Sonntag, 6. Juni 2021

Winston K. Marks – Der Wasserfresser (1953)

 

Winston K. Marks – Der Wasserfresser (1953)


Winston K. Marks gehört zu meinen Favoriten unter den SF- und Horror-Autoren. Nach schüchternem Start im legendären Fantasy-Magazin „Unknown“ in den Vierzigern schwieg er einige Jahre – vermutlich kriegsbedingt –, um dann sein Hauptwerk in den 50ern zu schreiben – und für immer zu schweigen. Ein erstaunlicher Typ, der fast an alle renommierten SF-Magazine der Ära Qualitätsware verkaufte und doch bis heute selbst in Amerika kaum (noch) bekannt ist. Vielleicht, weil seine Art, seltsam zu sein, nicht in die 50er passte. Hätte sie besser in psychodelischen New-Wave-Jahre der 60er gepasst? Ich weiß nicht recht. Marks Blasphemien scheinen in kein Zeitalter zu passen. Sie (ver)stören überall und immer, auch wenn er seine Pillen oft mit einem hinreißenden trockenen Humor versüßt.

Nicht alle seine Storys treffen ins Schwarze. Doch es gibt eine Reihe echter Meisterwerke. Sein Kanon ist überschaubar. 62 Kurzgeschichten hat er hinterlassen, erst sechs wurden ins Deutsche übersetzt; nicht immer die besten. Dies hier ist eine bisher unübersetzte Lieblingsgeschichte von mir, eine weitere wird garantiert noch folgen.



Ich habe gerade ein Wochenende verloren. Ich bin nicht besonders erpicht darauf, es zu wiederzufinden. Kleiner Scherz. Aber ganz ehrlich - all das wär nicht passiert, wenn ich wie geplant mit McCarthy und den Jungs angeln gegangen wäre. Ich wünschte, ich hätte es getan ...

Ich verdiene meinen Lebensunterhalt als Bierlieferant. Nun ist es fast Montagmittag und ich bin noch keinen Meter gefahren. Ich bekomme Bier im Großhandel und lebe quasi vom Rabatt. Aber natürlich nicht am Wochenende.

Da ist Abhängen angesagt. Aber anstatt am Samstag und Sonntag zu angeln, zu bowlen, zu pokern oder mit den Kindern in den Vergnügungspark zu fahren, habe ich mir diesmal graue Haare wachsen lassen. Wegen eines Experiments. Auch ein Hobby...

Unten im Elks' Club sagen die Jungs, dass ich für einen einfachen Arbeiter ziemlich viel in der Birne habe. Ich schätze, das liegt daran, dass sie mich immer dabei beobachten, wie ich „Popular Science“ und „Scientific American“ und so weiter lese, anstatt mich, wie es diese Bande tut, auf den Stapel Erotik-Magazine zu stürzen, der sich einen halben Meter hoch auf dem großen Tisch im Club-Lesesaal stapelt.

Nun ja, ich gebs zu, es war mein Forscherdrang, der mich meine Frau, die Haut meiner rechten Hand, meine Lebensfreude und meinen Schlaf gekostet hat - ich habe wirklich seit zwei Tagen kein Auge zugetan! Das ist der Hauptgrund, warum ich das jetzt aufschreibe. Ich habe irgendwo gelesen, dass man seine Probleme loswerden kann, indem man sie aufschreibt.

Und ich dachte, ich hätte Freitagabend Probleme, als ich in die Einfahrt fuhr und Lottie mich von der Veranda aus anschrie: "Das Feuer ist aus! Und wir haben ne Öl-Überschwemmung! Komm schnell!"

Ärger, hah! Das war nichts in Vergleich zu dem, was noch folgen sollte.


* * * *


Lottie ist die süßeste Ex-Kellnerin, die je einen Bieruntersetzer auf einen Tisch geknallt hat, aber sie ist technisch einfach ne Niete. Der Tag, an dem Onkel Alphonse starb und uns 2.500 Dollar hinterließ und ich loszog und eine neue Küche und eine Wagenladung moderner Haushaltsgeräte für sie kaufte, war ein trauriger Tag, wirklich. Seitdem führt sie ein Leben voller Angst. Sie ist zu stolz auf ihren Geschirrspüler und diesen ganzen automatischen Gerätekram, als dass sie daran denken würde, das Zeug zu verkaufen, aber sie hat eine Heidenangst vor den Geräuschen, die die Dinger machen, und vor den Vibrationen und all den mysteriösen Displays und Lichtern und so.

