Frank
Logan, bis vor drei Tagen Beauftragter für die Guardia
Touristengebiete, die dem Arahona- Zuckerunternehmen gehörten, hielt
das Ende seiner letzten Schnurrolle – der siebzehnten – in seiner
Hand. Er starrte mich an mit großen Augen, in denen ich mehr zu
sehen glaubte als nur eine Andeutung von Furcht.
„Hedda“,
flüsterte er, ehrfürchtig angesichts der gigantischen Höhlen von
Hondo Valle, die wir zweiundsiebzig Stunden zuvor betreten hatten,
„es ist wie ein Abstieg in die Hölle. Dante muss an solch einen
Ort gedacht haben, als er sein Inferno schrieb. Fehlen nur noch die
Flammen.“
Mein
Herz hämmerte, nicht nur, weil ich gehofft hatte, hier meinem Traum,
die größte weibliche Naturforscherin und Archeologin der Welt zu
werden, in Erfüllung gehen zu sehen, sondern weil Frank „Hedda“
zu mir gesagt hatte, so als ob der Name ihm schon immer vertrauter
gewesen war als das förmliche „Miss Merrit“, das er bisher so
sorgsam benutzt hatte.
Siebzehn
entrollte Schnurknäuel waren alles, was wir hatten, um uns den Weg
durch ein Labyrinth aus Stalagmiten und abzweigenden Tunneln zu
weisen. Ein Ende war am Eingang der Höhle befestigt. Frank Logan,
den ich inzwischen sehr schätzen gelernt hatte, hielt das andere.
Und
immer noch erstreckte sich die immense Höhle vor uns. Geradeaus,
jenseits des Lichtkegels, den wir produzierten, lauerte die
ebenholzschwarze Oberfläche eines Stroms. Woher er kam, wohin er
sich wand – wer konnte das wissen? Es gab keinen solchen Fluss an
der Oberfläche von Santo Domingo – und man hatte jeden Zoll dieser
kleinen Republik vermessen und kartographiert. Zur Rechten und Linken
des Flusses, als würden sie am Ufer stehen und darüber nachsinnen,
ob sie hineinspringen und ein erfrischendes Bad nehmen sollten,
ragten weiße Säulen auf, Stalagmiten, die der Gestalt von Frauen so
sehr ähnelten, dass sie fast zu atmen und sich zu bewegen schienen –
wachsende Geschöpfe, lebenswarm. In ihrem Rücken, weiße Reihen
hinter weißen Reihen, allmählich in der gigantischen Weite der
pechschwarzen Höhle verschwindend, gab es andere „Frauen“,
wartend. Ich wusste es, ohne es sehen zu können – dieser Wald von
weißen Säulen erstreckte sich von Unendlichkeit zu Unendlichkeit –
weit hinaus, jenseits des dunklen, trostlosen, schweigenden Stroms.
Wo immer sein anderes Ufer sein mochte, der steinerne Wald folgte ihm
weiter bis Gott weiß wohin.
Wir
hatten fünf Stunden, nachdem wir die Höhle betreten hatten, keine
einzige Fledermaus mehr bemerkt. Der Ort glich nichts, das wir je
gesehen hatten.
Ein
plötzlicher Schrei, seelenzermürbend, so grausig in seinem Effekt,
dass es schien, meine ganze Schädeldecke würde zu Eis gerinnen und
sich dann heben, gellte aus der Dunkelheit. Es war extrem unheimlich,
dies Geheule absoluten Horrors. Ich schien zu Stein zu erstarren, wie
einer von diesen Stalagmiten. Franks Gesicht hätte nicht weißer
werden können. Er ließ seine Lampe fallen. Sie verlosch. Es blieb
nur noch meine Petroleumlampe, um die Finsternis zu zerstreuen. Hätte
ich sie auch fallenlassen, wir hätten uns in fünf Irre verwandelt,
bevor die Echos des grässlichen Schreis ganz verhallt wären.
Ich
wandte langsam meinen Kopf zur Seite, voller Furcht vor dem, was da
geschrien hatte, doch ich wusste, ich musste mich umwenden. Ich
musste einfach wissen, was es war.
Es
war Juan Mota, einer unserer Eingeborenen. Es war offensichtlich,
dass er geschrien hatte, weil sein Mund immer noch offenstand. Seine
Augen waren aufgerissen, so weit es nur irgend ging. Er stand da,
eine Bronzestatue, sein Arm samt Zeigefinger ausgestreckt. Er schien
wie hypnotisiert zu sein, und als ich sah, worauf er zeigte, wusste
ich, warum. Drei Meter von uns entfernt lag das Ende unserer
siebzehnten Rolle Garn, sorgfältig entrollt, seit wir die Höhle
betreten hatten, damit wir ihr bei der Rückkehr wieder hinausfolgen
konnten. Ohne sie wäre jede Hoffnung vergeblich gewesen, jemals
wieder das Tageslicht zu erblicken.
Das
Ende der Schnur, scheinbar lebendig, bewegte sich weg von uns,
schneller und schneller, wie eine dünne krauchende Schlange. Frank
Logan schrie, stürzte dem sich windenden Ende nach, das vor ihm
davonhuschte, ihn in die Dunkelheit lockend, in der er verschwand.
Das Getappe seiner laufenden Schritte hallte zu uns herüber, und es
klang wie das Fallen zahlloser Erdklumpen auf endlose Gräberreihen.
