Freitag, 11. Juni 2021

J.J. Connington: Abwehr-Mechanismus (1938)

 



Es gibt die hartnäckige urbane Legende, dass die Angst vor künstlicher Intelligenz erst im Laufe des Computerzeitalters entstand. Doch Horrorgeschichten über Maschinen, die das Potential zur Vernichtung der Menschheit oder zumindest zur Bedrohung einzelner Exemplare der Spezies besitzen, reichen bis ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Berühmte Beispiele sind E.T.A. Hoffmanns Novellen „Die Automate“ und „Der Sandmann“. Die Geschichten unmittelbar vor der Computerära finde ich besonders faszinierend, weil sie in der Regel nicht so sehr bedrohliche Aspekte der künstlichen Intelligenz aufzeigen, sondern die Tatsache einer intelligenten Maschine an sich schon furchteinflößend finden. Hierzu gehört auch die folgende britische Geschichte von 1938. Sie erschien zunächst im englischen Pulp-Magazin „The Passing Show“, ein Weekly mit einer wilden Mischung aus Cartoons, Fortsetzungsromanen und Kurzgeschichten. Einem größeren Publikum wurde sie bekannt, als die amerikanische Horror-Zeitschrift „Weird Tales“ sie ein Jahr später übernahm. J.J. Connington ist das Pseudonym des Krimi-Autors Alfred Walter Steward (1880-1947), dessen Kriminalromane sich in den 20er und 30er Jahren äußerster Popularität erfreuten, aber eher gemütliche Knobel-Epen a la Agatha Christie sind und nicht darauf schließen lassen, dass Connington auch einen Nerv fürs Horror-Genre hatte. Leider hat er nur zwei Geschichten dieser Art hinterlassen; die andere (Before Insulin) ist wesentlich schwächer. Diese hier ist ein kleines Juwel, das erstaunlicherweise für ein deutsches Publikum noch nicht entdeckt wurde.



Ich hatte das Glück, im Zug in Euston ein leeres Abteil zu finden, und als ich meinen Koffer auf die Ablage über einem Fensterplatz gestellt hatte, ging ich auf den Bahnsteig, um mir etwas zum Lesen für die Fahrt zu holen. Im selben Augenblick, als ich wieder zurückkam, ertönte der Pfiff, und ich etwas verblüfft, als ich feststellte, dass sich jemand in die gegenüberliegende Ecke meines Abteils gepflanzt hatte, obwohl der Rest der Wagens leer war. Ich hasse Unterhaltungen mit zufälligen Fremden im Zug. Ohne einen Blick auf meinen unerwünschten Begleiter zu werfen, schlug ich eines der Bücher auf, die ich gerade gekauft hatte, und begann zu lesen.

Über den Rand der Seite hinweg bemerkte ich, dass der Kerl mich beäugte, als würde er nach einer günstigen Gesprächs-Eröffnung suchen; ich schob das Buch ein oder zwei Zentimeter höher in der Hoffnung, dass ihn das abschrecken würde. Dann stand er auf, lehnte sich über mich und untersuchte bedächtig das Etikett meines Koffers. Danach setzte er sich wieder hin, beugte sich vor und tippte mir auf das Knie, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.

"Ich dachte mir schon, dass Sie es sind", erklärte er, "und jetzt habe ich auch noch Ihren Namen auf dem Etikett gelesen. Erinnern Sie sich nicht an mich? Ich bin Milton."

Da erkannte ich ihn. Das wässrige blaue Auge war so kalt wie eh und je, und ich entsann mich nun auch an den Zug seines bösen Mundes mit den rattenartigen Zähnen. Er und ich waren während unserer Universitätszeit nie mehr als Bekannte gewesen. Physik war sein Fach, und ich war auf der Seite der Biologie. Es ab also wenig Kontakt. Seitdem hatten wir uns völlig aus den Augen verloren, hatten nichts mehr gemeinsam; und ich ärgerte mich über das Wiederauftauchen dieses Gespenstes aus der Vergangenheit, das mich auf einer langen Bahnfahrt offensichtlich mit seiner Konversation nerven würde. Ich war nicht sehr herzlich zu ihm, fürchte ich.

Nicht, dass es ihn zu stören schien. Er wollte jemanden zum Reden haben, und ich war ein Geschenk der Götter.

Er sprach über das Wetter, die Leere des Zuges, eine Halsentzündung, die er in dieser Woche gehabt hatte, und die Aussicht auf einen harten Winter. Als es mir gelang, mich in das Gespräch einzuschalten, erwähnte ich, dass ich in den letzten zwei Jahren nicht mehr ganz auf dem Laufenden war, weil ich im Auftrag einer aufstrebenden Pharmafirma in Zentralafrika Botanik betrieben hatte. Das interessierte ihn nicht, und er kam auf langweilige Reminiszenzen aus unserer Studentenzeit zurück. "Erinnern Sie sich an So-und-so?" Äußerst ermüdend. Es schien Stunden zu dauern.

Und langsam, während ich diesem Strom von Trivialitäten zuhörte, begann ich zu bemerken, dass der Mann hochnervös war, dass er redete, um sich vom Denken abzuhalten. Ein Nervenbündel kurz vorm Durchdrehen...

Dann erwähnte ich zufällig Stevenson.

Stevenson wurde schon in meiner Studentenzeit als als der kommende Mann in der Physik bezeichnet. Haufenweise Hirnschmalz, große private Mittel und ein Händchen dafür, Dinge in unglaublich kurzer Zeit auszuarbeiten, wenn er einmal damit angefangen hatte. Zwei Eigenschaften sprachen allerdings gegen ihn in der wissenschaftlichen Welt. Er war ziemlich unorthodox in seinen Ansichten, und er war erstaunlich geheimnisvoll mit seiner Forschung, bis er alles, woran er arbeitete, schließlich beendet hatte.

Er konnte sich private Assistenten leisten, benutzte sie aber quasi nur als verlängerte Arme. Sie erfuhren nichts über das eigentliche Ziel der Forschungen, bei denen sie ihm halfen, es sei denn, sie verstanden es, sich auf eigene Faust ein Bild zu machen. Stevenson war ein Eigenbrötler und behielt das meiste für sich.

Die letzte Sache, an der er vor meiner Abreise nach Afrika gearbeitet hatte, war eine mögliche Parallelität in der Reaktion von lebenden und nicht lebenden Materialien gewesen. Und als sein Name fiel, erinnerte ich mich vage daran, dass Milton einer seiner mechanischen Schreiberlinge gewesen war, die in dessen Privatlabor beschäftigt waren.

"Sind Sie noch bei Stevenson?" erkundigte ich mich. "Was macht er denn gerade?"

