Samstag, 18. April 2020

Paul Chadwick - Die Mordmaschine (1932)


Der Pulp-Fiction Autor Paul Chadwick ist heute vor allem noch bekannt als Mitbegründer der modernen Spionage- und Super-Hero-Genres. Er erfand die beliebte Pulp-Roman-Serie „Secret Agent X“, die viele Züge von James Bond vorwegnimmt, und schrieb 15 der 41 Romane selbst. Doch Chadwick war auch der Erfinder einer sonderbaren literarischen Figur, die sowohl in der Horror- und wie in der SF-Literatur ein Außenseiterdasein führt: Sein Journalist und Privatdetektiv Wade Hammond gehört irgendwie allen beiden Genres an, passt aber nirgendwo so richtig hin. Er ist kein echter Okkult-Detektiv, weil er seine Aufgabe gerade darin sieht, das Natürliche in scheinbar übernatürlichen Verbrechen zu finden. Meist handelt es sich um perfide und ekelhafte Erfindungen mieser, zynischer Genies. Damit aber wurde er in den 1930er Jahren auch zu einem Outcast der Science-Fiction-Fans. Das Bild der SF war im großen und ganzen positiv, der technische Fortschritt selbst war begrüßenswert, auch wenn er mitunter auch von wahnsinnigen Wissenschaftlern missbraucht wurde. Konsequent dystopische SF-Autoren wie David H. Keller blieben die Ausnahme und wurden wegen ihrer düsteren Weltsicht auch eher dem Horror-Genre zugerechnet.
In Wade Hammonds Welt sind neue Erfindungen eine echte Bedrohung, und sie werden in der Regel nicht von Wahnsinnigen, sondern sehr klugen und sinistren Figuren eingesetzt.
Der sonderbare Akte-X-Touch der Wade-Hammond-Geschichten ist auch heute noch reizvoll, die Stories sind temporeich und entwickeln oft eine erstaunlich modern anmutende beklemmende Atmosphäre.
Allerdings leiden sie auch unter der typischen Schwäche der Pulp-Tagesproduktion. Hastig fabriziert und nie für eine Anthologie überarbeitet, haben sie zuweilen Logiklöcher und kleinere Unstimmigkeiten im Handlungsablauf, so schön die Twists und so charmant die lakonische Hard-Boiled-Sprache der Texte auch sind. Durch diese Sorglosigkeit qualifizieren sich die Storys nicht für den Olymp der Horror- oder SF-Literatur, doch ich fand es reizvoll, zumindest eine davon trotz ihrer Schwächen in deutscher Sprache zu konservieren.
Denn es geht um ein erstaunlich modernes Thema – eine Drohne. Doch diese Drohne kommt nicht aus der Luft, sondern die Straße entlang – es ist eine menschenähnliche Drohne auf zwei Beinen...
Chadwick schrieb seine vierzig Wade-Hammond-Abenteuer zwischen 1931 und 36 für das Magazin Ten Detective Aces ( das verwirrenderweise vor 1933 anders hieß, nämlich Detective Dragnet). Dies hier ist die siebente Geschichte.

Paul Chadwick: Die Mordmaschine

I

Die Klingel über der Flurtür schreckte Wade Hammond mit gerunzelter Stirn aus seinem Sessel hoch. Jede Bewegung seines hageren, tigerhaften Körpers drückte Verärgerung aus. Er flippte seine Zigarette genervt ins offene Kaminfeuer und schmetterte sein Buch auf den Tisch. Er hasste es, mitten in einer guten Story gestört zu werden. Selbst wenn es Freunde waren, die störten.
Doch der Mann im Türrahmen war kein Freund. Wade hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
Er war bucklig, nicht größer als Eins fünfzig. Schlanke, drahtige Figur. Sein Kopf war schief geneigt – in die Richtung seines goldgriffigen Gehstocks. Eine riesige Zigarre klemmte zwischen seinen Lippen.
Hallihallo“, grüßte Wade, bemüht, seine Stimme herzlich klingen zu lassen.
Der Bucklige zog eine Visitenkarte mit schmutziggelben Ecken hervor und überreichte sie Wade mit einer triumphalen Geste. Dort prangten die eingravierten Worte:

