Connor
reiste nicht gern per Flugzeug. Er verspürte keine Flugangst, doch
ihn plagte ein chronisches Nebenhöhlenproblem, das seine Ohren
verstopfte und ihm Kopfschmerzen bereitete, so dass er mehr Zeit
brauchte, um sich von der Reise zu erholen als für die Reise selbst.
Wenn es irgendwie ging, reiste er mit der Bahn.
Nichtsdestotrotz
hatte seine Firma kürzlich eine eigene Spezialmaschine gechartert,
und so war sein Chef, der Verkaufsleiter, auch dazu verpflichtet, sie
zu nutzen. Connor hatte versucht, der Verkaufsleitung sein
Nebenhöhlenproblem zu erklären, doch sein Chef war ein deftiger Typ
voller Lebenskraft, der die Gebrechlichkeiten seiner Untergebenen für
eine raffinierte Form des Simulierens hielt. Und als Connor merkte,
dass er mit seinen Klagen nicht weiterkam, ließ er die Sache fallen.
Er war ohnehin nicht allzu zufrieden mit seinem Job; es war
einfacher, erstmal so weiterzumachen wie bisher und sich dabei ohne
Hast nach einem Arbeitgeber umzusehen, der kein Flugzeug sein eigen
nannte. Oder zumindest seine Außenmitarbeiter nicht dazu zwang, es
zu benutzen.
So
erreichte Connor Springfield per Flugzeug, und weil der Firmenpilot
sich für einen tollen Hecht hielt und ein Luftloch von zwanzig
Meilen Durchmesser dazu nutzte, den Autopiloten auszuschalten, um im
Kamikazeflug sein Ziel fünfzehn Minuten eher erreichen, kroch Connor
taub wie eine Sumpfotter und mit hirnzerreißenden Kopfschmerzen aus
der Maschine.
Wenigstens
war es schon nach fünf, als er anlangte, und damit zu spät für
irgendwelche Dienstgespräche. Connor schleppte sich direkt in sein
Hotel, schluckte drei Aspirin und warf sich aufs Bett, um sich gesund
zu schlafen.
Er
erwachte gegen Mitternacht. Seine Kopfschmerzen waren weg, und er
fühlte sich erheblich besser. Seine Ohren fühlten sich immer noch
verstopft an, doch sie würden am nächsten Tag wahrscheinlich okey
sein. So konnte er mit etwas Glück seine Geschäfte morgen
abschließen und die Stadt mit dem Zug verlassen, bevor die Maschine
am Donnerstag zurückkam.
Inzwischen
war er hungrig geworden. Ihm war vorhin viel zu elend gewesen, als
dass er ans Essen hätte denken können.
Das
Hotelrestaurant hatte seit 22 Uhr geschlossen, wie ein Schild an der
Glastür verkündete. Connor spazierte durch die Lobby, trat hinaus
auf die Straße und suchte sie mit den Augen links und rechts nach
Restaurantschildern ab. Ein paar Straßen weiter gab es ein größeres
und wesentlich opulenteres Hotel, an dem ein Schild leuchtete. Er
schlenderte hinüber und schaute hinein. Anscheinend was dies einer
der populären nächtlichen Hot-Spots der Stadt. Es gab eine Bar,
eine kleine Tanzfläche und eine Band. Der Laden war proppenvoll und
laut. Essen würde hier überteuert sein und sich um diese Zeit auf
ein Sandwich beschränken. Angesichts des Lärms und seiner
verstopften Ohren sah er Schwierigkeiten voraus, sich dem Kellner
verständlich zu machen, der ihn todsicher für einen dieser
unhöflichen „Ein-Kaffee-und-ein-Sandwich“-Kunden halten würde.
Er
lief die Straße einen Block weit hinunter bis zu einer Kreuzung und
spähte in beide Richtungen, unentschlossen am Bordstein vor der
Ampel schwankend. Es gab ein paar Bar-Schilder, doch keine Hinweise
auf eine Gaststätte, nicht mal auf einen Imbiss.
Tolle
Stadt.
Naja,
vielleicht kannte der Nachtdienst in seinem Hotel irgendwas.
Er
ging zum Hotel zurück und fand den Angestellten über die
Empfangstheke gelehnt im Gespräch mit einem der Gäste. Als Connor
näherkam, nickte der Gast lächelnd und verschwand die Treppen
hinauf, in der Hand eine zusammengefaltete Zeitung schwenkend. Der
Angestellte wandte sich Connor zu und sah ihn fragend an. Connor
sagte ihm, was er wollte, und der Angestellte erzählte ihm
irgendwas, das Connor nicht ganz verstand wegen seiner halbtauben
Ohren, und wies in die Richtung des größeren Hotels.