Ich
werde das lähmende Entsetzen nie vergessen, das mich ergriff, als
Frank in der fast fühlbaren Dunkelheit verschwand. Ich war mir in
diesem Moment sicher, dass sich - von unser Gruppe abgesehen - nichts
Lebendes meilenweit in unserer Nähe aufhielt. Ich war mir sicher,
und doch bestand kein Zweifel daran, dass die Schnur davonkroch! Sie
konnte sich natürlich nicht von allein bewegen, doch sie bewegte
sich. Es gab keine menschliche Hand, um sie über den Boden zu
ziehen, doch sie bewegte sich. Hätte jemand am anderen Ende, am
Eingang der Höhle daran gezogen, hätten wir diesen Effekt hier
nicht bemerkt – das Eigengewicht der Schnurmasse war zu groß; das
Garn wäre eher gerissen als dass es unser Ende in Bewegung gesetzt
hätte.
„Gott!
Oh Gott!“, stöhnte ich, „Schick ihn mir zurück!“
Die
drei Einheimischen, immer noch starrend wie drei Hypnotisierte, die
durch ein Stichwort an ihre Stelle gebannt worden waren, sahen jetzt
zu mir herüber und ahnten, dass ich betete. Der, der geschrien
hatte, weil er als erster das lebendig gewordene Schnurende erblickt
und gesehen hatte, wie es sich in den finsteren Erebus entfernte,
begann abwechselnd auf Spanisch zu beten und zu fluchten.
„Ai,
Dios! Ai, diabolo carrajo! Ai, Virgen de Altagracia!“
Es
war mir, als ob die schwarzen Wasser des Untergrundstromes aus ihrem
Bett krochen, unsichtbar und doch fühlbar, und sich kalt wie der
Hauch eines Gletschers an mich schmiegten und meinen schwitzenden
Körper zu umschließen begannen, so dass er von Eis umhüllt schien.
Ich
musste diese spanische Litanei der Dominikaner zum Schweigen
bringen. Doch ich fürchtete mich davor, zu schreien – die
schrecklichen Echos machten mir Angst. Noch mehr allerdings fürchtete
ich mich davor, nicht
zu schreien.
„Frank!
Frank! Um Himmels willen, komm wieder her!“
Die
Echos, gleich flatternden schwarzen Fledermäusen, flohen vor mir in
alle Richtungen, als ob jedes schreckerfüllte Wort Flügel bekommen
hatte und meinem Mund entflohen war, um Frank dort irgendwo im Erebus
zu finden: nach vorn, zurück, nach rechts und links flatterten sie,
sogar über die Oberfläche des schwarzen Flusses, der nirgendwo
begann und tödlich schweigend im Nirvana endete.
Jedes
Wort gebar neue Worte, und all die Worte schwangen sich auf, um Frank
Logan zu suchen. Und all die Worte schrien zu mir zurück: „Frank!
Frank! Um Himmels willen, komm wieder her!“
Die
Echos erstarben. Die Furcht, mein Licht könnte erlöschen, war so
groß, dass ich den Atem zurückhielt. Ich machte mir Sorgen, die
Lampe, die nun auf dem Höhlenboden stand, könnte umkippen. Ich
wagte nicht, sie zu berühren, wurde von der Angst geplagt, ich könne
ungeschickterweise ihr Licht auslöschen, das nun wertvoller war als
alle Reichtümer der Welt.
Ich
hörte die Schritte just in dem Moment, als das Licht verlosch. Sie
kamen von überall her. Er schwang etwas mit ihnen – die Hast eines
Menschen, der furchtbare Angst hatte. Doch Frank rief nicht nach mir.
Er wusste, was die Echos anrichten konnten. Er rannte panisch zu mir
zurück, als ob er verfolgt würde. Sein Entsetzen eilte ihm voraus,
um unsichtbare eiskalte Tentakel um mein Herz zu winden, und so wurde
auch ich vom Entsetzen gepackt. Wovor floh er? Was für ein Ding
verfolgte ihn, so dass er ohne Schnurende zurückkam? Denn so schnell
hätte er mit dem Garn nie laufen können.
Die
drei Eingeborenen schrien, immer und immer wieder. Die Schreie
erschütterten mich bis tief in die Seele hinein. Doch selbst diese
grässlichen Schreie hatten nicht den grauenhaften Effekt, den das
auf mich machte, was ich für einen winzigen Augenblick erspäht
hatte, bevor die Dunkelheit über uns hereinbrach – etwas hinter
Frank Logan, das auf ihn zurannte und versuchte, ihn einzuholen, mit
ausgestreckten Armen.
Er
konnte mich nicht verfehlen. Alles, was er zu tun hatte, war, sich
weiter auf mich zuzubewegen – es waren keine weißen Säulen
zischen uns, nichts, das die Arme ausstreckte... Ich selbst streckte
ihm nun die Arme entgegen, um ihn aufzufangen.
Ich
konnte die vor Angst wahnsinnigen Eingeborenen davonrennen hören,
ihre Sandalen kratzten über den Kalksteinboden der gigantischen
Höhle. Dann hörte ich hinter mir plötzlich ein Plätschern, einen
Schreckensruf und ein seltsames Gurgeln – seltsam wegen der Echos –
und wusste, dass der Strom einen meiner Männer verschlungen hatte.
Die
andern beiden rannten irgendwohin, fast in Frank Logan hinein.
Frank
kollidierte heftig mit mir. Ich wollte, dass das passierte, doch als
es soweit war, so plötzlich in der Finsternis, biss ich mir auf die
Lippen, um nicht wild loszukreischen. Ich klammerte mich an ihn,
tastete sein Gesicht ab, seine Kehle, dort, wo der Kragen offenstand,
um sicherzugehen, dass es sich wirklich um Frank handelte.