Dr. Adolph Blatten
Radio-Techniker & Beratender Ingenieur

Wade musterte die Zeilen interessiert. Die Augen des Buckligen starrten ihn an, als er aufblickte. Der Mann nahm die Zigarre aus dem Mund.
Sie kennen mich nicht“, sagte er, „aber ich habe von Ihnen gehört, Hammond. Ihr Name war in der Presse im Zusammenhang mit eins, zwei Mordfällen. Man sagt, Sie wären sowas wie ein Amateurschnüffler.“
Wade nickte. „So sagt man.“ stimmte er bei.
Wenn Sie ein paar Minuten für mich hätten – ich würde Sie gern sprechen.“
Wade nickte erneut, und diesmal trat er von seiner Türschwelle zurück.
Der Bucklige kam herein, seine Hände reibend und sich höflich verbeugend. Er begann umstandslos, seinen Überzieher aufzuknöpfen. Der Märzwind warf sich gegen die Außenwand des Appartment-Hauses, rüttelte an den Fenstern und heulte durch die Eisenzäune in den Gassen. Wade schauderte.
Es ist kalt draußen“, sagte er. „Besser, Sie setzen sich nahe ans Feuer. Es plaudert sich leichter, wenns kuschlig ist.“ Er deutete auf einen tiefen Sessel. Doch der Bucklige stolzierte zu einer Couch am andern Ende des Raums.
Das hier ist bequemer für mich, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, entschuldigte er sich.
Er zündete ein Streichholz an und paffte einige Momente lang vor sich hin. Die Zigarre war so groß, daß sie den winzigen Kopf und den deformierten Körper aus der Balance zu bringen schien. Hinter ihm an der Wand zeichneten die Flammen schaurig verzerrte Schatten seines Buckels.
Die Atmosphäre im Raum wirkte plötzlich seltsam angespannt. Wade fragte sich, was der Mann wollte, und warum er unter der ruhigen Oberfläche so aufgewühlt zu sein schien.
Blatten drehte ihm schließlich das Gesicht zu. Die Pupillen seiner Augen hatten sich zu winzigen Stecknadelköpfen verengt. Es lag ein Hauch von Vibration in seiner Stimme.
Ich werde Ihnen eine seltsame Geschichte erzählen, Hammond. Ich bitte Sie um Hilfe in einem der seltsamsten Fälle, von denen Sie je gehört haben.“
Wade nickte. „Schießen Sie los“ sagte er und zündete sich seinerseits eine Zigarette an.
Doch zunächst“ fuhr Blatten fort, „muss ich Sie bitten, alles, was ich sage, für sich zu behalten. Wenn die Presse Wind davon bekommt, bin ich beruflich erledigt. Sie würden mich als wahnsinnig brandmarken – oder als Schwindler. Das ist auch der Grund, warum ich zu Ihnen komme und nicht zur Polizei gehe.“
Bleibt rundherum Privatsache“ versicherte Wade. „Vertrauen Sie mir. Alles, was Sie sagen, wird wohlbehütet unter dieser Mütze verstaut.“
Blatten nickte zufrieden und legte los.
Haben Sie jemals von drahtloser Fernsteuerung gehört? Sie wissen, heute kann man ganze Schlachtschiffe fernsteuern, Flugzeuge sind fernlenkbar mit Hilfe gyroskopischer Leitung - sowohl vom Boden als auch von einem andern Flugzeug aus.“
Jaja“, bestätigte Wade. „Das ist Schlagzeilenfutter in letzter Zeit“.
Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen mitteilen würde, dass ich einen künstlichen Menschen konstruiert habe, der alles vermag, außer reden und denken, und dessen Bewegungen per Fernsteuerung gelenkt werden können?“
Wade hob die Augenbrauen.
Würde den Burschen gern mal sehen. Wäre sowas wie eine technische Kuriosität.“
Blattens Stimme erhob sich nun aufgeregt. „Natürlich würden Sie den gern sehen. Aber genau da liegt das Problem. Sie werden ihn nicht sehen, und ich auch nicht! Es sei denn, Sie helfen mir! Das Ding ist mir gestohlen worden – gestohlen genau in dem Augenblick, als ich das Patent einreichen und die Erfindung der Öffentlichkeit bekannt machen wollte! Irgendwer hat mich ausspioniert, Hammond. Irgendjemand ist dabei, mein Werk zu diskreditieren... oder Schlimmeres. Offen gestanden, ich befürchte Entsetzliches, jetzt, wo das Ding in die Hände meiner Feinde gefallen ist!“
Ihrer Feinde?“
Batten zuckte ungeduldig mit den Achseln. „Natürlich! Jeder Mann hat Feinde, Leute, die ihn nicht ausstehen können und ihm schaden wollen, wo sie nur können. Wenn meine Erfindung nicht mit dieser Absicht gestohlen wurde, dann war der Dieb vermutlich vom Wert des hochkomplizierten Mechanismus überzeugt. Doch ich befürchte etwas viel grauenhafteres, Hammond, etwas Entsetzliches...“
Blatten unterbrach seinen Redeschwall und starrte Wade mit schmalen Augenlidern an.
Und zwar?“ fragte Wade sanft.
Mord!“ Blatten stieß das Wort fast wie eine Herausforderung hervor, seine Stimme schrill vor Furcht. „Das ist es, was mich verfolgt. Außer dem Fehlen von Sprache und Denken hat dieser mechanische Roboter wenige Beschränkungen. Er könnte als Killermasche missbraucht werden. Denken Sie nur einen Moment über diese gruselige Möglichkeit nach, Hammond! Sich vorzustellen, welchen teuflischen Gebrauch irgendeine skrupellose Person von dem Ding machen könnte!“
Blatten erhob sich und ging im Raum aufgeregt auf und ab. Sein grotesker Schatten folgte ihm an der Wand.
Wade fragte: „Wann genau ist das passiert? Und wo war Ihre Erfindung, als sie gestohlen wurde?“
Ich habe den Diebstahl etwa gegen sieben Uhr heute Abend bemerkt“, antwortete Blatten. „Ich hatte das Ding in meiner Werkstatt unter Schloss und Riegel gehalten. Jemand hat ein Seitenfenster aufgebrochen. Ich fand draußen eine Trittleiter. Die mechanische Kreatur und der Fernsteuer-Apparat waren beide verschwunden.“
Wade nickte. Auch er stand auf. Sein braungebranntes, schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem bleistiftdünnen Schnurrbart war nun ausdruckslos. Er klopfte mit seiner Zigarette auf dem Daumennagel herum und platzierte sie dann zwischen seinen Lippen.
Mal angenommen, ich beschließe, Ihnen zu helfen“, fragte er, „was für eine Vorgehensweise würden Sie mir nahelegen?“
Sie sind der Spezialist in Sachen Detektivarbeit!“ fauchte Blatten. „Nicht ich. Kommen Sie mit zur Werkstatt. Ich werde Ihnen ein paar Fotografien von dem Ding zeigen. Sie könnten einen Blick auf das aufgebrochene Fenster werfen. Vielleicht finden Sie einen Hinweis – oder zwei.“
O.K.“, brummte Wade. Er ging in den Nachbarraum und holte Hut und Mantel. Dann nahm er ein abgenutztes Lederholster vom Haken an der Wand. In ihm befand sich ein stahlblauer achtundreißiger Colt, eine Waffe, die ihn schon bei so manchem Abenteuer begleitet hatte.
Das mochte nicht viel nützen beim Umgang mit einem mechanischen Angreifer, doch er steckte sie trotzdem ein, hauptsächlich aus Macht der Gewohnheit. Er gab seinem Hut einen Schubs zu einer Seite hin und wandte sich dann um zu Blatten, der ihm kaum bis zur Schulter reichte.
Na dann! Auf geht’s! Mein Wagen steht in der Garage – gleich um die Ecke.“
Den brauchen Sie nicht rausholen“, enwiderte Blatten. „Meiner steht direkt vor der Tür.“

