich demonstrativ vor der Tür und zeigte dramatisch auf mein Schild.
Der Geste gehorchend las ich die fatalen Worte:
ZÄHNE WERDEN SCHMERZLOS ENTFERNT!
„Na und“? fragte ich unbehaglich.
„Tja“, sagte der Geist, „wegen
dieser frechen und schamlosen schamlosen Lüge nehm ich mir das Recht
raus...äh...hier zu spuken.“
„Aha. Verstehe“, gab ich zurück.
„Aber Sie machen den typischen Fehler der meisten Patienten. Sie
verallgemeinern. Das Schild ist korrekt. Es sagt nicht, dass ALLE
Zähne schmerzlos entfernt werden können. Aber es gibt durchaus
Zähne, auf die das zutrifft.“
„Ach wirklich?“ fragte der
bedauernswerte Geist, der inzwischen wieder seine Hand an die Wange
gelegt hatte und sich vor- und zurückwiegte. „Und was sind das für
Zähne?“
„Milchzähne.“
„Oh nein!“ kreischte das Gespenst.
„Also: Was soll ich ihrer Meinung nach tun?“ Erneut ein Stöhnen
voller Pein und Verzweiflung.
„Jetzt mal Im Ernst.“ Mein
professioneller Stolz erwachte plötzlich, „Sie sehen, es ist
zwecklos, mich einschüchtern zu wollen. Und obwohl ich Zahnarzt bin,
bin ich doch nicht gänzlich abgestumpft gegen menschliches...äh ich
meine unmenschliches Leid. Wenn Sie geruhen würden, in den
Behandlungsstuhl zu fließen... dann gucke ich mir die Bescherung mal
an.“
Ich folgte dem grünen Gewoge, als es
in den Raum zurückwolkte und sich auf meinen bequemen und fröhlichen
roten Polstern im Zahnarztsessel verbreitete. Ich schnippte den
Schalter an, und der Raum wurde von elektrischem Licht durchflutet.
Dann wandte ich zu meinem Patienten um.
Der Stuhl war leer!
„Gott der Allmächtige!“ entfuhr es
mir ungeduldig. „Es ist weg!“
Doch sofort hörte ich einen weiteren
Schmerzensseufzer.
„Ah, Sie sind noch da... oder?“
„Klar bin ich noch da“ ächzte das
Ding. „Unsichtbar im Licht...schon mal gehört?“
Ich schaltete das Licht aus und sah die
wabrige Substanz wieder im Stuhl blubbern.
„Also, ja, dann...wolln wir mal
sehen...“ seufzte ich, „schön weit aufmachen, den Mund.“
Der Mund wurde geöffnet, und es sah
aus, als würde sich ein Rauchring langsam vergrößern.
Dann, nach sorgfältiger Musterung sah
ich im Dämmerlicht den üblen Burschen. Oder das, was von ihm übrig
war. Eine bildschöne Zahn-Ruine.
„Tjaja“ , murmelte ich. „Das ist
kein Staatsakt. Das haben wir in einer Minute draußen, mein
Verehrtester...“
„Sir! Autsch!“ unterbrach der
Geist.
„Verehrtester Sir!“ beeilte ich
mich zu beschwichtigen. „Verehrtester“ pflegte ich ebenso
beruhigend wie gedankenlos zu meinen Patienten zu sagen, während ich
die speziellen erforderlichen Zangen arrangierte – in diesem Fall
für einen rechten vorderen Backenzahn.
„Jetzt geht’s los!“ Verkündete
ich, die Instrumente griffbereit auslegend. „Lassen Sie mich sehen,
wo er war...“
Ich schnappte nach dem Zahn, doch zu
meiner Überraschung stieß die Zange auf keinerlei Widerstand und
rutschte glatt durch die neblige Wange. Im selben Moment schloß der
Geist jaulend die Kiefer, und das Instrument verschwand fast völlig
in seinem Kopf.
Zum ersten Mal während der Behandlung
war ich ein ganz kleines bißchen neben der Spur.
„Das... ist vertrackt!“ krächzte
ich. „Ehrlich gesagt, ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich Sie
behandeln soll. Ich kann nichts greifen. Ich kann keinen Phantom-Zahn
ziehen, wissen Sie?“
„Ich hab sowas geahnt!“ röchelte
die unglückselige Kreatur, und eine Wolke nebliger Tränen
entströmte seinen ektoplasmischen Augen. „Was soll ich denn jetzt
– au!- machen? Muß ich unzählige Jahre lang diese Höllen-Tortur
durchmachen? Selbstmord wäre eine Lösung...Wenn ich nicht schon tot
wäre...“
Das war sicher eine sehr schwierige
Situation, und ich zerbrach mir den Kopf, wie ich meinem Patienten
Erleichterung verschaffen könnte. Doch der Geist kam mir zuvor.