Milton schien durch meine direkte Frage etwas verwirrt zu sein. Er kramte ein oder zwei Augenblicke in seiner Tasche, ohne zu antworten; und ich begann zu befürchten, dass ich zu neugierig geworden war. Schließlich kann man von einem bezahlten Assistenten nicht erwarten, dass er etwas über die private Arbeit seines Chefs preisgibt. Doch schließlich fischte er ein Notizbuch hervor und zog einen Zeitungsausschnitt heraus, den er mir hinblätterte. Soweit ich mich erinnern kann, lautete er etwa so:


BERÜHMTER WISSENSCHAFTLER VERSCHWINDET


Professor Loraine Stevenson, der berühmte Physiker, ist vermutlich ertrunken. Er machte Urlaub auf seinem Inselsitz auf den Hebriden und fuhr am Dienstagmorgen mit einem Assistenten in einem Motorboot hinaus. Im Laufe des Nachmittags kam ein Sturm auf. Es wird befürchtet, dass das Boot gekentert ist, da seither keine Spur von ihm oder den Insassen gefunden worden ist. Ein Angehöriger des Professors gibt an, dass eine Anzahl von Schuldscheinen, die der Professor in seiner Funktion als reicher Gläubiger seinem Besitz gehabt haben soll, nicht mehr auffindbar ist.


Ich reichte ihm den Ausschnitt zurück. "Wer war dieser Assistent, der da erwähnt wird? Es muss doch bekannt sein, wer mit im Boot saß."

Milton sah mich an. Ich schien in seinem Blick etwas aufflackern zu sehen - etwas, das ich nicht benennen konnte, etwas Beunruhigendes wie das Funkeln des Wahnsinns im Auge eines Verrückten.

"Naja", antwortete er zögernd, "Tatsache ist - ich meine..., Also sehen Sie... ich war der Assistent."

"Das Boot ist also gar nicht gesunken? Was wurde dann aus Stevenson? Und wie kann es sein, dass Ihr Name in dieser Geschichte gar nicht auftaucht?"

Und so kam die ganze Geschichte heraus. Ich sage nicht, dass ich sie glaube. Ich sage aber auch nicht, dass ich sie nicht glaube. In der Wissenschaft haben sich schon seltsamere Dinge als wahr herausgestellt. Ich habe es so aufgeschrieben, wie er es mir erzählt hat - in seinen eigenen Worten, soweit ich mich an sie erinnere.


Also ich erwarte nicht, dass Sie das alles glauben (begann er), es ist ein bisschen aus dem Rahmen gefallen.

So sehr, dass ich es vorziehe, offiziell die Zeitungsgeschichte so zu bestätigen, wie sie ist, anstatt ihr zu widersprechen. Den Grund dafür werden Sie später noch sehen.

Es ist folgendermaßen passiert. Letzten Sommer bot mir Stevenson an, mich mit in den Norden zu nehmen. Wussten Sie, dass er da oben ein Haus hatte? Er hatte ein großes Stück Arbeit vor sich, das er fertigstellen wollte, und er brauchte Hilfe dabei. Ich konnte zwischendurch auch angeln gehen, aber es war wirklich ne Menge Schufterei, die er mit mir vorhatte. Es sollte einen saftigen Bonus geben, zusätzlich zu meinem normalen Gehalt, solange ich meinen Mund hielt. Ich durfte nicht einmal erzählen, dass ich mit ihm wegfahren würde.

Natürlich ging ich auf den Vorschlag mit dem Bonus ein. Am Ende der Woche waren wir da oben. Ein gottverlassenes Etablissement: ein verfallenes altes Haus auf einer zugigen Landzunge. Eine alte Haushälterin, stocktaub. Kochte aber göttlich, muss ich sagen. Sie erfuhr nie, wer ich war. Ich bekam keine Briefe und machte mir auch nicht die Mühe, ihr meinen Namen ins Ohr zu brüllen.

Etwa einen Monat lang ließ mich Stevenson hart arbeiten, um Druckunterschiede in der Luft zu messen. Es schien mir die reinste Zeitverschwendung zu sein. Als ich ihm meine Ergebnisse zeigte, schien er aber zufrieden zu sein. Ich nahm an, dass er nach der idealen Atmosphäre für drahtlose Kommunikation suchte, aber ich wurde bald eines Besseren belehrt, obwohl ich selbst jetzt im Dunkeln tappe, was seine genauen Absichten waren. Sie wissen ja, wie streng und introvertiert er bei jeder seiner Arbeiten war.

Er hatte eine kleine Barkasse – das Motorboot, das in dem Zeitungsausschnitt erwähnt wird - und jeden Morgen fuhr er allein damit los. Die Eingeborenen dort dachten, er ginge fischen, glaube ich. Eines Tages schien er mit meinen Ergebnissen unzufrieden zu sein. Die Atmosphäre der Umgebung war seiner Meinung nach schlecht, und er wollte an einen Ort, an dem er weniger gestört würde als im Haus. Für mich waren das alles böhmische Dörfer, und er ermutigte mich auch nicht gerade, nach Details zu fragen.

Am nächsten Morgen brachte er mich dazu, das Messgerät in die Benzinbarkasse zu packen, und wir fuhren los, ein Stück die Küste hinunter, im Zickzackkurs zwischen einigen kleinen Inseln. Ich hatte noch nie Talent für Topographie, und bald wusste ich nicht mehr, wo wir waren. Schließlich wendete er das Schiff um einen Landvorsprung und brachte es dicht an die Küste heran. Direkt vor uns lag ein ziemlich großes Felsloch in den Klippen. Die Barkasse fuhr hinein, in eine Meereshöhle, und Stevenson schaltete einen kleinen Scheinwerfer ein, der am Bug befestigt war.

Kennen Sie das unheimliche Gefühl, das einem diese Meereshöhlen einflößen? Die Wellen kommen sanft herein, mit einem Schaumrand an den Felsen; dann hebt man sich, wenn die Kämme vorbeiziehen, und es fühlt sich an, als würde man gleich an der Decke zerquetscht werden. Die Welle lässt dich wieder fallen; du hörst, wie sie in die Dunkelheit weiterwirbelt, und schließlich bricht sie mit einem ekelerregenden Getöse in sich zusammen.

Ich habe Meereshöhlen nie gemocht. Sie erweckten bei mir immer den Eindruck, dass am hintersten Ende eine riesige Bestie darauf wartet, um sich auf mich zu stürzen. Und wirklich wartete am Ende dieser Höhle eine Bestie auf mich, eine neue Art von Bestie, schlimmer als alles, was einem in seinem Albträumen begegnet.

