Es
war ein kleiner, unaufdringlicher Laden in der Park Avenue, im
Bereich der unteren Fünfziger-Straßenkreuzungen.
Schon
aus diesem Grund wurde er zum täglichen Beobachtungsobjekt von Henry
Bobbet Crimp. Henry Crimp pflegte die sieben Blocks der Park Avenue
vom Hauptbahnhof bis zu seinem Antiquitätengeschäft seit vielen
Jahren auf- und abzulaufen. Henry hatte einen ausgeprägten Sinn für
Details, und so behielt er die Dinge entlang seiner Route gut im
Blick.
Wenn
Madame Jeanne ein neues Kleid in ihrem Schaufenster platzierte,
unterwarf er es jedesmal einer ausgiebigen Kritik, auch wenn er
Madame Jeanne noch nie getroffen hatte und auch nicht das Bedürfnis
verspürte, es jemals zu tun. Wenn T. Carrozotti die Auslagen seines
Süßwarengeschäfts neu arrangierte, musterte er sie ausgiebig und
zollte dem Konditor stille Bewunderung.
So
wusste er natürlich vom leeren Laden an der 50. Straße, just an der
Westseite des Parks, und entsprechend angenehm überrascht und
beeindruckt war er, als er eines Morgens entdeckte, dass er vermietet
worden war.
Denn
Mr. Crimp befürchtete ständig eine Rezession, die er längst
überfällig glaubte, und leere Schaufenster flößten ihm ein vages
Unbehagen ein.
Er
blieb stehen, um die dezenten goldenen Buchstaben zu betrachten, mit
denen das Fenster beschriftet war. Sie informierten ihn darüber,
dass ein Samuel Hobart den Laden übernommen hatte. Mr. Crimp
beglückwünschte Mr. Hobart – quasi per Gedankenübertragung –
wegen seines Muts, so eine bedeutende Geschäftsverpflichtung
eingegangen zu sein, dann schweiften seine Augen hinunter, um zu
erkunden, was das Schaufenster enthielt.
Einen
Stein.
Nichts
weiter als einen großen, grauen Felsbrocken, ein wenig vom Glas
zurückgesetzt, ruhend auf einer recht niedrigen Plattform,
vermutlich damit seine raue Oberfläche das teure Teppichmaterial
nicht beschädigte.
Eine
blitzweiße Karte lehnte an dem hässlichen Ding. Geschrieben mit
derselben dezenten Schriftart wie auf dem Schaufenster stand dort:
Wunsch-Stein,
3.000,-
Mr.
Crimp war schockiert, und das gleich doppelt. Zum einen verletzte der
grässliche Stein sein feinsinniges artistisches Empfinden, und
zweitens beleidigte die Preisgestaltung seinen eigenen Geschäftssinn.
Samuel Hobart war ein Verrückter, beschloss er. Oder er war
zumindest exzentrisch über alle schicklichen Grenzen hinaus. Eine
seltsame Geschichte – wirklich!
Er
registrierte, dass der Laden ansonsten nur spärlich ausgestattet und
karg möbliert war. Der Stein schien Mr. Hobarts einziger
Handelsartikel zu sein. Abgesehen von einer Stehlampe und zwei
Ohrensesseln war das Geschäft leer.
Langsam
setzte Mr. Crimp seinen Weg fort. Bald erreichte er sein eigenes,
hervorragend ausgestattetes Geschäft, dessen prosperierende Aura
sein Herz erwärmte. Doch am späteren Nachmittag fand er neue
Ursache, Mr. Hobart zu grollen. Er entdeckte, dass sein Geist immer
wieder hartnäckig zum neuartigen Unternehmen des Kollegen in der
Park Avenue zurückkehrte und seine eigenen Probleme völlig hin den
Hintergrund drängte. Und er spürte, dass seine Probleme eigentlich
Vorrang hatten, erstens, weil sie älter und zweitens weil sie
dringlicher waren. Sie wollten überdacht werden und hatten dazu eine
größere Berechtigung als die dämliche Frage, wie ein Mann
ernsthaft erwarten konnte, einen Felsbrocken von der Größe eines
Schreibtisches für dreitausend Dollar zu verkaufen.