II

Heftige Regenschauer schlugen gegen die Scheibe, als sie in die Straße einbogen, in der Blatten seine Werkstatt hatte. Schmuddlige Fabriken und finstere Läden ragten allerorten aus dem Dunkel. Keine erfreuliche Wohngegend.
Blatten stoppte seinen Wagen vor einem Grundstück mit einem hohen Bretterzaun. Sie liefen durch die Pforte und traten bald in einen einstöckigen Wellblechschuppen. Der Bucklige knipste einen Schalter an, und der Raum wurde durchflutet vom violettem Licht einer Quecksilberdampf-Lampe über ihren Köpfen.
Wade starrte interessiert auf den komplexen Wirrwarr elektrischer Apparaturen rings um ihn. Er sah eine Metalldrehbank, eine kleine Pressmaschine, einen elektrischen Brennofen und dutzende Radio-Einzelteile.
Blatten bahnte sich einen Weg zu einer kleinen Vitrine. Dort öffnete er eine Schublade und zog verschiedene Fotografien heraus.
Und hier ist der gute Junge höchstselbst!“ rief er, nicht ohne Stolz in der Stimme.
Ein Frösteln kroch Wades Rückgrat hoch, als er die groteske elektromechanische Gestalt erblickte, die ihn aus den Bildern anstarrte. Die biegsame Metallhülle hatte Blatten mit ganz normaler Kleidung bedeckt. Die Klamotten hingen schlaff herunter, fast so, wie sie an einem Skelett hängen würden. Das Ding hatte einen leeren, starrenden Blick und eine hohe, kantige Stirn, die seltsam totenschädelhaft wirkte. Seine Hände waren offensichtlich mit Gummihandschuhen überzogen. Sie sahen verstörend menschlich aus.
Er gewinnt nie einen Preis beim Beauty-Contest,“ kommentierte Wade.
Wahrscheinlich nicht“, räumte Blatten ein. „Aber Sie sollten sehen, was er drauf hat! In jedem Schenkel befindet sich eine spezielle elektrische Batterie. Sie betreiben den Elektromotor im Körperinneren – übrigens verfügt er über mehrere PS. Der Motor versorgt den Körper mit Energie durch ein Kabelsystem, das ich selbst erfunden habe. Die große Flexiblität erlaubt dem Geschöpf, jede natürliche Haltung einzunehmen, die auch ein Mensch einnehmen kann.
Es gibt ein kleines Gyroskop in seinem Kopf – das ist das Kontrollzentrum und entspricht etwa der Funktion der menschlichen Cochleae – also des Gleichgewichtsorgans. Dieses Gyroskop operiert auf der Basis von Radioimpulsen und ist direkt mit dem Koordinationssystem des Motors verbunden. Es kontrolliert so jede einzelne Bewegung, die die Kreatur macht.“
Blattens Gesicht glühte voller Enthusiasmus. Er reichte Wade eine der Fotografien. „Vielleicht behalten Sie die besser“. Dann verengten sich seine Augen, und er wies zur anderen Seite des Raums.
Da ist das Fenster, durch das der Dieb kam. Ich habe alles so gelassen, wie ich es vorgefunden habe.“
Wade spazierte hinüber zum Fenster. Er sah, dass der Verschluss aufgebrochen war. Es gab Markierungen an der Stelle des Schieberahmens, an der das Brecheisen angesetzt wurde. Er schob den Rahmen hoch und lehnte sich hinaus, richtete seine Taschenlampe auf den Boden. Die schotterbestreute Erde war aufgewühlt, doch die Abdrücke von Fußspuren waren zu undeutlich - selbst ein Spurenexperte hätte da nicht mehr viel rausholen können.
Wo haben Sie das Ding aufbewahrt?“
Blatten deutete auf eine längliche Kiste in der Nähe des Fensters. Wade erschrak heftig, als er bemerkte, dass sie exakt so aussah wie ein Sarg. Der Deckel war geöffnet, und das Innere mit Filz ausgeschlagen. Er examinierte die lackierte Oberfläche und bemerkte in geringer Entfernung einen öligen Fleck auf dem Boden.
Keine Fingerabdrücke. Der Dieb hatte sich alle Mühe gegeben, sie sorgfältig abzuwischen.
Blatten runzelte die Stirn und kaute auf seinem Zigarrenstummel herum. „Wir müssen was unternehmen, Hammond“, ächzte er. „Versetzen Sie sich in meine Lage! Denken Sie an das Geld und die Zeit, die ich in dieses Ding investiert habe. Stellen Sie sich meine Enttäuschung vor, meine Sorgen... Diese Sache kostet mich zehn Jahre meines Lebens!“
Wade nickte mitfühlend. „Ich weiß bloß nicht, wo ich anfangen soll, um es wieder aufzutreiben“, gab er zu. „Eigentlich könnte die Polizei Ihnen hier besser weiterhelfen. Es wäre...“
Er unterbrach sich plötzlich und neigte sich vor. Im Rahmen des Fensters, durch das man den mechanischen Mann gezerrt hatte, bemerkte er etwas, das ihm zuvor nicht aufgefallen war.
Eine Schraube hatte sich gelockert, der Kopf stand etwa drei Millimeter über dem Holz. An ihr hatte sich ein kleiner Fussel braunen Fadens verfangen. Offensichtlich war er von einem Mantel abgerissen worden.
Wade zupfte ihn mit Daumen in Zeigefinger ab.
Was ist hiermit?“ frage er. „Stammt das von den Klamotten des Roboters, oder könnte es sein, dass der Dieb es hinterlassen hat?“
Blatten starrte erregt auf den Faden. „Das muß vom Dieb stammen!“ kreischte er. „Mein Automat war in Grau gekleidet. Wir müssen den Mann finden, der diesen brauen Mantel trägt, Hammond! Ich würde Sie sogar die Polizei holen lassen, wenn Sie sie dazu bringen könnten, den Mund zu halten!“
Wir werden sie holen müssen, fürchte ich, Blatten. Um ganz ehrlich zu sein: Das ist hier ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Uns bleibt nicht viel mehr, als zu warten und die Augen offenzuhalten. Seien Sie wachsam! Versuchen Sie, unauffällig mit jeder Person zu sprechen, die Sie verdächtigen. Und wenn Sie auch nur den leisesten Verdacht haben – lassen Sie's mich wissen. Ich helfe, wo ich kann – aber ich das hier ist eine Sackgasse. Ein Detektiv ist kein Magier, egal ob Profi oder Amateur. Ich schlage vor, Sie kommen morgen bei mir vorbei, nachdem Sie mit jedem gesprochen haben, der für Sie in Frage kommt. Vielleicht haben Sie einen Arbeiter auf Abwegen. Ein Typ, dem klar ist, was Sie hier bauen.“
Blatten nickte missgelaunt. „Wie schon gesagt, es ist nicht so sehr der Verlust, der mir zu schaffen macht. Es sind die möglichen Konsequenzen. Ich werde keine ruhige Minute haben, bevor wir das Ding zurückbekommen. Kommen Sie, ich fahre Sie zurück.“
Nicht nötig“ brummte Wade. „Ich laufe. Der Regen hat nachgelassen. Ein kleiner Spaziergang wird mir guttun.“