Aber ich greife vor. Die Barkasse kam längsseits eines Felsvorsprungs, und wir hoben die Kisten mit dem Equipment heraus. Stevenson lud sich einen Teil des Materials auf, ich trug den Rest, und wir liefen in Richtung Höhlenende. Je näher wir dem Getöse der Felsbrandung am Ende des Tunnels kamen, desto dunkler wurde es. Allmählich wurde ich unruhig. Seltsam ... Was für ein merkwürdiger Ort für einen einfachen Physiker, um seinem Job nachzugehen!

Einmal rutschte ich auf einem Stück nassem Seegras aus, was mir bewies, dass der größte Teil der Höhle bei Flut unter Wasser stehen musste. Auch jetzt schwankte der Wasserspiegel beträchtlich, wenn eine Welle in die Höhle hineingeschwappt kam.

Alles hier drin wirkte äußert beklemmend. Irgendwann trat ich auf eine Krabbe und fiel dabei fast in die Strömung. Danach kramte Stevenson eine elektrische Taschenlampe hervor. Er war wohl schon so oft an diesem Ort gewesen, dass er vergessen hatte, dass ein Fremder stolpern könnte. Das laute Gurgeln des Wassers und das hallende Krachen der Brandung am Ende des Tunnels zerrten an meinen Nerven. Ich hatte die Schnauze voll von der ganzen Sache.

Schließlich kamen wir zu einer Art trichterförmigen Öffnung, die nach oben in die Dunkelheit führte. Dort gab es eine Strickleiter und eine Winde, um Sachen auf eine höhere Ebene zu hieven. Diese Leiter brachte uns in eine Höhle von beträchtlichem Ausmaß, aus der eine Reihe von Tunneln abzweigte. Im Licht der Taschenlampe konnte ich nicht viel erkennen, und Stevenson schien auch nicht erpicht darauf zu sein, mir viel von der Umgebung zu zeigen. Er führte mich einen Tunnel hinunter, und ich fand mich in einem recht gemütlichen kleinen Raum wieder. Erstaunlich, oder? Es war ziemlich trocken; der Physiker hatte sogar eine Art elektrische Heizung eingebaut.

Wir schleppten die Kisten hinein, und ich verbrachte den Rest des Tages damit, den Apparat zusammenzubauen und zu testen. Stevenson selbst verschwand in einem der anderen Tunnel. Später kam er mit etwas zu Essen herein. Er hatte für genügend Proviant gesorgt, denn es schien, dass wir aus dieser Seehöhle nicht wieder herauskommen würden, bevor die Flut zurückging.

Er verließ mich wieder. Einmal hörte ich, wie er auf etwas einhämmerte, und ein anderes Mal vernahm ich das Geräusch einer ziemlich großen Maschine. Geräusche werden in solchen Höhlen beträchtlich verstärkt. Ich konnte nicht sagen, was für eine Maschine das war. Sie surrte wie ein Dynamo.

Alles in allem schien es mir ein merkwürdiger Ort zum Arbeiten zu sein, aber er war extrem massiv und eine erstaunlich sichere Bank, was Erschütterungen anging. Es gab hier kaum welche. Die Wellen haben die Messinstrumente nicht beeinflusst, also mussten wir uns in ziemlich festem Gestein befinden. Ich habe nie herausgefunden, wie es ihm gelungen war, diesen Ort auszustatten – aber er muss es irgendwie allein geschafft haben.

Am späten Nachmittag kam er vorbei und sagte mir, die Flut sei so weit zurückgegangen, dass wir die Höhle verlassen konnten. Wir fuhren mit der Barkasse nach Hause.

So ging es eins, zwei Wochen lang weiter, obwohl die Arbeitszeit natürlich mit den Gezeiten variierte. Wir fuhren mit der Barkasse los, ich machte meine Messungen, während er in einem der Tunnel verschwand. Das Wetter war wunderbar, und ich habe die Bootsfahrten sehr genossen.

Dann, eines Abends, als wir nach dem Essen rauchend vor dem Feuer saßen - es war kühl und ausnahmsweise eine regnerische Nacht - wurde er recht gesprächig. Überraschend, was? Das hat mich verblüfft, wissen Sie. Sehr untypisch für ihn. Manchmal frage ich mich, ihn nicht eine eine Art übersinnliches Vorgefühl antrieb – "Fey", „Todesahnung“ nennen es die Schotten.

Wie auch immer, ich bin nun der glückliche Besitzes der letzten Offenbarungen eines wissenschaftlichen Genies. Er hat fast so viel mit sich selbst geredet wie mit mir, also fühlte ich mich nicht geneigt, etwas Nennenswertes zum Gespräch beizutragen. Erinnern Sie sich an seine seltsame, pedantische Art zu sprechen? Jedes Wort, jede Paraphrase korrekt, komplett und ohne Auslassungen? Ich kann ihn nicht genau wiedergeben, aber so ungefähr sagte er folgendes:

"Ich nehme an, dies alles hier es hat Sie verwirrt, wie es auch meine anderen Assistenten verwirrt hat... Das meiste meiner Arbeit mag unzusammenhängend erscheinen, aber wenn Sie einen Anhaltspunkt hätten, wären Sie in der Lage, die Hauptlinien selbst nachzuziehen. Das alles hat mich fünfzehn Jahre gekostet, aber ich glaube, das Ende ist in Sicht. Ja, wahrscheinlich bin ich dem Ende sehr nahe.“

Damit lag er richtig - er war ihm viel näher, als er dachte....

Ich sah keinen Grund, mein Ziel zu definieren, bevor ich in Reichweite der Lösung gekommen war", fuhr er fort. „Ich hatte keine Lust, als Quacksalber bezeichnet zu werden, und so hätten sie mich auch bezeichnet. Der Kern des Problems, das ich mir vorgenommen hatte zu lösen, war nämlich, eine intelligente Maschine zu konstruieren.“

Das war es also, worauf er aus war! Was hätten Sie gedacht, wenn er Ihnen so etwas erzählt hätte? Total verkorkst, was? Schlimmer als der alte Frankenstein. Ich habe nur auf meine Pfeife gebissen und nix gesagt. Er gab mir ein oder zwei Momente, um es zu verdauen. Dann nahm er den Faden wieder auf.

Ein lebender Organismus unterscheidet sich von einer normalen Maschine dadurch, dass er, wenn man ihn stimuliert, entweder kämpft oder vor dem Reiz davonläuft, während eine Maschine einfach passiv ist. Deshalb musste ich mich für eine von zwei Möglichkeiten entscheiden, um meine Maschine zu konstruieren: ihr entweder die Fähigkeit zur Fortbewegung und Flucht geben oder sie mit einer Fähigkeit zur Selbstverteidigung gegen ihre Umwelt ausstatten.