Doch
wen anders hatte ich denn erwartet?
Wir
wichen etwa fünfzehn Meter vom Flussufer zurück und setzten uns auf
den Boden. „Wir müssen nachdenken“, flüsterte Frank. „Die
Schnur habe ich verloren. Keine Ahnung, wer oder was an ihr gezogen
hat. Aber ich bin mir sicher, Süße, dass es etwas Menschliches war.
Es muss so sein! Etwas andres zu glauben würde uns in den Wahnsinn
treiben...“
Ich
wusste, was er meinte: Versteinerte Körper von Frauen in Weiß,
irgendwie erfüllt mit Leben, hier in der Finsternis. Nur
Stalagmiten, natürlich, Säulen, die im Laufe unzähliger
Jahrhunderte durch herabfallende Kalktropfen entstanden waren. Doch
ich hatte eine berührt. Sie war warm gewesen. Und sie war unter
meiner Berührung zusammengezuckt.
Wir
waren dem Untergang geweiht in diesem Erebus der ewigen Finsternis.
Unsere drei Einheimischen hatten wir verloren. Inzwischen waren die
andern beiden vermutlich in Abgründe gestürzt, oder in den Fluss –
um für immer zu verschwinden, wie Mota. Oder sie irrten hirnlos und
automatengleich umher, schoben sich durch die Dunkelheit, hämmerten
ihre Köpfe gegen unsichtbare weiße Säulen...
Wie
als Antwort auf meine Gedanken hörte ich weit entfernt einen
schrillen Schrei, irgendwo nahe des Abhangs am Ende der Höhle...
„Virgen
de Alta...!“
Der
Schrei brach sich an gellendem Gelächter.
Er
war das kreischende, vernunftlose Lachen einer wahnsinnigen Frau!
Ein
Streichholz flammte auf.
Ich
wirbelte herum, um in Frank Logans Gesicht zu sehen. Der bleiche
Horror, der dort eingebrannt war, wird mich immer verfolgen. Frank
war der tapferste Mann, den ich je gekannt hatte, doch nun bebte er
vor Schrecken. Seine Augen verrieten etwas - eine bloße Andeutung -
von dem, was er glaubte erblickt zu haben, als er in die Dunkelheit
floh, mit ausgestreckten Armen. Er nickte, versuchte seine Lippen mit
seiner trockenen Zunge zu befeuchten, und ich konnte ihn etwas von
schlanken Frauen in Weiß murmeln hören.
Irgendwie
schaffte Frank es, die Lampe wieder zu entzünden. Gut! Wir mussten
unsere Ruhe wiederfinden. Das sagte ich mir immer wieder, und ich
spürte, dass Frank dasselbe dachte. Wir waren im Schein der Laterne
eng zusammengerückt und hatten unsere Hände ineinander verschränkt.
Falls wir uns verloren, dann... Ich wagte nicht einmal daran zu
denken. Wenn meine Gedanken in diese Richtung irrten, verwandelte
sich mein Herz zu Stein. Und doch... Trotz all des Grauens, das
plötzlich in diesem Höhlensystem auf uns hereingebrochen war,
empfand ich eine gewisse Freude, hier mit Frank zu sein.
Ich
hatte bisher in meinem Leben nicht viel mit Männern zu tun gehabt,
von meinem Bruder abgesehen. Frank... oh ja, ich wusste, wie es um
mich stand, und Frank wusste es auch. Draußen... wenn es jemals
wieder ein Draußen geben sollte, würden wir glücklich sein. Ich
würde um ihn kämpfen – gegen jeden und alles. Und ich würde ihm
zeigen, dass auch eine Naturforscherin, meist in raue Outdoorkleidung
gehüllt, im Abendkleid wunderschön aussah...
„Süße“,
flüsterte Frank. Wie sehr mich das Wort elektrisierte!
„Ja?“
Da war etwas euphorisches in meiner Stimme, gegen meinen Willen.
„Ich
liebe dich.“
„Und
ich dich.“
„Wir
dürfen uns von jetzt an nichts mehr verschweigen! Durchaus möglich,
dass wir beide hier umkommen. Da ist etwas, das ich dir erzählen
muss.“
„Ja?“
„Da
draußen, jenseits des Lichts, Hedda, da hatte ich nur eine Sache im
Kopf: mir das Ende der Schnur zu schnappen, bevor sie außer
Reichweite war. Sie jagte vor mir her mit diabolischer
Zielstrebigkeit. Doch als mir klar wurde, dass ich verloren war, wenn
sie mir entkam, weil ich dann nicht mehr zu euch zurückfinden würde,
kehrte ich um. Hedda...“
„Ja,
mein Lieber?“
Also...ich
sah vier Steinsäulen, diese Stalagmiten, zwischen mir und dem Licht,
verstehst du? Sie sahen aus wie Frauen in Weiß, genau so haben wir
sie schon öfter beschrieben. Doch das war nicht alles. Sie bewegten
sich! Bei Gott, Hedda, ich schwöre es! Du weißt, sie gleichen
Frauen ohne Augen, mit Gliedmaßen, die von einer Art dünnem Mantel
bedeckt zu sein scheinen, oder einem feinen weißen Schleier...
Nun...als ich mir sicher war, dass sie sich bewegten, schien mir, als
würden diese Schleier beiseitegeschoben...als würden ihre Arme sich
heben... Nur noch ein Augenblick, und ich würde ihre Arme, ihre
Hände gesehen haben. Ich konnte ihre Umrisse durch das Schleierzeug
sehen... Ich konnte ihre Körper sehen, weiße Körper, Hedda,
herrlich geformt. Und dann ging das Licht aus. Ich versuchte aus dem
Gedächtnis einen Kurs zu wählen, der mich nicht mit diesen ...
unmöglichen Kreaturen in Berührung brachte, und doch ...