Mr.
Crimps Probleme hatten zu tun mit einem kürzlich entdeckten Mangel
im Besitztitel seines Westchester-Anwesens. Es war keins der großen
Anwesen, wie sie die hiesige Gegend beherrschten, aber auch nicht
grade eine Bauernhütte, und es war genau das Richtige für Henry und
Bella Crimp, die mit einer Handvoll Bäumen und ein paar
Quadratmetern Rasenfläche, auf denen man eine Sonnenuhr aufstellen
konnte, zufrieden waren.
Einer
der wenigen Fehler, die Mr. Crimp in seinem Leben begangen hatte, war
das Versäumnis, sich von seiner zuständigen Behörde eine
Beglaubigung des Titels geben zu lassen. Und so beanspruchte, als der
Mangel im Titel entdeckt wurde, ein Nachbar einen beträchtlichen
Teil des Crimpschen Rasens vorm Haus. Mr. Crimp befand sich in einer
verzwickten Situation, denn sein Nachbar besaß einen sehr klar
verfassten Besitztitel und noch dazu eine große Firma, die ihm den
Rücken stärkte. So hatte Mr. Crimp bei einem Anwalt Zuflucht suchen
müssen, was ihn nicht davon befreite, weiterhin mit derselben Sorge
auf die Angelegenheit zu blicken wie vorher.
Klar,
dass es Mr. Crimp ärgerte, von Gedanken an einen Wunsch-Stein
abgelenkt zu werden.
Er
drängte ihn resolut aus seinem Sinn, doch an diesem Nachmittag auf
dem Weg zum Hauptbahnhof und zum Fünfuhrsechsunddreißig-Zug
ertappte er sich dabei, wie er mit Ungeduld zum neuen Laden eilte, um
nachzusehen, ob der Stein noch da war.
War
er.
Mr.
Crimp starrte ihn an, schüttelte den Kopf missbilligend und zog
weiter, um seine Bahn zu erwischen. In dieser Nacht erzählte er
Bella davon, doch sie war zu abgelenkt durch die Sorgen über den
fehlerhaften Titel, und ihre Reaktion fiel sehr schwach aus.
Eine
Woche verging, in der Mr. Crimp zweimal täglich an dem absurden
Felsen vorbeispazierte. Und gegen Ende der Woche war er überrascht,
um nicht zu sagen leicht amüsiert, als er entdeckte, dass sich seine
Haltung dem Brocken gegenüber geändert hatte. In gewisser
Hinsicht hatte dieser Stein Persönlichkeit. Auf unbestimmte Art
bemitleidete Mr. Crimp den Felsen, der gezwungen war, in dieser
unpassenden Umgebung herumzuhocken – so fremd in der Park Avenue,
wie Madame Jeannes Kleidershop es in einem Kanadischen Holzfällercamp
gewesen wäre.
So
empfand er in der Mitte der nächsten Woche, als er Sam Hobarts Laden
betrat, um seine Neugier zu befriedigen, ein gewisses moralisches
Recht dazu. Er kam hier nicht herein als idiotischer Kunde, der auf
das reinfiel, was man in der Fachsprache als „Nepp“ bezeichnete.
Sein Eintritt war gerechtfertigt durch längere Bekanntschaft.
Zumindest suggerierte ihm dies sein Unterbewusstsein. Ansonsten hätte
er sich natürlich niemals gestattet, Sam Hobart zu besuchen.
Der
Mann, der durch eine Vorhangöffnung heraustrat, als Mr. Crimp
hereinkam, war groß, sehr gut gekleidet und von exzellenter
Erscheinung. Er lächelte und fragte: „Guten Tag, kann ich Ihnen
helfen?“
„Mein
Name ist Crimp, Henry Bobbert Crimp. Ich besitze einen
Antiquitätenladen weiter nördlich in der Straße. Vielleicht haben
Sie ihn bemerkt.“
„Das
habe ich wirklich. Ich bin Sam Hobart – ganz zu Ihren Diensten.“
Mr.
Crimp suchte nach Worten. Er hatte nicht bedacht, wie schwierig es
sein würde, seiner Neugier einen formalen Ausdruck zu geben.
