Jeremias
Perkins' Erscheinung und Verhalten wirkte auf seine Umgebung
wie...nun, vielleicht reicht es zu sagen, dass wirklich niemand auf
den Gedanken kam, ihn Jerry zu nennen. Nicht mal seine Frau Martha.
Eines
morgens beim Frühstück kam ihm der der philosophische Gedanke, dass
es keinen vernünftigen Grund dafür gab, anzunehmen, das Licht würde
weiter existierten, wenn er die Augen schloß. Er trug diese kühne
Idee zwischen der Lektüre der Meinungsseite und der Börsenberichte
seiner Frau vor.
„Was
redest du da, Schatz?“ fragte sie dröge.
Martha
erschien immer dröge zum Frühstück – das war einer der Gründe,
warum Perkins seine Ehe zunehmend kritischer betrachtete. Der andere
Grund war, dass er einen Abscheu für große Frauen hegte. Martha war
doppelt so groß wie er. Man könnte hier die Frage aufwerfen, warum
ihm das nicht schon vor der Hochzeit aufgefallen war. Aber wir
berechnen hier Größe nicht in Zentimetern, sondern in Pfund. Und
Martha wuchs weiter.
Er
dozierte klar und verständlich – und legte gestisch Wert darauf,
zu zeigen, wie klar und verständlich er dozierte: „Ich habe
gesagt, dass ich keinen Grund habe zu glauben, dass das Licht
anbleibt, wenn ich meine Augen schließe.“
„Ahso.“
Martha wandte sich wieder einer ihrer Lieblingstätigkeiten zu und
bestrich ihren Toast mit einer abstoßend dicken Schicht Honig.
Perkins' Aufmerksamkeit kehrte zurück zur Börsenseite.
„Aber,
Jeremias“, wandte Martha nach einer Weile ein, „natürlich bleibt
das Licht an, wenn du deine Augen schließt.“
Er
hob die erwähnten Augen über die Zeitung, um seine Frau anzusehen
und erklärte geduldig: „Ich hab ja auch nicht gesagt, dass es
ausgeht. Ich habe nur gesagt, ich habe keinen Grund zu glauben, dass
es anbleibt.“
Sein
Blick kehrte zurück zu den Börsenberichten. „Was etwas völlig
anderes ist“, fügte er hinzu.
Martha
bekannte schüchtern: „Ich glaube nicht, das ich verstehe, was du
da redest, Jeremias...“
Mit
einer Geste mühsam zusammengeraffter Geduld legte er seine Zeitung
beiseite und starrte durch die starken Brillengläser seines
Kneifers. „Dann werde ich es mal ganz einfach erklären“,
versprach er. „Du hast sicher von diesen Leuten gehört, die sich
fragen, ob das Licht in ihrem Kühlschrank noch brennt, wenn die Tür
geschlossen ist?“
„Aber
ja!“ bestätigte Martha mit Enthusiasmus nickte so heftig, dass
ihre Kinne widerlich zu wabbeln begannen. „Mrs. Klatz hat uns erst
letzte Woche einen Witz darüber im Brigde-Klub erzählt, und...“
Er
starrte sie kalt an, und sie gab es auf, ihm erzählen zu wollen,
welche Pointe Mrs. Klatz über Kühlschrank-Licht in petto hatte.
„Ja,
Schatz.“
Er
fuhr fort: „Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, einer Person,
die auch nur einigermaßen bei Verstand ist, zu demonstrieren, dass
das Licht im Kühlschrank tatsächlich ausgeht, wenn die Tür
geschlossen wird. Eine dieser Methoden könnte darin bestehen, ein
kleines Kind in den Kühlschrank zu stecken und die Tür zu
schließen. Allerdings ist dieses System fehleranfällig, denn es
hängt von der Tendenz des Kindes ab, die Wahrheit zu sagen oder zu
lügen. Ich persönlich neige nicht zur Leichtgläubigkeit und lehne
diese Methode ab. Ein besserer Weg wäre, ein kleines Fenster in die
Kühlschranktür einzulassen; dann kann eine zweifelnde Person selbst
überprüfen, was passiert, wenn sie die Kühlschranktür schließt.
Hab ich mich soweit verständlich ausgedrückt?“
Sie
schluckte ihren Mund voll Honigtoast hastig hinunter und versicherte:
„Ja, Schatz.“
„Sehr
schön. Mein Problem ist nun, daß ich, während ich
zufriedenstellend beweisen kann, dass das Licht im Kühlschrank
ausgeht, wenn ich die Tür schließe, keinen plausiblen Beweis
erbringen kann, dass das Licht anbleibt, wenn ich die Augen zumache.“
Sie
blinzelte ihn an und verschüttete fast den Inhalt der Kaffeetasse in
ihrer rundlichen Hand. Er bemerke wie immer, dass sie die Tasse mehr
mit fetter Sahne als mit Kaffee gefüllt hatte.
Er
fuhr fort, zu dozieren.