III

Wade hatte ein anderes Motiv. Er ging nicht direkt zurück zu seinem Apartment. Stattdessen lenkte er seine Schritte zur Stadtbibliothek und verbrachte eine Stunde in der Wissenschaftsabteilung. Er vergrub sich in Literatur zum Thema Fernsteuerung. Ihm war der Gedanke gekommen, bei Blatten könnte einfach eine Schraube locker sein. Er könnte aus irgendwelchen Gründen die ganze Zeit Mist erzählt haben.
Doch das Fachbuch, das er durchstöberte, eins der aktuellsten zum Thema, bestätigte, was der Bucklige behauptete. Es gab keinen Grund, weshalb ein Erfinder mit ausreichendem Hintergrundwissen und Geschick keinen mechanischen Menschen konstruieren sollte, wie Blatten ihn auf den Bildern gezeigt hatte. Doch er blieb skeptisch, was das Bedrohungspotienzial in der Öffentlichkeit anging. Plausibler war, dass Blatten über dem kostbaren Verlust hysterisch geworden war und seiner Phantasie nun freien Lauf ließ.
Die weitere Entwicklung dieser seltsamen Affäre sollte ihn jedoch brutal eines Besseren belehren.
Als Wade sein gemütliches Junggesellenquartier aufschloss, hörte er das scharfe Klingeln seines Telefons, und ein Gefühl düsterer Vorahnung überwältigte ihn. Ein bisschen spät für freundschaftliche Privatgespräche.
Er schritt schnell zu seinem im eleganten französischen Stil entworfenen Gerät und nahm den Hörer ab.
Hammond hier.“
Die krächzende Stimme am andern Ende war Wade vertraut – es war die von Inspektor Thompson vom Morddezernat. Der alte Haudegen hatte Wade schon bei vielen Fällen zu Rate gezogen.
Hallo, Hammond. Ich hole Sie doch nicht aus dem Bett, oder?“
Nein, bin grad rein nach einem Spaziergang. Was ist los?“
Jede Menge, Hammond, jede Menge! Wir haben hier eine mächtig seltsame Sorte Mord oben im Bayside Drive. Ein Cop von der Streife hat grade die Details durchgegeben. Strickland, schwerreicher Typ, und einer der Chefs von Strickland & Barnes, Inc., ist in seinem Haus umgebracht worden.
Der Butler ist total außer Rand und Band. Nachdem in den Salon geeilt ist, sagt er, hat er eine Art „Wilden Mann“ gesehen, der durch das Fenster flüchtete. Klingt ziemlich nach 'nem Kindermärchen für mich, aber was soll ich sagen - der Mord ist real genug. Drüben ist die Hölle los! Wollen Sie sichs mal anschaun? Die Nummer ist 597.“
Darauf können Sie wetten, Chief. Ich hab Hut und Mantel noch an. Ich werd meine Reifen qualmen lassen. Wahrscheinlich bin ich noch vor Ihnen da.“
In dieser Hinsicht lag er falsch. Er hörte die heulenden Sirenen des Polizeiwagens vor ihm, als er in den Bayside Drive einbog. Er trat das Gaspedal durch und langte nur eine Minute nach Thompson an, der bereits die Treppenstufen von Nr. 597 erklomm.
Es war ein altmodisches Reihenhaus nahe der Straße, ausgestattet mit Blumengarten und großem Vorplatz.
Der Cop, der telefoniert hatte, stand im Flur, umringt von diversen Nachbarn des Ermordeten, die den Eingang verstopften. Verängstigt dreinschauende Bedienstete lungerten ratlos herum. Thompson wischte sich nervös über seine Glatze und nickte zu Wade herüber. Er zeigte auf die geschlossene Tür zum Salon.
Gerade richtig, Hammond. Die Leiche ist da drin. Sie sagen, das Fenster ist völlig zerstört.“
Ein Schwall eiskalter Nachtluft empfing sie, als den Salon betraten. Der Schieberahmen des Fensters zum Garten war nach innen aufgebrochen und die Scheiben komplett zertrümmert. Auf dem Teppich breiteten sich unzählige Scherben aus.
In der Mitte des Raumes, neben einem umgeworfenen Tisch, lag die Leiche eines Mannes, etwa fünfzig Jahre alt, gut gekleidet und athletisch gebaut. Der Kopf war grotesk zur Seite gedreht.
Das ist Strickland“ sagte der Inspektor. „War offensichtlich in einen Kampf verwickelt. Sieht aus, als wär sein Genick gebrochen. Der Typ, der hier reinkam und ihn angriff, muss ein ziemlich kräftiger Teufel gewesen sein. War auf jeden Fall völlig wahnsinnig oder sehr betrunken, um ein Fenster so zerstören zu können.“
Thompson sprach ohne Emotionen. Mord war sein Tagesgeschäft. Doch Wades Gesicht war angespannt. Auch er hatte schon etliche Mordschauplätze betreten. Die meisten passten zu einem bestimmten Muster. Doch schon ein flüchtiger Blick enthüllte Details, die auch einem weniger erfahrenen Detektiv sofort klargemacht hätten, dass hier etwas nicht stimmte. Warum war der Mörder eingedrungen wie ein Elefant im Porzellanladen?
Ich hätte gern den Butler gesprochen, der behauptet, den Täter gesehen zu haben“, verlangte Wade. „Er sollte in der Lage sein, Licht ins Dunkel zu bringen.“
Ich fürchte nein“, widersprach Thompson. „Sie sagen, der Typ ist völlig durchgedreht vor Angst. Der Anblick seines Herrn, der von einem Einbrecher angegriffen wurde, war zu viel für ihn. Sie sagen, er hatte eine Art Anfall. Er wurde ins Obergeschoss gebracht.“
Vielleicht hatte er einen guten Grund für seinen Anfall“ murmelte Wade. „Das ist kein stinknormaler Raubmord, Chief. Irgendwas ist komisch an der Sache“.
Tja, der Typ, der das hier durchgezogen hat, war vermutlich eine Art Halbirrer, schätze ich. Und der Butler hielt ihn für einen wilden Mann oder was auch immer.“
Lassen Sie uns trotzdem raufgehen und mit ihm reden. Vielleicht ist er nicht so plemplem wie Sie glauben.“
Thompson warf Hammond einen scharfen Blick zu. „Wissen Sie irgendwas über die Sache, das ich nicht weiß?“
Noch nicht. Lassen Sie uns einfach mit dem Butler reden.“
Sie zwängten sich an einer Gruppe von Thompsons Männern aus dem Hauptquartier vorbei, die eben hereingeströmt kamen. Hinter ihnen, in der Vorhalle, versuchte ein Pulk von Zeitungsreportern, sich einen Weg zum Tatort zu bahnen. Die Cops hielten sie zurück.
Die Boulevardblätter werden das herrlich breittreten“, murmelte Wade.
Sie fanden den Butler in einem Hinterzimmer im ersten Stock. Ein Küchenmädchen saß bei ihm. Der alte Mann war bleich wie der Tod. Er warf seinen Kopf von einer Seite zur anderen und brabbelte vor sich hin.
Als er Wade und den Inspektor hereinkommen sah, richtete er seine Augen auf sie und schien seine Sinne wiederzuerlangen.
Wade ging zu dem Sessel hinüber, in dem der alte Mann benommen saß. „Erzählen Sie uns, was Sie gesehen haben!“ forderte er ihn auf. „Die Polizei versucht, den Mann dingfest zu machen, der Ihren Herrn umgebracht hat.“
Der Butler krächzte heiser. „Das war kein normaler Mann! Ich habe das dem Officer unten auch gesagt! Aber er hat mir nicht geglaubt. Die denken, ich bin verrückt! Alle da unten! Das Ding, das ich da unten gesehen hab, was eine Art von – Monster. Es ging nicht wie ein Mensch. Kein Mann bewegt sich so. Und es hatte ein Gesicht wie...wie ein Totenschädel!“
Das Küchenmädchen bekreuzigte sich.
Thompson starrte den greisen Butler mitleidig an. Doch Wade griff in seine Tasche und und zog das Foto heraus, das Blatten ihm gegeben hatte.
Reißen Sie sich zusammen, Mensch!“, rief er. „Ok, die Sache ist ziemlich rätselhaft. Sagen Sie, hatte dieses Monster oder dieser Wilde oder wie Sie das Ding nannten, irgendeine Ähnlichkeit mit dem hier?“
Er schob dem Butler das Bild vor die Nase. Unter dem Bademantel, den er trug, straffte sich der dürre Körper das Mannes wie eine Bogensehne. Seine Kinnbacken öffneten und schlossen sich krampfhaft. Dann fand er seine Stimme wieder.
Das ist es!“ schrie er. „Das ist das Ding, das Mr. Strickland umgebracht hat! Bitte! Lassen Sie es nicht wieder hier rein!“
Wade wandte sich zu Thompson um. Der Inspektor schnappte nach der Fotografie in dessen Hand, sein Gesicht war finster.
Ich dachte, Sie wüssten nichts über die Sache, Hammond?“
Bis eben nicht“ erwiderte Wade kühl, „aber nachdem ich die Story des Butlers gehört habe, und er das Bild identifiziert hat, sieht die Sache anders aus. Nun scheint es. als würde die Sache hier perfekt zu einer Angelegenheit passen, die ich am frühen Abend bearbeitet habe. Das klingt jetzt ziemlich schräg, Chief, aber dieses Ding, das Strickland tötete und den Butler fast um den Verstand gebracht hat, war tatsächlich ein Monster. Ein mechanisches. Es wurde einem Erfinder namens Blatten gestohlen – etwa gegen Sieben heute abend. Es kann per Fernsteuerung gelenkt werden. Blatten bat mich um Hilfe, um es wiederzufinden. Wenn wirs nicht finden, Chief, weiß der Himmel, was noch alles passiert! Es könnte eine ganze Mordserie geben, eine Terror-Welle...“
Thompson fluchte kräftig.
Das ist das Verrückteste, das mir je untergekommen ist!“ knirschte er. Die Presse wird uns auslachen, Hammond, wenn wir mit so einer Story an die Öffentlichkeit treten!“
Glaub ich nicht. Die Reporter, die wir hier haben, sind in Ordnung. Wir zeigen ihnen das zerstörte Fenster und lassen sie einen Blick auf die Leiche werfen. Die Leute müssen gewarnt werden! Keiner kann sagen, wo das Ding als nächstes auftauchen wird. Kommen Sie, gehen wir mal nachschauen, ob Ihre Männer irgendwelche Fußspuren gefunden haben.“
Es gab Fußspuren. Jede Menge davon. Sie kamen von der Straße. Sie führten zur Straße zurück. Auf dem harten Pflaster etwas Genaues auszumachen war zwecklos. Das Ding war auf der Hinterseite des Hauses aufgetaucht, offensichtlich kam es dort von einer der dunkleren Gemeindestraßen. Vor Wades Augen flammte eine angsteinflößende Szenerie auf: Ein schreckliches nichtmenschliches Wesen, das durch die Finsternis kroch... Irgendwo, wusste er, gab es im Hintergrund ein gerissenes menschliches Hirn, das dieses Wesen kontrollierte - mit Hilfe mysteriöser Funk-Impulse hatte es das schreckliche Werk in Gang gesetzt.

