I.
„Und
was ist das hier?“ fragte Evelyn, eine beschlagene alte Golddose
öffnend und ihren Inhalt neugierig betrachtend.
„Samen
von irgendeiner unbekannten ägyptischen Pflanze“ antwortete
Forsyth, wobei ein Schatten über sein dunkles Gesicht huschte, als
er auf die scharlachroten Körner hinabsah, die ihm auf einer weißen
Hand entgegengehalten wurden.
„Wo
hast du die her?“ fragte das Mädchen.
„Das
ist eine seltsame Geschichte, die dich nur beunruhigen wird, wenn ich
sie dir erzähle“ meinte Forsyth mit einer einem abwesenden
Ausdruck, der die Neugier der jungen Frau nur noch mehr anstachelte.
„Bitte,
erzähle. Ich mag seltsame Geschichten, sie beunruhigen mich nie.
Komm schon, erzähle, deine Geschichten sind immer so spannend!“
rief sie und blickte ihn mit solch einer verführerischen Mischung
aus Flehen und Befehlen in ihren Gesichtszügen an, daß Widerstand
zwecklos war.
„Du
wirst es bereuen! Und ich wahrscheinlich auch. Ich warne dich schon
jetzt – denn dem Besitzer dieser mysteriösen Samenkörner wurde
Unglück vorhergesagt!“ drohte Forsyth lächelnd, obwohl er
gleichzeitig die Stirn runzelte und das strahlende Geschöpf vor ihm
mit einem liebevollen und doch mahnenden Blick betrachtete.
„Erzähle
schon! Ich habe keine Angst vor diesen hübschen winzigen Dingern
hier!“, gab sie zurück und nickte gebieterisch.
„Dein
Wunsch ist mir Befehl. Lass mich kurz die Fakten rekapitulieren, und
dann fange ich an,“ murmelte Forsyth, auf- und abgehend mit dem
abwesenden Blick eines Menschen, der im Buch der Vergangenheit
blättert.
Evelyn
beobachtete ihn einen Moment lang, um dann zu ihrer Arbeit
zurückzukehren, oder genauer gesagt, zu ihrem Spiel. Die
Beschäftigung schien sehr passend für dies lebhafte kleine
Geschöpf, halb Kind, halb Frau.
„Als
ich in Ägypten war“, begann Forsyth, „beschloss ich eines Tages,
mit meinem einheimischen Führer und Professor Niles die
Cheops-Pyramide zu erforschen. Niles hat eine Schwäche für
Antiquitäten aller Art, und so vergaß er Zeit, Gefahr und
Erschöpfung bei seinen Erkundungen in den Gängen des Bauwerks. Wir
turnten die engen Passagen rauf und runter, halb erstickt von Staub
und schlechter Luft, lasen Inschriften an den Wänden, stolperten
über zerborstene Sarkophage oder fanden uns von Angesicht zu
Angesicht mit seltsam verschrumpelten leblosen Wesen wieder, die
koboldhaft in den alten Regalen hockten, wo die Toten für alle
Ewigkeit verstaut wurden. Nach einigen Stunden war ich verzweifelt
müde und bettelte den Professor an, wir mögen zurückkehren.
Doch
der war davon besessen, gewisse Orte genauer zu untersuchen und
konnte einfach nicht genug bekommen. Wir hatten nur den einen Führer,
und so war ich gezwungen, ihn zu begleiten; doch als Jumal sah, wie
müde ich war, schlug er vor, dass wir uns in einem der breiteren
Gänge ausruhten, während er hinausging, um einen anderen Führer
für Niles zu besorgen.
Wir
stimmten zu, und uns versichernd, dass wir vollkommen sicher wären,
solange wir uns nicht vom Fleck rührten, verließ er uns, nicht ohne
rasche Rückkehr zu versprechen. Der Professor setzte sich, um sich
Notizen zu seinen Forschungen zu machen, und ich streckte mich auf
dem weichen Sand des Ganges aus und war sofort eingeschlafen.
Ich
erwachte mit jener unbeschreiblichen Anspannung, die uns instinktiv
vor drohender Gefahr warnt. Ich sprang auf – und fand mich selbst
verlassen vor. Eine Fackel brannte noch schwach - dort, wo Jumal sie
hingesteckt hatte - doch Niles und das andere Licht waren
verschwunden. Ein schreckliches Gefühl von Einsamkeit schien mich
einen Moment lang zu erdrücken, dann riß ich mich zusammen und
blickte mich aufmerksam um. Ein Stückchen Papier war an meinen Hut
geheftet, den ich neben mich gelegt hatte, und auf dem Zettel stand,
in der Handschrift des Professors:
„Ich
bin losgezogen, um mein Gedächtnis an bestimmten Orten noch einmal
aufzufrischen. Folge mir nicht, bis Jumal kommt. Ich kann meinen Weg
zu dir zurückfinden. Ich habe Hinweise hinterlassen. Schlaf gut, und
träum was Schönes von den Pharaonen. N.N.“
Ich
lachte zunächst über den alten Enthusiasten. Dann fühlte ich mich
beunruhigt. Dann ruhelos. Schließlich beschloss ich, ihm zu folgen,
denn ich entdeckte eine dicke Schnur, befestigt an einem
herabgefallenen Stein, und wusste, dass dies der Hinweis war, den er
erwähnt hatte. Ich hinterließ eine Zeile für Jumal, nahm die
Fackel und wandte mich zum Gehen, immer der Schnur an den
Wegbiegungen folgend. Oft rief ich, erhielt aber keine Antwort, und
rannte weiter, an jeder Ecke hoffend, ich würde den alten Mann dabei
erblicken, wie er über irgendeiner verstaubten uralten Antiquität
grübelte. Plötzlich endete die Schnur, und meine Fackel senkend,
sah ich, dass die Fußspuren dennoch weiterführten.
„Unvorsichtiger
Trottel, er wird sich verlaufen, soviel ist sicher!“ dachte ich,
nun wirklich alarmiert.
Als
ich innehielt, erreichte ein ferner Ruf mein Ohr, Ich antwortete,
wartete, schrie erneut, und ein noch leiseres Echo kam zu mir zurück.
Niles
entfernte sich augenscheinlich immer weiter von mir, irregeführt
durch den Widerhall in diesen engen Passagen. Ich durfte keine Zeit
verlieren. Völlig selbstvergessen stieß ich meine Fackel in den
tiefen Sand, damit sie als Rückkehr-Zeichen dienen konnte, und
rannte den Pfad vor mir geradewegs hinunter, dabei herumbrüllend wie
ein Wahnsinniger. Natürlich hatte ich nicht vor, das Licht aus den
Augen zu verlieren, doch in meinem Eifer, Niles zu finden, irrte ich
von der Hauptpassage ab, und hastete weiter, geleitet von seiner
Stimme. Bald beglückte das Licht seiner Fackel meine Augen, und der
herzlich Griff seiner zitternden Hände bewies mir, welche Qualen er
gelitten hatte.
'Lass uns von diesem grässlichen Ort verschwinden', ächzte er, sich große
Schweißtropfen von der Stirn wischend.
'Komm,
wir sind nicht sehr weit weg vom Ausgangspunkt... wir können ihn
schnell erreichen – und dann sind wir sicher!' gab ich zurück,
doch noch während ich das sagte, überlief mich ein kalter Schauer,
denn vor uns lag nun ein vollkommen unbekanntes Labyrinth von engen
Gängen.
Ich
versuchte mich an solchen Hinweisen zu orientieren, die mir während
des raschen Herlaufens flüchtig im Gedächtnis geblieben waren, und
folgte den Fußspuren im Sand, bis ich glaubte, nahe bei meiner
zurückgelassenen Fackel zu sein. Trotzdem sahen wir auch nicht das
schwächste Glimmen, und als ich mich niederkniete, um die Spuren
näher zu untersuchen, entdeckte ich zu meiner Bestürzung, dass ich
fremden Schritten gefolgt war, denn unter den tiefen Abrücken von
Stiefelabsätzen befanden sich auch welche von bloßen Füßen.
Jumals konnten es aber nicht sein, denn der trug Sandalen.
Ich
erhob mich und konfrontierte Niles mit dem verzweifelten Wort:
'Verloren!' Ich wies auf den verräterischen Sand und dann auf unser
fast erloschenes einziges Licht.
Ich
dachte, der alte Mann würde von Verzweiflung überwältigt werden,
doch zu meiner Überraschung blieb er ganz ruhig und ausgeglichen. Er
dachte einen Moment nach und sagte dann gelassen:
„Hier
sind andre Leute vor uns gewesen. Lass uns den Fußspuren folgen,
höchstwahrscheinlich führen sie uns in die Hauptgänge zurück, wo
es nicht sehr schwer sein dürfte, gefunden zu werden.“
Und
so gingen wir tapfer los. Alles ging gut, bis ein Fehltritt den
Professor plötzlich zu Boden schleuderte! Sein Bein schien
gebrochen, und beim Sturz erlosch um ein Haar unsere Fackel. Ein
schreckliches Dilemma! Ich hatte alle Hoffnung verloren, als ich mich
neben meinen armen Begleiter setzte, der völlig erschöpft dalag,
verzehrt von Müdigkeit, Reue und Schmerzen. Ich wusste, dass ich ihn
niemals verlassen konnte und würde.
„Paul“,
sagte er plötzlich, „wenn du nicht weitergehen willst – es gibt
noch eine letzte Möglichkeit, die uns offenbleibt. Ich erinnere mich
gehört zu haben, dass eine Gruppe, die sich wie wir verlaufen hatte,
dadurch rettete, indem sie ein Feuer anzündete. Rauch trägt weiter
als als Schall oder Licht, und der Führer konnte den ungewöhnlichen
Qualm sofort richtig interpretieren. Er folgte ihm und rettete die
Gruppe. Mach ein Feuer und vertraue Jumal.“
„Ein
Feuer ohne Holz?“, setzte ich an, doch er zeigte auf ein Regal
neben mir, dass mir im Dämmerlicht entgangen war und erblickte einen
schmalen hölzernen Mumiensarg. Ich verstand Niles sofort, denn diese
trockenen Kisten, die hier in der Pyramide zu Hunderten verstreut
lagen, wurden nicht selten als Feuerholz benutzt. Ich reichte hinauf
und zog sie herunter in dem Glauben, sie sei leer, doch als sie auf
dem Boden aufschlug, zerbarst sie, und heraus quoll eine Mumie.
Obwohl ich an solche Situationen gewöhnt war, erschrak ich ein
wenig, denn in unserer gefährlichen Situation lagen meine Nerven
blank. Ich legte das braune Insektenpuppenhafte Ding beiseite und
zertrümmerte den Sarg. Dann entzündete ich die Splitter mit meiner
Fackel – und schon zog eine leichte Rauchwolke die drei Gänge
hinauf, die von der Kammer abzweigten, in der wir uns niedergelassen
hatten.
Während
ich mit dem Feuer beschäftigt war, hatte Niles beim Anblick der
Mumie Schmerz und Gefahr vergessen und zog sie näher zu sich heran.
Er untersuchte sie mit dem Interesse eines Mannes, dessen
Leidenschaft für sein Steckenpferd selbst in Todesgefahr
unangefochten blieb.
'Komm
und helf mir, sie auszupacken! Ich habe immer davon geträumt, als
erster Mensch die kuriosen Dinge in Augenschein zu nehmen, die in die
Bandagenfalten einer Mumie eingewickelt wurden! Übrigens ist es eine
Frau – wir könnten hier etwas Seltenes und Wertvolles vorfinden!'
So sprechend, begann er die äußeren Hüllen abzuwickeln, von denen
ein eigenartiger aromatischer Duft aufstieg.
Ich
gehorchte nur widerstrebend, denn für mich hatten die Gebeine dieser
unbekannten Frau etwas Heiliges. Aber um uns die Zeit zu verkürzen
und meinen armen Freund zu zerstreuen, ging ich ihm zur Hand und
fragte mich bei der Arbeit, ob dieses schwärzliche, ekelhafte Ding
wohl je ein attraktives und sanftäugiges ägyptisches Mädchen
gewesen war.
Aus
den faserigen Falten der Bandagen fielen diverse Brocken
eingetrockneter Öle und Gewürze, die uns mit ihrem starken Duft
fast die Sinne raubten, außerdem einige antike Münzen und sogar ein
paar sonderbare Juwelen, die Niles begierig untersuchte.
Endlich
waren alle Bandagen abgewickelt, und vor uns lag ein kleiner runder
Kopf, an dem immer noch große geflochtene Strähnen von dem hingen,
was einst ein prachtvoller Haarschopf gewesen sein musste. Die
verschrumpelten Hände waren auch der Brust gefaltet, und unter ihnen
eingeklemmt steckte diese goldene Dose.“
„Ah!“
schrie Evelyn und ließ das Ding mit einem Schauder aus ihrer rosigen
Handfläche geiten.
„Aber,
aber – geh nicht so widerspenstig mit dem Schatz dieser armen alten
Mumie um! Ich habe mir nie verziehen, sie gestohlen und die Frau
verbrannt zu haben“, seufzte Forsyth und zeichnete energisch weiter
an seiner Skizze, als ob die Erinnerung an diese Erfahrung seiner
Hand Energie verlieh.
„Sie
verbrannt? Oh Paul, was meinst du damit?“ fragte das Mädchen, sich
mit erregtem Gesicht aufsetzend.
„Ich
erzähls dir ja! Während wir mit Madame Mumie beschäftigt waren,
brannte unser Feuer fast vollständig herunter, denn der trockene
Sargkasten wurde von ihm aufgezehrt wie Zunder. Ein schwaches, weit
entferntes Geräusch ließ unsere Herzen höher schlagen, und Niles
rief: „Mehr Holz aufs Feuer! Jumal ist uns auf der Spur, laß die
Rauchfahne nicht abreißen, oder wir sind für immer verloren!“
„Da
ist kein Holz mehr! Der Sarg war sehr klein, und das wars!“ gab ich
zurück, und während ich noch sprach, riß ich mir die Kleider vom
Leib, die leicht brennbar waren und stapelte sie über der Glut auf.
Niles
tat dasselbe, doch das leichte Gewebe war schnell aufgezehrt und
produzierte keinen Rauch. „Verbrenn das!“ befahl der Professor
und zeigte auf die Mumie.
Ich
zögerte einen Moment. Wieder hörten wir das schwache Echo eines
Horns. Mein Leben war mir teuer. Wenn uns ein paar trockene Knochen
retten konnten...Ich gehorchte ihm ohne Kommentar.
Eine
trübe Flamme loderte hoch. Schwere Rauchschaden wallten auf vom
brennenden Kadaver und rollten durch die niedrigen Gänge - sie
schienen uns ersticken zu wollen in ihrem übelriechenden Gewölk.
Meine Sinne flackerten unstet, Lichter tanzten vor meinen Augen,
seltsame Wesen schienen den Gang zu bevölkern, und bevor ich Niles
noch fragen konnte, warum er röchelte und so bleich aussah, verlor
ich das Bewusstsein.“
Evelyn
tat einen langen Atemzug und legte die duftenden Samenkörner
beiseite, als ob ihr Wohlgeruch sie erdrückte.
Fortsyth's
braungebranntes Gesicht glühte vor Erregung, während er seine
vergangenen Abenteuer Revue passieren ließ, und seine Augen
glitzerten, als er mit einem kurzen Auflachen hinzufügte: „Das ist
alles – Jumal fand uns und holte uns heraus – und wir beide
schworen, nie wieder in unserem Leben eine Pyramide zu betreten.“
„Aber
diese Dose – wieso hast du sie behalten?“ fragte Evelyn, sie
verstohlen betrachtend, wie sie da im Sonnenlicht glänzte.
„Oh,
ich hab sie als Souvenir mitgebracht. Niles behielt die anderen
Sachen.“
„Aber
du hast gesagt, dass den Besitzern dieser scharlachroten Samenkörner
Unglück vorhergesagt wurde“ beharrte die junge Frau, deren
Phantasie von der Geschichte entzündet war und die den Verdacht
hegte, dass Forsyth ihr nicht alles erzählt hatte.
„Unter
dem, das Niles erbeutete, fand er auch einen Pergamentfetzen, den er
entzifferte, und diese Übersetzung besagt, dass die Mumie, die wir
da so ungalant verbrannt haben, einst eine berühmte Magierin war,
sie jeden verfluchte, der ihre Totenruhe stören würde. Natürlich
glaube ich nicht, dass das irgendwas mit dem Fluch zu tun hat –
aber Niles hat sich nicht von unserer Expedition erholt. Er sagt, er
ist nie wirklich über den schlimmen Sturz und die ausgestandenen
Ängste da unten hinweggekommen – und das mag so sein, aber
manchmal frage ich mich...ob ich auch etwas von diesem Fluch
abbekommen habe... Ich gebe zu, ich habe eine abergläubische Ader,
und die Mumie verfolgt mich bis in meine Träume...“
Ein
langes Schweigen folgte diesen Worten. Paul pinselte mechanisch vor
sich hin, und Evelyn lag da, ihn mit nachdenklichem Gesicht
betrachtend. Doch düstere Gedanken waren ihrem Wesen so fremd wie
dunkle Schatten dem strahlenden Mittagslicht, und bald lachte sie
wieder ihr aufmunterndes Lachen. Sie griff erneut nach der Dose und
fragte:
„Warum
pflanzen wir die Samen nicht ein, und schauen, was für eine seltsame
Pflanze dabei herauskommt?“
„Ich
glaube nicht, dass dabei überhaupt etwas herauskommt, nachdem die
Samen jahrhundertelang in einer Mumienhand lagen“, antwortete er
ernst.
„Lass es mich doch ausprobieren und sie pflanzen! Du weißt doch, es gab
Weizenkörner, die sprossen und wuchsen, nachdem sie aus einem
Mumiensarg genommen wurden. Warum sollten es diese hübschen Samen
nicht auch tun? Ich würde sie zu gern wachsen sehen. Darf ich,
Paul?“
„Nein,
ich würde dieses Experiment lieber unversucht lassen. Ich habe ein
komisches Gefühl bei der Sache. Ich werde mit dem Zeug nicht
herumpfuschen oder zulassen, dass irgendjemand, den den ich liebe,
damit herumpfuscht. Sie können ein schreckliches Gift enthalten,
oder irgendeine andere bösartige Eigenschaft besitzen. Diese
Zauberin hat sie hoch geschätzt, sonst würde sie die Dinger nicht
noch in ihrem Sarg umklammert halten.“
„Ach,
du bist hoffnungslos abergläubisch, das ist ja lächerlich. Sei
nicht so knauserig, gib mir ein Samenkorn, bloß um zu sehen, ob es
wächst. Schau, ich werde auch dafür bezahlen!“ Und Evelyn, die
nun neben ihm stand, küsste in auf seine Stirn, und das mit Schwung
und Enthusiasmus.
Doch
Forsyth gab nicht nach. Er lächelte und erwiderte ihre Umarmung mit
der Wärme, die einem Liebhaber gebührt, schleuderte dann aber die
Samen ins Feuer und gab ihr die leere Dose.
„Mein
Liebling“, sagte er zärtlich, „Ich werde sie mit Diamanten
füllen – oder Bonbons. Was immer du willst – aber ich lasse dich
nicht mit Zauberflüchen herumspielen. Du kennst selbst genug
magische Künste, also vergiss die 'hübschen Samen'. Schau lieber,
was für eine schöne Haremsdame ich hier aus dir gemacht habe!“
Evelyn
zog missmutig die Brauen zusammen, lächelte dann aber. Bald darauf
spazierten die beiden Liebenden im Frühlingssonnenschein und
berauschten sich an ihren eitlen Hoffnungen, die ungetrübt waren von
ahnender Furcht.
II.
„Ich
habe eine kleine Überraschung für dich, meine Liebe“, sagte
Forsyth, als er Evelyn drei Monate später am Morgen ihres
Hochzeitstages begrüßte.
„Und
ich habe eine für dich“, antwortete sie schmunzelnd.
„Wie
blass du aussiehst, und wie dünn du geworden bist! Dieses ganze
Braut-Brimborium ist zu viel für dich, Evelyn“, meinte er mit
zärtlicher Sorge, als er die bleiche Fahlheit ihres Gesichts
erblickte, und er legte ihre abgezehrte kleine Hand in die seine.
„Ich
bin so erschöpft!“, seufzte sie und lehnte ihren Kopf müde an die
Brust ihres Bräutigams. „Weder Schlaf, Nahrung oder frische Luft
ändern etwas daran, und ein seltsamer Nebel scheint meine Sinne
manchmal zu trüben. Mama meint, das ist die Hitze, aber ich
schaudere sogar in der Sonne, während mich nachts das Fieber
verbrennt. Paul, ich bin so froh, dass du mich von hier wegbringst –
in ein ruhiges, glückliches Leben mit dir. Nur fürchte ich, dass
wir nicht viel Zeit miteinander haben...“
„Meine
überspannte kleine Frau! Du bist übermüdet und nervös von all
diesen Hochzeitssorgen. Ein paar Wochen Erholung auf dem Land werden
uns schon die alte blühende Evi zurückbringen. Bist du nicht
neugierig auf meine Überraschung?“ fragte er, um ihre Gedanken in
eine andere Richtung zu lenken.
Der
dumpfe Ausdruck in den Augen des Mädchens wich einem interessierten
Blick, doch das Zuhören musste ihr schwer fallen, denn sie schien
all ihre Energie aufzubieten, um den Worten ihres Liebhabers
aufmerksam folgen zu können.
„Du
erinnerst dich doch an den Tag, als wir uns im alten kleinen Zimmer
gekabbelt haben?“
„Ja.“
Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Lippen.
„Und
dass du diese komischen roten Samen pflanzen wolltest, die ich der
Mumie gestohlen habe?“
„Ich
erinnere mich.“ Ihre Augen blitzten auf mit plötzlichem Feuer.
„Tja,
ich habe sie verbrannt, so dachte ich wenigstens, und gab dir die
Dose. Aber als ich später zurückkam, um mein Bild abzudecken, fand
ich einen der Samen auf dem Teppich. Und eine plötzliche Lust,
deiner Laune nachzugeben, brachte mich dazu, es Niles zu senden und
ihn zu bitten, es einzupflanzen und den Fortschritt zu beobachten.
Heute habe ich zum erstenmal wieder etwas von ihm gehört, und er
schreibt, dass die Saat wunderbar aufgegangen ist. Die Pflanze hat
Knospen getrieben, und er hat vor, falls sie bis dahin blühen
sollte, sie zu einem Treffen mit berühmten Wissenschaftlern
mitzunehmen. Danach will er mir ihren echten Namen mitteilen – und
auch die Pflanze selbst hierhersenden. Seiner Beschreibung nach muss es ein äußerst kurioses Gewächs sein. Ich kann es kaum erwarten,
das Ding zu sehen.“
„Du
musst nicht warten, ich kann dir die Pflanze jetzt gleich in voller
Blüte zeigen!“ Und Evelyn winkte ihm mit einem maliziösen Lächeln
– das erste nach sehr langer Zeit.
Äußerst
verblüfft, folgte Forsyth ihr in ihr kleines Boudoir, und dort, im
hellen Sonnenschein, stand die fremdartige Pflanze.
Trotz
ihrer Üppigkeit wirkten die grellgrünen Blätter fast schlank an
ihren dünnen purpurnen Stengeln, und aus ihrer Mitte erhob sich eine
geisterhaft weiße Blüte, geformt wie der Kopf einer Kobra, mit
scharlachroten Staubfäden wie eine gespaltene Zunge. Auf den
Blütenblättern glitzerten seltsame Flecken wie Tau.
„Eine
unheimliche Pflanze! Hat sie irgendeinen Duft?“ fragte Forsyth,
sich über sie beugend, um sie näher zu begutachten, und vergaß in
seiner Faszination völlig zu fragen, wie sie hierherkam.
„Keinen,
und das enttäuscht mich. Ich mag Parfüms“, antwortete das Mädchen
und liebkoste die grünen Blätter, die unter ihrer Berührung
erbebten, während die purpurnen Fäden noch röter aufleuchteten.
„Nun
red schon“, mahnte Frosyth, nachdem sie so einige Minuten stumm
dagestanden hatten.
„Ich
war vor dir im Raum, und sicherte mir einen der Samen – es waren
zwei auf den Teppich gefallen. Ich pflanze ihn ein, unter Glas und in
der besten Erde, die ich finden konnte, wartete gespannt, und war
erstaunt über die Geschwindigkeit, mit der das Ding wuchs, nachdem
es an die Oberfläche gekommen war. Ich habe es niemandem erzählt,
denn ich wollte dich überraschen. Aber die Knospe hat ewig
gebraucht, um zu erblühen, und so musste ich warten. Es ist ein
gutes Omen, dass die Blüte gerade heute aufgegangen ist. Und da sie
fast ganz weiß ist, werde ich sie zur Hochzeit tragen. Ich habe sie
lieben gelernt, nachdem ich sie so lange gepflegt habe.“
„Ich
würde sie an deiner Stelle nicht tragen! Sie sieht seltsam bösartig
aus - trotz ihrer unschuldigen Farbe. Diese Otternzunge und dieser
unnatürliche Tau! Warte, bis Niles uns sagt, woran wir sind, dann
hätschel sie meinetwegen, wenn sie harmlos ist. Vielleicht schätzte
meine Zauberin sie so, weil sie irgendeine symbolische Schönheit
darstellte. Diese alten Ägypter hatten jede Menge solcher Schrullen.
Das war übrigens ziemlich schlau von dir, mich derart zu überlisten.
Aber ich verzeihe dir, denn in ein paar Stunden werde ich diese
unberechenbare Hand für immer in die Bande der Ehe schlagen! - Wie
kalt es hier ist! Komm heraus in den Garten und tanke ein bisschen
Wärme für heute abend, Liebste. Vielleicht bekommst du auch noch
etwas Farbe.“
Doch
als die Nacht kam, konnte niemand Evelyn vorwerfen, blass zu sein,
denn sie glühte wie eine Granatapfelblüte. Ihre Augen sprühten
Feuer, ihre Lippen waren scharlachrot, und ihre alte Lebhaftigkeit
schien zurückgekehrt zu sein. Eine herrlichere Braut war nie unter
einem bauschigen Schleier errötet, und als ihr Bräutigam sie sah,
erschrak er heftig über diese fast unirdische Schönheit – das
bleiche, träge Geschöpf von heute morgen hatte sich in eine
strahlende Frau verwandelt.
Sie
wurden getraut, und wenn Liebe, viele gute Wünsche und reichliche
Geschenke ein Paar glücklich machen konnten – dann war dies hier
wahrhaft gesegnet. Doch eben in dem rauschhaften Moment, der Evelyn
zu der Seinen machte, spürte Forsyth, wie eiseskalt die kleine Hand
war, die er hielt, wie fiebrig das tiefe Rot der Wange glühte, als
er sie küsste, und welch ein seltsames Feuer in den Augen brannte,
die ihn so wehmütig ansahen.
Die
lächelnde Braut, wunderschön wie eine Fee, spielte den von ihr
erwarteten Part gutgelaunt den ganzen festlichen Abend lang, und als
endlich Licht, Leben und Farbe aus ihr zu weichen begannen, hielten
die liebenden Augen, die sie aufmerksam beobachteten, dies für eine
Folge der natürlichen Müdigkeit zu später Stunde.
Nachdem
der letzte Gast gegangen war, drückte ein Diener Forsythe einen
Brief mit der Aufschrift EILT! In die Hand. Er riß ihn auf und las
diese Zeilen von einem Freund des Professors:
Geehrter
Sir,
Der
arme Niles starb vor zwei Tagen plötzlich im Scientific Club, und
seine letzten Worte waren: „Sag Paul, er soll sich vor dem
Mumienfluch hüten! Die fatale Blüte hat mich getötet!“
Die
Umstände seines Todes waren äußerst eigenartig. Ich füge sie
seiner Botschaft hinzu. Vor einigen Monaten erzählte er uns, dass er
eine unbekannte Pflanze beobachtete, und als er jetzt herkam, brachte
er sie mit, um sie uns zu zeigen. Andere interessante Themen
beanspruchten uns bis spät in die Nacht, und so war die Pflanze
vergessen. Er trug sie im Knopfloch – eine seltsam weiße,
schlangenköpfig geformte Blüte mit glitzernden Flecken, die sich
im Laufe des Abends langsam in ein funkelndes Scharlachrot
verwandelten, bis die Blütenblätter aussahen, als wären sie mit
Blut bespritzt. Wir beobachteten, das die anfängliche Blässe und
Abgeschlagenheit, mit der der Professor zu uns stieß, bald einer
ungewöhnlichen Lebhaftigkeit wich, ja er befand sich bald in einer
unnatürlich aufgekratzten Stimmung. Fast am Ende des Treffens,
mitten in einer angeregten Diskussion, stürzte er plötzlich zu
Boden, wie vom Schlag getroffen. Er wurde bewusstlos nach Hause
gebracht, und nach einem kurzen klarsichtigen Intervall, in dem er
mir die Botschaft ausrichtete, die ich oben an Sie weitergeleitet
habe, starb er unter großen Qualen, von Mumien, Pyramiden, Schlangen
und einem fatalen Fluch fantasierend, den er angeblich auf sich
gezogen hätte.
Nach
seinem Tod erschienen seltsame grellrote Flecken auf seiner Haut, die
denen auf der Blüte erschreckend ähnlich sahen, und seine Leiche
verschrumpelte wie ein verwelktes Blatt.
Auf
meine Weisung hin wurde die mysteriöse Blüte sorgfältig
examiniert, und unsere größte Autorität auf diesem Gebiet erklärte
sie zu einer der tödlichsten Giftpflanzen Ägyptens, ein Exemplar,
das oft im Arsenal antiker Magierinnen zu finden war. Die Pflanze
absorbiert die Lebenskraft desjenigen, der sie aufzieht. Wenn die
Blüte länger als zwei oder drei Stunden am Körper getragen wird,
verursacht sie Wahnsinn oder Tod.
Das
Papier entfiel Forsyths Hand, er las nicht weiter. Er stürzte in das
Zimmer, in dem er seine junge Braut zurückgelassen hatte.
Anscheinend völlig erschöpft, hatte sie sich auf ein Sofa geworfen
und lag dort bewegungslos, ihr Gesicht halb verdeckt durch die Falten
ihres zarten Brautschleiers.
„Evelyn,
Liebste! Wach auf und antworte mir! Hast du diese seltsame Blüte
heute getragen?“ flüsterte Forsyth, den flauschigen Schleier
hinwegziehend.
Eine
Antwort war nicht nötig. Denn dort, geisterhaft an ihrem Busen
aufleuchtend, stak die bösartige Blüte. Ihr weißen Blätter waren
besprenkelt mit roten Flecken, grell wie die Tropfen frisch
vergossenen Bluts.
Doch
der unglückliche Bräutigam sah kaum hin, denn es war Evelyns leerer
Gesichtsausdruck, der seinen entsetzten Blick fesselte. Ausgemergelt
und fahl, wie von einem unheimlichen Leiden verzehrt, lag das vor
einer Stunde noch so liebenswerte Antlitz vor ihm: gealtert und
verbraucht durch die teuflische Aura der Pflanze, die ihr Leben
aufgesaugt hatte. Kein Erkennen in ihren Blicken, kein Wort auf ihren
Lippen, keine Bewegung einer Hand deutete darauf hin, dass sie ihn
wahrnahm. Nur der flatternde Puls und ihre weit aufgerissenen Augen
zeugten davon, dass sie noch lebte.
Die
arme junge Ehefrau! Die abergläubische Furcht ihres Mannes, die sie
verlacht hatte, stellte sich als berechtigt heraus. Der Fluch,
jahrelang schlummernd, hatte sich zuletzt erfüllt. Ihre eigene Hand
hatte sie für immer vernichtet. Ein totengleiches Leben war ihr
Schicksal; und für viele Jahr schottete Forsyth sich ab von der
Welt, um mit rührender Hingabe einen bleiches Gespenst zu pflegen,
das ihm nie danken konnte für eine Liebe, die sogar ein solches
Schicksal überdauerte.
Originaltitel: Lost in a Pyramid, or The Mummy's Curse
New World Magazine 1869/1
Übersetzung: Matthias Käther (c) 2019
Übersetzung: Matthias Käther (c) 2019
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