„Ich
… Ich komme hier oft vorbei auf meinem Weg zum Zug. Ich habe …
Ihren … Stein bemerkt. Und mich gefragt, was das ist.“
Sam
Hobarts Antwort war direkt, doch in keiner Weise unverschämt.
„Die
Karte ist doch selbsterklärend. Das Objekt ist ein Wunsch-Stein.“
„Ah
ja. Aber ... ich … ich verstehe nicht ganz …“
„Es
ist ziemlich einfach. Man setzt sich drauf und wünscht sich etwas.“
Sam
Hobart zuckte mit den Achseln. „Der Wunsch geht in Erfüllung. Ein
sehr nützliches Utensil für jedes Heim.“
Das
war ein bisschen zu viel des Guten – wenn man es so unverblümt
serviert bekam.
„Ach,
kommen Sie“, lächelte Mr. Crimp. „Das glauben Sie doch selber
nicht.“
Sam
Hobarts Augen weiteten sich ein bisschen – das war alles, doch es
war genug. Sein Blick verriet für einen Moment eine gewisse höfliche
Amüsiertheit, eine verwirrend unbeteiligte Amüsiertheit für einen
Mann, der darauf aus war, einen Dreitausend-Dollar-Stein zu
verkaufen.
„Das
ist keine Frage von Glaube oder Unglaube. Man bezweifelt ja auch
nicht die Existenz, von, sagen wir mal, dem Mond. Man kann ihn sehen.
So einfach ist das.“
„Nicht
ganz“ entgegnete Mr. Crimp, der sich für recht gewitzt hielt. „Man
kann nicht … Ich meine, den Mond zu sehen ist etwas ganz anderes
als sich auf einen Stein zu setzen und sich etwas zu wünschen.“
„Überhaupt
nicht!“ Sam Hobart nahm Mr. Crimp sanft beim Arm und führte ihn
sieben Schritte nach rechts. „Setzen Sie sich! Bitte!“, sagte er,
immer noch mit dem milden Amüsement eines Erwachsenen, der mit einem
Kind spricht. „Jetzt denken Sie an ihr drängendstes Problem und
äußern das Bedürfnis, dass es zu Ihren Gunsten gelöst wird.“
Das
konnte Mr. Crimp ohne große Konzentration. Um genau zu sein, er wäre
gar nicht in der Lage gewesen, es nicht zu tun, so sehr bedrängte
sein Problem das Gemüt.
Sam
Hobart gab ihm keine Chance, ein ungebührliches Betragen zu
demonstrieren, etwa indem er frivol vom Stein aufsprang. Nach einer
Weile zog er Mr. Crimp behutsam hoch, ganz so, wie ein Zahnarzt
seinem Patienten aus den Tiefen seines Zahnarztstuhls aufhelfen
würde.
Mr.
Crimp hatte sich noch nie zuvor so dämlich gefühlt. „Ich schätze,
dass jetzt eine Gebühr fällig ist“, murmelte er, bereute jedoch
sofort seinen Sarkasmus. Das war natürlich eine sehr würdelose
Bemerkung.
Doch
seine Ironie war an Sam Hobart völlig verschwendet. „Aber nicht
doch!“ wehrte der herzlich ab. „Im Gegenteil – fühlen Sie sich
eingeladen, den Stein jederzeit zu benutzen! Das heißt, solange, bis
er verkauft ist, versteht sich. Immer, wenn Sie ein Problem haben,
zögern Sie nicht, vorbeizuschauen.“
Mit
diesen Worten drehte Sam Hobart sich um und verließ den Raum. Mr.
Crimp starrte den Vorhang an, bis er sich nicht mehr bewegte. Dann
ruhten seine Blicke einen Moment lang auf dem Stein.
Später,
im Fünfuhrsechunddreißiger Zug, leugnete er jeden Anflug von
Unwirklichkeit, den dieser Vorfall in sich zu bergen schien. Das
Ganze war nichts weiter als eine Riesenportion Schwachsinn. Er hatte
seine Neugier befriedigt, sagte er sich selbst mit Bestimmtheit, und
Sam Hobart hatte ihn kein bisschen an der Nase herumgeführt. Mr.