IV

Die Zeitungen brachten die Geschichte in riesigen furchteinflößenden Schlagzeilen, die alles andere in den frühen Morgenausgaben verdrängten. Eine der heißesten Storys seit langem. Die Jungs hatten alles aus der Sache herausgeholt, was herauszuholen war. Die Großfahndung lief auf Hochtouren. Beamte in Zivil durchkämmten die Stadt.
Derweil statteten Inspektor Thompson und Wade Blatten einen Besuch in seiner Werkstatt ab. Sie fanden ihn blass und zitternd vor. Sorgenringe hatten sich unter seinen Augen gebildet. Er hielt eine frische Zeitung in den Händen.
Hammond! Es ist passiert! Das, was ich befürchtet habe! Den armen Teufel, Strickland, hats erwischt. Kann denn die Polizei gar nichts tun?“
Meine Männer überwachen jeden Quadratmeter der Stadt!“ sagte Thompson grimmig. „Der Mörder wird sich nicht ewig verstecken können. Wir bekommen jede Menge Hinweise, nur ist es in diesem Stadium natürlich schwierig, die falschen von den wertvollen zu unterscheiden. Bei einer Horrorstory wie dieser drehen die Leute völlig durch. Sie verwechseln ihre eigene Großmutter mit der Mordmaschine.“
Der Inspektor hatte recht. Im weiteren Verlauf des Tages fluteten aus allen Teilen der Stadt Augenzeugenberichte von Bürgern herein, die das Monster gesehen hatten. Wenn die Zivilbeamten ihnen nachgingen, erwiesen sie sich für gewöhnlich als falscher Alarm.
Erst in der Dämmerung erreichte das Hauptquartier ein Anruf, der die grimmigen Männer aufscheuchte. Wade war gerade im Büro des Inspektors. Er sah, wie Thompson den Hörer aufnahm, hörte ihn einsilbig antworten. Dann wirbelte er in seinem Drehsessel herum. „Klingt wie ein Volltreffer, Hammond! Das Blatten-Monster wurde wieder beobachtet. Ein Gärtner auf dem Grundstück des Caloway-Anwesens am Stadtrand sah etwas aus dem Gebüsch kommen. Er schnappte sich eine Flinte und verbrachte eine Stunde damit, es zu jagen. Seine Beschreibungen stimmen mit dem überein, was wir von Blatten wissen und passen auch zum Foto, das wir haben. Ich schicke eine Einheit rüber, um die Gegend abzusuchen. Sind Sie dabei?“
Klar“, erwiderte Wade. „Aber wir klingeln vorher besser kurz bei Blatten an.“
Gute Idee. Er sollte bei Fuß sein, falls wir sein Püppchen auftreiben.“
Thompson holte Blatten an die Strippe und wies ihn an, er möge sich mit Wade und ihm auf dem Caloway-Anwesen treffen.
Es war fast völlig dunkel, als sie sich auf den Weg in die Vorstadt machten. Daniel Caloway, Rechtsanwalt und Besitzer des Anwesens, war ein Invalide und ans Bett gefesselt. Irgendwelche Herz-Probleme. Bisher wusste er noch nichts von der ganzen Aufregung. Es gab keinen Grund, ihn zu belästigen und ihn unnötigerweise aufzuregen. Wade und Thompson bekamen ihn nicht zu Gesicht.
Blattens Limousine glitt an ihnen vorbei und parkte an einer Ecke des Blocks, als die beiden auf das Haus zuschritten, um das Personal zu verhören. Wade wartete, bis der Bucklige zu ihnen aufgeschlossen hatte.
Bleiben Sie besser mit uns zusammen, Blatten“, mahnte er, „wenn sich das Monster hier irgendwo auf dem Grundstück herumtreibt, könnte es jederzeit über Sie herfallen. Der Mann, der es geklaut hat, weiß jetzt, dass Sie mit der Polizei zusammenarbeiten.“
Bladden nickte. Sein Gesicht sah besorgt und abgezehrt aus. „Eine verdammte Schande!“ keuchte er. „Caloway liegt krank da drin, und diese ganze Aufregung wird ihn nicht grade gesünder machen.“
Niemand wird’s ihm verraten“ beschwichtigte Wade. „Sie haben überall die Fensterläden dichtgemacht, so dass er unsere Scheinwerfer nicht sehen kann. Er braucht nichts davon zu wissen, bevor es vorüber ist.“
In diesem Moment kam ihnen eine Gestalt entgegengeschlurft – Tony Cabral, der portugiesische Gärtner. Er hielt eine doppelläufige Schrotflinte in seinen Händen. Ein gehetzter Ausdruck glomm in seinen Augen.
Zeigen Sie uns, wo Sie das Ding sahen!“, rief Wade. „Dort sollten Fußspuren zu sehen sein!“
Thompson dirigierte seine Männer zu verschiedenen strategischen Punkten des Anwesens. Dann folgten er, Wade und Blatten dem Gärtner. Cadral führte sie einen Pfad entlang, vorbei ein einer großen offenen Rasenfläche, hin zu einem Sommerhaus am Rand eines Wäldchens.
Hier wars!“ keuchte er. „Ich habe da drüben das Krokusbeet umgegraben und dabei hochgesehen. Das Ding stand nahe am Waldrand, neben diesen Büschen da drüben. Ich schwenkte meinen Spaten, und es verschwand. Ich konnte es laut durchs Unterholz brechen hören.“
Ihre Augen weiteten sich, als sie in die dunklen Zwischenräume der laublosen Stämme starrten. Blatten zitterte nervös.
Wenn Sie es nochmal sehen“ empfahl er, „feuern Sie auf den Kopf. Das wird den Gleichgewichtsmechanismus zerstören.“
Sie bewegten sich langsam auf die Büsche zu. Wade schwenkte seine elektrische Taschenlampe über die feuchte Erde. Dann sahen sie die Fußabdrücke, sahen, wie das Ding sich umgewendet hatte. Sie waren in der Lage, der Fährte aus zertretenen Zweigen für einige Zeit in den Wald hinein zu folgen. Dann gerieten sie auf felsigen Untergrund und verloren die Spur. Von hier aus musste der Roboter von Fels zu Fels gesprungen sein.
Sie kehrten auf den Waldweg und zum Stadtrand zurück, leuchteten dort in die Büsche. Über den flachen Rasen hinweg konnten sie das Haus und die heruntergelassenen Läden an Caloways Fenstern sehen.
Plötzlich hielt Wade inne. Die anderen bleiben ebenfalls stehen. Ein Ton drang zu ihnen herüber. Es klang wie ein hoher, gellender Schreckensschrei.
Was ist das?“ fragte Thompson.
Bevor das Echo seiner Stimme verklang, hörten sie eine Serie von krachenden Schlägen und das Geräusch von splitterndem Glas.
Hören Sie“ zischte Wade. „Da wird ein Fenster eingeschlagen! Die Mordmaschine ist drüben am Haus!“
Sie rannten so schnell sie konnten über den Rasen. Cabral, der Gärtner fummelte an seiner Flinte herum. Sein Gesicht war blass. Blatten bebte beim Laufen. Wade und Thompson hatten ihre Automatics gezogen.