Als also an diesem Freitagnachmittag der Ölheizer ausfiel, bekam sie einen Riesenschreck, schickte die Kinder mit dem Taxi zu ihrer Großmutter und saß zwei Stunden lang da und versuchte sich zu entscheiden, ob sie die Feuerwehr oder den Klempner anrufen sollte.

Währenddessen sprudelte der verflixte Ölofen sein Öl aus.

"Verdammt, mach ihn aus!" schrie ich. "Ich bin gleich da!"

Ich tauchte ab in die Garage und holte eine Handvoll Lappen und ein Stück Schnur und einen kurzen Stock. Das hatte ich schon mal erlebt. Ich ging hinein und küsste ihr hübsches weißes Gesicht, und ein paar Sorgenfalten verschwanden.

"Hol mir eine Pfanne oder sowas", sagte ich und begann, die Vorderseite des Heizers auseinanderzunehmen.

Diese Schwerkraft-Ölheizer wurden nicht so gebaut, dass man überschüssiges Öl leicht ablassen kann. Es gibt einen Messing-Propfen am Einlass, aber niemand in der Geschichte der Menschheit war je in der Lage, den rauszuzeihen, sagte mir der Ölhändler. Ich habe 200 Pfund Lebendgewicht, und legte jedes davon in die Hebelwirkung, aber alles, was dabei rumkam, war, mein Werkzeug zu ruinieren.

Die einzige Möglichkeit, das Öl rauszubekommen, war, die Vorderseite zu öffnen, Lappen durch den schmalen Feuerschlitz zu stopfen, das Zeug aufzusaugen und die Lappen mit einer um das Bündel gebundenen Schnur herauszufischen. Dann wringt man die Lappen mit bloßen Händen in eine Pfanne aus.

"He, Lottie", rief ich, "das ist deine Bratpfanne! Wird schwer sein, den Ölgeruch da wieder rauszukriegen!"

Aber da war es natürlich schon zu spät. Ich hatte bereits einen halben Liter Öl hineingekippt. Also tunkte und wrang ich weiter und dachte daran, wie lausig meine Zigaretten den ganzen Abend schmecken würden, und war froh, dass ich für meinen Lebensunterhalt Bier und nicht Öl auslieferte.


* * * *


Ich schaffte es seltsamerweise, das Haus nur ein einziges Mal in eine finstere Rußwolke einzuhüllen, als ich den Heizer neu zündete. Dann schüttete ich das Öl in der Straße vorm Haus weg und stellte die Bratpfanne in die Spüle. Lottie war dabei, Kartoffeln fürs Abendessen zu schälen, und brachte es dabei sonderbarerweise fertig, gleichzeitig ihre blonden Locken um mich zu winden, als sie versöhnlich und dankbar ihre Schulter an meiner rieb. Ich schrubbte mir den Ruß und das Öl von den Händen und sagte ihr, alles klar, Baby, nur nächstes Mal, um Himmels willen, schalt bitte wenigstens den Herd aus, wenn du in Panik aus der Küche rennst.

Das Wasser, das ich in die Bratpfanne spritzte, sammelte sich in kleinen, schrumpfenden Tropfen und erinnerte mich daran, dass wir die Schweinshaxen, die ich zum Sonntagsessen mitgebracht hatte, wegschmeißen konnten, wenn wir den Ölgeruch nicht aus der Pfanne bekamen.

"Jetzt pass mal auf", sagte ich zu Lottie. "Hol mir all deine Reinigungsseifen und so Zeug, und dann sehen wir mal, was wir daraus mixen können."