Die zweite ist die einfachere Lösung, denn die Maschine kann in einer Umgebung platziert werden, in der sie allem überlegen ist, was gegen sie in Stellung gebracht wird. Meine These: Wenn man einem Organismus - sei es eine Maschine oder etwas anderes - die Fähigkeit gibt, Reize wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen, kann man in ihm so etwas wie Intelligenz erzeugen. Ein solcher Organismus würde ganz sicher, glaube ich, den grundlegendsten aller Instinkte entwickeln: den Selbsterhaltungstrieb. Und damit ist der erste Schritt getan hin zu einem Denkmechanismus.“

Seine Zigarre war ausgegangen, und er zündete sie wieder an, bevor er fortfuhr.

Darauf habe ich die letzten fünfzehn Jahren hingearbeitet, und die Maschine ist nun endlich fertig. Vielleicht ist sie ein totaler Fehlschlag. Man kann nie sicher sein. Aber ich habe mir viel Mühe mit den Details gegeben. Sie sind der erste Mensch, dem ich etwas davon erzähle. Ich hatte eigentlich nicht vor, es Ihnen zu sagen, aber ich nehme an, dass tief in meinem Innern doch irgendwo die Sehnsucht nach einem Publikum schlummert.“

Er hielt abrupt inne und sah aus, als bedaure er, so viel gesagt zu haben. Ich hatte keine Lust, Fragen zu stellen. Die Mitteilsamkeit schien ihn plötzlich verlassen zu haben, und er war nicht der Typ, den man ins Kreuzverhör nehmen konnte. Wir spielten für den Rest des Abends Schach.

Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter geändert. Die See war ziemlich rau; zeitweise kamen Sturmböen auf, und die Barkasse gierte stark, als er sie um die Landzunge herum lenkte. Wir gelangten aber problemlos in die Höhle und kletterten in die Laborebene hinauf. Stevenson schien seine nächtlichen Vertraulichkeiten zu bereuen; ich dachte, er würde einen Rückzieher machen. Aber die Katze war aus dem Sack; offenbar hatte er sich trotz allem entschlossen, mir seine Maschine zu zeigen.


Von der Zentralhöhle aus gingen wir einen Tunnel entlang, bogen in einen anderen ein und wechselten dann in einen Seitengang. Der Ort war ein regelrechtes Labyrinth, dachte ich, als ich dem Licht seiner Taschenlampe folgte, während er mich weiterführte. Schließlich kamen wir in eine große Höhle, die von elektrischen Lampen beleuchtet wurde. (Er bezog seinen Strom aus einem kleinen Gezeitenkraftwerk, erzählte er mir einmal). Es war eine Art unregelmäßige Halle, etwa 15 mal 25 Meter groß, mit einer ziemlich hohen Deckenwölbung. Der Boden war geebnet, und die Wände waren glatt.

Die Maschine selbst stand in der Mitte des Raumes. Als er am Abend zuvor mit mir sprach, hatte ich keinen Schimmer, dass es eine so gewaltige Apparatur sein würde. Sie bedeckte etwa 100 Quadratmeter des Bodens. Ich weiß nicht, ob Sie ein Gefühl für die "Persönlichkeit" von Maschinen haben – nehmen Sie zum Beispiel die Unterschiede zwischen einem schnellen Auto und einem Profi-Rennwagen... Es ist eine Frage der Linienführung, des Schnitts, wissen Sie, nicht bloß der reinen Größe oder der Schnelligkeit. Dieser Apparat von Stevenson war wie keine Maschine, die ich je zuvor gesehen hatte. Doch ihr rein physisches Erscheinungsbild war nicht das, was mich in ihren Bann zog.

Sie hatte irgendwie - eine Persönlichkeit... Ich kann Ihnen nicht genau erklären, was ich meine. Sie sah böse aus, so wie ein Stier im Vergleich zu einer Kuh böse aussieht.

Und natürlich war sie anders als jede Maschine, die man je gesehen hat. Zuallererst fielen mir ein paar Dinger an ihr auf, die aussahen wie riesige Holzkameras mit dunklen Linsen. Dahinter befand sich eine Masse komplizierter Maschinerie mit Spulen, die hier und da aus dem Boden ragten und mit isolierten Drähten umwickelt waren. Auf dem Boden, unter den Kameras, lagen seltsam zusammengerollte, tentakelartige Kabel aus einer Art segmentiertem Metall. Ein Ende jedes Kabels führte direkt unter den Kameras entlang ins Eingeweide der Maschine.

Über den Kameras lag etwas, das wie ein paar lose Stränge aus feinem Draht aussah, fast wie Fäden. Die ganze Vorrichtung wirkte wie ein gigantischer Tintenfisch, der aus allen möglichem Elektroschrott zusammengebaut war, und die Kameralinsen dienten dem Ding als ein Paar große, düstere Augen. Ein grausiges Ungetüm.

Stevenson unterbrach meine Inspektion, bevor ich Gelegenheit hatte, allzu viele Details zu erkennen.

Ich habe jetzt keine Zeit, die Konstruktion zu erklären", sagte er, "aber Sie können sich ja in groben Zügen selbst ein Bild machen. Die Maschinerie braucht natürlich eine Antriebskraft, und die gewinne ich, indem ich das Ansteigen und Abfallen der Flut in den Tiefen der Höhle nutze. Die Bewegung treibt einen Dynamo an, so dass die Maschine völlig unabhängig von herkömmlicher Treibstoffzufuhr ist.

Was nun das Erkennen von Fremdkörpern angeht, so war von Anfang an klar, dass die Maschine so etwas wie ein Sehvermögen braucht. Sie bemerken, dass die Wände und Böden dieses Ortes in einem einheitlichen Farbton gestrichen wurden. Die beiden kamera-förmigen Vorrichtungen oberhalb des Hauptkörpers der Maschine dienen als Augen. Es sind tatsächlich Kameras, aber statt der üblichen einzigen Linse bestehen sie aus Oberflächen, die aus Hunderten von winzigen photoelektrischen Zellen zusammengesetzt sind.

Normalerweise werden diese Zellen gleichmäßig beleuchtet, da die Wandfarbe einheitlich ist. Nähert sich aber ein fremdes Objekt der Maschine, dann werden dort, wo sein Bild auf die optischen Rezeptoren fällt, diese Zellen heller oder dunkler als zuvor. Dieser Unterschied der einfallenden Strahlen erzeugt einen Stromimpuls, der es ermöglicht, den Abwehr-Mechanismus der Maschine in Bewegung zu setzen.

Es ist ganz einfach. Natürlich braucht man zwei Kameras, so wie man bei einem Tier zwei Augen braucht, um eine räumliche Perspektive zu gewährleisten.