Connor
schüttelte seinen Kopf. „ Ein Käsesandwich und jede Menge Radau
für einen Haufen Kohle und noch mal die Hälfte obendrauf für
Trinkgeld!“ sagte er liebenswürdig. „Ich kenne diese Lokale.
Gibts nicht irgendein ruhiges Restaurant hier ganz in der Nähe, wo
man einfach was zu Essen bekommt, ne anständige Mahlzeit?“
„Es
ist ganz schön spät für ne anständige Mahlzeit!“, sagte der
Angestellte. Sein Tonfall verriet, dass jeder, der so irreguläre
Essgewohnheiten besaß, selbst schuld war, wenn ihn jetzt der Hunger
plagte.
Connors
Job sorgte oft dafür, dass sein hitziges Temperament gehörig unter
Druck geriet. Natürlich konnte er keine offene Aggression als Ventil
benutzten, und so hatte er eine persönliche Standardabwehr
entwickelt, wenn ihm jemand besonders grob kam - eine ironische
Masche, absichtlich in größter Überzeugung das Gegenteil von dem
zu behaupten, was offensichtlich war, um sein Gegenüber zu verwirren
und zu ärgern. Also sagte er kalt:
„Ich
speise nie vor Mitternacht. Schlecht für die Verdauung.“
Der
Angestellte sah erschrocken aus. (Connor war mit dem Ergebnis sehr
zufrieden.)
„Nicht
vor Mitternacht?“
Er
studierte Connor skeptisch. Dann lehnte er sich über die Theke und
erkundigte sich nach etwas in einer leisen, verschämten Weise.
„Was?“
fragte Connor absichtlich lautstark.
Der
Angestellte sah sich nervös in der Lobby um. „Sind Sie auf
Spezialdiät, Sir?“ fragte er, beugte sich noch weiter vor, immer
noch leise wispernd, aber diesmal bewegte er die Lippen übertrieben
beim Sprechen, anscheinend, um ihnen eine gewisse feierliche Note zu
verleihen.
„Wahrscheinlich
hält er mich für bekloppt“, dachte Connor. „Ach, zur Hölle mit
ihm“. Er nickte kurz.
Der
Angestellte leckte seine dünnen Lippen, kritzelte abwesend irgendwas
auf seinem Notitzblock und studierte Connor aus den Augenwinkeln. „Na
schön“, seufzte er endlich, mit einer etwas lauteren Stimme, als
hätte er widerwillig vor dessen Schwerhörigkeit kapituliert, „es
gibt da einen Ort, ein bisschen die Straße rauf, ne Art Spelunke,
aber es heißt, die haben einen guten Koch. Ne Menge Leute auf
Spezialdiät aus dieser Stadt essen da. Könnte sein, dass Sie dort
was nach Ihrem Geschmack finden.“
Er
gab Connor genaue Richtungsanweisungen; Connor dankte ihm und zog
eiligst los, um so den vielen Fragen zu entgehen, die sein Gegenüber
offensichtlich plagten.
Er
hatte einige Schwierigkeiten, das Lokal zu finden; es war nicht
direkt von der Straße aus zu erreichen, sondern man musste sich
durch eine enge Nebengasse zwängen; niemand wäre auf den Gedanken
gekommen, dass es dort so etwas gäbe, es sei denn, man suchte ganz
bewusst nach dem kleinen roten Schild „Café“.
Es
gab einen kurzen Tresen mit Barhockern und drei Séparées entlang
der Wand. In einem davon saßen zwei unscheinbare Individuen, tranken
Bier und unterhielten sich. Ein kleiner rundgesichtiger Mann mit
einem Hut, der auf seinem kahlen Schädel weit nach hinten gerutscht
war, saß auf einem der Barhocker und las eine Zeitung, im Mund einen
Zahnstocher und vor sich eine Tasse Kaffee. Der Barmann, angetan mit
T-Shirt und schmieriger Schürze, war dabei, ranziges Fett von einer
Kochplatte zu kratzen.
Ein
billiger Restaurantgeruch durchdrang das Lokal, das gereifte Bouquet
jahrelang vernachlässigter Spritzer längst verdorbenen Essens,
ungereinigter Eisfächer, überhitzter Pfannen und verbrannter Eier.
All das wirkte nicht sehr vielversprechend, und Connor erwog, in die
Hotelbar zurückzukehren. Doch zumindest war es hier ruhig – und so
sauber, wie man es von einem Ort dieser Art erwarten konnte.