Lottie probiert ständig irgendwelche neuen praktischen chemischen Küchenhelfer aus, also hievte sie eine ganze Armladung hoch. Tja, als ich in der Highschool war, habe ich Chemie geliebt. "Charlie, der kleine Wissenschaftler", haben mich meine Kumpels genannt. Aber ich war wirklich ein ziemliches Ass in sowas, und seitdem lese ich ne Menge Wissenschaftsmagazine. Ich weiß also, was ein Waschmittel bewirken soll, und alles darüber, wie Seifen funktionieren, und ich kenne den ganzen Mist, den die Werbefritzen darüber so schreiben. Die Leute glauben einfach alles.

"Dieses hier", sagte ich zu Lottie, "hat eine Menge Lauge drin, siehst du?"

Sie nickte und sagte, das sei das Teufelszeug, das ihre Aluminium-Kaffeekanne ruiniert hat. Daran erinnerte sie sich besonders gut.

Ich goss sehr heißes Leitungswasser in die Bratpfanne und schüttete das starke Seifenpulver hinein. "Das ist zum Verseifen des Öls", erklärte ich.

"Was ist verseifen?" fragte Lottie.

"Seife ist hauptsächlich eine Mischung aus einer Art Lauge mit Fett oder Öl.

"Aber wir haben doch Seife", sagte sie. "Warum benutzt du nicht einfach die Seife, die wir haben?"

Wir vertieften uns in das Geschäft der Seifenherstellung. In der Zwischenzeit las ich noch ein paar Etiketten und fügte eine Prise von diesem und jenem Waschmittel hinzu und ein paar Spritzer von flüssigen "Wunderreinigern", auf denen nicht stand, was drin war.

In ihrer forschen schottischen Art machte Lottie mir klar, dass sie fände, ich würde ihr Seifenpulver und meine Zeit verschwenden und das Waschbecken verstopfen, also rundete ich den Cocktail ab mit einer halben Tasse Doozey-Seifenflocken, füllte die Pfanne bis zum Rand mit dem Zeug und stellte sie samt Gebräu hinten aufs Spülbrett, damit das Zeug gewissermaßen sein Geschäft verrichten konnte, Sie wissen schon.


* * * *


Nach dem Abendessen war ich im Wohnzimmer und las die Zeitung, als ich Lottie am Waschbecken murmeln hörte. Lottie murmelt normalerweise nicht, also ging ich raus, um zu sehen, was los war.

"Schöne Sauerei", sagte sie und zeigte auf die Bratpfanne. Das Zeug darin war abgekühlt und hatte sich zu einem gelatine-artigen Zustand verklumpt.

"Hah!" sagte ich. "Wir hatten eine übersättigte Lösung. Als sie abgekühlt ist, ist sie coagualisiert."

Lottie runzelte die Stirn. Es macht sie nervös, wenn ich bombastische Worte benutze, was ich nur tue, wenn ich über Chemie und dergleichen spreche.

"Also entkongolisiere es und hol es raus aus der Pfanne", sagte sie zu mir.

Mein wissenschaftlicher Forscherdrang war geweckt, als ich die Pfanne auf den Tisch schob und im vollen Licht betrachtete. Wir hatten hier eine Gelatine aus verschiedenen Reinigern, von denen jeder von sich behauptete, der beste überhaupt zu sein. Was würde diese neue revolutionäre Kombination bewirken?

Ich schnappte mir einen Topf vom Herd, in dem ein Haufen verbrannter Karottenreste am Boden klebte. Lottie hatte ihn mit etwa einem halben Zentimeter Wasser eingeweicht. Als ich nach einem Esslöffel griff, erhob Lottie Einspruch. "Hör mal, wenn du schon wieder Experimente machen willst, dann schütte diese Sauerei erst mal aus und lass mich mit die Bratpfanne abspülen!"

Ich rettete etwa eine Tasse voll von der schleimigen Schmiere, und sie ging zurück zu ihrem Geschirr.

"Es wird dir leid tun", sagte ich leise, "wenn sich herausstellt, dass dies die einzige Probe des besten Reinigers auf der ganzen Welt ist. Und wir haben nur eine Tasse voll."

Eine Minute später war ich froh, dass sie mich nicht gehört hatte. Als ich einen kleinen Klumpen von dem Zeug in den Möhrentopf fallen ließ und ein bisschen umrührte, schien sich die Mischung nicht aufzulösen und durch das zusätzliche Wasser zu verdünnen. Sondern sie schien die gleiche Dichte wie vorher zu behalten, nachdem sie das Wasser geschluckt hatte.