Als sie den Pfad erreichten, kam das Haus deutlicher in Sicht. Ein weiterer grausiger, kehliger Schrei erreichte ihre Ohren. Er wurde abrupt abgeschnitten; eine tödliche Stille folgte.
Dann richtete Wade den Strahl seiner Lampe auf die Front des Gebäudes. Er war noch zu weit entfernt, um sie wirklich effektiv zu erhellen. Doch er konnte eine seltsame Figur erkennen, die aus einem der Fenster sprang, dem Fenster, das zu Caloways Zimmer gehörte.
Es ist der Automat!“ kreischte Blatten. Er hat Caloway getötet! Ein weiterer Mord!“
Schnell!“ rief Wade. „Wir kriegen ihn!“
Sie sahen, wie sich das Ding für einen Moment umdrehte, unsicher wankte und dann mit unglaublicher Schnelligkeit die Hausfront entlanglief.
In diesem Moment kam einer von Thompsons Männern um die Ecke. Er erblicke das Monster auf dem Pfad und hob seine Schusswaffe. Doch er war um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Einer der Arme der Maschine schnellte vor. Man hörte ein dumpfes „Flop“ , und der Zivilbeamte überschlug sich wieder und wieder, so als hätte der Arm eines Stahlkrans ihn getroffen. Wade zuckte zusammen, als er das grässliche Geräusch hörte, mit dem der entstellte Körper gegen die Hauswand klatsche.
Die Maschine rannte weiter und wurde bald vom Dunkel verschluckt. Doch sie konnten ihrer ungefähren Richtung gut folgen. Ihre Schritte machten jede Menge Lärm.
Sie rennt zur Straße!“, keuchte Wade.
Andere Detektive kamen ihnen nun entgegengelaufen. Taschenlampen flackerten in alle Richtungen.
Da ist sie!“ rief Thompson.
Für einen Moment sahen sie einen dunklen Flecken, der sich gegen die Heckenwand am Ende des Anwesens abhob. Es schien kurz durch die Luft zu schweben – dann verschwand es.
Es ist drübergesprungen!“ schrie Wade.
Sie erreichten die Heckenwand wenige Sekunden später. Sie war so hoch, dass sie nicht hinüberblicken konnten und so dick, dass es zwecklos schien, sich dort ohne Axt oder wenigstens einem Messer hindurchzwängen zu wollen. Einen Moment lang hörten sie die sich entfernenden Schritte auf auf dem Straßenpflaster dröhnen.
Wade rannte parallel zur Ecke in Richtung Toreinfahrt. Die anderen folgten. Als sie die Straße erreichten, war niemand mehr in Sicht. Außer Wades Limousine und den andern parkenden Autos samt der Polizeikavalkade war nichts auszumachen.
Sie könnte die Straße überquert und ins offene Feld gelaufen sein“, schlug Wade vor. „Oder sie hockt in einem der Wagen. Besser, wir durchsuchen sie alle, oder, was denken Sie, Chief?“
Sie hetzten die Reihe der parkenden Autos entlang und ließen die Strahlen ihrer Lampen über sie gleiten. Ohne Erfolg.
Ihr sucht hier alles nach Spuren ab“ schnauzte Thompson einige seiner Leute an. „Ich gehe rein und schaue nach, was mit Caloway passiert ist.“
Wade fuhr noch eine Weile fort, die Wagen zu untersuchen. Dann folgte er Thompson ins Haus. Er fand Blatten auf der Vortreppe sitzend, seinen Kopf in beide Hände vergraben. Der Erfinder stöhnte und wiegte geschockt seinen Körper hin und her. Wade versuchte ihn aufzumuntern.
Nehmen Sie's sich nicht so zu Herzen, Blatten. Ist nicht ihre Schuld, dass der Dieb diese grässlichen Dinge mit dem Automaten anstellt. Wir werden den Täter schon finden. Er hat sich vermutlich die ganze Zeit irgendwo in der Nähe versteckt. Von dort aus konnte er das Ding lenken, als wir aus dem Weg waren. Die Detektive suchen jetzt die ganze Gegend ab.“
Sie schauderten, als sie sahen, wie zwei Beamte einen zerschundenen Körper ins Haus trugen.
Ist er tot?“ fragte Wade.
Einer der Cops nickte. „Das ist Hannigan. Kannte ihn gut. Bevor ich befördert wurde, haben wir drüben im 9. Bezirk Streife geschoben.“
Caloway war ebenfalls tot. Gebrochenes Genick. Das Ding musste nach seinem zweiten Schrei im Bett kurzen Prozess mit ihm gemacht haben. Thompsons Gesicht war weiß und grimmig, Wades eine starre Maske.
Wenn wir nur wüssten, wo die Kontrollstation für dieses Monster versteckt war!“ fluchte er. „Wie nahe müsste man rankommen, Blatten?“
Ungefähr eine Viertelmeile.“ gab Blatten dumpf zurück. „Er könnte die Kontrollbox auf dem Rücksitz eines Taxis platziert haben, oder irgendwo in einem Haus in der Nähe.“
He, das ist eine Idee!“ rief Thompson. Er wandte sich an einen der Cops. „Ihr könnt nichts mehr tun für Hannigan. Durchsucht jedes Haus in der Nachbarschaft. Bringt in Erfahrung, ob sich hier schon länger irgendwelche Fremde rumtreiben, oder ob irgendwer einen Groll gegen Caloway hegte!“
Ich schlage vor, wir lassen uns von Blatten die kompletten Skizzen zum Roboter und zum Kontrollmechanismus geben“, sagte Wade. „Wir behandeln das vertraulich, Blatten. Es könnte helfen, den Mörder zu schnappen.“
O.K. Im Moment ist mir das Ding ohnehin völlig egal. Genau wie mein Patent. Kommen Sie mit in meine Werkstatt, und ich gebe Ihnen die Originalpläne. Wenn Sie sie nicht mehr brauchen, können Sie sie vernichten, wenn Sie wollen. Wir sollten den Automaten ebenfalls zerstören, wenn wir ihn erwischen. Ich werde nie über diese Sache hinwegkommen!“
Tja, ihr Jungs aus der Wissenschaft seid anscheinend nicht ganz so schlau, wie ihr denkt, erwiderte Thompson harsch. „Ihr hört besser auf, an Sachen herumzudoktern, die ihr nicht im Griff habt.“
Sie brauchen es ihm nicht unter die Nase zu reiben, Chief“, beschwichtigte Wade nüchtern. „Blatten hat alles getan, was in seiner Macht stand. Er kam sofort zu mir. Ist nicht seine Schuld, dass das Ding gestohlen wurde.“
Die ausgesandten Detektive fanden keine Spur der Mordmaschine. Sie gingen von der Theorie aus, dass sie irgendwo in einem Haus in der Nachbarschaft versteckt wurde. Thompson schärfte seinen Sergeanten sein, dass sie die Gegend erst verlassen durften, nachdem sie jeden Raum jedes einzelnen Gebäudes gründlich durchsucht hätten.
Und jetzt lassen Sie uns losziehen und diese Baupläne von Blatten holen“, drängte Wade. „Vielleicht lässt sich aus ihnen ein Anhaltspunkt ermitteln, wo sich der Dieb versteckt gehalten haben könnte, als er die Maschine auf seine Opfer losließ.“