Frank
hielt inne, während eine kalte Hand der Furcht mein Herz
zusammenpresste, dann etwas lockerließ, um wieder fest zuzudrücken.
„Ich
rannte im Dunkeln in eine der Frauen“ fuhr Frank fort, „Sie war
warm, menschlich. Ich konnte sogar ihr Parfüm riechen – oder ich
dachte zumindest, ich könnte es. Ich weiß, das ist alles
Einbildung, Hedda, und doch war ich mir sicher, es roch wie Parfüm.
Noch etwas: Die Arme der Frau schlossen sich um mich. Ich konnte die
Rundung ihrer Brüste fühlen, konnte fühlen, wie sich ihr Kopf
senkte, als ob sie vorhatte, mich zu küssen...oder ihre Zähne in
mein Fleisch zu schlagen! Hedda... Mit ganzer Seele wünschte ich mir
für einen Moment, dort stehenzubleiben, um zu wissen, was passieren
würde! Du siehst, ich verberge nichts vor dir. Aber irgendeine
innere Warnung hat mich gerettet. Ich duckte mich unter ihren Armen
hinweg, und rannte, genau auf dich zu...“
Wie
kann ich nur das Grauen beschreiben, das mich ergriff, als er mir
diese Dinge erzählte, an die er augenscheinlich fest glaubte?
„Sie
werden uns umzingeln, Frank“, flüsterte ich. „Ich fürchte mich
vor dem Dunkeln, aber noch mehr vor diesen Frauen. Frank – wie kann
so etwas möglich sein?“
„Bei
Gott, ich glaube, es ist genauso geschehen, wie ich es dir erzählt
habe!“
Die
Lampe begann unheilvoll zu flackern.
„Wir
werden das Licht wieder auslöschen, um Petroleum zu sparen.“,
schlug ich vor. „Wir benutzen Sie nur im Notfall. Wir müssen
unsere Lampen um jeden Preis festhalten. Du weißt, der Ausgang liegt
in direkter Linie zur der Stelle, zu der du gerannt bist, um die
Schnur einzufangen. Das Beste, was wir tun können, ist, in diese
Richtung zu marschieren. Ich bin dazu bereit, weil es nichts anderes
gibt, das wir tun könnten.“
Wir
löschten das Licht aus. Er hielt seine Lampe in der rechten Hand,
ich meine in der Linken. Wir fassten uns an den freien Händen und
begannen unsere Wanderung durch Erebus, in einer Schwärze, die
tiefer war als die Finsterniss am Fuße der Brunnen von Shallajai.
[Die
Brunnen werden in Burks Geschichten immer wieder mal erwähnt, es
scheint sich im eine Art Insidergag zu handeln, ähnlich wie
Lovecrafts Necronomicon. Siehe auch seine Erzählung „Shallajai“,
Weird Tales, Juli 1950. Anm. des Übersetzters]
„Frank,“
flüsterte ich, flüsterte es so leise wie möglich, weil selbst der
Atem vom Echo zurückgeworfen wurde, „Was für eine Art Parfüm
benutzen sie?“
„Es
war das süßliche Parfüm, das ich manchmal bei hiesigen
Beerdigungen gerochen habe, irgendetwas aus dem Saft vieler
tropischer Blüten. Das Parfüm einer „leichten“ Frau ...“
„Ich
weiß“, gab ich zurück, „ich habe es auch gerochen. Frank ...
Ich rieche es jetzt!“
Es
bestand kein Zweifel. Ich hatte eine Kirche in Barahona besucht, in
die schöne einheimische Frauen kamen, gekleidet in Weiß, getränkt
in ihr Parfüm. Die Höhle schien durchdrungen davon, eine
übelkeiterregende süßliche Note. Sie erfüllte mich mit Abscheu.
Ich konnte mir vorstellen, dass dieser Duft in der Lage war, Männern
den Kopf zu verdrehen – Männern, die, sich ihrer kaum bewusst, ein
starkes Verlangen nach dem Exotischen besaßen.
Ich
benutze kein Parfüm. Nun wünschte ich mir sehnlichst, ich hätte es
getan – hätte eins aufgelegt, das meinen Freund veranlassen würde,
mich so sehr zu begehren, dass keine andere ihn wanken ließ!
Diese
Stalagmiten, die Frauen so sehr ähnelten, waren
Frauen! Unser Eindringen in die zeitlosen Tiefen hatten sie irgendwie
entfesselt. War das so unmöglich? Was für eine Sorte Wesen hatte am
Anfang aller Zeiten diese Höhlen bewohnt? Hatten sie Geheimnisse
besessen, die wir nie erfahren würden? Waren sie Weiße gewesen?
Hatten sie, im Bewusstsein ihres Todes, Mittel gefunden, ihre Frauen
in diese weißen Säulen zu bannen, so dass sie wiederbelebt werden
konnten, wenn es zu einer Katastrophe kam? Hatten wir sie aus
Versehen befreit? Wenn ja, warum wendeten sie sich gegen uns? Gegen
mich? Begehrten sie alle Frank Logan, mit einer Wollust, die sich
seit Äonen angestaut hatte, hier, im Erebus? Und was würden sie
tun, um ihre Lust zu stillen, wenn meine Mutmaßungen korrekt waren?