„Ich habs!“ rief er aus. Sie müssen
Ihre Zange transzendieren!“
„Ich bin Doktor der Zahnmedizin, kein
Philosophieprofessor.“
„Ich meine, Sie müssen sie
vergeistifizieren!“
„Vergeistiwas?“
„Das ist es!“ jubelte der Geist.
„Haben Sie einen Schmelztiegel?“
„Klar doch. Mehrere.“
„Sehr gut. Werfen Sie die Zange in
den Tiegel. Verdampfen Sie sie, und sie wird auf meiner geistigen
Ebene sein.“
„Hm, wir könnten es zumindest
versuchen,“ antwortete ich.
Und so gingen wir ins Labor. Ich
deponierte die Zange in meinem größten Schmelztiegel und stülpte
eine Glasglocke darüber, um die Dämpfe aufzufangen.
Ich schraubte den Bunsenbrenner auf
volle Stärke, und binnen kurzer Zeit wurde ich mit dem Anblick
belohnt, wie meine Zange ihren Glanz, ihre Härte und ihre Form
verlor und schließlich schmolz. Einige Minuten später sah ich einen
metallischen Nebel in der Glasglocke kondensieren.
„Aha!“ rief der Geist (er war
unsichtbar wegen des Lichts), „lassen Sie mich das nehmen. Machen
Sie das Licht aus, bitte“.
Ich tat wie geheißen, und sah, wie der
Geist seine Schattenhand unter das Glas steckte und die vage
wabernden Zangendämpfe ergriff.
„Jetzt“, fuhr das Gespenst freudig
fort, haben wirs.“ Und er ging mir voran zum Behandlungsstuhl, und
saß bereits drin, bevor ich auch nur in der Tür stand.
„Hier!“ sagte er, mir die
geisterhafte Zange entgegenstreckend.
Ich griff danach und versuchte sie zu
nehmen, doch sie hatte keinerlei Substanz, und meine Hand schloß
sich leer um heiße – sehr heiße! - Luft.
„Autsch!“ sagte nun ich mal zur
Abwechslung. „Ich kriege das Ding nicht gehalten!“
„Verdammte Pechsträhne!“ kreischte
der Geist, das Instrument wütend von sich schleudernd. Worauf hin
die Zange friedlich davonschwebte. Der Geist rieb sich sein
schmerzendes Kinn.
„Moment mal!“ schlug ich vor, nach
einem grüblerischen Augenblick, „warum ziehen Sie sich das Ding
nicht selbst raus?“
„Bei allen Glockenaschlägen der
Mitternacht – und ob ich das werde!“ stöhnte das leidende
Gespenst herzlich.
Es waberte in Richtung des schwebenden
Instruments, grapschte danach und kehrte in den Stuhl zurück.
„Wie...äh...macht man das?“ fragte
es.
„Oh, ganz einfach!“ antwortete ich
ungeduldig. „Das ist keine Hexerei. Finden sie einen guten
Angriffspunkt, und dann reißen Sie, was das das Zeug hält.“
„Aber...wird es nicht wehtun?“
fragte der Schatten.
„Klar, höllenmäßig“, gab ich
leichthin zurück. „Meistens jedenfalls. Aber das muß Sie jetzt
nicht weiter beunruhigen. Sie sind jetzt der Zahnarzt, und Sie müssen
nicht über den Patienten nachdenken.“
„Das klingt nach einem guten Tipp“,
jammerte des Wesen wehmütig,“ vorausgesetzt, Patient und Zahnarzt
sind nicht dieselbe Person. Naja, ich vermute mal, da muß ich jetzt
durch.“
Und mit diesem Worten setzte die
wabernde Gestalt die vergeistigte Zange an und zog mit all seiner
nebelhaften Stärke.
Die Operation war nach einer Minute
vorbei, und sie war vollständig erfolgreich. Es dauerte nicht lange,
bis das Gespenst sein munteres Wesen zurückerlangt hatte.
Es lehnte sich behaglich zurück in
meinen Stuhl und war geneigt, ein wenig zu plaudern.