Außerdem habe ich diese feinen Draht-Fühler hinzugefügt, die Sie auf den Kameras liegen sehen. Ihr Funktion werden Sie gleich erkennen.

Die Verteidigungsmittel sind diese Stahlspulen auf dem Boden. Sobald die "Augen" oder die „Fühler“ einen Fremdkörper im Raum orten, kann die Maschine eines oder mehrere dieser Metall-Kabel abwickeln und an die richtige Stelle schleudern. Das war nur eine Frage der Koordinierung der Gelenke.“

Er verließ den Raum und überließ es nun mir, sein Spielzeug zu inspizieren. Je mehr ich davon sah, desto weniger gefiel es mir. Es war die hässlichste Maschine, die ich je gesehen habe. Aber ich hatte immer noch keine Muße, sie genauer zu untersuchen. Stevenson kam fast sofort zurück und schleppte doch tatsächlich einen kleinen Affen an!

Diese Kreatur wird für ein erstes Experiment dienen“, sagte er und warf ihn auf den Boden. „Er hat ein gewisses Maß an Intelligenz und ist ziemlich agil. Ein perfektes Testobjekt für die Kapazitäten der Maschine, denke ich. Wir können uns in dieser Nische nahe am Eingang aufstellen und sind außerhalb der Reichweite der Kameras. Der Kontrollschalter ist hier, gleich neben der Nische.“

Mit dem Klicken des Schalters erwachte die unförmige Masse an Maschinerie auf dem Boden zum Leben. Es gibt kein anderes Wort dafür. Ich hörte ein plötzliches Rascheln der Kabel, so als würde das gesamte Ding – sich erheben ... Die Kameras schwenkten mit einem Ruck herum und blieben stehen. Dann: Stille.

Der Affe krabbelte zwischen uns und der Maschine auf dem Boden herum. Bei der plötzlichen Bewegung der Vorrichtung hinter ihm erstarrte er, kauerte sich zusammen und blickte über seine Schulter. Die beiden Kreaturen sahen sich an. Dann flogen blitzartig die feinen Tentakel über den Kameras auf, teilten sich und hingen zappelnd wie Medusas Haare über dem „Kopf“ der Maschine.

Daraufhin begann der Affe zu flüchten. Noch bevor er einen Meter weit gekommen war, schoss ein langes Kabel unter den Kameras hervor, wickelte sich um den Körper des kleinen Tieres, umkrallte es brutal, schnellte so schnell zurück, wie es gekommen war, und ließ das arme Vieh tot auf dem Boden liegen. Der Tod aus dem Nichts, so rasch wie ein Blitz...

Sehr gut, für einen ersten Versuch“, sagte Stevenson. "Ich schalte mal ab und...“

Als er die Hand nach dem Schalter ausstreckte, schwenkten die Kameras mit einem rasselnden Ruck herum; ein halbes Dutzend Kabel schoss hervor, ergriff seinen Arm und zerrte ihn aus der Nische. Es gelang ihm beinahe, sich an mir festzuklammen, als er davonschnellte. Erinnern Sie sich an die Schlange und den Esel in der „Schweizer Familie Robinson"? Sie tötete ihn genau so. Quetschte das Leben in Sekunden aus ihm heraus. Er starb sehr schnell. Wirklich, sehr schnell.

Ich wollte zum Schalter springen, aber gerade als ich mich dazu entschlossen hatte, wickelten sich zwei weitere Kabel von dem Ding ab und rissen den Hebel aus der Wand. Stevenson hatte vergessen, ihn in dem neutralen Farbton zu streichen wie die Wände. Natürlich bemerke seine Maschine das sofort und reagierte entsprechend.

Nun, man kann nicht an alles denken.

Tja, da stand ich nun, und befand mich in einem ziemlichen Schlamassel. Der Schalter war weg. Ich hatte keine Möglichkeit, die Höllenmaschine zu stoppen. Und der einzige Mann, der sich mit dem Gerät auskannte, lag mehr oder weniger zerstückelt vor mir.

Zuerst fühlte ich mich ich krank, todkrank. Als es mir etwas besser ging, setzte ich mich in die Nische und dachte kurz nach. Ich konnte die Maschine nicht sehen, und sie mich auch nicht, außer wenn ich mich aus der Nische lehnte. Aber ich hatte natürlich keine Ahnung, wozu das Monstrum in der Lage war.

Ich wusste nicht, ob die Drähte lang genug waren, um bis in meine Nische zu vorzudringen. Falls sie dorthin gelangten, würden sehr bald ein oder zwei Kabel in meine Richtung zischen, da war ich mir sicher. Todsicher.

Es dauerte nicht lange, bis ich erkannte, dass die Hauptwaffe der Maschine ihr „Augenlicht“ war. Wie kann man bei einer Maschine nur an „Augenlicht“ denken! Aber da hatte ich schon aufgehört, mir einzureden, dass sie nur ein Mechanismus war. Sie benahm sich lebendig genug für mich. „Blende sie!“ Das war die große Herausforderung. Sie blenden und dann das Risiko eingehen, dem Rest der Apparatur zu trotzen. Aber es schien einfach unmöglich, an die Kameralinsen heranzukommen und sie zu zerschlagen; sie sahen ziemlich solide aus.

Dann hatte ich es! Wenn ich mit etwas auf die elektrischen Lampen zielen und sie zerbrechen könnte, wäre der Trick bewerkstelligt. Sobald der Ort im Dunkeln lag, wären die Kameras außer Betrieb.

Das Problem war natürlich, dass das Ding mich schnappen würde, wenn ich mich zu weit aus der Nische herauslehnte. Eine Zeit lang kam ich aus diesem Dilemma nicht heraus. Dann dachte ich daran, die Aufmerksamkeit des Viehs abzulenken, indem ich etwa meinen Mantel hinauswarf, kurz bevor ich mich selbst hinauslehnen musste. Das schien der einzig realistische Plan zu sein. Ich begann, mir Mittel und Wege auszudenken, wie ich ihn in die Tat umsetzen konnte. Es gab vier Lampen; zwei in meiner Nähe und zwei, die weit entfernt waren. Ich ging meine Taschen durch und stellte fest, dass ich sechs Pennys, einen Gulden, eine halbe Krone und zwei Schillinge hatte. Ich hatte ein Benzinfeuerzeug, ein Taschenmesser, zwei Schlüssel von passabler Größe und eine Armbanduhr. Eine merkwürdige Ansammlung von Gegenständen, die zwischen Leben und Tod standen!