„Sagen
wir, ich besuche die Nachmittags-Vorstellung eines Theaters. Welchen
Grund habe ich anzunehmen, dass draußen weiter die Sonne scheint,
während ich drin bin?“
Sie
wandte zögerlich ein: „Du könntest in der Pause rausgehen und
nachsehen.“
Perkins
schnaubte verächtlich. „Aber verstehst du denn nicht? Wenn ich das
machen würde, würden SIE das Licht wieder andrehen.“
Und
damit kehrte er endgültig zu seiner Zeitung zurück, für ihn war
das Thema damit abgeschlossen.
Vielleicht
wäre diese Sache nie wieder zur Sprache gekommen, hätte Mrs.
Perkins nicht bemerkt, dass ihr Mann zunehmend von der Idee besessen
war, seine Vermutungen zu bestätigen. Zum Beispiel fiel ihr auf,
dass Jeremias, unten im Keller mit seiner Giftpilzzucht beschäftigt,
von Zeit zu Zeit wie wild die Kellerstufen hinaufrannte, um
angewidert aus dem Küchenfenster zu starren.
Beim
Mittagessen murmelte er, zu niemand speziellem: „Ich hatte es
gestern fast geschafft, als ich zwei U-Bahn-Stationen vor meiner
ausgestiegen und zur Straße hochgerannt bin.“
Selbst
jetzt (Martha war eine besonders aufmerksame Ehefrau, wenn er diese
Anfälle hatte, und glauben Sie nur nicht, dass dies der erste dieser
Art war) hätte sie nichts weiter getan, wenn es eine Weile so
weitergegangen wäre und er das Ganze dann allmählich vergessen
hätte. Das Problem war – er vergaß es einfach nicht. Es wurde
schlimmer. Er sann ständig über Möglichkeiten nach, tagsüber im
Dunkeln zu sein – er hielt sich in Theatern, U-Bahnstationen,
Kellern, Dachböden und fensterlosen Räumen auf - um plötzlich
einen Spurt nach draußen zu machen, in der Hoffnung herauszufinden,
ob die Sonne verschwand oder nicht, wenn er sich aus ihrer Reichweite
entfernte.
Er
schien sonderbar enttäuscht zu sein, wenn er sie am Himmel fand.
Eines
Abends, als sie nach dem Abendessen im Wohnzimmer saßen, fragte sie
ruhig: „Warum sollten SIE das wollen – das Licht ausmachen, wenn
du die Augen schließt oder oder wenn du im Keller oder auf dem
Dachboden bist?“
Er
las grade den Kinsey-Report und sah ungeduldig auf. „Woher soll ich
das wissen? Vielleicht, um Energie zu sparen.“
Normalerweise
trieb sie die Dinge nicht weiter, wenn sein Ton noch gereizter klang
als sonst, aber diesmal wappnete sie sich und fragte: „Wer sind
SIE, Schatz?“
„Wer
ist wer?“ schnappte er. „Wenn du schon redest, versuch doch, dich
einigermaßen klar auszudrücken, Martha.“
„Wer
sind diejenigen, die das Licht ausknipsen könnten, wenn du die Augen
zumachst?“
Er
seufzte tief und schloß das Buch, einen Finger in der Seite dort steckenlassend, wo er stehengeblieben war. Er nahm seinen Kneifer ab
und sagte: „Ich hab nicht die leiseste Idee. Aber, wer immer sie
auch sind, ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass sie das ganze
Projekt zunehmend schlampiger verfolgen. Extrem schlampig sogar.“
Nun,
wo sie schon so weit gekommen war, hatte es wenig Zweck, den Rückzug
anzutreten, also fragte sie so gelassen wie möglich: „Was für ein
Projekt, Schatz?“
Er
sah sie für einen langen Moment an, die Lippen fest
zusammengekniffen vor Ungeduld.
„Na
schön!" Sagte er endlich. „Ich sehe, du bestehst darauf, diese Rolle
bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Zweifellos bist du so instruiert
worden. Aber ich gestehe dir und deinen Vorgesetzten offen, dass ich
euch durchschaut habe. Ich habe die Natur dieser... wie soll ich es
nennen, Martha – dieser 'Welt'? durchschaut. Seit langem.“
Sie
öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, doch er winkte aggressiv ab
und fuhr fort. „Euer großer Fehler war, das Ganze so
offensichtlich absurd zu gestalten. Wer auch immer an oberster Stelle
dafür verantwortlich ist, wäre vielleicht erfolgreicher darin
gewesen, mich zu täuschen, wenn er der Sache wenigstens einen
Anschein von Plausiblität verliehen hätte.“
„Aber
Jeremias...“
„Sei
still, bis ich fertig bin, Martha. Ich habe vor geraumer Zeit
festgestellt, dass der einzige Grund, warum diese sogenannte 'Welt'
mit allem Drum und Dran überhaupt existiert, darin besteht, mich von
der eigentlich Wahrheit fernzuhalten, meinen Geist zu trüben, und
mich so zu verwirren, dass mir die eigentliche Wahrheit nicht ins
Auge springt. Schön, ich behaupte, dass dieses Unternehmen ziemlich
dilettantisch aufgezogen wurde. Ich räume ein, dass ich nicht ganz
verstehe, warum diese Dinge passieren, aber was immer hier geschieht,
ist sehr schlampig gemacht, versichere ich dir, sehr schlampig.“
Er
setzte seinen Kneifer wieder auf den Nasenrücken und kehrte zu
seinem Buch zurück, offenbar entschlossen, das Thema an dieser
Stelle fallenzulassen.