Waren sie untot? Alterslos wie Lilith?
Meine
Hand wurde fast aus der Franks gerissen. Er schrie auf. Die Echos des
Schreis hallten donnernd durch die hohe, schwarze Kathedrale, die
sich überallhin erstreckte. Ich brauchte keine geflüsterte
Erklärung, um zu wissen, was passiert war.
Eine
warme, kleine Hand hatte mein Handgelenk ergriffen. Ihr Gegenstück
musste sich um Franks Handgelenk gelegt haben. Dann begannen die
beiden Hände mit aller Macht zu zerren – sie versuchten, meinen
Liebsten und mich zu trennen. Es misslang nur, weil wir uns aus
verzweifelter Angst, auseinandergerissen zu werden, aneinander
klammerten. Und doch... Es schien mir, Frank umfasste meine Hand
danach mit einer gewissen Zurückhaltung.
Ich
roch das seltsame Parfüm. „Ich werde dich festhalten, Frank“,
flüsterte ich, „selbst, wenn sie mich töten sollten!“
„Ich
werde dich nie verlassen!“, hauchte er zurück, doch ich spürte
einen seltsamen, schrecklichen Zweifel in seiner Stimme.
Der
unsichtbare Angreifer verschwand, als ob sie – oder es – nie
existiert hätte. Wir gingen weiter. Plötzlich blieben wir abrupt
stehen. Wir waren gegen einen Stalagmiten gestoßen, so dass unsere
umschlungenen Hände ihn berührten. Wir hatten zwei Möglichkeiten
– links oder rechts herumzugehen, oder uns kurz zu trennen, um ihn
so zwischen uns passieren zu lassen.
Wir
zögerten. Und während wir so dastanden, fühlte ich deutlich die
Wärme des Stalagmiten. Sein Körper pulsierte, pulsierte, als
schlüge ein Herz in ihm – und das Pochen wurde immer kräftiger,
als ob unsere Berührung den Stein zum Leben erweckt hätte.
„Warte!“
sagte ich zu Frank. Ich senkte meine Lampe, holte ein Streichholz aus
meiner Tasche und entzündete es mit meinem Daumennagel, ein Trick,
den mir mein Bruder beigebracht hatte.
[Neben
den Sicherheitszündhölzern, die man nur an der Reibefläche der
Schachtel entzünden konnte, waren in den Dreißigern auch noch
Allzweck-Zündhölzer weit verbreitet, die sich überall anreißen
ließen. Anm. d. Ü.]
Zu
meiner Linken befand sich das bleiche, furchtverzerrte Gesicht von
Frank Logan.
Zwischen
uns, vor unseren verschränkten Händen, stand der schneeweiße
Stalagmit. Er war genau das – ein Stalagmit. Ich starrte ihn an,
bis das Streichholz nur noch glomm. Es war ein Stalagmit. Es war
nichts andres, konnte nichts anderes sein. Doch im Dämmerlicht der
Umgebung, während ich noch konzentriert die weiße Säule musterte,
nahm ich aus den Augenwinkeln unbestimmte Bewegungen wahr – als
würden Geister sich sich in Totengewändern durch die Dunkelheit
eines Grabmals bewegen. Ihre raschelnden Stoffe, die vage Drohungen
zu wispern schienen, wühlten die Atmosphäre der Höhle auf, so dass
sie überquoll vom Gestank des Parfüms.
Diese
„Frauen“ schienen weder Köpfe noch Augen zu besitzen. Sie
wirkten wie verschleierte Bräute, die sich selbst schüchtern
verhüllten.
Das
Streichholz verlosch endgültig. Die weißen Wesen überall um uns
herum schienen auf uns zuzustürzen, so wie die Dunkelheit selbst auf
den sterbenden Punkt des Lichtes zuzustürzen schien – und erneut,
wie auf ein Signal hin, konnte ich wieder den klopfenden Herzschlag
der Säule spüren, die uns aufhielt.
Ich
erhaschte die Andeutung eines elfenhaften Lachens, und die Säule
bewegte sich! Ob sie einfach rückwärts aus unserer Reichweite trat
oder sich unter unseren Armen hinwegduckte, weiß ich nicht. Es
spielte auch keine Rolle. Nun hatte ich keinerlei Zweifel mehr, so
materialistisch ich sonst auch eingestellt war. Wir hatten es
praktisch gesehen – eine der Stalagmiten war zur Frau in weißen
Kleidern geworden, eingehüllt in ein exotisches Parfüm.
Ich
sagte nichts. Frank auch nicht. Es gab auch nicht wirklich etwas zu
sagen. Überall um uns herum geschah etwas grauenhaft Unmögliches.
Wir wussten, es war unmöglich, genau wie wir uns sicher waren, dass
wir nicht träumten.
Für
gut eine halbe Stunde, obwohl uns klar war, dass die Höhle mit
Stalagmiten vollgestopft war wie ein tropischer Urwald mit
Baumstämmen, begegneten wir keinem einzigen, obwohl wir uns so
geradlinig wie möglich bewegten. Hätten wir es darauf angelegt,
hätten wir in dieser Zeit verschiedene von ihren berühren können.
Die Antwort auf dies Paradox war offensichtlich. Sie mieden uns!
Ich
betete, denn ich glaubte eine dieser Gewissheiten zu spüren, die
Männer manchmal „weibliche Intuition“ nennen; ich war überzeugt,
ich würde selbst diese Höhle niemals lebend verlassen. Was Frank
Logan anging... Nun, ich würde ihn eher mit meinen eigenen Händen
erschlagen als als ihn der Gnade dieser... was immer diese Kreaturen
waren, zu überlassen!