Ich beschloss, mit der Arbeit bei den nächstgelegenen Lampen zu beginnen, um mich einzuschießen. Eine von ihnen konnte ich bequem erreichen, ohne aus der Nische zu kommen, und ich zerschlug sie beim zweiten Versuch mit einem der Schillinge. Ich wollte mich erst ausziehen, wenn es unbedingt nötig war. Ich wollte meine Klamotten als Wurf-Reserve behalten, wenn ich zum Schluss zum Ausgang rennen musste. Also versuchte ich es mit der anderen näheren Lampe; und ich vergeudete vier Pfennige und einen Gulden, bevor ich sie mit dem zweiten Schilling erwischte. Ich hatte zuvor nie wahre Freude am Kaputtmachen von Gegenständen empfunden - bis diese Lampe ausging.

Mein Teil der Höhle war nun ziemlich düster; und die Maschine schien durch diese Veränderung beunruhigt zu sein. Sie begann, ihre Stahlkabel auszusenden und die Leichen auf dem Boden herumzuwälzen. Schließlich zog sie sie ganz zu sich heran, musterte sie genau und umarmte sie dann ein wenig.

Ich richtete nun meine Aufmerksamkeit auf die anderen beiden Lampen. Eine lag direkt gegenüber der Nische, war aber ziemlich weit weg. Ein Penny und die halbe Krone gingen daneben. Dann eröffnete ich das Feuer mit dem Rest meiner Sammlung. Ich war ziemlich aufgeregt bei der Sache, und als ich endlich einen Treffer gelandet hatte, stellte ich fest, dass nun meine ganze Munition verplempert war. Ja, da stand ich nun, mit nichts in der Hand und einer Lampe übrig. Außerdem wurde die Maschine jetzt wirklich gereizt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mich erwischte, das heißt, wenn ihre Antennen lang genug waren, um in meine Nische zu langen.

Dann fiel mir auf einmal ein, das ich ja meine besten Wurfgeschosse noch gar nicht benutzt hatte: meine Schuhe! Seltsam, wie häufig man das Offensichtliche übersieht, nicht wahr? Ich zog sie aus.

Zu diesem Zeitpunkt ging es um alles oder nichts. Also schlüpfte ich auch aus meinem Mantel, balancierte einen Schuh in der Hand und rannte hinaus zur letzten Lampe. Hätte ich länger gezögert, um über die Aktion nachzudenken – ich hätte nie den Mut aufgebracht. Die Kameras kreisten herum - krack! - für einen Moment blickte ich in die dunklen Linsen des Monsters und fühlte mich fast wie hypnotisiert.

Ich hatte gerade noch genug Verstand, um zur Seite zu springen. In derselben Sekunde donnerte eine der Kabelschlangen auf mich zu. Ich schleuderte den Schuh direkt auf die Lampe - ich war nur etwa drei Meter von ihr entfernt - und das Licht ging aus! Ich wechselte erneut spontan die Position, mehr aus Instinkt als aus Berechnung, und ein Kabel schwang zischend an mir vorbei. Die Dunkelheit schien das Ding in Panik versetzt zu haben, denn es machte keinen systematischen Versuch, den Raum zu durchsuchen. Wenn es das getan hätte, wäre ich dran gewesen. Denn ich hatte ich nur eine vage Vorstellung davon, wo der Eingang lag.

Ich bewegte mich in die Richtung, die ich für richtig hielt, und bemerkte plötzlich einen kühlen Luftzug. Etwas riss mir den Mantel aus der Hand - ich stellte fest, dass ich vergessen hatte, ihn wegzuwerfen - und drei haarähnliche Dinger legten sich mir über Hals und Wange. Aber da war ich schon am Eingang - und frei!

Hinter mir hörte ich, wie das Monster wütend um sich schlug, dann war es plötzlich still. Vielleicht wusste es auf irgendeine Weise, dass ich außer Reichweite war. Ich rannte den stockdunklen Korridor entlang, stolperte in einen anderen und dann in einen dritten. Dann brach ich zusammen.

Als ich wieder zu mir kam, erkannte ich das Dilemma, in dem ich steckte. Ich hatte mich in den Gängen verirrt, ich hatte keine Streichhölzer, und wenn ich im Dunkeln zufällig wieder in die Höhle mit der Maschine stolperte ....

Es dauerte Stunden, bis ich den Weg durch das Labyrinth zum Hauptschacht gefunden hatte. Es herrschte Flut, und ich musste auf die Ebbe warten, bevor ich mit der Barkasse hinausfahren konnte. Ich startete den Motor und hätte das verdammte Boot auf dem Weg aus der Meereshöhle fast zu Schrott gefahren. Die ganze Zeit über hatte ich das beklemmende Gefühl, dass die Maschine hinter mir her war. Ziemlich idiotisch, aber meine Nerven lagen blank.

Es war dunkel - Nacht - als ich aus dem Felseneingang tuckerte. Wie in dem Zeitungsartikel, den ich Ihnen zeigte, richtig gesagt wurde, gab es zu dieser Zeit einen Gewittersturm. Das war mir ziemlich egal. Alles, was ich wollte, war, aus dieser Höhle herauszukommen. Ich fuhr die ganze Nacht mit der Barkasse, und einmal rammte ich fast ein Fischerboot. Dann entging ich nur knapp einigen Felsen, an denen ich fast gekentert wäre. Schließlich, gegen Morgengrauen, brach eine riesige Welle über mich herein, und das Motorboot sank nun wirklich.

Ich schaffte es gerade noch, an Land zu schwimmen, dann klappte ich zusammen. Einige Leute sammelte mich in dem Zustand auf, den die Romanautoren so gern als „Hirnfieber“ bezeichnen, und sie pflegten mich bei sich, bis es mir besser ging.

Als ich wieder einigermaßen gesund war, wurde mir klar, dass man mich für verrückt halten würde, wenn ich die Wahrheit erzählte – außerdem war ich ja wirklich im Delirium gewesen. Also beschloss ich, die Angelegenheit eine Zeit lang zu verdrängen. Sie sind der erste Mensch, dem ich die ganze Geschichte erzähle. Vielleicht glauben Sie sie ja. Zumindest hat es gut getan, sie mal loszuwerden.



Das war die Story, die Milton mir erzählte. Als er geendet hatte, schaute ich erneut mechanisch auf den Zeitungsausschnitt. Etwas daran fiel mir auf.

"Was ist mit diesen Schuldscheinen, von denen hier die Rede ist?" fragte ich.

Milton starrte mich mit seinem fischigen Blick an.

"Oh, die hat mir Stevenson natürlich als Bonus überlassen."

Auf dem Gang schlenderten Leute vorbei, und mir fiel ein, dass ich einen Platz im Speisewagen reserviert hatte. Ich stand auf und erwartete, dass Milton mir folgen würde, aber er rührte sich nicht.