Crimp wusste: Sein zweiter Besuch würde das Signal für die übliche
aggressive Alles-oder-Nichts-Tour sein, und Hobart würde das finale
drängende Verkaufsgespräch führen.
Als
sein Zug zum Halten kam, erinnerte er sich an Hobarts Formulierung: „
... solange bis er verkauft ist, versteht sich.“ Hobart war sich
seiner Sache verdammt sicher gewesen. Konnte der Mann wirklich und
wahrhaftig selbst
daran glauben?
fragte er sich immer wieder, als er vom Bahnhof nach Hause lief.
Er
hatte beschlossen, Bella nichts von der Geschichte zu erzählen, doch
sein Vorsatz schmolz dahin, als er an der Haustür anlangte, vor der
sein Eheweib wartete – und die Relevanz ihrer Neuigkeiten erfasste.
„Das
Grundstück gehört uns, Liebling! Der Anwalt hat vorhin angerufen!
Du sollst ihn zurückrufen, aber er hat mir schon erzählt, worum es
geht. Das Grundstück gehört uns!“
Mr.
Crimp rief an und erfuhr die Details. Sie liefen darauf hinaus, dass
die Firma des Nachbarn es aufgegeben hatte zu versuchen, Henry und
Bella den Boden und den Füßen wegzuziehen. Es schien, dass ihr
Titel letztendlich doch sehr solide war. So solide, dass Nachbar und
Firma bereit waren, sich für eine lächerlich kleine Vergleichssumme
zu einigen. Der Anwalt versicherte Henry, dass die Firma erst diesen
Nachmittag zu ihrem Entschluss gelangt sei und er es Bella sofort
mitgeteilt hätte.
Nach
dem Abendbrot, das den Charakter eines Festessens hatte, erzählte
Henry Bella vom Wunschstein-Vorfall. Er erzählte es leichthin,
bereit, in ihr Lachen mit einzustimmen – ja um es selbst komisch zu
finden.
Doch
Bella stimmte nicht mit ein. Sie wirkte gedankenversunken. Später
fragte sie: „Lieber, denkst du, der Stein könnte etwas damit tu
tun haben?“
„Natürlich
nicht! Ein reiner Zufall. Nichts als ein monströser Zufall.“
Bella
seufzte. „Sicher, Schatz. So muss es sein. Aber seltsam ist es
schon, nicht wahr?“
Henry
gab zu, dass dies der Fall war, und später gingen sie beglückt über
ihren Erfolg zu Bett.
Am
nächsten Morgen verweilte Henry Crimp vor Sam Hobarts
Wunschstein-Shop. Er streckte seine Hand nach der Klinke aus – zog
sie dann aber abrupt zurück und eilte weiter. Verdammt wollte er
sein, wenn er das täte! Verdammt, wenn er Hobart diese Befriedigung
verschaffte!
Doch
der Vorsatz verlor auf dem Heimweg an Schwung. Er betrat den Shop,
und wie zuvor trat Sam Hobart hinter dem Vorhang hervor.
Er
lächelte und sagte: „Ah, ich sehe, Ihr Wunsch ging prompt in
Erfüllung!“
Mr.
Crimp hatte eigentlich eine Ich-habs-doch-gleich-gesagt-Attitüde
erwartet, aber irgendwie kam der Ladenbesitzer nicht so herüber.
Hobart hätte dieses typische Schuhverkäufergehabe an den Tag legen
können: „Ah, ich bin entzückt, dass Sie diese Reitstiefel zu
schätzen wissen...“ Nichts dergleichen. Kein Getue. Sondern
lediglich höfliches, leicht gelangweiltes Interesse. Und noch nicht
mal augenfällige Langweile. Sam Hobart war offensichtlich ein
aufrichtiger – wenn auch äußerst sonderbarer - Typ.
„Wie
… woher wissen Sie...?“
Hobart
schmunzelte und hob die Hände. „Mein lieber Sir ...“
Dann
zuckte er die Achseln, als appelliere er an das Verständnis von
Crimp dem Schlaukopf, dass er mit Crimp dem Idioten verhandeln müsse.
„Es
kann sich da nur um einen Zufall gehandelt haben!“ versicherte Mr.