Dann
plötzlich stießen wir gleich mehrmals hintereinander in schneller
Folge an einige der Säulen, so hart, dass unsere Hände fast
auseinandergerissen wurden. Zweimal wichen wir ihnen nach links aus,
zweimal nach rechts. Wir hielten nicht lange genug inne, um
festzustellen, ob sie sich bewegten, ob ihre Herzen schlugen; doch
eins spürten wir beide: dass ihre Körper warm waren, sich unter
unserer Berührung menschlich anfühlten.
Es
musste eine teuflische Absicht in diesen plötzlichen Kontakten
gelegen haben, denn bald machte ich eine grauenhafte Entdeckung.
Die
Hand, die ich umklammert hielt, war nicht länger die Hand von Frank
Logan!
Die
Nägel waren zu lang, die Finger zu fragil und schlank – und zu
weich!
Doch
ich schrie nicht.
Mit
diabolischer Sicherheit schoss auf einmal eine weitere Hand aus dem
Dunkel auf mich zu. Es war eine warme Hand, eine Frauenhand, und sie
gehörte nicht zu dem Wesen, dessen Hand mich nun mit irrwitziger
Grausamkeit umkrampfte. Die zweite Hand schloss sich um meinen Mund,
erstickte meinen Schrei. Doch ich ließ mich nicht kleinkriegen. Ich
würde diesen Furien schon zeigen, mit wem sie es zu tun hatten, mit
welch einer Kämpfernatur sie sich anlegten. Ich begann, meine Zähne
– die wirklich hart und stark sind – in die unsichtbare Hand zu
graben. Auf meinen wilden Versuch hin hörte ich ein leises,
wisperndes Lachen. Und die Harpyie hatte gut lachen, denn ich hatte
in eine Steinhand gebissen, oder genauer: ich hatte es versucht, denn
meine Zähne hinterließen keine Spuren. Das kieselharte Gefühl an
den Zähnen erzeugte eine Gänsehaut. Blut schoss aus meinen Lippen;
der grausame Stein hatte sie aufgerissen. Stein? Ja, doch ein
weicher, anschmiegsamer Stein, der sich nahtlos auf meinen Mund
legen konnte, so dass Schreie unmöglich waren.
Ich
versuchte, mich rückwärts aus der Affäre zu ziehen. Sofort
erfasste eine Hand meinen rechten Unterarm, den Arm, der immer noch
die wertvolle Lampe umklammert hielt. Eine andere Hand griff nach
meinem Ellenbogen. Weitere schnappten sich meine Knöchel.
Und
plötzlich wurde ich getragen. Die Lampe pendelte gegen die Körper,
die mich davonschleppten – pendelte gegen sie mit einem Geräusch,
als ob sie gegen sprödes Gestein schlug!
Und
während ich so getragen wurde, befühlten zarte und fragile Hände
meinen Körper auf furchtbare Weise. Ich vernahm das kichernde,
wispernde Gelächter, das klang wie nichts, das ich je zuvor gehört
hatte. Das war wenig überraschend, denn nichts in dieser Höhle von
Hondo Valle klang nach irgendetwas, dass ein menschliches Ohr je
vernommen hatte.
Endlich,
nach einer Zeitspanne, die mir wie Jahrhunderte erschien, setzten sie
mich nieder. Ich wisperndes Lachen hielt an. Ihre Hände fuhren im
Rhythmus ihres Lachens über meinen Körper.
Ich
werde ihre grausigen, obszönen Liebkosungen mein Leben lang nicht
vergessen ...
Dann
ließen sie von mir ab.
Mein
Kopf flog zurück, und ich schrie. Niemals ist solch ein Schrei je
irgendwo vernommen worden, da bin ich sicher. Es lag Schrecken,
Horror, Verzweiflung und Flehen in dem Schrei; all das fühlte ich,
als ich meine Stimme erhob.
„Frank!
Frank! Wo bist du?“
Die
Echos klangen wie Donnergrollen. Sie kamen aus allen Richtungen zu
mir zurück – sogar unter mir waren sie zu hören!
Da
wusste ich, warum ich mich nicht bewegt hatte, dass mich eine innere
Stimme vor der Gefahr des Abgrunds gewarnt hatte.
Ich
stand so da für eine Minute, bis die Echos verklungen waren. Ich
wartete darauf, dass Frank Logan antwortete.
Doch
es kam keine Antwort. Eine weitere Minute verging. Was war mit ihm
los, dass er nicht antwortete? Dann, nachdem sich meine Kehle
zugeschnürt und mich fast erstickt hatte angesichts der möglichen
Antworten auf diese Frage, setzte meine Vernunft wieder ein.
Natürlich würden sie ihm nie erlauben zu antworten. Sie hatten mit
ihren Händen meinen Mund verschlossen, und sie würden auch ihn
daran hindern, mir zu antworten.
Ich
weigerte mich zu glauben, dass er vielleicht, umgeben von diesen
Wesen in Weiß, aus Neugierde nicht antwortete. Hatte er nicht schon
zugegeben, dass er neugierig war?
Selbst
wenn – mein verzweifeltes Flehen würde durch seinen hypnotischen
Zustand dringen, und er würde zu mir kommen, wenn er konnte, würde
mir antworten, wenn er es vermochte. Doch sein schwerer Tritt war
nirgendwo in der Höhle zu hören. Ich war nun auf mich selbst
angewiesen.