"Gib mir eine Kuchenform", forderte ich.

Lottie seufzte, aber sie holte eine flache Form aus der Speisekammer und reichte sie mir. Da hinein schüttete ich das Gelee aus dem Karottentopf und machte meine erste wichtige Entdeckung.

Das Zeug war nicht dazu geeignet, verbrannte Karotten zu entfernen.

Der Topf war knochentrocken. Und die Möhren auch. Sie sahen ausgetrocknet aus und klebten schlimmer denn je am Boden. Ich strich mit dem Finger drüber und die obersten Schichten zerfielen zu Staub. Dann bemerkte ich, dass nicht ein Tröpfchen oder Klecks des Gelees im Topf geblieben war. Als ich es ausgegossen hatte, war alles komplett rausgelaufen , als ob es unbedingt zusammenhängen wollte.

Auch die verkohlte Schicht ganz unten war steinhart und trocken. Das würde eine Kratzerei geben, Mannomann.


* * * *


Die Kuchenform war jetzt fast bis zum Rand voll. Das klumpige Zeug rollte komisch darin herum und versuchte, einen flachen Zustand zu erreichen, wie Gelees nun mal so sind, was ihm schließlich auch glückte. Doch es bewegte sich sonderbar. Aber die Bewegung war nicht so erschreckend wie die plötzliche Ruhe, die sich nach einem letzten Plätschern über die Oberfläche des Zeugs legte.

Es sah aus, als warte es.

Die Versuchung war größer als bei einer Parkbank mit der Aufschrift "frisch gestrichen". Ich steckte meinen Finger hinein. Genau in die Mitte.

Eine Art Welle ging von dieser Mitte aus, wie wenn man einen Kieselstein in einen Pool fallen lässt, und diese Welle traf auf den Rand und lief dann zurück zu meinem Finger. Als sie auf ihm auftraf, kletterte sie sie an meinem Finger etwa einen einen Zentimeter hoch. Eine weitere Welle, ein weiterer Zentimeter, und jetzt fühlte ich auch so was wie ein sanftes Sauggefühl. Außerdem war da noch eine andere Empfindung, die ich nur als "ultratrocken" bezeichnen kann.

Ich zuckte schnell weg und schüttelte meinen Finger kräftig, aber das war nicht nötig. Nichts von dem Zeug war hängengeblieben. In der Tat, mein Finger war verdammt trocken – staubtrocken!

Dann bekam ich das Gefühl, dass mir jemand über die Schulter starrte. Und so war es auch. Lottie. Und sie hatte einen so entsetzten Blick aufgesetzt, dass ich zusammenschrak.

"Schmeiß es weg, Charlie!", schrie sie. "Schmeiß es weg! Bitte wirf es weg!"

"Aber Schatz", sagte ich. "Es ist doch nicht lebendig."

"Ist es doch!", beharrte sie.

Lottie plappert ziemlich viel und sagt ziemlich offen, was sie denkt. Aber sie stellt nie ohne Grund irgendwelche Behauptungen auf. Wenn sie mit einer ernsthaften Behauptung herausplatzt, dann passiert das immer auf dem Boden ihrer 22-karätigen weiblichen Intuition, und sie hat eigentlich immer recht.

"Wie kann es lebendig sein?" argumentierte ich. Ich argumentiere oft, wenn ich weiß, dass ich falsch liege. Diesmal argumentierte ich, weil ich meiner Frau diesen furchtbaren Ausdruck aus dem Gesicht wischen wollte. "Komm mit ins Wohnzimmer und entspann dich", beruhigte ich sie.


* * * *


Und dann tat die gutmütige, honighaarige kleine Lottie etwas sehr Brutales. Immer noch über meine Schulter auf die Kuchenform starrend, kreischte sie mit weit aufgerissenen Augen auf und rannte aus dem Haus. Eine Sekunde später hörte ich, wie sie mit das Auto mit 30 Meilen pro Stunde im Rückwärtsgang aus der Einfahrt rausbretterte. Sie verbrannte vorne Gummi und war weg.