Crimp, versicherte es fast verzweifelt, mit dem flehenden Unterton:
„Bitte,
stimmen Sie mir zu! Um Himmels willen, Mann! Sonst werde ich
wahnsinnig...“
Hobarts
Haltung änderte sich. Er wurde frostig – wenn auch nur ein
bisschen – und schaute eher durch Mr. Crimp hindurch als auf ihn.
Ein Hauch von Gekünsteltheit erschien in seinem Lächeln. „Ich
freue mich, wenn Sie Gebrauch von dem Stein machen“, versicherte
er. „Wie ich ihnen schon sagte: Bitte fühlen Sie sich herzlich
eingeladen, vorbeizuschauen und ihn zu benutzen. Jederzeit. Solange
er hier ist. Und nun werden Sie mich entschuldigen.“
Mr.
Crimp starrte hinter Hobart her, in seinem Hirn tobten die Gedanken.
Warum hatte der Mann nicht das Offensichtliche getan? Warum hatte er
nicht versucht, den Stein zu verkaufen? Er stand ja ganz eindeutig
zum Verkauf. Es gab ein Preisschild. Der Moment war zweifelsohne
günstig. Mr. Crimp hatte jedes Recht, nun einen Verkaufsversuch zu
erwarten. Er war darum betrogen worden, und er grollte ob der
versäumten Gelegenheit. Er war ein logisches Objekt merkantiler
Versuchung und war somit berechtigt, den Verführungen heroisch zu
widerstehen und Hobart dafür auszulachen, dass er den Verkauf auch
nur in Erwägung zog.
Mr.
Crimp fühlte sich verraten. In seiner Frustration wandte er sich
gegen den Stein selbst. Er wurde Zeit, diesem Betrug ein für alle
Mal ein Ende zu bereiten, obwohl er nicht einmal die Ehre der
Entlarvung wert war. Sich kurz umblickend schritt er entschlossen auf
den Fels zu und setzte sich drauf, wie er es am Vortag getan hatte.
Ein Wunsch? Er musste kurz nachdenken. Was könnte er sich wünschen
… Oh, Natürlich! Dieser abscheuliche italienische Stuhl, für den
er viel zu viel bezahlt hatte. Stand schon seit Monaten im
Schaufenster. Eine exzellente Idee, mit dieser albernen Angelegenheit
hier zu Ende zu kommen. Es konnte kein einziges Individuum in New
York geben, das etwas derartiges begehrte.
Mr.
Crimp wünschte sich inbrünstig den Verkauf des Stuhls. Dann stand
er auf, schaute sich nochmals um – er fühlte sich etwas schuldig –
und ging heim.
Er
fand die Notiz am nächsten Morgen. Man hatte sie unter der Tür
hindurchgeschoben. Eine saubere weibliche Handschrift, geschrieben
auf der Rückseite eines Briefumschlags.
Geehrter
Herr,
Der
Renaissancestuhl auf der linken Seite Ihres Schaufensters würde die
Ausstattung eines Raumes wundervoll abrunden, den ich gerade
einrichte. Bitte verkaufen Sie ihn nicht, bis ich gegen Mittag
zurückkehre!
Helen
Epperson,
New
Haven, Conn.
„Zumindest“,
dachte Mr. Crimp, „hatte ich in einer Beziehung recht. Niemand aus
New York wollte ihn.“
Doch
er zog wenig Befriedigung aus dem Gag. Eine immense Gereiztheit stieg
in ihn auf, und er konnte sie nicht abschütteln. Sie wuchs noch, als
Mrs. Epperson etwas außer Atem erschien und den Katalogpreis ohne
Zögern bezahlte.
Diesen
Nachmittag vermied er es sorgfältig, den Stein anzublicken, als er
in Richtung Hauptbahnhof lief. Zu Hause war er so zerstreut, dass
sein Verhalten Bella zu einer kritischen Bemerkung während des
Abendessens veranlasste.