"Ich bin kein Freund von Eisenbahnmahlzeiten", bekannte er.

Ich ließ ihn sitzen, aber als ich nach dem Essen zurückkam, war er weg. Der Zug hatte in Rugby gehalten, und er musste wohl dort ausgestiegen sein.

Ich befinde mich in einer peinlichen Lage. Ein Durchschnittstyp von der Straße würde vermutlich sagen, dass Milton seinen Chef wegen seiner wertvollen Schuldscheine ermordet hat. Und dass ich damit zur Polizei gehen sollte.

Aber natürlich könnte die ganze Sache auch einfach eine Fiebervision Miltons gewesen sein.

Immerhin - so eine Maschine könnte man durchaus bauen, so unwahrscheinlich das auch klingt. Die Wissenschaft ist voll von den seltsamsten Dingen. Man sollte für alles offen sein. Aber sollte jemand diese Seehöhle entdecken: also ich würde an seiner Stelle einen großen Bogen darum machen.

Denn wenn etwas an der Geschichte dran ist... Dann wartet die Maschine. Denn das Gezeitenkraftwerk läuft weiter.


J.J. Connington

The Thinking Machine

The Passing Show, 8. 12. 1938

Übersetzung: Matthias Käther © 2021

Sonntag, 6. Juni 2021

Maurice Duclos: Der Monsterzüchter (1938)

 

Kein anderes SF- und Fantasymagazin ist so geheimnisumrankt wie Amazing Stories und dessen Ableger Fantastic Adventure. Grund sind die zahlreichen Pseudonyme. Die Auflösung vieler dieser Namen wird dadurch erschwert, dass hier nicht nur persönliche Pseudonyme verwendet wurden - also Namen, die sich klar einem Verfasser zuordnen lassen – sondern so genannte Housenames – Namen, die mehrere Autoren verwenden konnten. Manchmal teilten sich zwei bis drei Autoren einen Namen, mitunter nutzte solche Namen auch einfach jeder, der grade ein Pseudonym brauchte.

Und warum brauchte man sie? In selteneren Fällen wollten Schriftsteller der renommierten Blätter nicht, dass ihre Mitarbeit bei einem „Schundblatt“ bekannt wird – es verhält sich ganz ähnlich wie bei Hausnamen und Pseudonymen unserer deutschen Heftromane. Wichtiger war allerdings, Autoren-Dopplungen in Heften zu vermeiden. In den allermeisten Fällen werden Pseudonyme in Amazing/Fantastic benutzt, um die Tatsache zu vertuschen, dass zwei Texte eines Verfassers in derselben Ausgabe erschienen.

Das öffnet der Spekulation Tür und Tor: Wer war Maurice Duclos? Er hat nur drei Texte hinterlassen, nichts ist über ihn bekannt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Pseudonym handelt, ist immens. Schauen wir im Fall dieser Story ins Februar-Heft 1938, fällt der Blick gleich auf zwei Namen, die im Fall der satirischen SF- und Horror-Story brillierten: Miles J. Breuer und Stanton A. Coblentz. Stilistisch würde ich eher für Breuer plädieren, weil die ausführliche Beschreibung schräger Experimente mehr für ihn typisch ist. Andererseits kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um einen ganz anderen Autor handelt, der aus unerfindlichen Gründen anonym bleiben will. Eine weitere Theorie ist, dass es sich um einen Franzosen oder Frankokanadier handelt, dessen Text hier übersetzt wurde – allerdings hat die SF-Forschung nie einen originalen französischen Maurice-Duclos-Text gefunden.

Aber eigentlich ist das alles gar nicht entscheidend. Wichtig ist, dass es sich hier im eine herrlich fiese Parodie aufs damals beliebte Mad-Scientist-Genre handelt.





Maurice Duclos: Der Monsterzüchter (1938)


1.

Als Benny Parker in den Science Club torkelte, um hüstelnd vor sich hinzubrabbeln (wobei er niemanden im Besonderen anzusprechen schien), rissen die Mitglieder ungläubig die Augen auf. Denn „Bunny“, wie jedermann ihn hier nannte, war sogar noch scheuer als das Tier, auf das sein Spitzname anspielte. Und dass er tatsächlich angetrunken hier auftauchte – das war einfach jenseits des Vorstellbaren! Zwei grinsende Individuen langten kurz nach ihm an. Fünfzehn Minuten zuvor hatten sie Benny in einer Kneipe zu einem Bier überredet. Doch das „Bier“, das sie ihm servierten, war in Wirklichkeit ein ziemlich potentes Ale. Ihm war der Unterschied völlig unklar, bis die Welt vor seinen Augen zu schwanken und eine gigantische, nie dagewesene Courage ihn zu durchdringen begann.

Der Unterschied zwischen beiden Getränken war Benny augenblicklich ziemlich schnurz. Momentan war er damit beschäftigt – zum Amüsement der beiden Scherzbolde, die sich vor Lachen krümmten – mit großen Schritten durch den Raum zu eilen, schwungvoll Hände zu schütteln und lautstark verdatterte Klubmitlieder vollzuquatschen.

Wie sein Name schon subtil andeutet, war der Scientific Club nicht mehr und nicht weniger als ein Haufen Leute, die zueinander gefunden hatten durch ihr gemeinsames Interesse an Themen wissenschaftlicher Natur. Ein Laboratorium und eine komplette Forschungsbibliothek waren im Clubhaus installiert worden; Einrichtungen, die für eine einzelne Person unerschwinglich gewesen wären. Die Türen standen den Mitgliedern Tag und Nacht offen, und viele nutzten die Möglichkeiten des Clubs, wann immer es die Zeit ihnen erlaubte. Außerdem wurden regelmäßige monatliche Versammlungen abgehalten, und nichts weniger als eine globale Katastrophe hätte diese Enthusiasten davon abhalten können, daran teilzunehmen.

Das heutige Treffen hob sich allerdings etwas von den gewohnten ab, denn ein Ehrengast weilte in ihrer Runde, der weltberühmte Sir Hamilton Hodge. Er hatte sich gnädigerweise dazu herabgelassen, hier einige Worte zum Thema Evolution zum Besten zu geben, das Fachgebiet, das ihm den Weltruhm eingebracht hatte.

Und wie es der Würde eines solchen Stars ansteht, war Sir Hodge natürlich zu spät. Er traf eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit ein und machte der Gruppe so auf höchst effektive Weise seine Bedeutung klar. Daraufhin folgte eine Einführung durch den Club-Präsidenten, natürlich mit all der bombastischen Wichtigtuerei, wie es sie sonst nur noch beim Taufen von großen Ozeandampfern gibt. Alle Mitglieder erstarrten in Ehrfurcht – außer Benny Parker, der in seiner Verfassung eher dazu neigte, die Prozedur hin und wieder mit Gekreisch und heftigem Applaus zu unterbrechen.