Ich hatte mich nicht einen Zentimeter bewegt. Denn als sie schrie, schaute ich zurück auf das Gelee, um zu sehen, warum. Das Zeug war über den Rand der Kuchenform gesickert und floss langsam über den Tisch auf mich zu.

Ich weiß ein wenig über den großen Sprachforscher Paul Korzybski und wie er immer wollte, dass jeder eine - wie er es nannte - „kortiko-thalamische“ Pause macht, wenn er sich zu Tode erschreckt. Ich machte also diese „kortiko-thalamische“ Pause, die eigentlich darin bestand, bis zehn zu zählen, während Lottie das Haus verließ. Als ich mit meiner Pause fertig war, sprang ich so heftig zurück und fiel so unglücklich über meinen Küchenstuhl, dass ich mir den Kopf heftig an der Spüle stieß.

Als ich wieder zu mir kam, war es nach Mitternacht. Das Licht in der Küche war noch an. Lottie war immer noch weg. Da war ich mir sicher. Wenn sie hier wäre, hätte sie mich ins Bett gebracht. Egal, wie viel ich von dem Produkt meines Arbeitgebers ausprobiert habe, nie hat Lottie mich auf dem Küchenboden ausschlafen lassen. Ihre 110 Pfund sind meinen 200 in mehr als einer Hinsicht ebenbürtig, und sie kümmert sich gut um ihren Mann.

Dann wurde mir klar, dass dies keine Bier-Orgie gewesen war. Es war irgendwas mit einem Topf Seifengelee.

Es war noch da. Ein langer Klumpen des halbtransparenten Zeugs war von der Tischkante runtergeglitscht und hing dort immer noch wie ein eklig aussehender Eiszapfen.

Der Knubbel an meinem Hinterkopf pochte so sehr, dass ich zuerst nicht so richtig wusste, was mit der Luft nicht stimmte. Dann sagte mir meine schmerzende, trockene Kehle, was los war. Die Luft war so trocken wie die eines Sommermittags, den wir auf einer Touristenranch in Arizona verbracht hatten. Meine Nasenlöcher kräuselten sich, und meine Zunge fühlte sich an wie ein Bündel faltiger Peperoni.

Als ich aufstand und auf die Küchentischplatte blickte, geriet ich fast wieder in Panik. Aber dieses Mal funktionierte die Kortiko-dingens-Pause und ich bekam mich schneller in Griff.

Lebendig oder tot, der Schleim war das stärkste Trockenmittel, von dem ich je gehört hatte. Es hatte das Wasser im Möhrentopf aufgesaugt, die Oberflächenfeuchtigkeit von meinem Finger gesaugt und sich dann die letzten Stunden von der Luftfeuchtigkeit ernährt.

Es war durstig. So wie Alkohol eine Affinität zu Wasser hat, so war's auch mit diesem Zeug, nur in weit stärkerem Maße. Tatsächlich streckte es sich sogar nach allem aus, was Wasser enthielt – zum Beispiel nach mir.


* * * *


Was ist daran so beängstigend, fragte ich mich? Auch Pflanzen wachsen in Richtung Wasser.

Aber Pflanzen sind lebendig.

Das war es, was Lottie gesagt hatte - oder geschrien ...

"Du bist also durstig?" fragte ich laut. "Okay, dann bekommst du jetzt einen richtigen Drink!"

Ich holte einen Eimer von der Veranda und nahm den Pfannkuchenwender, um den klebrigen Albtraum hinein zu schaufeln. Einen kleinen Rest kellte ich nach - dieser Tropfen schien auf unheimliche Weise dankbar dafür zu sein, dass er wieder zu dem elterlichen Klumpen zurückdurfte, der etwa einen Viertel des Eimers füllte.

Ich schleppte das Ding in die Waschküche unter den Wannenhahn und drehte das Wasser kräftig auf. Nach nur anderthalb Sekunden hatte ich mir fast das Handgelenk verstaucht, als ich ihn panisch wieder zudrehte. Nicht nur, dass das Gelee das Wasser aufsaugte, ohne sich aufzulösen, es begann auch in einer Säule von etwa zehn Zentimetern Dicke den Strahl hinaufzukriechen, während das Wasser hineinlief!