Doch
Martha war außergewöhnlich tapfer heute abend.
„Was
ist absurd, Jeremias? Ich glaube nicht, dass ich verstehe, was...“
Er
seufzte erneut tief, platzierte das Buch auf dem Teetisch vor ihm und
steckte seinen Kneifer wieder in seine Tasche. „Fast alles“,
sagte er ruhig. Für einen Augenblick sah er so aus, als hätte er
sie vergessen, als würde er mit sich selbst reden. Seine Augen
wanderten zur Decke, und er fuhr sanft fort: „Fast alles ist
absolut absurd. Nimm zum Beispiel unsere Regierung und unser
Gesellschaftssystem. Ist darin irgendetwas oder irgendjemand normal?“
„Du
solltest nicht schlecht über unsere Regierung sagen, Schatz“, warf
sie prüde ein und fühlte sich sehr selbstsicher in dieser
Angelegenheit.
„Das
sozio-ökonomische System dieses Landes ist extrem absurd“, fuhr er
fort, sie ignorierend. „Man sollte nicht glauben, dass so etwas
Lächerliches überhaupt existiert, und daran zweifeln, dass man
diese Lächerlichkeit noch übertreffen kann, aber du mußt nur nach
England schauen, um es noch lächerlicher zu finden. Und wenn du dir
Rußland ansiehst, dann wird es erst richtig grotesk.
Und
als ob das nicht reichen würde! Das ist noch gar nichts – die
wahre Absurdität des Projekts enthüllt sich bis zum Punkt äußerster Überspanntheit, wenn du dir die zwischenmenschlichen Beziehungen
anschaust. Nimm die zwischen den Geschlechtern als als klassisches
Beispiel. Er fällt wirklich schwer, sich etwas Farcenhafteres
vorzustellen als zwei Personen, wie wir beide, zum Beispiel, die sich
einst verliebt haben, was immer das auch heißen mag, und die nun im
ewigen Nebeneinander verharren für den Rest ihres Lebens. Der von
IHNEN angestrebte Zweck dieser Übung ist zweifellos der, weitere
'Menschen' auszubrüten, um den ganzen Wahnsinn fortzusetzen.“
Martha
begann zu weinen.
„Ach
bitte!“ stöhnte er. „Gut, ich werde die Angelegenheit nicht
weiter verfolgen. Ich wollte dir nur klarmachen, dass ich Bescheid
weiß, dass ich realisiert habe, dass dies hier alles eine Farce ist, und
dass du Teil der Komödie bist. Meinetwegen kannst du damit
fortfahren, deine Rolle zu spielen.“
Er
nahm seinen Kneifer aus der Tasche, setzte ihn erneut behutsam auf
die Nase und kehrte zu den Forschungsergebnissen des Kinsey-Reports
zurück. „Ich bin wirklich überrascht, das SIE zugelassen haben,
dass dieses Buch gedruckt wird“, bemerkte er obenhin.
Nach
einer längeren Periode des Schluchzens, gegen die er völlig immun
zu sein schien, trocknete Martha ihre Augen und stammelte:
„Vielleicht solltest zu zum Arzt gehen, Schatz.“
Ohne
aufzusehen, informierte ihr Ehemann sie: „Ich habe diesen Vorschlag
erwartet. Bitte erwähne ihn nie wieder.“
„Ja,
Schatz. Aber, Jeremias...“
Er
legte sein Buch zum drittenmal beiseite und schloss für einen langen
Moment die Augen. Endlich öffnete er sie und sah sie ernst an.
„Martha“, sagte er, „ich halte mich für eine
überdurchschnittlich tolerante Person. Dennoch bin ich diese ganze
Konversation langsam leid. Ich werde meine Schlüsse hier nur noch
einmal darlegen, danach wünsche ich von dem Thema nie wieder etwas
zu hören.
Die
Frage, ob das Licht an Ort und Stelle bleibt oder ob es verschwindet,
ist vergleichsweise unwichtig, obwohl sie mich zugegebenermaßen
fasziniert hat. Entscheidend ist, dass die entsprechenden Experimente
mir endgültig klar gemacht haben, welcher Natur die sogenannte
'Welt' mit seinen 'Bewohnern' ist. Mann kann mich nicht mehr
täuschen.“
„Na
gut“, seufzte Martha, „wenn man dich nicht mehr täuschen kann,
gibt es auch keinen Grund mehr, sich zu verstellen.“
„Genau.“
bestätigte er gereizt.
Und
so verwandelte sich Martha in ihre wahre Gestalt und glitschte aus dem Wohnzimmer und durch die Eingangstür, um ihren
Vorgesetzten Bericht zu erstatten.
Jeremias
machte sich nicht die Mühe aufzublicken, als SIE verschwand.
Originaltitel:
He Knew All The Answers
Fantastic
Adventures 1951/11
Übersetzung: Matthias Käther © 2019
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