Am
nächsten Morgen reagierte er extrem verärgert, als seine Bahn
langsam vor sich hinzuckelte, bevor sie die Station erreichte. Als
der Zug einfuhr, stand er bereits an der Tür, ungeduldig darauf
wartend, aussteigen zu können – so etwas hatte er noch nie zuvor
getan. Und als er Sam Hobarts Schaufenster erreichte, war er
überrascht, sich außer Atem zu finden. Also wirklich – wie
absurd!
Doch
seine Selbstverurteilung erlosch sofort, als er sah, dass der Stein
immer noch da war. Keiner hatte ihn gekauft. Er ging weiter zu seinem
eigenen Geschäft, doch er betrat es nicht. Stattdessen kehrte er um
in Richtung Wunschstein. Er betrat den Laden. Sam Hobart schnellte
hinter dem Vorhang hervor, als hinge er an unsichtbaren Drähten, die
sich beim Öffnen der Eingangstür in Bewegung setzten.
„Ich
will ihn kaufen.“ keuchte Mr. Crimp.
Sam
Hobart lächelte weder, noch schaute er missbilligend drein. Er
zeigte weder Überraschung noch Enttäuschung. Er fragte:
„Wohin
soll er geliefert werden?“ und wartete auf Antwort.
„Ich
habe ein Grundstück in Westchester“, sagte Mr. Crimp. Er klaubte
ein Scheckbuch aus seiner Tasche und schrieb hastig. Er händigte Sam
Hobart den Scheck aus, der ihn akzeptierte, als wäre es der
fünfzigste an diesem Tag.
„Wenn
Sie Ihre Adresse hierlassen würden...“, schlug Hobart vor.
Sam
rätselte darüber nach, wie er Bella die Neuigkeit beibringen
sollte. Nicht das Geld bereitete ihm Sorgen. Er hatte jede Menge
davon, und die Ausgabe machte ihm überhaupt nichts aus. Aber Bella
könnte …
Er
beschloss, es auf die leichtherzige „Ach-Übrigens“-Tour zu
versuchen, und schnitt das Thema am Abend mit den Worten an:
„Weißt
du, mir ist eine seltsame Sache passiert heute. Ich kam an dem
Schaufenster in der Park Avenue vorbei, in dem dieser alberne
Wunsch-Stein steht, und ich entdeckte, dass ich inzwischen eine
gewisse sentimentale Anhänglichkeit dem Ding gegenüber entwickelt
habe ...“
Bella
aß ihre Melone. Sie schnitt ein gelbes Stück heraus und bemerkte:
„Wir
könnten ihn an die Stelle im Garten stellen, wo der Sturm letztes
Jahr den Baum entwurzelt hat.“
Erleichtert
ließ Mr. Crimp das Thema fallen.
Am
nächsten Morgen war das Schaufenster leer und Mr. Crimp empfand ein
seltsames Gefühl der Einsamkeit, als er daran vorbeiging.
Augenscheinlich hatte Mr. Hobart das Ding schon heute früh versandt.
Ein
zweiter Wunsch-Stein erschien nie in dem Laden. Mr. Crimp wartete
umsonst darauf und hielt auch vergeblich nach Sam Hobart Ausschau.
Sam Hobart erschien auch nie wieder in dem Laden. Doch zwei Wochen
später, als er an dem Geschäft vorbeiging, fand er die Tür offen
und sah, wie ein kleiner mürrisch aussehender Mann hinter dem
Vorhang hervorkam. Mr. Crimp trat näher. Der Fremde beäugte ihn
ohne Herzlichkeit und fragte:
„Wer
sind Sie?“
„Mein
Name ist Henry Bobbet Crimp. Ich bin Antiquitätenhändler. Mein
Laden ist weiter oben in der Straße.“
Der
Fremde grunzte und wühlte sich durch einen Haufen Papiere, die er
hinter dem Vorhang gefunden hatte – oder woanders. „Kennen Sie
Sam Hobart?“
„Er
war ein flüchtiger Bekannter“ erwiderte Mr. Crimp reserviert.
„Ein
Wunsch-Stein-Dealer“, grunzte der Fremde.
„Ist
Mr. Hobart ausgezogen?“
„Ist
er. Wir haben ihn in Pennsylvania geschnappt. Das war einer der
Staaten, die ihn dringend haben wollten. Er ist eingelocht worden.“
Mr.