Mir
schien, als balancierte ich auf einem extrem schmalen Steinpfad
entlang. Ich zündete ein Streichholz an, doch die Zugluft löschte
es aus, bevor es richtig brannte. Ich konnte außerhalb des Lichts
nichts erkennen als ewige Dunkelheit. Ich schirmte mit meiner Hand
das nächste Streichholz ab.
Dann
setzte ich mich auf den Boden, denn mir wurde übel, ich wurde so
geflutet von lähmenden Horror, dass ich abgestürzt wäre, hätte
mich nicht an dem schmalen Grat, auf dem ich saß, festgeklammert, um
mich im Gleichgewicht zu halten.
Und
als ich saß, entglitt die Lampe meinem Griff. Sie fiel in
schwärzeste Dunkelheit. Ich lauschte angespannt für zehn Sekunden …
Zwanzig … Dreißig.
Ich
hörte sie niemals aufschlagen, nirgendwann, nirgendwo.
Ich
dachte: Oh Gott! Ein Aufschrei allein hätte die Felsnadel, auf der
ich saß, durch ihre Vibrationen abbrechen können. Diese … Diese
grässlichen Kreaturen hatten mich hier zurückgelassen in der
Absicht, ich möge in den Abgrund fallen und so Frank ganz ihnen
überlassen.
Fantastisch?
Natürlich. Unmöglich? Ganz sicher. Wenn Sie das denken, dann haben
Sie sich niemals in Ihren Alpträumen an eine fragile Felsnadel über
einem bodenlosen Abgrund geklammert, sonst würden Sie dieser
unglaublichen Geschichte vielleicht doch Glauben schenken.
Ich
kroch. Endlich fühlten meine Hände nicht mehr nur Leere links und
rechts von meinem Körper. Ich keuchte wie ein erschöpfter
Langstreckenläufer. Ich würgte. Mir war hundeelend. Ich drehte mich
auf den Rücken und fluchte eine Minute lang wie ein Kerl. Dann stand
ich auf und begann langsam in die Richtung zu gehen, aus der ich
verschleppt worden war. Ich war tödlich entschlossen. Wenn ich in
einen andren Abgrund taumelte – na schön. Ich konnte schließlich
nicht im finsteren Erebus sitzen und flennen. Wenn diese schaurigen
weißen Biester Frank Logan haben wollten, dann würden sie um ihn
kämpfen müssen.
Als
ich weiterging, rief ich immer wieder seinen Namen. Die Echos kamen
zu mir zurück – aus jeder Richtung außer von unten. Momentan
schien also kein Abgrund in der Nähe zu sein, doch ich war sicher,
dass es jede Menge andre geben musste.
Endlich,
nachdem alle Richtungen zu einer verschmolzen waren, als ich nur noch
eine körperlose Wesenheit war, die sich durch stygische Finsternis
bewegte, ungeleitet vor jeglichem Licht, nicht einmal dem der
Phantasie, hörte ich etwas: das summende Flüstern von Frauen,
Stimmen, die erfüllt waren von vager, einschmeichelnder
Zärtlichkeit.
In
meiner Einbildung sah ich weiche Hände, die mit den Haaren und
Wangen meines Liebsten beschäftigt waren, während hinter ihnen
andere Frauen warteten, Frauen mit sich sehnenden Händen, die sich
öffneten und schlossen.
Ich
hörte eine Stimme sagen: „Mein Gott! Oh mein Gott!“
Es
war Entsetzten – und ein schreckliches Verlangen – in Franks
Stimme! Ich schrie und stürze vorwärts.
Ich
glaube, es war das Wissen um dies unaussprechlich Entsetzliche, das
mit Frank passierte, das mich die vielen tausend Echos von überall
her ignorieren und mich direkt in die dichte Masse der Frauen in Weiß
rennen ließ.
Ich
war mordlustig, furchtlos, durchdrungen von dem Wunsch zu zerreißen,
zu verstümmeln, zu zerstören. Ich machte Frank keine Vorwürfe,
denn Männer waren schwach. Sie waren schwach, seit es sie gab, und
sie würden es bleiben, solange sie auf Erden weilten.
Die
Wesen, die Frauen in Weiß, die erwachten Stalagmiten, was immer sie
sein mochten – sie waren schuld. Und sie würden dafür bezahlen.
Ich
war nun absolut ruhig. Hätte es nur eine dieser Kreaturen gegeben,
die Frank Logan gefährlich geworden waren, nur eine einzige – ich
hätte dieses Wesen umschlungen und wäre mit ihm in den Abgrund
gesprungen, um Frank zu retten.
Diesmal,
als ich ihre warmen Körper berührte, fühlten sie sich nicht an wie
spröder Stein. Wenn sie jemals Stalagmiten gewesen waren – jetzt
waren es keine mehr. Es waren Frauen. Frauen, die aufrechten
Sarkophagen entstiegen waren, in denen sie seit tausenden von Jahren
geruht hatten? Vielleicht. Ich wusste es nicht, und es war mir auch
egal. Frauen waren Frauen, ihr Alter spielte keine Rolle. Sie waren
unersättlich. Sie nahmen, was sie kriegen konnten. Sollte mir recht
sein, solange sie nichts nahmen, was mir gehörte. Und Frank Logan
gehörte mir. Er hatte es selbst gesagt.
Meine
Hände griffen in feingewobene Kleider. Ich riss sie auseinander. Ich
fühlte warmes weibliches Fleisch unter meinen Händen, Körper,
Brüste, Gesichter.