Er
setzte sich auf einen Hocker am Ende des Tresens. Der Barmann kam und
fragte: „Was solls denn sein?“
„Ich
bin nicht anspruchsvoll“, erwiderte Connor. Solange es tot und viel
ist ... Ich bin hungrig wie ein verdammter Wolf. Was haben Sie denn
so?“
Der
Barman wischte verträumt mit einem Lappen über den Tresen. „Steak
okey?“ fragte er. „Pommes?“
Connor
nickte. „Das ist okey. Halbdurch.“
Der
Barmann ging zurück zum Kühlschrank. Der fette Mann senkte seine
Zeitung und starrte zu Connor hinüber. „Warm heut nacht, gell?“
fragte er.
Trotz
seines Gewerbes was Connor ein zurückhaltender Mann, und
wahrscheinlich war er deswegen auch nicht besonders geeignet für
seinen Verkaufsjob. Er mochte keine Fremden, die versuchten, ihn an
öffentlichen Orten in ein Gespräch zu ziehen. Außerdem war er
gerade nicht in der Stimmung für Konversation.
Ein
Ohr hatte sich wieder freigeploppt, während er vom Hotel hierher
gewandert war, doch da war immer noch ein Klingeln, das es ihm schwer
machte, zu verstehen, was andere sagten.
Er
grunzte unverbindlich und schlürfte seinen Kaffee.
Der
fette Man ließ sich davon nicht entmutigen. „Fremd in der Stadt,
gell?“ fragte er.
„Nicht
wirklich“, gab Connor zurück, der die bukolische Selbstgewissheit
seines dicken Gegenübers verabscheute. Doch er war tatsächlich kein
Fremder. Er hatte zwar nie hier gelebt, aber er war oft dienstlich in
Springfield gewesen, wenn auch nicht in den letzten Jahren. „Wie
kommen Sie darauf?“
Der
fette Mann grinste anbiedernd, zeigte seine schlechten Zähne und
einen weißlichen Gaumen.
„Mensch,
ich kenn jeden in diesem Kaff hier. Ich bin der Bestatter, es ist
mein Beruf, jeden zu kennen.“ Seine Stirn zerfurchte sich. „Sagen
Sie mal, wie haben Sie diese Spelunke gefunden? Nicht viele von
außerhalb kommen hierher, um zu essen.“
„Habs
gerochen. Ist doch klar, oder?“ sagte Connor lakonisch. Er blickte
auf seine Uhr. „Was hält ihn davon ab, das Steak zu bringen?“
Der
fette Mann gluckste. „Es wird gleich kommen“ beschwichtigte er.
„Ernie ist glaubt nicht dran, daß es was bringt, Dinge zu
überhasten.“
Die
beiden Männer in dem schwarzen Separée tranken ihr Bier aus und
gingen. Der Fette versuchte, noch ein paar mehr Bemerkungen an den
Mann zu bringen, die Connor keiner Antwort würdigte, und kehrte dann
zu seiner Zeitung zurück. Endlich kam das Steak.
Es
war verdorben. Connor konnte es riechen, als er den ersten Bissen zum
Mund führte. Er legte die Gabel wieder hin ohne zu probieren,
zündete sich eine Zigarette an und fragte sich, ob er jetzt Stress
machen oder einfach abhauen sollte. Er könnte den Mann bitten, ihm
ein paar Eier in die Pfanne zu hauen, aber wie die Dinge heute nacht
lagen, waren die wahrscheinlich auch schlecht. Und der Barmann war
ohnehin in der Küche verschwunden und schien es nicht sehr eilig zu
haben, zurückzukehren. Vielleicht, dachte Connor, sollte er einfach
zurück ins Bett gehen und die ganze Sache mit dem Abendessen
vergessen.
Das
Problem war nur – er war immer noch hungrig.
Der
Kaffee war nicht schlecht, er nippte daran und rauchte, versuchte,
sich zu einer Entscheidung durchzuringen.
Der
fette Mann hatte ihn verstohlen über den Rand seiner Zeitung
beobachtet. Er legte sie nun hin und lehnte sich zu Connor hinüber.
„Was ist los?“ fragte er vertrauenerheischend, „Fleisch nicht
gut?“
Connor
sah ihn an und sagte nichts.
Der
fette Mann grinste. „Bißchen reif, wette ich, gell?“
„Nee.
Nicht wirklich.“, sann Connor laut, die Gabel hebend und den Bissen
mit klinischer Genauigkeit examinierend, „Eher zu frisch, würde
ich sagen. Ich kann frisches Fleisch nicht ausstehen.“
„Zu
frisch?“ Die Augen des Fetten weiteten sich. „Das kann ich mir
bei Ernie gar nicht vorstellen. No, Sir, nicht Ernie, der würde nie
sein gutes Frischfleisch an Fremde verhökern.“ Er langte zum
Teller hinüber und ergriff die Gabel, auf der immer noch der
Steak-Bissen streckte und schnüffelte geräuschvoll daran.