V

Blatten fuhr sie durch die dunklen Straßen zu seiner Werkstatt. Drinnen nahmen sie unter dem violetten Licht der Quecksilberdampf-Lampe an einem Kartentisch Platz. Blatten brachte ein halbes dutzend Skizzen und Werkzeichnungen. Seine Hände zitterten und sein Gesicht zuckte, so als befände es sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs angesichts des Grauens, das er verursacht hatte.
Hier ist der Entwurf des Kontrollmechanismus“, sagte er. „Kurzwellen auf einer hohen Frequenz wirken auf einen Detektor im Kopf der Maschine. Die ausgesendeten Impulse sind vergleichsweise schwach und kommen aus einem handelsüblichen Funk-Übertragungsgerät, wie es seit zehn, fünfzehn Jahren auf dem Markt ist. Zwei spezielle Regler kontrollieren die Stärke und die Frequenz der Wellen und führen den Automaten.“
Thompson sah ziemlich überfordert aus während dieses Vortrags, und Wade wünschte sich, dass er mehr von einem Wissenschaftler in sich hätte. Doch seine Augen sprühten aufgeregt.
Da fällt mir was ein,“ fuhr er plötzlich auf. „Fast hätte ichs vergessen. Ich habe einen Hinweis sichergestellt.“
Er holte den Umschlag aus seiner Tasche und zog den kleinen Fussel heraus.
Ein Faden, den ich von einer losen Schraube abgezupft habe – an Blattons Fensterrahmen. Blatten sagte mir, dass seine... Puppe in Grau gekleidet war, also dürfte dieses Fadenstück von der Kleidung des Diebs stammen.“
Aber das wissen...“ setzte Blatten an.
Wades Finger tauchten nochmals in den Umschlag. „Und hier ist ein zweiter Faden, den ich heute Nacht gefunden habe. Auch braun. Sehen Sie genau hin. Dasselbe Fabrikat.“
Wo haben Sie das her?“ fragte Thomspon.
Ich habs erspäht, als ich die Straße nach dem Monster abgesucht habe. Sie ahnen garantiert nicht, wo.“
An der Hecke?“
Nein“, knurrte Wade. „Ich zeigs Ihnen, wenn wir zurückgehen. Sie müssen die genaue Lage sehen, um zu verstehen, welche Bedeutung es hat. Es wird Sie interessieren. Beide.“
Blatten zündete sich eine Zigarre an. Seine Augen flackerten. „Je eher Sie den Dieb finden, desto besser“, murmelte er. Ich kann kein Auge zutun, solange dieses Ding frei herumläuft, Hammond. Ich bin der indirekte Schuldige an diesen Morden.“
Wade griff nach einer Skizze des Roboters auf dem Tisch. Seine Hand erstarrte mitten in der Bewegung. Seine Augen trafen sich mit denen von Thompson.
Hören Sie das?“ fragte er.
Jetzt hörten sie es beide. Jemand – oder etwas - kam durch den Straßeneingang der Werkstatt. Blatten erhob sich.
Wer ist da?“ schrie er scharf.
Thompson und Wade fuhren auf ihren Stühlen herum. Sie hörten, wie Blatten vor Angst röchelte.
Hören Sie!“ keuchte er, “diese Schritte! Das ist kein Mensch! Das ist meine Maschine! Gott! Der Mörder hat sie auf uns gehetzt!“
Thompson fluchte grässlich und sprang auf, seinen Stuhl dabei umwerfend.
Er zog seine Automatic. Auch Wade kam langsam hoch.
Durch die Schatten der Werkstatt hallten nun Schritte, die näher und näher kamen. Sie hatten eine gespenstische abgezirkelte Qualität, die Wade Schauer den Rücken hinunterjagte. Wie ein laufender Toter...
Die Klinke der Tür, die zum Vorraum führte, drehte sich.
Es kommt rein! Es kommt rein!“ schrie Blatten. Seine Blicke funkelten wild und hell.
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Obwohl er darauf vorbereitet war, hatte Wade das Gefühl, als würde sein Blut in den Adern erkalten. Die Mordmaschine stand in einem Pool schwarzer Schatten. Ihre leeren Augen schienen ihn anzustarren. Sie drücke die Tür mir einer langsamen, mechanischen Bewegung weiter auf.
Dann waren ihre Füße wieder in Bewegung, sie bewegte sich vorwärts, blitzschnell wie das Schicksal selbst. Da war die hohe glatte Stirn, die totelschädelähnlichen Augenhöhlen, die riesigen, herabhängenden Hände, die Füße, die über den Boden schlurften wie die eines Schlafwandlers.
Schießen Sie auf den Kopf!“ schrie Blatten, „Das ist die einzige Möglichkeit! Erwischen Sie den Gyroskop-Kontrollmechanismus! Der Mörder ist irgendwo da draußen und hat das Ding auf uns gehetzt!“
Der Bucklige lehnte sich zitternd gegen Tisch, seine Augen weiteten sich, als die von ihm selbst konstruierte Monstrosität näherkam.
Thompson hob seine Automatic und und schritt auf das Ding zu. Er galt als einer der sichersten Schützen der Kripo; seine Kugel fanden fast immer ihr Ziel. Die scharfe Detonation der Waffe ließ sie alle aus ihrer Schreckstarre erwachen.
Wade beobachtete angespannt, wie sich der alte Verbrecherjäger nicht damit zufrieden gab, aus der Distanz zu feuern, sondern sich der Maschine Schuss für Schuss mutig näherte. Doch Die Schüsse prallten ab. Wade sah graue Schlieren auf dem Metall, wo die Kugeln entlanggeschrammt waren. Das Monstrum kam näher und näher – und machte nun einen plötzlichen raschen Ausfall nach vorn. Wade schrie eine Warnung. Thompson sprang zurück, doch nicht, bevor ein vorschnellender Arm ihn erwischte und ihm die Automatic aus der Hand schlug. Der Inspektor taumelte und ging zu Boden.