Crimp blinzelte. „Er ist – im Gefängnis?“
„Jep.
Hochgefährlicher Trickbetrüger. Und einer der besten.“
Der
Mann wies mit dem Daumen auf sich. „Mein Name ist O'Hara. Sergeant
im städtischen Betrugsdezernat.“
„Freut
mich, Sie kennenzulernen!“ sagte Mr. Crimp.
O'Hara
war in redseliger Stimmung. „Ja, schlauer Fuchs, dieser Hobart.
Diese Stein-Verkaufs-Idee – da braucht es Grips zu, sowas
durchzuziehen, nicht? Dabei ist es simpel – so simpel, dass es fast
schon wieder jämmerlich ist.“
„Ich,
äh, kann mir vorstellen,“ hauchte Mr. Crimp kläglich, „dass es
ziemlich schwierig ist, so einen großen Stein zu verkaufen.“
O'Haras
missmutiger Gesichtsausdruck wurde noch missmutiger. „Passen Sie
mal auf. In ein paar Wochen kommen etwa eine halbe Million Menschen
hier vorbei. Grob geschätzt.
„Natürlich.
Grob geschätzt.“
„Sagen
wir mal, von dieser halben Million bleibt ein Viertel stehen und
schaut sich den Stein an. Kichert vielleicht und zieht weiter. Die
meisten ziehen weiter. Aber wenn das Ding lange genug da ist, werden
garantiert ein paar tausend reinkommen und ihre Neugier befriedigen.
Hobart
hat diese Steine durchschnittlich etwa einen Monat lang überall im
Land angeboten. Ein Menge von den Leuten kriegt er dazu, sich auf den
Stein zu setzen, und einem gewissem Prozentsatz wird ihr Wunsch
erfüllt. Ist 'ne mathematische Tatsache.“
Mr.
Crimp lächelte schwach. „Ich fange an zu begreifen, was Sie
meinen.“
„Ein
Baby könnte es begreifen! Nichts als ein simpler
Eliminierungsprozess. Von denen, die auf dem Stein saßen, werden
einige zwei Wünsche äußern – und erfüllt sehen. Vielleicht auch
drei oder vier hintereinander. Und einer von denen wird die richtigen
... Qualifikationen haben: den Platz, das verdammte Ding
aufzustellen, das Geld, ihn zu kaufen, kurz, das Zeug zu einem
Totalversager. Sie sehen – Hobart hält Ausschau nach nur einem
Kunden unter
Millionen. Nehmen Sie ein paar Millionen Menschen ins Visier, und
irgendwer wird alles kaufen, und ich meine alles.“
Mr.
Crimp war ungewöhnlich heiß geworden. „Vielen Dank, dass Sie's
mir erklärt haben. Es scheint ironisch, dass Mr. Hobart nun Steine
klopft, nachdem er Steine verkloppt hat.“ Mr. Crimp lächelte und
empfand einen bescheidenen Stolz auf seinen Kalauer.
„Leider
nicht. Wir haben ihn gar nicht wegen der Steine drangekriegt. Wir
bräuchten eine Anzeige von einem der Volltrottel, die einen Stein
bei ihm gekauft haben, aber diese Idioten halten dicht. Wir haben ihn
wegen einer Geldzaubermaschine festgenagelt, die er letztes Jahr oben
in Jersey verkauft hat.“
„Nochmals
vielen Dank“, sagte Mr. Crimp. „Ich muss jetzt weiter.“
„Übrigens,
wenn der Spinner, der diesen Stein hier sein Eigen nennt, bei uns
auspacken würde, könnten wir ihm wahrscheinlich sein Geld
zurückerstatten...“
„Schönen
Tag noch!“ rief Mr. Crimp und eilte davon.
An
diesem Abend ging Mr. Crimp zu Fuß in seinen Garten und betrachtete
seinen Wunsch-Stein. Nach einer Weile setzte er sich auf ihn. Er
lächelte. Es lag eine gewisse Einfalt in diesem Lächeln. Aber es
war
ein Lächeln.
Ivar
Jorgensen [d.i. Randall Garrett]: The Wishing Stone
Fantastic,
July 1953
Übersetzung:
Matthias Käther © 2020
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