„Uuah,
Jungejunge, Sie müssen total plemplem sein. Das ist nicht frisch,
es ist verdammtnochmal fast verwest!“
Connor
starrte ihn in stummer Wut an. Soso, Ernie verschwendete also kein
frisches Fleisch an Fremde? Er schnappte sich die Gabel und schob sie
dem Fetten grob unter dessen dürftigen Schnurrbart. „Und ich sag,
es ist zu frisch!“ schnauzte er. „Sehen Sie hin, es ist sogar
noch blutig! Was glaubt er, was ich bin, ein verdammter Vampir?“
Der
fette Mann wich auf seinem Stuhl zurück, erschrak, und lachte dann
schallend. „Vampir, was? Mann, der war wirklich gut, den muss ich
mir merken!“ Dann schrie er: „He, Ernie! Komm mal raus! Weißt du
was? Du servierst jetzt Blut für Vampire! Sagt der Typ hier. Das
müssen wir den Jungs erzählen.“
Er
schnaufte und gluckste glücklich. Ernie kam raus und besah sich das
unberührte Steak auf Connors Teller.
„Wo
ist das Problem?“ brummte er.
„Es
ist zu frisch und blutig, kicherte der fette Mann. „Er sagt, er ist
kein Vampir, er kann das nicht essen.“
„Tja,
wenn Sie's nicht mögen, müssen Sie's nicht essen“ sagte Ernie zu
Connor. „Macht dann nen Dollar sechzig.“
Connor
schüttelte den Kopf. „Das macht dann keinen Cent.“ erwiderte er.
„Das Fleisch ist nicht genießbar.“
„Zu
frisch und blutig!“ japste der Fette. „Oh, Jesus!“ Er wischte
sich die Augen.
„Sie
haben ein Steak bestellt, und Sie haben eins bekommen“, sagte Ernie
ausdruckslos. „Wollen Sie wirklich, dass ich die Bullen hole?“
„Da
liegen Sie genau richtig“, fauchte Connor. „Ich werde sie einen
Blick auf das Steak werfen lassen, damit sie raffen, was für eine
Sorte Essen Sie hier servieren. Ich nehme mal an, Sie haben nie von
den Hygienevorschriften in diesem Bundesstaat gehört?“
Ernie
schob sein Kinn vor und sagte nichts. Er nahm den Teller und kippte
das Essen in den Mülleimer, um dann hinter dem Tresen hervorzukommen
und sich vor Connor aufzubauen.
„So“,
raunte er. „ Sie werden jetzt die Eins Sechzig bezahlen, oder ich
mach Ihnen Beine!“
„He,
Moment, wartet mal, Jungs“, mischte sich der fette Mann ein. „Du
brauchst nicht so grob mit den Kumpel hier zu sein, Ernie. Du weißt
selbst, daß das Fleisch nicht gut war, er hats nur laut
ausgesprochen, das ist alles.“
Ernie
sah unentschlossen aus, und Fatty setzte nach. „Ich sag dir was –
warum machst du ihm nicht was anderes, irgendwas, das er essen kann?
Dafür wird er auch blechen. Das ist doch fair, oder?“
Ernie
war offensichtlich nicht dieser Ansicht. „Ich mach ihm was immer er
bestellt, aber er hat auch das Steak zu bezahlen. Mein Essen kostet
mich was. Kanns mir nicht leisten, es zum Fenster rauszuwerfen, bloß
weil irgendwelche Weicheier zu mimosenhaft sind, ums
runterzukriegen.“
Connor
schüttelte nachdrücklich seinen Kopf. „Ich werd das Steak nicht
bezahlen, und wenn Sie mir blödkommen, krieg ich Sie so schnell dran
wegen tätlichen Angriffs, dass Sie nicht wissen, wo hinten und vorne
ist.“
„Ach
ja?“ knurrte Ernie und trat einen Schritt näher.
„He,
wartet! Wartet doch mal!“ Der fette Mann lehnte sich vor und senkte
seine Stimme verschwörerisch. „Wie wärs denn damit? Ernie, du
hast doch noch dieses Stück... Wildfleisch, das ich letzte Woche
mitgebracht habe, das wird auch nicht ewig halten. Wieso nimmst du
nicht das als Friedensangebot? Dann kann er dafür soviel bezahlen
wie für das Steak, und du machst keine Miese dabei. Und alle sind
glücklich.“
Ernie
zuckte die Achseln. „Es ist dein Fleisch. Wenn du es weggeben
willst, ist es dein Problem. Trotzdem will ich das Geld für mein
Steak.“
„Was
ist das für eine Sorte Wildfleisch?“ fragte Connor misstrauisch.