„Wenn diese letzte Idee nicht
funktioniert hätte, raunte es versonnen, „wären da noch zwei
andere geblieben, ich ich ausprobiert hätte.“
„Tatsache?“ fragte ich mit einem
Gähnen, denn die Nacht war inzwischen ziemlich weit fortgeschritten.
„Ja. Ich hätte zum Beispiel aus
Ihnen einen Geist machen können.“ bemerkte das Wesen mit einem
rötlichen Glimmen von teuflischem Humor in seinen
phosphoreszierenden Augen.
„Könn...könnten Sie das wirklich?“,
stotterte ich, während die zweite kalte Woge dieser Nacht mein
Rückgrat entlangwanderte.
„Ohne Probleme“, meinte der Geist.
„Sie fänden es wahrscheinlich gar nicht so übel, wenn Sie
erstmal... Also ich könnte jederzeit, wenn Sie wollen...“
Ich unterbrach ihn hastig.
„Und der zweite Plan?“
„Ich hätte den Geist eines Zahnarzts
finden können. Das ist nun wieder nicht so einfach. Man hätte ein
bißchen recherchieren müssen, denn wir kennen uns auf dem Friedhof
hauptsächlich durch die Inschriften auf den Grabsteinen, da steht
nichts über Zahnärzte, jedenfalls soweit ich feststellen konnte.
Ich hätte all die – ähm... Versammlungsorte abklappern müssen,
sogar die Krematorien...“
„Na egal“ unterbrach ich. „Es ist
fast Morgen, und ich könnte eine Mütze voll Schlaf gebrauchen. Also
wenn Sie freundlicherweise die Operation bezahlen würden, und...“
„Was für eine Operation?“ fragte
der wabernde Schurke mit bewunderungswürdiger Unschuld.
„Extraktion eines Zahns“ antwortete
ich fest.
„Ach ja?“ höhnte der Geist. „Ich
werde ganz bestimmt für nichts bezahlen, das ich selbst gemacht
habe. Was für eine Frechheit!“
Dieses Argument verunsicherte mich.
„Aber...aber...“ faselte ich, mich
für einen Angriff sammelnd, „Ich habe Ihnen mit fachärztlichem
Rat zur Seite gestanden!“
„'Finden Sie einen guten
Anhaltspunkt, und reißen Sie, was das Zeug hält'? Ist das ihr
fachärztlicher Rat?“ Das Wesen lachte hohl.
„Zumindest“, schnaubte ich, vor
Ärger fast platzend, „bezahlen Sie mir die Zange, die ich
vergeistifiziert habe!“
„Hm, da mag was dran sein an der
Forderung“ gab das grünliche Monster zu, „aber selbst wenn ich
das einräume, sehe ich keinen Weg, um Sie zu bezahlen – da sind
keine Taschen im Leichenhemd, wissen Sie?“ Erneut das nervtötende
Lachen in der Lautstärke eines Nebelhorns.
„Sie...sind ein ganz ordinärer
Schwindler“, explodierte ich, meine Faust vor seinem Gesicht
schüttelnd.
„Na los, haun Sie mich durch – sie
werden glatt durch mich durchhauen!“ Er lachte über seinen
Kalauer. „Wenn das Ihre Gefühle erleichtert – bitte! Ich
versichere Ihnen – das macht mir nicht das Geringste aus. Und nun
mal im Ernst – Sie müssen zugeben, dass ich alles andre bin als
ein ordinärer Schwindler, denn Geister sind ziemlich ungewöhnliche
Scharlatane. Na schön, ich werde Sie entlohnen, und ich weiß auch
schon wie. Schließlich haben Sie sich um mich gekümmert, auch wenn
Ihr offensichtliches Motiv merkantiler Natur war. Ich werden Sie zum
Dank in etwas einweihen, das Ihnen ein großes Vermögen bescheren
wird. Also hören Sie...“
Der bleiche Nebel rollte aus dem Stuhl
und waberte auf mich zu. Ich war beeindruckt von der unheimlichen
Intensität der Augen dieses Dings, und lauschte atemlos.
„Direkt unter der Washington Bridge,
im Harlem River, ist etwas vergraben, das...“
Doch da ertönte plötzlich ein ferner
Hahnenschrei vom Hof unseres hühnerbesessenen Nachbarn, und mit
einem finalen Kreischen – keine Ahnung, ob es Angst oder Hohn
bedeutete – verschwand der Geist.
Am nächsten Tag hängte ich das Schild
ab.
Originaltitel: A supernatural swindle
Argosy 1899/2
Argosy 1899/2
Übersetzung © Matthias Käther 2018
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