Als ich das Wasser abstellte, sank der unheimliche Gelee-Tentakel enttäuscht in sich zusammen.

Und nun war der Eimer über die Hälfte voll mit dem Zeug.

Ich warf versuchsweise einen Eiswürfel hinein. Es spritzte nicht einmal. Die Oberfläche zog sich etwas zurück, so dass der Würfel eine Delle eindrückte, aber allmählich kroch der verdrängte Glibber wieder um ihn herum, als wolle er ihn behutsam ausprobieren.

Ich konnte die trockene Luft nicht mehr ertragen, also riss ich Türen und Fenster auf und ließ die kühle, feuchte Nachtluft hinein. Der Eiswürfel war verschwunden, ohne auch nur eine Pfütze an der Oberfläche zu hinterlassen. Jetzt, als die Feuchtigkeit zurückkam, glaubte ich, ein merkwürdiges Schimmern im Gelee zu bemerken.

Das Telefon klingelte. Es war Lotties Mutter, die wissen wollte, warum Lottie hysterisch rübergekommen war, und wo ich mich seit sieben Uhr rumgetrieben hatte. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe, aber es erfüllte seinen Zweck. Lottie ist nicht zurückgekommen, und sie haben auch nicht mehr angerufen.

Als ich zum Eimer zurückkehrte, schien das Zeug gewachsen zu sein, aber ich konnte es nicht genau sagen, weil ich den Pegel nicht markiert hatte. Ich holte Lotties Fieberthermometer aus der Hausapotheke und maß die Temperatur des Gelees. Es zeigte 14 Grad an. Das Wandthermometer zeigte auch 14 Grad an. Raumtemperatur, mit offenen Fenstern. Was für eine Art von "Leben" könnte das sein, das keine Eigen-Temperatur hat?

Aber was für einen ausgeklügelten Stoffwechsel kann man auch von einem Organismus erwarten, der sich nur von Wasser aus dem Michigansee ernährt, direkt aus dem Staubecken?


* * * *


Ich holte einen Stift und ein Notizbuch aus Lotties ordentlichem kleinen Schreibtisch und begann, mir Notizen zu machen.

Ich wunderte mich über die Dichte des Stoffes. Eis schwamm darin, und der Eimer schien ziemlich schwer zu sein. Ich zerbrach das Thermometer und ließ einen Tropfen Quecksilber auf die unruhige Oberfläche fallen. Das Tröpfchen sank langsam auf den Boden, ohne erkennbare Wirkung.

Schwerer als Wasser. Leichter als Quecksilber.

Ich nahm ein Bier aus dem Kühlschrank und stürzte es hinunter. Die letzten Tropfen schüttete ich in den Eimer. Die Tropfen zischten über die Oberfläche, bis nur noch ein feiner Staub übrig war. Ein winziges Plätschern ließ diesen Staub zum Rand des Eimers hinüberschwappen, als ob er einen durstigen Schlund zum Einsatz freimachen musste. Das lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Rand der Flüssigkeit. Es gab dort keine Wölbung, weder nach oben noch nach unten.

Wenn ich mich recht entsann, bedeutete dies, dass es keine Oberflächenspannung gab, was mich daran erinnerte, dass ein Teil dieser Mischung aus Waschmitteln bestand.

Hatte ich eine neue Form von Leben erschaffen? War es wirklich lebendig, wie Lottie sagte? Mit Sicherheit konnte es sich selbst reproduzieren. Und es hatte genug Verstand, um die Richtung von Wasser einzuschlagen.

Vor nicht allzu langer Zeit gab es diesen bedeutenden Physiker, der darüber schrieb, wie das Leben wahrscheinlich entstanden ist, als sich die Erde gerade bildete. Er argumentierte, dass die Schöpfungs-Theorie mehr oder weniger ein Haufen Schwachsinn sei. Was tatsächlich stattfand, als die Erde abkühlte, war wohl, dass all die heißen Chemikalien, die sich vermischten, irgendwie auf eine oder zwei Kombinationen stießen, die die ersten Merkmale des Lebens aufwiesen.

Mit anderen Worten: dieser Typ hat dort angesetzt, wo Mr. Darwin mit seiner Evolutionstheorie begann.

Also ich...ich weiß es nicht. Lottie zwingt mich, jeden Sonntag mit den Kindern in die Kirche zu gehen, und ich geh auch ganz gern hin. Wenn diese chemische Theorie über die Entstehung des Lebens richtig ist, dachte ich immer, nun, dann haben eine Menge Leute eine völlig falsche Vorstellung von der Welt.

Aber konnte dieser Physiker das wabbelnde Chaos von Protoplasma erklären, das mir an diesem speziellen Freitagabend in meiner Waschküche Gesellschaft leistete?

Ich experimentierte noch ein wenig. Ich holte das Kinderlexikon heraus und schlug einige Dinge nach, die ich vergessen, und einige, die ich gar nicht erst gelernt hatte.


* * * *


Es wurde also Samstagmorgen. Fred und Claude riefen wegen des Angelausflugs an, und ich erfand eine Ausrede. Niemand sonst störte mich. Den ganzen Samstag über büffelte ich. Und den ganzen Samstagabend. Und Sonntag. Aber ich konnte keine vernünftige Antworten finden, die mich in Hinsicht auf meinen neuen Mitbewohner zufriedenstellten.

Es sah so aus, als hätte ich irgendeine Form von Leben erschaffen. Entweder das, oder irgendeine Lebensform, die eine Milliarde Jahre geschlafen hatte, hatte plötzlich einen Zustand gefunden, der ihr gefiel, und beschlossen, den Winterschlaf zugunsten der Fortpflanzung an den Nagel zu hängen.

Was mich antrieb, war der Gedanke, dass ich hier auf etwas gestoßen sein konnte, das kommerziell von Bedeutung war - eine neue Kultur von etwas, das irgendeinen Zweig der Chemie oder Biologie revolutionieren würde. Ich hielt nicht nicht mal damit auf, mir zwischendurch ein Ei zu braten. Ich kaute ein paar Cracker und trank noch ein paar Flaschen Bier, bis mein Magen protestierte. Ich war nicht wirklich müde, obwohl sich meine Augen anfühlten, als würden sie vier Zentimeter in meinen Schädel hineingedrückt.

Juniors kleiner Chemiebaukasten sagte mir nicht viel, als ich die wenigen Tests machte, die ich kannte. Lackmuspapier blieb entweder rot oder blau, wenn man es in das Gelee steckte. Das überraschte mich ein wenig, denn diese ganze Masse aus Waschmittelmischung hatte anfangs einem ordentlichen Schuss Lauge enthalten.

So wuchsen meine Notizen, nicht aber meine nützlichen Informationen. Bis Sonntag um Mitternacht stellte sich heraus, dass meine Gelee-Erfindung nur ein entscheidendes Talent hatte: nämlich die Fähigkeit, alles, was Wasser enthält, unbegrenzt aufzusaugen. Und nur Wasser wurde akzeptiert, wie es schien. Gelöste Feststoffe wurden in Form von verschiedenfarbigen Staub-Varianten wieder ausgespien.

Inzwischen war der Schleim aus dem Eimer herausgewachsen und befand sich zu zwei Dritteln in der Wäschewanne. Ein regelmäßiges Tropfen aus dem Wasserhahn hielt die Oberfläche meines Ungetüms in einem Zustand ständiger Raserei. Es war, als würde man einen Alkoholiker fingerhutweise mit Bier füttern.

Faszinierende Sache - zu beobachten, wie sich die kleinen Gelee-Finger nach jedem Tropfen streckten, nach mehr griffen und dann mit einem gereizten kleinen Peitschenschlag zurückfielen.


* * * *


Heute um zwei Uhr früh fing ich an, wieder zur Vernunft zu kommen. Vielleicht war es auch nur die Angst, die mich schließlich wieder einholte.

Denn hier lauerte Gefahr.

Ich war mir nicht ganz sicher, worin diese Gefahr bestand, aber ich begann, dem ganzen Projekt gegenüber einen tödlichen Hass zu entwickeln.