„Dein
Gesicht wird keinen Liebhaber mehr bezirzen!“ schrie ich, und grub
meine Fingernägel hinein. Hände grapschten nach mir. Menschliche
Hände, nicht aus Stein. Das Parfüm, das an ihrer Kleidung haftete,
stieg mir in die Nase. Die Frauen waren überall.
Ich
hörte Frank hilfesuchend flüstern: „Hedda!“
Für
mich war er in diesem Moment nur ein Kind – ein Kind, das meinen
Schutz brauchte.
Ich
watete zu ihm durch. Männer besitzen oft eine gewisse
Ritterlichkeit, wenn sie sich mit Frauen anlegen – Frauen kennen
solche Zurückhaltung nicht. Und je schwächer die Frau ist, von der
sie sich bedroht fühlen, desto hasserfüllter wenden sie sich gegen
die andere Frau – denn sie wissen, dass gerade diese Schwäche für
den Mann attraktiv und damit für sie umso gefährlicher sein konnte.
Endlich
befand ich mich inmitten eines Knäuels verschiedener Kreaturen, die
neben Frank zu knien schienen. Ich bückte mich und zerrte sie weg.
Mir schien, einige waren nackt, aber ich bin nicht ganz sicher. Auf
jeden Fall waren es ihre Schultern.
Doch
nun fand ich heraus, dass ich mich geirrt hatte - dass die Art ihres
Verlangens anderer Natur war als vermutet. Ich spürte es, als meine
Hände über Franks Körper glitten.
Frank
Logan war fast tot! Kein Wunder, dass er stöhnte! Diese Frauen in
Weiß hatten sein Blut aus einem Dutzend verschiedener Wunden
gesaugt, zehrten sein Leben, seine Seele auf. Vampire? Ich glaube
nicht an Vampire. Außerdem, wenn es nur das gewesen wäre, hätten
sie auch mein Blut genommen. Was dann? Es gab kein Mittel
herauszufinden, was sie zu ihrer Blutorgie inspirierte, sie sprachen
keine Sprache, die ich kannte. Sie wisperten nur, leise, verstohlen;
und dies Geflüster verriet mir endlich, was ich auch früher schon
hätte ahnen können: sie flüsterten, weil sie im Laufe der Äonen
herausgefunden hatten, dass Geflüster hier deutlicher zu verstehen
war als die lautesten Rufe.
Die
Frauen wichen vor mir zurück. Ich warf mich über Frank. Ich
massierte seinen Kopf, schlug ihm ins Gesicht. Er ächzte und
murmelte vor sich hin.
„Frank!
Frank!“, rief ich. „ich habe die Schnur gefunden! Ich bin darüber
gestolpert, auf dem Weg zu dir!“
Das
stimmte. Doch ich hätte es auch gesagt, falls es nicht wahr gewesen
wäre, wenn es nur dazu gedient hätte, ihn aufzurütteln und seine
Lebensgeister zu sammeln. Er grunzte, stellte undeutliche Fragen. Ich
schlug ihm erneut ins Gesicht.
Ich
konnte sie fühlen, die Frauen, wie sie um uns herumwuselten. Doch
sie blieben auf Distanz, weil sie die Schärfe meiner Krallen gespürt
hatten. Sie hätten angreifen können, hätten mich überwältigen
können wie kurz zuvor. Ich glaube inzwischen, dass sie mich aus
abergläubischer Furcht verschonten, weil ich nicht, wie sie gehofft
hatten, in den Abgrund gestürzt, sondern zurückgekehrt war,
zurückgekehrt durch die Finsternis, zu ihnen, wie eine der ihren, zu
ihnen, die blind waren und begabt mit der Fähigkeit der Blinden,
sicher ihren Weg zu finden.
Ich
kenne den Grund nicht, fest steht, sie hielten sich zurück. Ich
bekam Frank letztendlich auf die Füße und begann mit ihm
loszugehen, ihn mit einem Arm stützend, während der andere sich an
der Schnur entlangtastete. Es gab keine Möglichkeit, seine Lampe zu
entzünden und zu verwenden, nicht, bevor Frank sein Bewusstsein
völlig wiedererlangt hatte.
Und
die ganze Zeit begleiteten sie uns, die Frauen in Weiß; still wie
Gespenster umschwebten sie uns links und rechts, immer knapp außer
Reichweite, vor uns auseinanderweichend, sich hinter uns vereinend,
während wir schneller und schneller dem Ausgang zuhasteten, von dem
wir nun mit Sicherheit wussten, dass wir ihn finden würden.
Ich
kann sie bis heute nicht erklären, diese Frauen in Weiß. Denn bald
gab es wieder viele der Stalagmiten, die sich überhaupt nicht
bewegten, Stalagmiten, die wir umrunden mussten während unserer
Wanderung in die Freiheit, hinaus ins himmlische Sonnenlicht.
Wir
knieten nieder, dort im ersten Lichtschimmer, fielen auf die Knie und
dankten den Göttern – welche von ihnen auch immer uns befreit
haben mochten.
Immer
noch knieend, schauten wir zurück. Es gab keine Frauen in Weiß
mehr. Wir fragten uns in diesem Augenblick, ob wir sie uns nicht
allesamt eingebildet hatten. Wir waren uns nicht sicher – wir
bezweifelten so ziemlich alles, was wir erlebt hatten. Außer, dass
wir uns liebten, und dass wir frei waren.
Doch
auf meinen Körper waren die Kratzer vieler Fingernägel zu sehen –
und auf Franks die Abdrücke gieriger Zähne.
Arthur
J. Burks
Women
of Stone
Dime
Mystery Magazine, Juni 1935
Übersetzung:
Matthias Käther © 2020
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen