William F. Temple
Das
Dreieck des Schreckens
Ich gebe zu – die fortlaufende Lektüre eines durchgeknallten Magazins wie „Fantastic Adventures“ ist unterm Strich amüsanter als die der legendären Zeitschrift „Weird Tales“. Zwar mag das Niveau dort insgesamt höher sein, doch die schiere Abwechslung an Schrecken und Bedrohungen lässt in Weird Tales doch manchmal etwas zu wünschen übrig. Während man in „Fantastic Adventures“ wirklich nicht weiß, was als nächstes um die Ecke biegt, intelligente Termiten, neurotische Aliens oder eine fiese lebende Wandfarbe, ist das Arsenal des Schreckens in Weird Tales doch... na sagen wir mal: gediegen, aber überschaubar, vor allem in den späteren Jahrgängen. Doch es gibt bemerkenswerte Ausnahmen. Die folgende Geschichte beginnt, obwohl atmosphärisch dicht, recht konventionell, biegt dann aber in eine völlig unerwartete Richtung ab und präsentiert nicht nur eine gute Pointe, sondern gleich noch eine originelle Lösung für sämtliche paranormalen Vorgänge überhaupt …
Der Autor war Brite und betätigte sich gern auch auf dem amerikanischen Markt. Diese rare Erzählung ist nicht zu verwechseln mit seiner berühmtesten Novelle „Das vierseitige Dreieck“, die 1953 auch verfilmt wurde. Da geht es allerdings eher um moralische als um geometrische Probleme...
1.
Ich
hatte an diesem Tag fast dreitausend Wörter geschrieben und im
Rausch meiner Selbstzufriedenheit gestand ich mir ein, dass das Leben
in ländlicher Abgeschiedenheit doch etwas für sich hatte.
In
Bloomsbury kannten mich und meine Adresse viel zu viele Leute. Sie
„schauten einfach so vorbei“, zu jeder Tages- und Nachtzeit, und
nahmen keinerlei Rücksicht auf meine Arbeit. Sie gingen davon aus,
dass ein Schriftsteller ohnehin nie arbeitete; seine Geschichten
waren Dinge, die er einfach so in den seltsamsten Augenblicken hin
und wieder mal aufs Papier brachte, ohne groß darüber nachzudenken.
Etwa so, wie man Briefe schreibt.
Nach einer Reihe von Nächten
mit wenig Schlaf, in denen ich versuchte, etwas von der Zeit
zurückzugewinnen, die mir tagsüber gestohlen wurde, machte ich mich
auf den Weg, weg von London und diesen Aufmerksamkeits-Vampiren, die
sich meine Freunde nannten. Ich sorgte dafür, dass keiner von ihnen
– außer Spencer – meine Adresse erfuhr, bis ich wieder bereit
für sie war. Mit andern Worten: Wenn ich meinen Roman beendet
hatte.
Spencer war kein Problem und hielt dicht. Denn er hatte
keinen meiner anderen Freunde je zu Gesicht bekommen. Sie mieden ihn,
weil er ...tja, seltsam war. Exzentrisch. In seinem muffigen Wohn-
und Schlafzimmer am Mecklenburgh Square lebte er in seiner eigenen
Welt. Diese Seltsamkeit lag sofort spürbar in der Luft, sobald man
sein Zimmer betrat, und sie wurde durch seine Anwesenheit noch
verstärkt.
Er war ziemlich rundlich – warum, weiß ich nicht,
denn ich habe ihn nie etwas essen sehen – und ich glaube, auch
älter, als er aussah. Er sah aus wie Anfang sechzig. Es war recht
schwierig, ein Gespräch mit ihm zu führen. Man hatte das Gefühl,
dass er die ganze Zeit mit seinen Gedanken ganz woanders war und sich
nur zeitweise daran erinnerte, dass man existierte.
Und das
meiste, was er sagte, war kryptisch. Absichtlich kryptisch. Er hatte
einen verschlagenen Verstand, der es liebte, Rätsel aufzugeben und
einen zu verwirren. Oft habe ich ihn ermahnt: „Um Himmels willen,
Spencer, red doch klar und vernünftig! Selbst mein
Einkommensteuerbescheid ist besser zu verstehen als du.“
Aber
wenn man ihn dann verstanden hatte, war es die Mühe immer wert. Er
barg mehr seltsames Wissen in seinem Kopf, als Ripley sich erträumt
hatte, als er damit begann, Enzyklopädien herauszugeben. Und er war
voller überraschender kleiner Details, die mich oft ausrufen ließen:
„Was für eine Story-Idee! . . .“
Auf diese Weise habe ich
mit Spencer eine Menge Geld verdient. Vielleicht lag es daran, dass
ich ihn als meinen besten Freund betrachtete.
Das eigentliche
Grund, warum ich beschloss, auch in meinem einsamen Häuschen
zwischen Stechginster und Kiefern in Surrey mit ihm in Kontakt zu
bleiben, war die Tatsache, dass sich mein Roman mit mittelalterlicher
Hexerei befasste und ich Schwierigkeiten bei ein oder zwei Kapiteln
erwartete. Möglicherweise würde ich Spencers Wissensschatz über
solche Dinge brauchen. Außerdem hatte er die beste Bibliothek mit
Büchern über Okkultismus, die mir je untergekommen war. Ich war ihm
erstmals bei einer früheren Suche nach Informationen über
abgelegene Orte begegnet.
Aber ich wollte von dem Abend
erzählen, als ich allein über die Heide von Surrey wanderte und mit
der Arbeit des Tages sehr zufrieden war.
Es war ein Abend im
Hochsommer, als die Atmosphäre schwül und still war und der
Sonnenuntergang sie wärmer und drückender erscheinen ließ als in
der Mittagshitze.
Die Luft war eine dicke, fast flüssige
Substanz, aus der die Lungen nur schwer Sauerstoff ziehen konnten;
fast so dick wie das Blut, das in den Schläfen pumpte und den Kopf
heftig pochen ließ. Kopfschmerz-Wetter! Man sehnte sich nach einem
Sturm, der die Spannung auflösen würde.
Irgendwann in dieser
Nacht würde es Gewitter geben, denn am Horizont flackerten und
wetterleuchtete es, und die Blitze und gaben lautlos seltsame
Einblicke in ein unerwartetes Wolkenland, das dort draußen in der
Dunkelheit lag.
Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber
diese seltsamen, angespannten Sommerabende regen meine Fantasie mehr
an als die kühlen Herbst- und Winternächte, die die romantischen
Gothic-Autoren so lieben.
Keats
beginnt ein Poem mit den Worten „In einer trostlosen Dezembernacht
...“. Und Poes Ulalume wird in einer „Nacht im einsamen Oktober“
zu ihrem Grab im „ von Ghulen heimgesuchten Wald von Weir“
getragen. und was den „Raben“ desselben Dichters betrifft, der
„Nimmermehr!“ rief, dort heißt es - „Ah, ich erinnere mich
genau, / an jenen trostlosen Dezember ...“
Nein, der
Winter war lediglich physisch unangenehm. Eine heiße Gewitternacht
wie diese schürte meine geistige Ruhelosigkeit. Unbehaglich spürte
ich die unmittelbare Nähe von – irgendetwas. Ich spürte, wie sich
die elektrische Ladung langsam, aber unerbittlich in der Luft um mich
herum aufbaute und etwas Unbekanntes, etwas Dunkles und Feindseliges
formte, das sowohl an Kraft zunahm als auch an Bewusstsein, dass es
diese Kraft besaß, und mit dämonischer Anspannung auf die Stunde
seiner Entfesselung wartete.
Verdammt, dachte ich, ich habe zu
viel über diese Dinge nachgedacht. Das war wirklich der letzte
Roman, den ich über das Okkulte schreiben würde. Das Problem bei
einer solchen Beschäftigung ist, dass die Geschichte für einen
selbst real wird, während man sie schreibt, und man dazu neigt, sich
Hexenmeister und Werwölfe als Dinge vorzustellen, die man in einem
unglücklichen Moment in einer dunklen Ecke des Kohlenkellers finden
könnte. Vor allem, wenn man absichtlich in die Einsamkeit geflüchtet
ist, um sich in sein Buch zu vertiefen.
Der Feuer meines
Selbstbewusstseins war nun irgendwo zwischen diesen ungesunden
Gedanken erstickt worden. Und ich war zu weit hinausspaziert und
übermüdet. Der Zufluchtsort meiner Hütte schien mir plötzlich
sehr begehrenswert, und ich zwang meine schweren Füße, ihr
schleppendes Tempo zu beschleunigen.
Da war wieder der
Kiefernwald, der sich wie ein Fleck Tusche vor der geringeren
Dunkelheit der Nacht abhob. Hundert Meter weiter lag die Hütte, aber
trotz meiner Ungeduld waren es die langsamsten hundert Meter, die ich
in dieser einbrechenden Nacht zurücklegte. Selbst Charon, der Führer
der Toten in der Unterwelt, wäre in dieser Finsternis über
irgendetwas im Wald gestolpert. Das ferne Flackern der Blitze drang
hier nicht durch.
Ich musste mich buchstäblich den Weg
entlangtasten.
Dann hielt ich plötzlich überrascht inne,
meine Hand auf dem Stamm einer Kiefer. Irgendwo vor mir schimmerte
ein schwacher Lichtfleck – grünes Licht!
Während ich es
beobachtete, bewegte es sich mit einer Art schrecklicher, bedächtiger
Langsamkeit hin und her. Dann stand es still, und als ich es genauer
betrachtete, entdeckte ich ein schwarzes Kreuz, das es sozusagen
durchzog. Plötzlich verschwand das Licht und hinterließ bei mir die
Erkenntnis, dass das schwarze Kreuz die Silhouette des Fensterkreuzes
meines Häuschens gewesen war.
Jemand – oder etwas – befand
sich in der Hütte. Mein Herz begann wie ein Zweitaktmotor zu
rattern.
Dann kam bei mir die menschliche Angewohnheit,
unerklärliche Dinge zu rationalisieren, zum Vorschein. Es war ein
Glühwürmchen oder ein Irrlicht aus Sumpfgas aus dem Teich unweit
der Hütte gewesen. Oder – bei diesem Wetter entstanden doch diese
Lichtbälle aus Kugelblitzen, die manchmal aus Kaminen herabfallen
und in Räumen herumschweben. Oder vielleicht war dort ein
Landstreicher auf der Suche nach einem Bett oder nach Geld für ein
Bett. Aber – mit grünem Licht?
Ich wartete eine Weile, aber
das Phänomen kehrte nicht zurück. Ich hoffte, dass es, was auch
immer es war, verschwunden war. Dann tastete ich mich die letzten
Meter bis zur Tür vor und ging hinein.
In der Dunkelheit
zündete ich ein Streichholz an und überblickte den Raum bei
schwachem Licht. Die Worte „Ist jemand da?“ blieben mir in der
Kehle stecken, denn es war offensichtlich, dass niemand da war.
Ich
hielt die Flamme an die Öllampe, und der Raum wurde hell und
freundlich; die Bücherregale, die noch in ihren originalen farbigen
Schutzumschlägen waren, erfreuten mein Auge, wie es der Anblick von
Büchern immer tat, und das Modell-Segelschiff, die Vase mit den
Ringelblumen und die glänzenden Zinnkrüge waren sämtlich vertraute
und beruhigende Dinge.
Dennoch schenkte ich mir einen Scotch mit
Soda ein, bevor ich mich in den Sessel am Kamin setzte, um die
tausenden Wörter, die ich an diesem Tag gekritzelt hatte, noch
einmal durchzusehen und zu verbessern.
Mitten in meiner eigenen
Geschichte über die Verbrennung einer besonders bösartigen Hexe
bemerkte ich plötzlich, dass die Kopfhautmuskeln an meinem
Hinterkopf angespannt und zusammengezogen waren und dass meine Haare
zu Berge stehen mussten. Und ich spürte in meinem Geist, was mein
Körper schon seit einiger Zeit bemerkt haben musste – dass sich
hinter mir irgendein Wesen befand, das mich in unfriedlicher Absicht
beobachtete.
Ohne meine Aufmerksamkeit von meinem Manuskript
abzuwenden, blickte ich aus meinen Augenwinkeln auf den Spiegel, der
über dem Kamin hing. Er zeigte die Wand hinter mir leer, bis auf ein
gerahmtes Aquarell der Devils-Punch-Bowle-Schlucht bei Hindhead, das
genau so war, wie es sein sollte.
Mit nachlassender Anspannung
kehrte ich zu meiner Arbeit zurück. Aber nur für ein paar
Augenblicke.
Einige Worte, die ich zuvor in der Geschichte
geschrieben hatte, kamen mir wieder in den Sinn: „Vampire werfen
kein Spiegelbild.“
Ein leichtes Frösteln überkam mich.
Dann ein Anflug von Wut auf meine kindische Ängstlichkeit. Gütiger
Gott, diesem Dracula-Geschwätz auch nur einen Moment Glauben zu
schenken! Ich drehte mich um und starrte direkt hinter mich.
Es
waren keine furchterregenden Ungeheuer dicht hinter mir. Es war
nichts da, was nicht schon vorher da gewesen war.
„Idiot!“,
beschimpfte ich mich selbst heftig und begann, mich langsam
zurückzudrehen. Dabei huschte mein Blick an einer Messing-Pfanne
vorbei, die an der Wand hing, und kehrte dann abrupt zu ihr zurück.
Denn ich hatte den Eindruck, dass ein verschwommenes und formloses
Gesicht aus ihrer hellen runden Oberfläche mich anstarrte. Ich
setzte mich hin und betrachtete es.
Ja, es hatte definitiv die
Wirkung eines Gesichts. Ein unbewegliches, lebloses Gesicht wie das
des Mannes im Mond und kaum besser definiert.
Ich stand auf, um
es zu untersuchen, und es verblasste, als ich mich ihm näherte; es
verschwand ganz, als ich mit meiner Nase nur noch einen Meter davon
entfernt war, sodass nur noch die leere Oberfläche der Pfanne übrig
blieb. Doch als ich mich wieder in meinen Sessel zurücklehnte, war
es wieder da: zwei runde schwarze Löcher, die Augen darstellten,
eine schnabelförmige Nase, ein verzerrter Mund.
Im oberen
Küchenregal auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand sich
eine Sammlung von Zier- und Gebrauchsgegenständen. Unter ihnen auch
zwei Kerzenleuchter aus Ebenholz, kugelige Dinger mit runden,
bauchigen Fassungen für die Kerzen. Mir war klar, dass die Augen des
Gesichts einfach die Reflexion dieser beiden schwarzen Kugeln waren,
die Nase eine verzerrte Reflexion einer Vase und der Mund
wahrscheinlich eine Delle in der Pfanne, die in diesem bestimmten
Winkel einen Schatten auffing und festhielt.
Ich ließ die Sache
auf sich beruhen und kehrte zu meinen vollgekritzelten Seiten
zurück.
Nach einer Weile stieß ich auf eine Passage, die ich
für völlig neu schreiben musste, und starrte nachdenklich vor mich
hin, während ich mich bemühte, sie in meinem Kopf neu zu
formulieren.
Zuerst unterbewusst und dann mit allmählicher
Erkenntnis wurde mir bewusst, dass ich direkt auf ein anderes Gesicht
starrte.
Es befand sich in der Schnitzerei einer der Säulen des
Kamins. Aus den Windungen des erhabenen Steins, die anscheinend
Kletterpflanzen darstellen sollten, starrte mich ein dämonisches
kleines Gesicht mit scharfen, schrägen, boshaften Augen an, die
Fratze eines Fuchs-Wesens, das in die Enge getrieben wird und knurrt.
Es wirkte so lebendig und giftig, dass ich mich instinktiv ein wenig
zurückzog, während mir Verteidigungsmaßnahmen durch den Geist
schwirrten.
Diese leichte Bewegung reichte aus, um die Illusion
verschwinden zu lassen. Denn es war eine Illusion, ein weiterer Trick
des Lichts. Obwohl ich experimentierte, indem ich meine Haltung auf
meinem Stuhl veränderte, konnte ich den Effekt allerdings nicht
wiederherstellen. Tatsächlich war ich mir gar nicht mehr sicher, an
welcher Stelle inmitten der Schnitzereien mir die Fratze erscheinen
war.
Ziemlich verunsichert kehrte ich zu meiner Arbeit zurück,
doch es dauerte eine ganze Weile, bis ich diese Gesichter aus meinem
Kopf verbannen konnte.
Ich war fast fertig, als mich wieder
dieses widerliche Gefühl überkam, beobachtet zu werden. Eine Weile
wagte ich nicht, meine Augen von den Papieren zu heben, die in meinen
Händen zitterten. In meiner Vorstellung schien es, als wäre ich von
einer Schar böser und still drohender Gesichter umgeben – sie
schienen nicht nur aus den dunklen Ecken, sondern auch von den hellen
Oberflächen der Dinge finster herüber zu starren, die ich für so
wohnlich und beruhigend gehalten hatte, als ich aus der Dunkelheit
hereingekommen war.
Mit dem plötzlichen Entschluss, mich ihnen
verdammt noch mal zu stellen, blickte ich auf. Ich erhaschte einen
flüchtigen Eindruck von einem riesigen Gesicht, das die ganze Wand
einer leeren Nische neben dem Kamin ausfüllte, aber es waren nur
Farbflecken, die sich durch die Feuchtigkeit gebildet hatten, und sie
schienen sich in dem Augenblick auseinander zu bewegen und völlig
bedeutungslos zu werden, indem ich sie anstarrte.
Ich warf meine
Papiere hin und sprang mit einem Fluch auf.
„Was ist das?“,
fragte ich mich. ‚Werde ich verrückt? Oder versucht jemand, mich
verrückt zu machen?‘
Ich ging entschlossen durch den Raum und
betrachtete der Reihe nach alle diese Gegenstände, aber ich sah
nichts Ungewöhnliches. Dann stand ich mitten auf dem Kaminvorleger
und dachte über meine Lage nach.
Erstens hatte ich keine Lust
mehr, heute Abend noch weiter an meinem Buch zu arbeiten. Ich hatte
genug davon, über unheimliche Dinge nachzudenken.
Zweitens
wünschte ich mir, ich hätte Gesellschaft oder wäre an einem
weniger einsamen Ort auf dem Land als diesem. Aber außerhalb der
Hütte lag der Wald, und dahniter erstreckte sich die weite Heide
unter dem Nachthimmel – Meilen schwarzer Rätsel zwischen mir und
dem nächsten menschlichen Lebenszeichen!
Drittens fühlte ich
mich trotz der ungewöhnlichen geistigen und körperlichen
Anstrengungen des Tages nicht mehr müde. Auch der Gedanke ans Bett
lockte mich nicht – ich hatte das Gefühl, wenn ich jetzt schlafen
würde, würden mich üble Träume, wenn nicht Schlimmeres,
heimsuchen.
Ich beschloss, einige Briefe zu schreiben. Schon das
Bild einiger meiner überschwänglichen Freunde in London (vor denen
ich geflohen war!), das ich beim Schreiben vor Augen haben würde,
könnte mir ein Gefühl von Gesellschaft vorgaukeln. Es würde mir
eine Verbindung zu dieser angenehmen Welt des Alltags geben, von der
ich in dieser erstickenden, elektrisch aufgeladenen Nacht so völlig
abgeschnitten war.
Ich fragte mich, ob Briefe angekommen waren,
während ich unterwegs war. Ich öffnete bereits die kleine Tür des
Briefkastens, als mir einfiel, dass ich meine Adresse absichtlich nur
Spencer mitgeteilt hatte.
Dennoch tastete ich mich wider
besseren Wissens in das dunkle Innere vor und verspürte ein wenig
Freude, als meine Finger auf einen Brief stießen, den einzigen. Ich
spürte auch noch etwas anderes – einen leichten Schock, der die
Finger ein wenig kribbeln ließ. Es war fast so, als hätte der Brief
eine elektrische Ladung enthalten. Ich schrieb es der Atmosphäre
zu.
Der Brief war von Spencer, wie ich mir schon gedacht hatte.
Er war in keinerlei Hinsicht hilfreich. Spencer war wieder in seiner
enigmatischsten Stimmung.
Das Schreiben war in ordentlicher
Druckschrift gehalten und begann ohne jede Einleitung. Er war von
Spencer unterzeichnet - „Mit freundlichen Grüßen“ - und das
schien mir der verständlichste Teil davon zu sein. Was den Rest
betrifft – nun, hier ist er, Wort für Wort, so wie ich mich daran
erinnere.
AKEL.
Der Komponist Robert Schumann hörte
lange Zeit Stimmen und sah Dinge, die nicht da waren. Er wurde
verrückt.
Ebenso wie der Autor von Gullivers Reisen, Jonathan
Swift.
AGRAMM.
Der Dichter Shelley wurde sein ganzes Leben
lang von Träumen und Visionen gequält. Einmal begegnete er in einer
Wachvision einer Gestalt, die in einen dunklen Umhang gehüllt war.
Es war – er selbst. Bei einer anderen Gelegenheit hörte er ein
Geräusch außerhalb der Berghütte, in der er sich aufhielt. Er
öffnete die Tür und wurde von etwas Unsichtbarem bewusstlos
geschlagen.
Als junger Mann hatte John Bunyan „furchtbare
Träume und Visionen“. Pestilenzialische Geister und Teufel
erschienen ihm, bis er siebzehn Jahre alt war. Dann verschwanden sie
für zwei Jahre, in denen er sich jeder bösen Leidenschaft hingab
und ein verdorbenes Leben führte.
1651 kehrten seine Visionen
zurück und er behauptete, dass er vom Teufel verfolgt würde. Er
schwor, dass er manchmal „fühlte, wie der Versucher an meinen
Kleidern zog“, und manchmal nahm der Teufel „die Gestalt eines
Stiers, eines Busches oder eines Besens an“.
Alle Dämonen in
„Pilgrim's Progress“ entsprangen seinen Erinnerungen an diese
Erlebnisse.
AGERON.
William Blake, der Dichter und
Künstler, hatte sein ganzes Leben lang Träume und Visionen. Er
berichtete nicht nur davon, daß er den Teufel sah, sondern er
zeichnete ihn auch. Er schrieb: „Ich ging im Dunkeln die Treppe
hinunter, als plötzlich ein Licht auf meine Füße fiel. Ich drehte
mich um, und da war er und starrte mich durch das eiserne Gitter
meines Treppenhausfensters an. So wie er mir erschien, genauso
zeichnete ich ihn.“
Blakes Skizze zeigte ein schreckliches
Phantom, das durch ein vergittertes Fenster starrte – mit
brennenden Augen, langen Zähnen und serPenTinenartigen
Haaren.
William Blake wurde verrückt.
Also, mein Freund,
denk daran: wenn du dich in deinem kleinen Häuschen verrammelt hast,
nimm dich vor „Träumen und Visionen“ in Acht!
Nein, das
war definitiv keine erfreuliche Nachricht. Ich verfluchte den Mann
für seinen perversen Sinn für Humor – wenn man das Humor nennen
konnte – und seine nervtötende Geheimiskrämerei.
Aber es kam
mir eigenartig vor, dass die Ankunft solch eines Schreibens mit der
Zeit zusammenfiel, in der ich seltsame Dinge sah.
Ich setzte
mich hin und studierte stirnrunzelnd das getippte Blatt.
„AKEL,
AGRAMM, AGERON . . .“ Was für ein Kauderwelsch war das? Welche
Verbindung bestand zwischen diesen Wörtern?
Wenn ich Spencers
verdrehten Verstand richtig einschätzte, gab es da eine Verbindung.
Möglicherweise hatte er einen Hinweis in seinen Formulierungen
untergebracht. Er war immer auf der Suche nach solchen verrückten,
aber absichtlichen Hinweisen in den Schriften von Shakespeare.
Hinweisen, die darauf hindeuteten, dass die Dramen tatsächlich von
Francis Bacon geschrieben wurden.
Ich ging die Worte noch einmal
langsam durch. Warum, überlegte ich, ein großes „P“ und „T“
„in serPenTinenartig“? Und warum schrieb er nicht einfach
„schlangenartig“?
Moment mal – PenT. Pent-AKEL,
Pent-AGRAMM . . .?
Ich griff nach einem Band meiner Enzyklopädie
und suchte, was ich bald fand – diesen Eintrag:
"PENTAKEL,
PENTAGRAMM oder PENTAGERON.
„Diese verschiedenen Namen
beziehen sich alle auf die Gestalt eines fünfzackigen Sterns, der
aus fünf geraden Linien besteht und vollständig geformt werden
kann, ohne dass das Zeichengerät vom Aufzeichnungsobjekt getrennt
werden muss, d. h. er kann gezeichnet werden, ohne dass der Stift vom
Papier abgehoben werden muss, da die Spitze des Stifts zum
Ausgangspunkt zurückkehrt. Möglicherweise wurde das Zeichen
aufgrund solcher Merkwürdigkeiten lange Zeit als mystisches Symbol
verwendet, zuerst von den Pythagoräern und später von den
Astrologen und Geisterbeschwörern des Mittelalters. Es ist häufig
in der frühen ornamentalen Kunst zu finden und wird in
abergläubischen Regionen der Welt manchmal noch auf Türen
verwendet, um Hexen und böse Geister fernzuhalten.“
Es
folgten Darstellungen des Pentagramms usw. und: „Das Hexagramm –
zwei ineinander verschlungene gleichseitige Dreiecke – wird oft mit
ihm verwechselt.“
Da ich den „P“-Band in der Hand
hatte, dachte ich, ich könnte auch gleich nach Pythagoras suchen,
von dem ich nichts wusste, außer dass er ein griechischer Philosoph
mit einem Lehrsatz gewesen war.
Er lebte im sechsten Jahrhundert
v. Chr. und reiste viel, unter anderem durch Ägypten. 529 v. Chr.
ging er nach Italien und gründete dort eine religiöse Bruderschaft,
die die Menschheit durch die Ausübung bestimmter Riten reformieren
sollte. Schon zu seinen Lebzeiten formierte sich eine Gegenströmung,
die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. ihren Höhepunkt erreichte.
Seine Bewegung wurde gewaltsam zerschlagen, Versammlungshäuser der
Pythagoräer wurden überall geplündert und niedergebrannt, und
Pythagoräer verfolgt und getötet.
Nun, das alles war ziemlich
interessant, dachte ich, aber ich sah immer noch keinen Sinn in dem
Brief. Und doch: War es nicht ein
sonderbares Zufall, dass er mir gerade auf dem Höhepunkt meiner
Angst vor die Augen kam?
Ich lehnte mich mit halb
geschlossenen Augen in meinem Sessel zurück und dachte über die
Träume und Visionen der Berühmtheiten nach, die Spencer aufgelistet
hatte. Ich war eine Art Schriftsteller – ein Künstler auf meinem
Gebiet, darauf war ich stolz –, aber ich machte mir keine
Illusionen darüber, dass mein Name länger Bestand haben würde als
ich selbst. In hundert Jahren würde es niemanden auch nur im
Geringsten interessieren, zu erfahren, ob ich in einer Irrenanstalt
gestorben war oder regelmäßig an Delirium tremens litt.
Eine
Zeit lang dachte ich über die Vergänglichkeit des geringen Ruhms
eines zweitklassigen Schriftstellers nach, und dann begann mein
Gehirn auf die übliche Weise zu arbeiten, indem es zwei Ideen
zusammenführte und daraus etwas Neues schuf. In meiner Vorstellung
nahm die langsame Entstehung einer neuen Geschichte Gestalt an - über
einen brillanten Schriftsteller, der auf dem Höhepunkt seiner
Berühmtheit verrückt wurde. Bald war ich träumerisch darin
versunken.
Unterschwellig wurde mir bewusst, dass sich die
Beleuchtung des Raumes langsam in ihrer Qualität zu verändern
schien. Das normale gelblich-weiße Licht der Öllampe nahm einen
schwachen Grünstich an. Ich war immer noch tief in Gedanken und
achtete zunächst kaum darauf, aber bald wurde es so deutlich, dass
ich geistesabwesend auf die Lampe schaute. Das Licht war recht
schwach. Ich erinnerte mich vage daran, dass ich vergessen hatte,
mehr Paraffin zu besorgen. Das grünliche Licht kam von irgendwo
links von mir, wo das Fenster war, und ich dachte, es sei ein
seltsamer Effekt des einfallenden Mondlichts. Ich warf einen Blick
dorthin, und mein Herz machte einen Satz, von dem ich dachte, er
würde es aus seiner Verankerung reißen. Eine Art stummer, greller
Schrecken lähmte mich.
Das Fenster war ein Quadrat aus grünlich
durchscheinendem Licht, als wäre es die Seite eines künstlich
beleuchteten Aquariums, und durch das Fenster starrte mich William
Blakes albtraumhafte Vision des Teufels an.
Die Augen brannten
sich in meine ein, die Reißzähne wurden in einem Tigergrinsen
sichtbar – der ganze Effekt war der eines Monsters, das vor
sadistischem Appetit loderte und die Entfernung für einen Sprung an
meine Kehle abschätzte.
Ich fürchte, ich bin ohnmächtig
geworden. Das ist eine Schwäche, die niemand gerne zugibt, aber
sowas passiert schon mal. Nun passierte es mir, und ich bin sehr
dankbar dafür.
Als ich wieder zu mir kam, war die Öllampe nur
noch ein schwacher Schimmer, der sich wie ein Stern in der schwarzen
Undurchsichtigkeit des Fensters vor mir spiegelte. Denn von meinem
furchterregenden Besucher war keine Spur mehr zu sehen. Die Nacht
draußen war so dunkel wie eine Höhle tief unter der Erde, und
nichts war zu erkennen, nicht einmal die angrenzenden Kiefern.
Ich
stand auf, ratternd und klappernd wie ein altes Auto, und musste mich
für ein paar Augenblicke auf den Tisch stützen, während ich meine
Knie zu überreden versuchte, ihrer seltsamen Neigung zu widerstehen,
sich in Gummi zu verwandeln. Dann handelte ich zitternd, aber
schnell.
Zuerst rammte ich die Riegel vor die Tür. Ich wusste
nicht, warum das Ding nicht bei mir eingedrungen war, aber ich würde
ihm keinen Vorteil verschaffen, sollte es zurückkehren.
Dann
zog ich den dichten Vorhang zu. Ich hatte Angst, mich dem Fenster zu
nähern, ich könnte ja plötzlich dem Ding gegenüberstehen, und ich
glaubte nicht, dass mein Herz das aushalten würde. Also hakte ich
den Vorhang mit dem Ende eines Besenstiels ein und hielt mich so vom
Fenster fern.
Dann legte ich für alle Fälle das Schüreisen
auf den Tisch. Es war ein angenehm schweres Stück Metall.
Und
dann genehmigte ich mir ein paar gepflegte Whiskys.
Die Lampe
konnte ich vergessen. Es gab kein Öl mehr, und ich hatte nicht vor,
um diese Uhrzeit noch nach welchem zu suchen. Allein der Gedanke
daran, mich wieder zwischen den unsichtbaren Bäumen da draußen zu
bewegen, ließ mich erschaudern. Ich fand einen Kerzenstummel und
zündete ihn an, aber er würde nicht lange brennen.
Also machte
ich ein riesiges Feuer. In dieser schwülen Sommernacht entfachte ich
ein Feuer, das mich fast zum Schmelzen brachte. Aber die Hitze machte
mir nichts aus, solange ich mich sicherer fühlen konnte. Und helles
Flammenlicht war besser als absolute Dunkelheit.
Ich saß
schweißgebadet neben dem Feuer, meinen Schürhaken in der Hand, und
nahm mir vor, weder das Licht noch meine Wachsamkeit bis zum
Morgengrauen und dem gesegneten Tageslicht schwächer werden zu
lassen.
Mein Blick fiel auf Spencers Brief auf dem Tisch. Ich
hatte genug von dieser Art von Dingen. Ich griff danach und wollte
ihn gerade ins Feuer werfen, als ich zum ersten Mal eine Zeichnung
auf der Rückseite bemerkte.
Es war ein Pentagramm, das mit
äußerst sauberer Zeichenkunst in sehr dünnen Linien ausgeführt
war, Linien, die wie grüne Tinte aussahen.
Als ich es genauer
betrachtete, schien es sich vom Papier abzuheben, als wäre es
gestanzt. Dann schien das Papier um das Pentagramm herum zu
verblassen, sodass es wie ein grüner Drahtrahmen zurückblieb. Und
der Draht begann zu leuchten, bis das Zentrum meines Sichtfeldes
nichts als eine Leere war, in der das Pentagramm wie eine grüne
Leuchtreklame strahlte, die immer heller wurde.
Das freundliche
Feuerlicht verblasste gegen diese Strahlen. Und nun waren da
Gesichter, Gesichter, grinsende und anzügliche Gesichter, die
sich um mich herum drängten, eine immer größer werdende Menge, und
ein grünes Licht, das über allem erstrahlte und leuchtete. Mit dem
letzten Rest meines Willens schaffte ich es gerade noch, den Bann zu
brechen - ich gab mir die Art Ruck, mit dem es mitunter gelingt, aus
der Lähmung eines Albtraums aufzuwachen. Und in diesem Moment
verschwanden die Schrecken, und da saß ich im Feuerschein mit einem
ganz gewöhnlichen Stück Papier in der Hand.
Aber nicht für
lange. In einem Anfall von Angst und Wut knüllte ich es zu einem
Ball zusammen und warf es mitten ins Feuer. Es gab einen kurzen
grünen Flammenstoß ... Zugegeben, es könnte eine Chemikalie in
einem der Holzscheite gewesen sein …
Ich blieb die ganze Nacht
wach, aber ich wurde nicht weiter von Erscheinungen geplagt.
2.
Am Morgen packte ich meine
Sachen und floh zurück nach London. Ins gute alte, schmutzige, aber
sichere Bloomsbury mit dem schäbigen Tempel des British Museum und
den kleinen Straßen voller ausländischer Restaurants und Buchläden
und den domestizierten Bäumen auf den schmutzigen Plätzen!
Sobald
ich mich in meiner Wohnung eingerichtet hatte, marschierte ich zum
Mecklenburgh Square, um Spencer zu fragen, was zum Teufel ...
Obwohl
er nur wenige Besucher empfing, hatte er ein Sicherheitsschloss an
der Tür seiner Wohnung im obersten Stock des grauen Hauses
angebracht, und er hielt diese Tür verschlossen und vertraute nur
der inneren Seite. Aber er hatte mir schon vor langer Zeit einen
Schlüssel anvertraut.
Als ich klopfte, kam keine Antwort, also
ließ ich mich selbst herein.
In der hinteren Ecke stand sein
Schreibtisch, wie üblich mit Büchern und Papieren übersät, und da
war sein altmodischer Ohrensessel, in dem er öfter schlief als in
seinem Bett - aber von ihm selbst keine Spur.
Natürlich könnte
er im Lesesaal des Museums recherchieren, oder auch in einem der
benachbarten Cafés essen gegangen sein. Ich nahm an, dass er
manchmal aß, obwohl ich ihn nie dabei beobachtet hatte. Das waren
die einzigen vorstellbaren Gründe, aus denen er diesen Raum jemals
verlassen würde.
Er trieb keinen Sport und hatte keine
Verwendung für frische Luft. Wie er es schaffte, an diesem Ort den
Sauerstoff zum Atmen zu finden, hatte ich nie verstanden. Tür und
Fenster waren stets geschlossen. Ich ging hinüber und versuchte, das
Fenster zu öffnen, aber es war unbeweglich; durch jahrelange
Vernachlässigung waren Fenster und Rahmen miteinander
verschmolzen.
Ich setzte mich in seinen Sessel und blickte mich
gelangweilt im Zimmer um. Jede verfügbare Wandfläche, vom Boden bis
zur Decke, war mit beladenen Bücherregalen bedeckt: seine berühmte
Bibliothek über schwarze Magie, Dämonologie, Spiritismus und alle
Aspekte des Übernatürlichen. In der Ecke stand sein großes
Doppelbett, wie immer ungemacht, und seine zerwühlten Kleider hingen
von dort bis auf dem Teppich hinab. Die fleckige alte Kaffeekanne
stand auf dem Herd, und überall auf dem Boden lagen
Zigarettenstummel verstreut.
Wie ein Fels in der Brandung aus
Dokumenten, Briefen, Akten, Zeitungsausschnitten, Broschüren und
ähnlichen Papieren, die sich über den Schreibtisch ergossen, stand
Spencers Schreibmaschine. In ihr befand sich ein Blatt Papier, das
zur Hälfte beschrieben war. Neugierig, woran Spencer gerade
arbeitete, stand ich auf und warf einen Blick darauf.
Es stellte
sich heraus, dass es sich um die Seite 4 eines offensichtlich an mich
gerichteten Briefes handelte, also suchte ich auf dem Schreibtisch
nach den vorherigen Blättern und fand sie. Was den Brief betraf, so
las ich ihn mit Spannung:
Lieber Bill,
ich nehme an,
wenn diese Nachricht dich erreicht, wirst du mich für eine
schlaflose Nacht verfluchen. Wahrscheinlich wirst du die unmittelbare
Ursache dafür herausgefunden haben. Falls nicht, wird dieser Brief
dich aufklären, so dass du diese Ursache zerstören und den Schlaf
der Unschuldigen schlafen kannst.
Betrachte das bescheidene
Pentagramm. Es ist heute zu einer lustigen kleinen Spaßfigur
geworden „– viel Glück!“ Und so weiter. Man fischt es
vielleicht in Form eines Glücksbringers aus einem Weihnachtscracker
oder sieht ein Dutzend davon als Sterne auf
Märchenbuch-Illustrationen für Kinder.
Geschäftsleute, die
gerne „Geheimgesellschaft“ spielen (was ja auch gut fürs
Geschäft ist), verwenden es als Erkennungssymbol zwischen den
Mitgliedern. Sie haben diesen Trick von den Pythagoräern kopiert.
Aber die Pythagoräer waren sich des schrecklichen Geheimnisses
bewusst, das sie teilten und das sie vor den gewöhnlichen Menschen
verbargen. Doch selbst diese Philosophen und Geometrie-Experten lagen
in einem Punkt etwas daneben.
Da sie die Manifestationen auf die
Anwesenheit eines Pentagramms einer bestimmten Größe und Form
zurückführten, dachten sie, dass das Geheimnis in dieser bestimmten
Größe und Form lag. Und sicherlich wurden die gleichen Effekte
durch die Verwendung exakter Duplikate dieses ursprünglichen
Pentagramms hervorgerufen.
Aber das ganze Geheimnis liegt
in nur einem Dreieck dieser Figur. Die Größe ist irrelevant und der
Rest des Pentagrammrahmens überflüssig. Es sind die Winkel dieses
einen Dreiecks, die wichtig sind. Forme ein Dreieck mit seinen drei
Winkeln in den Größen, die ich dir nennen kann (obwohl schon eine
extrem geringe Abweichung ausreicht, um es wirkungslos zu machen),
und du wirst in der Tat ein Dreieck des Schreckens haben.
Wenn
du „Try and Error“ spielen willst, kann ich dir sagen, dass ein
Winkel 36° 47′ 29″ betragen muss. Wenn du diesen richtigen
Winkel findest, wirst du früher oder später Dinge sehen. Aber deine
Chancen sind gering. Es handelt sich nicht um ein gleichschenkliges
Dreieck, sondern um ein ungleichseitiges. Das ursprüngliche
Pentagramm der Antike war zunächst eine sehr grobe Arbeit, alles
andere als symmetrisch, und nur durch Zufall enthielt es dieses
gefährliche Dreieck.
Wie habe ich das alles entdeckt? Es begann
mit meiner Untersuchung des Spuks in einem Landhaus in Norfolk. Ich
brachte die Phänomene mit einem kleinen Glasprisma in Verbindung,
das in der Gegend herumlag (der ehemalige Bewohner war ein
Spektroskop-Fan – bis er verrückt und weggesperrt wurde). Bei
einigen Gelegenheiten, bei denen die Spukphänomene kurz davor waren,
zu erscheinen, bemerkte ich, dass dieses Prisma eine durchscheinende
blassgrüne Farbe annahm. Ich ging nach wissenschaftlicher Methode
vor und fand heraus, dass das Haus nicht heimgesucht wurde, wenn das
Prisma entfernt wurde. Aber die Umgebung des Prismas war verflucht,
wo auch immer man es hinbrachte. Ich hatte eine ziemlich unangenehme
Phase, um das herauszufinden – ich muss dir irgendwann mal genauer
davon erzählen.
Bedauerlicherweise ließ ich das Prisma
eines Tages fallen, und eine Ecke brach ab. Und es war nie wieder
dasselbe. Es wurde einfach zu einem weiteren Stück Glas. Aber ich
hatte genaue Messungen vorgenommen und sie aufbewahrt.
"Jahre
später konnte ich durch ausgiebiges Ausprobieren die Ursache eines
weiteren Spuks – in einem Wohnhaus auf Putney Common – auf die
Anwesenheit (ausgerechnet!) einer Büroklammer zurückführen. Einer
dreieckigen. Ich nahm sorgfältige Messungen vor und verglich sie mit
den Abmessungen des Prismas, an das ich mich erinnerte. Ich wusste,
dass ich auf der Zielgraden war, als ich feststellte, dass ihre
Winkel – wenn auch nicht die von ihnen eingeschlossene Fläche –
absolut genau mit den Winkeln eines der (natürlich) dreieckigen
Enden des Prismas übereinstimmten, das ich zerbrochen hatte.
Leider
habe ich meinen Beweis nicht lange aufbewahrt. Ich war so beunruhigt
von „Träumen und Visionen“, solange die Klammer in meinem Besitz
war, dass ich sie schließlich verbog. Das machte sie harmlos. Eine
einfache kleine Aktion wie diese!
Aber ich fand später
reichliche neue Beweise. Das Spukhaus am Flussufer in Teddington: Ich
entfernte und zerstörte eine dieser üblichen dreieckigen
Regalhalterungen und erntete Anerkennung dafür, die Geister
ausgetrieben zu haben! Weißt du, warum das Pfarrhaus von Burlham
immer noch als „das am meisten heimgesuchte Haus in Großbritannien“
bekannt ist? Weil ich keine Erlaubnis dazu bekam, einen Balken zu
bearbeiten, der ein Dreieck in einem der Giebel vervollständigt!
Ich
sage dir, du musst dich nur in einem dieser „verwunschenen“
Häuser umsehen und wissen, wonach du suchst; früher oder später
wirst du die Ursache des Problems finden. Es kann ein zufälliges
Dreieck sein aus Kratzern an der Wand, ein Kleiderbügel oder sogar
die Form eines Pfefferstreuers! Aber das Dreieck ist immer da.
Als
ich die Geschichte der Pythagoräer erforschte, fand ich heraus, dass
ihnen das Geheimnis schon Jahrhunderte vor Christus bekannt war, nur
dass sie das Pentagramm für die Ursache hielten und nicht lediglich
das darin enthaltene Dreieck. Sie praktizierten Riten, in denen sie
diese unangenehmen Erscheinungen beschworen, um sie dann zu besiegen,
indem sie das Zeichen zerstörten. Sie fühlten sich durch den Kampf
mit dem Bösen gereinigt und durch den symbolischen Sieg über das
Böse erhoben. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sie dabei
immer den Sieg davontrugen ...
Natürlich hielten sie
diese dunklen Geheimnisse vor gewöhnlichen Menschen geheim, aber die
Leute bekamen allmählich Wind davon, fürchteten und hassten sie als
Zauberer und versuchten, sie auszulöschen. Die Verfolgung erreichte
ihren Höhepunkt in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr.; überall
wurden die Versammlungshäuser der Pythagoräer niedergebrannt und
alle dort angetroffenen Pythagoräer getötet.
Du fragst dich
wahrscheinlich, warum eine bestimmte Art von Dreieck solche Phänomene
verursachen sollte. Ich mich auch. Ich bin noch dabei, das zu
untersuchen.
Meine eigene Theorie sieht im Moment so aus:
Erstens haben diese Teufel und Dämonen, die erscheinen, keine
materielle Existenz. Tatsächlich haben sie überhaupt keine Existenz
– außerhalb unserer eigenen Vorstellung! Sie existieren in unserem
Unbewussten, in Erinnerungen, mit denen wir geboren werden und die
von unseren primitivsten Vorfahren überliefert wurden.
Erinnerst
Du dich daran, wie du als Kind allein in deinem Zimmer lagst und
versucht hast zu schlafen, in diesen unruhigen Zeiten, als du
glaubtest, in der Dunkelheit des Raums Gesichter zu sehen –
hässliche, mit starren Augen, furchterregende Gesichter? Und wenn du
die Augen zugemacht hast, um ihnen zu entkommen, waren sie hinter
deinen Augenlidern, klarer als je zuvor? Das sind die Erscheinungen,
auf denen unsere Angstträume aufbauen.
Kinder sehen sie
häufiger als wir, denn die Vorstellungskraft ist in der Kindheit
viel aktiver. Bei Erwachsenen verkümmert sie allmählich, und wir
werden zu Gewohnheitstieren. Aber sehr sensible und fantasievolle
Menschen, die mehr in ihrem Unbewussten als in ihrem Bewusstsein
leben, die Introvertierten, sehen sie immer noch.
Sehr sensible
und fantasievolle Menschen, wiederhole ich, wie Künstler, Dichter,
Komponisten ... wie Blake, Shelley, Schumann. Beginnst du, die Idee
zu verstehen? Die Musiker – und die Träumer ...
Weitaus
stärker als extrovertierte, materialistische Menschen reagieren sie
auf diese Herausforderung des Dreiecks – ich kann mir nicht
vorstellen, dass Geschäftsleute große Probleme mit Pentagrammen
haben, selbst wenn sie zufällig auf ein pythagoreisches stoßen. Es
wirkt wie eine Art Tor, durch das die Bilder und Gedankenwellen des
Unbewussten immer stärker sickern, bis sie uns überfluten und den
bewussten Geist gänzlich in Besitz nehmen. Und wenn das einem
Menschen passiert, sagen wir, er sei verrückt. Das Bewusstsein wägt
ab und urteilt, es ist unsere kritische Instanz, es hält uns in
einem ausgewogenen Verhältnis zur materiellen Welt. Aber wenn diese
Instanz nicht mehr da ist, sind wir hilflos. Wir werden an alles
glauben, woran unser Unbewusstses glaubt, denn das beherrscht uns
dann vollständig.
Warum sind nicht alle großen Männer
wie Beethoven, Shakespeare und da Vinci verrückt geworden? Warum nur
ein kleiner Teil? Ich nehme deine Fragen vorweg. Nun, ganz einfach,
weil sie nie mit einem dieser Dreiecke in Berührung gekommen sind.
Aber bei denjenigen, die ich aufgelistet habe, und vielen anderen,
die ich nicht aufgelistet habe, muss dieses Dreieck irgendwo in ihren
Häusern existiert haben. Oder auch, was durchaus vorstellbar ist, in
ihrem eigenen physischen Körper – eine Knochenstruktur oder eine
Venenformation oder eine ähnliche Anomalie.
Es scheint, dass
der physische Anblick des Dreiecks nicht notwendig ist. Die
außersinnliche Wahrnehmung ist ziemlich fest etabliert, und ich
neige dazu zu glauben, dass dieses Design außersinnlich wahrgenommen
wird, wenn es in der Nähe ist. Es scheint eine hypnotische Wirkung
auf den Geist des Subjekts auszuüben, aber auf welche Weise, muss
noch erforscht werden. Was sind Gedankenwellen überhaupt, und können
sie auf bestimmte Arrangements reagieren, so wie man eine bestimmte
Antennenform braucht, um Fernsehwellen zu empfangen? Und überhaupt,
was ist Vorstellungskraft?
Weil du Schriftsteller bist
und daher über ein gewisses Maß an Vorstellungskraft verfügst,
habe ich dir mein kleines Rätsel – und das Pentagramm –
geschickt. Es müsste zu einigen amüsanten Ergebnissen geführt
haben. Ich glaube aber nicht, dass sie dir schaden könnten – ich
habe deine Bücher gelesen und kenne die Qualität deiner Phantasie,
und ich glaube nicht, dass du das Schicksal der von mir erwähnten
Schriftsteller teilen musst.
Schließlich sollte man, wenn man
sich erst einmal völlig darüber im Klaren ist, dass diese Phantome
nur im eigenen Kopf existieren, ...
Der Brief endete dort,
mitten im Satz, was ich ziemlich seltsam fand.
Dies war das
erste Mal, dass ich hörte, dass Spencer praktische Untersuchungen zu
Spukphänomenen durchführte – jede Art von aktiven Handelns schien
untypisch für ihn zu sein. War er jetzt zu einem Spuk gerufen
worden, fragte ich mich?
Wenn Spencer die Qualität meiner
Phantasie allein anhand meiner Bücher beurteilt hatte, dann lag er
falsch. Ich bin nicht annähernd so nüchtern, wie es der Stil dieser
Bücher vermuten lässt. Dieser Stil ist eine Pose, um eine fast
morbide Sensibilität zu verbergen. Ich bin vielleicht nicht so
nervös wie einer der Schriftsteller, die Spencer aufgelistet hatte,
aber ich fand die Erlebnisse von gestern Abend ganz und gar nicht
„amüsant“, und ich hätte das Ergebnis nicht vorhersagen wollen,
wenn ich das Pentagramm nicht rechtzeitig zerstört hätte.
Nein,
wenn Spencer zurückkam, würde er feststellen, dass er in mir einen
Wirbelsturm heraufbeschworen hatte.
Ich würde ihm noch eine
halbe Stunde geben, bevor ich zum Mittagessen ging.
Ich setzte
mich hin und dachte über die unglaublichen Enthüllungen des Briefes
nach. Nach meiner eigenen Erfahrung der letzten Nacht konnte ich
nicht an ihrer Wahrheit zweifeln.
Ich fragte mich, ob es möglich
war, Fälle von Wahnsinn, die so entstanden waren, zu heilen. Es
bestand eine Chance, dass ...
In diesem Moment erblickte ich
etwas, das mich wie ein elektrischer Schlag traf. Die Sohle eines
Schuhs, direkt unter Spencers großem Bett, teilweise verdeckt von
dem achtlos über den Rand geworfenen Bettzeug. Und diese Sohle
balancierte aufrecht auf der Spitze, eine Position, die unmöglich
war, es sei denn, dieser Schuh enthielt einen menschlichen Fuß.
Jemand lag mit dem Gesicht nach unten unter dem Bett.
Ich musste
mich zwingen, hinüberzugehen und nachzusehen. Es war Spencer, wie
ich befürchtet hatte, und er war tot. Er hatte sich so weit unter
das Bett gezwängt, wie es sein behäbiger Körper zuließ, und es
war anstrengend, ihn hervorzuzerren – meine Bemühungen hatten
etwas zugleich Schreckliches und Lächerliches an sich.
Doch als
ich sein Gesicht sah, fand ich die Sache überhaupt nicht lustig.
Mund und Augen waren weit aufgerissen. (Irgendwie erinnerte mich sein
Gesichtsausdruck an die Gipsfigur im Pompeji-Museum, die den armen
Unglücklichen darstellt, der unter der Asche des Vulkanausbruchs,
der seine Stadt begrub, vor Angst krepierte.) Und die Iris der Augen
war leicht nach innen und oben gedreht, wie bei einem Mann mit einem
Schlaganfall. Es war ein schrecklicher Anblick.
Ich wusste, dass
er in einer animalischen Urangst vor etwas geflohen war, das ihn
buchstäblich zu Tode erschreckt hatte. Armer Spencer – an welchen
unmöglichen und albernen Zufluchtsort war er gekrochen! Welche
schreckliche Präsenz hatte einen so gelehrten Geist aus dem
Gleichgewicht gebracht, einen so festen Charakter gebrochen, einen so
reifen und weisen Mann zu einem tragischen Clown gemacht?
Natürlich
war er nach seiner eigenen Theorie sehr anfällig für diese
beängstigenden Visionen aus dem Unbewussten, weil er so sehr in den
Tiefen seines eigenen Geistes lebte und seine Umgebung und
Gesellschaft normalerweise mehr als nur halb vergaß.
Ja, seine
eigene Entdeckung musste ihn zerstört haben!
Und dann keimte
eine entsetzliche Erkenntnis in mir auf. Ohne die unmittelbare
Anwesenheit dieses schrecklichen Dreiecks hätte das nicht passieren
können. Es musste immer noch irgendwo sein, höchstwahrscheinlich
irgendwo in diesem Raum!
Wenn ich nicht aufpassen würde ...
Panische Gedanken jagten durch meinen Kopf. Ich versuchte, mich zu
beherrschen. Ich stand auf. Es war ganz offensichtlich, was ich tun
musste – ich musste sofort die Polizei informieren.
War da
drüben an der Tür etwas, das sich bewegte?
Ja oder nein…?
Plötzlich füllte Angst meine Seele aus. Mir wurde übel und mein
ganzer Körper begann zu zittern. Eine posttraumatische Reaktion auf
den Schrecken der letzten Nacht verband sich nun mit den Schocks der
neuen Entdeckungen. Bilder des Dreiecks, das ich fürchtete,
versuchten immer wieder, sich in meine allzu lebhafte Fantasie zu
drängen. Ich kämpfte darum, sie aus meinen Gedanken zu
verbannen.
„Ich muss hier raus, ich muss hier raus!“,
murmelte ich vor mich hin. Ich versuchte, einen ziemlich wackeligen
Schritt in Richtung Tür zu machen, und blieb dann mit einem
erstickten Keuchen stehen, als hätte man mich mit einem Eimer sehr
kalten Wassers übergossen.
Zwischen der Tür und mir stand eine
große, aber leicht gebeugte Kreatur aus einem meiner schlimmsten
Kindheitsalpträume. Ein verrücktes, sabberndes Ding mit einem von
Verderbnis zerfressenen Gesicht und toten, lidlosen Augen, die an mir
vorbeizustarren schienen - doch ich wusste, dass sie es nicht taten.
In Wirklichkeit galt die ganze Aufmerksamkeit des Wesens mir. Aber es
war keine intelligente Aufmerksamkeit. Es war die gedankenlose,
unreflektierte, eifrige Aufmerksamkeit des geifernden und
schnüffelnden Dorftrottels, der langsam und bedächtig einer Spinne
die Beine ausreißt oder mit einem Messer auf einen gefangenen
Spatzen losgeht und ihm unvorstellbare Grausamkeiten antut.
Und
dieses Ding war hinter mir her.
Kalter Schweiß brach aus.
Mein
Bewusstsein hämmerte auf mich ein: „Es ist nicht real. Es ist
nicht real. Es wird dir nicht wehtun. Das bildest du dir nur ein. Du
wirst hypnotisiert. Brich den Bann. Schau weg."
Ich riss
meine Augen von ihm los und mein Blick fiel direkt auf Spencer, der
tot zu meinen Füßen auf dem Rücken lag, und seine seltsamen Augen
schienen zu versuchen, seine eigene Stirn zu sehen. Mit einem
Schluchzen stolperte ich über ihn und erreichte den Herd. Ich
klammerte mich daran und wandte meinen Blick immer noch nicht in
Richtung Tür.
Die fleckige Kaffeekanne fiel in meinen Blick.
Sie hatte sich in ein Gesicht verwandelt, mit einer grotesken Nase –
es war eines der lüsternen Gesichter, die ich letzte Nacht gesehen
hatte.
Mit einer spontanen Bewegung, wie ein Reflex, trat ich
mit der Schuhspitze heftig nach ihr, und sie zersprang in Scherben an
der gegenüberliegenden Wand.
Das war eine unerwartete
Erleichterung. In plötzlicher Hoffnung wagte ich einen Blick zur
Tür.
Aber das geifernde, starre Ding war so real und potenziell
mörderisch wie eh und je. Es war deutlich näher an mich
herangekommen, und jetzt konnte ich Details erkennen, die ich lieber
nicht gesehen hätte. Seine toten, weißen Hände streckten sich aus,
bereit, zuzugreifen und zuzupacken. Es schien sich seiner selbst
unerbittlich sicher zu sein. Und was meinen Schrecken noch verstärkte
- es bewegte sich absolut lautlos. Falls es atmete, konnte ich es
nicht hören. Es näherte sich mir wie eine Gestalt aus einem alten
Stummfilm, ein bewegter Schatten.
„Es ist
ein Schatten“, versicherte ein Teil meines Verstandes. „Nur
ein Schatten, den du wirfst.“
Und eine andere Stimme schrie:
„Das Fenster! Flieh durch das Fenster!“
Und eine weitere
Stimme sagte: „Das Fenster klemmt! Du kannst es nicht öffnen!“
Mein
Hirn war ein tosendes Durcheinander widerstreitender Impulse, die
alle von hereinflutender Angst beherrscht wurden.
Ich wusste,
dass meine Vernunft zerfiel, dass mein Bewusstsein unter der
Belastung zerbröselte, und wenn mich dieser sabbernde Horror
überfiel, würde ich vor Angst verrückt werden. So wie andere
verrückt geworden waren.
Ich unternahm einen letzten
verzweifelten Versuch, in meinem chaotischen Hirn einen Winkel zu
finden, in dem ich zusammenhängend denken konnte.
Das Dreieck.
Dies alles geschah durch das Medium des Dreiecks. Ich musste es
finden. Ich durfte keine Zeit verlieren. Ich musste es
zerstören.
Schnell, wo… was
zum Teufel – konnte es sein?
War es diese Klammer einer
Rohrhalterung? Ich riss sie herunter und zerschmetterte sie. Aber
ohne hinzusehen, wusste ich, dass ich immer noch verfolgt
wurde.
Gott, es gab tausend Dinge in diesem Raum, die es
enthalten könnten!
Ich war kurz davor, alles Verdächtige in
meinem begrenzten Radius zu zerschlagen. Aber ich war immer noch
gezwungen, mich zurückzuziehen, bis ich mich gegen den Schreibtisch
in der entferntesten Ecke von der Tür drückte und mich wie ein
Gelähmter fühlte und nicht weiter zurückweichen konnte.
Ich
glaube, ich begann stumm zu schreien, als ich in wahnsinniger
Verzweiflung zwischen den Büchern und Papieren auf dem Schreibtisch
herumtastete und meine Augen vor Angst bei der vergeblichen Suche
nach etwas Dreieckigem buchstäblich aus den Höhlen traten.
Mit
einem einzigen krampfhaften Schwung wischte ich einen ganzen Haufen
des Durcheinanders vom Schreibtisch. Darunter kam ein Block mit
Löschpapier zum Vorschein, den der Stapel verdeckt hatte. In der
Mitte des Blocks befand sich ein vertrauter Umriss in grüner Tinte.
Das Pentagramm.
Ich wusste, dass es das war, wonach ich suchte.
Ich stürzte mich wie ein wildes Tier darauf und zerriss es. Und riss
es noch einmal. Dann drehte ich mich entkräftet mit den Stücken in
der Hand um.
Das Ding, das mir fast die Kehle zugedrückt hatte,
war weg.
Ich begann schwach zu kichern und riss den Löschblock
immer wieder quer durch, wobei ich die kleinen Stücke in die Luft
warf; sie flatterten wie ein Bühnen-Miniatur-Schneesturm auf auf den
Boden.
Wie Wellington nach Waterloo sagte ich mir immer wieder:
„Das war knapp! Das war knapp!“
Und das alles nur, weil der
alte Spencer, als er das Pentagramm so sorgfältig gezeichnet hatte,
es mit seinem Löschblock abgetupft und nie bemerkt hatte, dass er
eine perfekte Kopie dieser gefährlichen Winkel unter seinen Papieren
hinterlassen hatte.
Das war sein Verderben. Nehme ich an. Ich
nehme an, er war ein Schock, der ihn tötete ...
Der Arzt
diagnostizierte eine Thrombose, und der Gerichtsmediziner schloss
sich dieser Ansicht an. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich ihm
zustimmen möchte. Es ist menschlich, rational zu denken.
Doch
ich weiß, dass ich unter keinen Umständen mit Dreiecken
herumspielen werde, die einen Winkel von 36° 47′ 29″ haben…
Eigentlich bin ich allergisch gegen Dreiecke jeglicher Art.
William F. Temple
The Triangle of Terror
Weird Tales, Mai 1950
Übersetzung © 2024 Matthias Käther
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