"Töte es!" schoss mir durch den Kopf. "Werde es los, Charlie!"

Lotties Schrei schrillte mir in die Ohren, und der Wunsch nach Zerstörung wurde immer drängender. Wut stieg in mir auf.

"Du willst einen Drink?", brüllte ich. Ich setzte den Teekessel auf, und als er auf vollen Touren lief, brachte ich ihn zurück zur Wanne. "Ich gebe dir einen Drink, der es in sich hat!"

Was dann geschah, würde ich gerne vergessen. Zehnmal so schnell, wie es den Kaltwasserlauf hinaufgeklettert war, schoss es den kochenden Wasserstrahl hinauf, flutete in den Teekessel, sprengte den Deckel ab und schwappte mit einer glühend-trockenen Geste über meine Hand, so dass ich den Kessel in die Wanne fallen ließ und vor Schmerz aufschrie.

Das Gelee dampfte und klebte lange genug an meinem Fleisch, um es fast bis auf die Knochen wegzufressen. Dann zerrte es an den Fleischfetzen und ließ mich mein Handgelenk packen und die Hand gewaltsam losreißen, um den Schmerz zu stoppen.

Da wurde ich verdammt wütend. Ich holte meinen Schweißbrenner, den ich zum Absengen von Farbe benutze, zündete ihn an, stellte ihn auf die größtmögliche Flamme ein und zielte damit auf die Wanne.

Es passierte nicht allzu viel. Das Gelee schrumpfte vor der brüllenden Hitze, aber es kletterte nicht über den Rand der Wanne. Es schrumpfte weiter.

Das Zeug wurde einfach immer weniger, und was übrig war, begann trüb zu werden. Und als ich den Boden der Wanne erreichte, bewegte sich der letzte Klumpen ziemlich lebhaft herum und versuchte, der Hitze zu entkommen, aber ich erwischte ihn. Jedes verdammte letzte Fitzelchen davon! Ich lachte und weinte, als ich den Brenner schließlich in die Wanne fallen ließ. Ich hatte ihn mit meiner verätzten Hand gehalten und wurde wohl ohnmächtig.

Ich war nicht lange bewusstlos. Ich stand auf und rieb meine Hand mit Schmalz ein, und es fühlte sich ziemlich gut an. Dann nahm ich ein paar Aspirin und setzte mich an Lotties Schreibmaschine. Ich weiß, dass ich nicht schlafen werde, bis ich mir alles von der Seele getippt habe, wie das alles passiert ist und so, denn ich werde es wahrscheinlich selbst nicht mehr glauben, wenn ich wieder normal bin.

Ich bin gerade rausgegangen und habe den Schweißbrenner aus der Wäschewanne gefischt. Alles, was von dem Zeug auf dem Boden der Wanne übrig geblieben ist, ist vielleicht ein halbes Pfund angesengter Seifenflocken...


* * * *


So, ich bin fertig damit, alles aufzuschreiben. Aber ich bin immer noch nicht müde. Ich mache mir keine Sorgen darüber, wie die Sache mit Lottie wieder in Ordnung kommt. Sie ist die wunderbarste, verständnisvollste Frau, die ein Mann je gehabt hat.

Meine Hand fühlt sich jetzt richtig gut an. Ich habe sie in Schmalz und Gaze eingewickelt und könnte den Truck fahren, wenn ich wollte.

Ich habe keine Angst, dass man mich feuert oder anschnauzt, weil ich nicht pünktlich zur Arbeit gekommen bin.

Nein, der Grund, warum ich heute keinen einzigen Kilometer mit meinem Bierlaster gefahren bin, ist ein andrer.

Freitagabend, als Lottie die Bratpfanne waschen wollte, habe ich, wie Sie wissen, eine Tasse des Gelees für meine Experimente aufgehoben. Den Rest spülte sie in den Abfluss.

Der Abfluss mündet in den Michigansee.

Die Brauerei, bei der ich arbeite, liegt direkt am Ufer.

Ich habe Angst, hinzufahren und nachzusehen.

Winston K. Marks

The Water-Eater

Galaxy, Juni 1953

Übersetzung: Matthias Käther © 2021

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