Der
fette Man zwinkerte ihm zu und grinste. „Sie werden es mögen“,
versicherte er. „Ist was Spezielles. Wir sollten dafür aber
rübergehen ins Hinterzimmer. Ernie serviert es nicht gern hier
draußen. Könnte jemand reinkommen.“
Connor
war nicht erpicht darauf, in dubiose Geschäfte mit verbotenem
Wildbret verwickelt zu werden, doch er hatte die Nase voll von der
Streiterei, und er sah keinen Ausweg aus dem Dilemma: entweder zu
zahlen oder eine Schlägerei anzufangen, und er konnte sich für
keine der beiden Unannehmlichkeiten entscheiden. So stand er zögernd
vom Stuhl auf und folgte dem fetten Mann ins Hinterzimmer. Dort
standen ein Tisch und ein paar Küchenstühle herum, außerdem gabs
noch einen kleinen alten Schrank in der Ecke. Der fette Mann
watschelte mit vertrautem Gehabe zu dem Schränkchen hinüber und
entnahm ihm eine halbvolle Flasche mit einer klaren Flüssigkeit samt
zwei Gläsern.
„Wie
wärs mit einem Schlückchen, während wir warten?“
„Warum
nicht? Was ist das?“ fragte Connor.
„Tja,
auf jeden Fall keine Einbalsamierungsflüssigkeit, obwohl ich
Bestatter bin, aber eigentlich erfüllt sie denselben Zweck. Ist
guter alter Kornbrand.“
„Okey“
gab Connor nach. „Aber nur einen kleinen, bitte.“
Es
war tatsächlich Korn, ganz wie er sein sollte. Sie nahmen einen
zweiten an dem Tisch unter einer schlichten herabhängenden
Glühbirne, und Connor begann sich ein wenig milder gestimmt zu
fühlen. Der fette Mann meinte es augenscheinlich nur gut mit ihm; er
hatte sein Bestes getan, um eine kitzlige Situation zu entspannen,
und Connor fing an, sich seiner anfänglichen Unhöflichkeit zu
schämen.
Bald
kam Ernie mit einer neuen Schüssel Pommes frittes und einem
bedeckten Servierteller. Er setzte den Teller auf den Tisch und
lüftete die Haube.
Ein
unerträglicher Gestank durchflutete augenblicklich den Raum.
„Das
ist 'ne Überraschung, was?“ rief der fette Mann begeistert.
Connor
drehte seinen Kopf und starrte mit eingefrorenem Blick auf das Ding
auf dem Teller.
„Lang
richtig zu, Junge!“, sagte der fette Mann.
Connor
versuchte sich zu erheben, stemmte sich an der Tischkante hoch, wich
zurück und stolperte rücklings über den Stuhl hinter ihm. Dann lag
er da, würgend, unfähig aufzustehen. Undeutlich hörte er Ernie
schreien:
„Du
verdammter Idiot, Jake, das ist allein deine Schuld!“
Der
fette Man schien seine Hände zu ringen; er hörte ihn stammeln:
„Aber, Mensch, Ernie, wie sollte ich das denn wissen? Er musste
doch der Typ sein, den Ed Perkins hergeschickt hat! Hat zu Perkins
gesagt, er isst nie vor Mitternacht, er braucht ne Spezialdiät. Und
er mag kein Blut! Er hat doch selbst gemeint, das Fleisch, das du ihm
gegeben hast, wär ihm zu frisch. Ich...ich dachte, ich überrasche
ihn, du weißt selbst, ich kriege bei mir immer mehr, als ich
brauche, wie konnte ich...“
„Schnauze!“
zischte Ernie. „Du und dieser Idiot Perkins habt es wieder mal
vermasselt, so siehts aus. Ihr verdammten Ghule seid so bescheuert!
Mir reichts, ihr könnt euch einen andern Treffpunkt für eure
Geschäfte suchen!“ Er sah auf Connor hinunter, der immer noch in
den umgestürzten Stuhl verheddert auf dem Boden lag. „Tja, wir
können ihn hier nicht schreiend rauslaufen lassen.“ Er umrundete
den Tisch und kam auf Connor zu, ein Steakmesser in der Hand.
Ralph
Williams
Mistaken
Identity
Tales
of the Frightened #1, 1957
Übersetzung:
Matthias Käther © 2020
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