Blatten hastete davon. Wade sah ihn an der Wand kauern. Jetzt wandte sich der Automat Wade zu, die Arme ausgestreckt, die selben Arme, die Strickland und Caloway das Genick gebrochen und Hannigan in den Tod geschickt hatten.
Aufpassen! Vorsicht!“ schrie Blatten. „Laufen Sie, Hammond! Laufen Sie um ihr Leben!“
Wade sprang zurück und schob den Tisch zwischen sich und die Mordmaschine. Vielleicht konnte das die Kreatur für Sekunden aufhalten... Doch sie ergriff den Tisch mit beiden Händen und warf ihn zur Seite, als er ein Strohballen.
Schießen! Schießen Sie, Hammond“ rief Thompson vom Boden aus.
Ein finsteres Licht glomm in Wades Augen auf. Das Schießeisen lag in seiner Hand, doch anstatt auf die Maschine zu feuern, fasste er die Automatic plötzlich am Lauf und wirbelte herum. Er stürzte direkt auf Blatten zu.
Thompson starrte verblüfft. Die Mordmaschine befand sich nur drei Meter hinter Wade, die Arme ausgestreckt.
Wade hob seine Automatik und hämmerte plötzlich mit dem Griff auf Blattens Schultern ein. Er riss an der Kleidung des Mannes und schlug wieder und wieder mit der Waffe zu. Hammond schien plötzlich wahnsinnig geworden zu sein.
Doch jetzt hörte man ein Krachen von leichtem Holz, so als ob eine Violine unter schweren Schlägen zerbrechen würde, dann das Dröhnen von Metall auf Metall.
Blatten versuchte sich wegzuducken, doch Wade packte ihn beim Arm, riss ihn zurück und fuhr fort, mit der Kanone auf seinen Rücken einzudreschen. Blatten hatte die Zähne gebleckt und versuchte nun, Wades Kehle zu packen. Doch Wade wich aus, griff nach seinem Mantel und riss ihn buchstäblich von seinem Rücken.
Und jetzt konnte Inspektor Thompson das Ledergeschirr sehen, das dieser angebliche Bucklige trug, er sah, dass der Buckel überhaupt kein Buckel war, sondern ein clever abgerundeter Behälter, hergestellt aus Holz und Metall, perfekt designt, um eine Rückgratverkrümmung vorzutäuschen. Ein Behälter, der ein kleines, aber mächtiges Funksignal-Set enthielt.
Wade zog Blatten das Ding vom Rücken, zog zwei verborgene Regler aus seiner Tasche und stieß dann den Erfinder zu Boden.
Die Mordmaschine war plötzlich in ihren Bewegungen erstarrt. Sie stand unsicher schwankend da, die Hände an den Seiten herabhängend. Man konnte nur das leise Surren ihres Mechanismus hören. Dann wurde es still. Das Ding fiel langsam in sich zusammen und lag wie tot da, das trügerische Abbild eines reg- und harmlosen Mannes.
Da haben Sie Ihren Mörder!“ sagte Wade und deutete mit seiner Waffe auf Blatten, der nun wirklich ganz unverstellt ängstlich in der Ecke kauerte. „Das ist der Mann, der sich selbst als Krüppel ausgab, um die ganze Zeit das Funksignal-Set auf dem Rücken zu tragen, so dass er unerkannt eine Reihe schrecklicher Morde begehen konnte. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass irgendwas faul an der Sache war, doch ich war nicht sicher, bevor die Mordmaschine über die Hecke flüchtete - und ich den zweiten braunen Faden fand – an der Tür seiner Limousine!
Hätten Sie sich den Rücksitz seines Wagens genauer angesehen, hätten Sie festgestellt, dass er sonderbar konstruiert war – Die Lehne ungewöhnlich hoch der Raum unter dem Sitz sonderbar ausgehöhlt. Dort hat er das Ding versteckt. Dort sandte er es hin, nachdem er es über die Hecke springen ließ. Als ich die Kreatur zum ersten Mal aus der Nähe sah, war mir klar, dass er gelogen hatte. Sie war nicht so angezogen, wie er sagte – sie trug braun, nicht grau.
Er log auch, was die Verletzlichkeit des Maschinenkopfes anging. Ich wette, wir werden dort verstärkte Stahlplatten finden. Mit normalen Kugeln wäre das Monster nie zu stoppen gewesen. Er wollte, dass wir unsere Munition dort verschwendeten und so dem Ding die Chance gaben, uns zu töten – nachdem ihm dämmerte, dass ich ihm auf der Spur war.“
Aber was war sein Motiv? Warum die Morde?“ krächzte Thompson heiser.
Dieser große Patent-Prozess vor ein paar Jahren“, antwortete Wade. „Stricklands Firma gewann ihn gegen einen Typen namens Bloch. Caloway war Stricklands Anwalt, erinnern Sie sich? Bloch muss seinen Namen in Blatten geändert haben, und nachdem er seinen Kontrollmechanismus für den Rücken verfeinert hatte, schmiedete er einen grausigen Racheplan – mit der Maschine. Ich war sein Sahnehäubchen – sein absolut wasserdichtes Alibi – doch damit übertrieb er seine Perfektion.“
Er wandte sich zum Erfinder um. „Sie haben gute Chancen, Elektrizität ganz aus der Nähe zu erforschen, Blatten – wenn die Regierung sie durch Ihren Stuhl jagt!“

Paul Chadwick: The Murder Monster
Erstdruck: Detective Dragnet May 1932
Übersetzung: Matthias Käther © 2019/20














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