Dann dozierte der legendäre Wissenschaftler eine halbe Stunde über Evolution, während seine verzückten Zuhörer jedes Wort von seinen Lippen tranken wie Wein. Er schloss ehrfurchtgebietend und etwas routiniert, so als hätte er das alles schon unzählige Male vorher gesagt:

Und so, meine Freunde, finden wir, dass Mutationen in allen Formen des Lebens durch mehrere Ursachen entstehen. Erstens: durch das Überleben der Angepasstesten. Zweitens. Durch das Ererben der zum Überleben tauglichen Eigenschaften. Drittens...“

In diesem Moment erhob sich Bennys Stimme hinten im Raum.

Hey, Prof! Vergessen Sie die Strahlung nicht! Sie löst die Evolution aus, wissen Sie?“

Der große Mann ließ sich dazu herab, seinen Blick auf das kleine Individuum zu werfen, das auf seinen Füßen schwankte wie ein Baum im Orkan. Eine leichte Falte der Verärgerung erschien auf seiner Stirn.

Stahlen lösen die Evolution aus?“

Klar!“ rief Benny. „Kosmische Strahlen, oder irgendwelche unsichtbaren Strahlen von der Sonne! Durch sie entwickelt sich alles!“

Sir Hodge überwand seinen Ärger. Er zwang seinen Bass, in ein herzhaftes dröhnenden Gelächter auszubrechen. Alle andern im Raum stimmten mit ein – obwohl sie sich fragten, was denn wohl der Witz an der Sache war.

Da sind Sie völlig falsch informiert, mein Lieber. Strahlen haben überhaupt nichts zu tun mit der Evolution. Und ich habe hinreichend erklärt, wie sich Organismen entwickeln.“

Doch Benny war hartnäckig. „Ich habe von Experimenten gehört, wo Fliegen dazu gebracht wurden, ihre Form in ein paar Generationen total zu verändern – durch Kathoden-Strahlen! Ist das keine Evolution?“

Sir Hodge war nun wirklich verärgert. Bisher waren seine Theorien von allen als Fakten akzeptiert worden. Und nun kam da Kleinstadt-Amateurwissenschaftler und mäkelte daran herum. „Sie scheinen nicht zu wissen, wer ich bin!“, dröhnte er hochmütig.

Oh doch, weiß ich!“, antwortete Benny. „Sie sind Sir Hamilton Hodge, die größte Autorität auf dem Gebiet der Evolution seit Darwin. Irgendwer hat sogar behauptet, Sie wären sogar größer als Darwin selbst. Warten Sie mal, jetzt fällt mir wieder ein, wer das war – ich glaube, Sie selbst!“

Für einen langen Moment füllte atemloses Schweigen den Raum. Dann erklang irgendwo in der Menge ein Kichern. Sir Hodges Wangen färbten sich langsam rot. „Niemals zuvor...“ stotterte er, „niemals zuvor bin ich so beleidigt worden!“

Sprachs, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte aus dem Raum.

Nach diesem fatalen Abend wagte es Benny Parker kaum noch, den Science Club zu betreten. Ob früh am morgen oder spät in der Nacht – er war sich sicher, dass irgendwer dort im Labor oder der Bibliothek herumlungern und ihn mit Strahlen oder Evolution aufziehen würde. Einmal in seinem Leben hatte er seinen ganzen Mut zusammengenommen, um zu sagen, dass zumindest Kathoden-Strahlen Evolutionen auslösten. Doch zur Antwort schallte ihm nur Gelächter entgegen.

Schließlich beschloss er, dass etwas in dieser Sache unternommen werden müsse. Er würde seine These beweisen! Wenn Wissenschaftler in der Lage waren, Lebewesen dazu zu bringen, sich zu verändern, dann konnte er das auch! Dann würde all dieses Gelächter und Gespotte ein Ende finden. Umgehend sandte er eine Bestellung zu einem der großen Lieferanten von wissenschaftlichem Equipment in Los Angeles.



2.


Als er eines Abends von der Arbeit nach Hause kam, fand er ein großes Paket vor seiner Türschwelle. Es enthielt die Vakuumröhre und den Transformer, den er geordert hatte. Sie waren nicht so groß wie die, die man für gewöhnlich in professionellen Laboren sah, hatten aber dennoch sein Konto leergeräumt. Die Vakuumröhre, eine mit Aluminium beschichtete Glas-Appartur, war nach seinen ganz speziellen Anweisungen gefertigt worden, und er sagte sich, dass der exorbitante Preis dafür gerechtfertigt war. Eine spezielle Eigenschaft war ihr „Fenster“, durch das die Strahlen an einer Stelle des Glases austreten konnten. Dieses „Fenster“ war so konstruiert, dass es der Kraft des Vakuums stand hielt – die Aluminiumschicht an dieser Stelle war durchsetzt mit winzigen 0.001 Millimeter großen Löchern, durch das die Strahlen ungehindert austreten konnten.

Mit kindlichen Eifer schleppte Benny eiligst die Bestandteile in sein Wohnzimmer und baute sie dort zusammen. Dann begann er darüber nachzugrübeln, welche Art von Kreatur sich für seine Experimente am besten eignete.

Von allen interessanten Themen der Biologie faszinierte Benny kaum etwas so wie die Gruppe der Flagellata, eine Spezies von Einzellern, die eine Art grünen Schleim in unseren Tümpeln bilden und auch unter dem Namen „Geißeltierchen“ bekannt sind. Das Merkwürdige an diesen Wesen ist, dass man sie weder als Pflanzen noch als Tiere klassifizieren kann, denn es hat Eigenschaften beider Welten. Wie eine Pflanze produziert und enthält die Flagellata Chlorophyll – damit ist sie in der Lage, ihre Nährstoffe durch Photosynthese selbst zu produzieren. Was sie unheimlich tierähnlich erscheinen lässt, sind ihre Tentakeln oder Geißeln, peitschenähnliche Auswüchse, die es ihr erlauben, sich auf der Wasseroberfläche blitzschnell fortzubewegen. Außerdem kann sie auch organische Nahrung durch ihre Zellwand aufnehmen.

Solch ein grüner Schleim ist nicht schwer zu besorgen, und schon bald beobachtete Benny eine Probe davon durch sein Mikroskop und beschloss endgültig, diese Spezies zu seinem ersten Studienobjekt zu machen. Er platzierte eine kleine Menge unter das „Strahlenfenster“ seiner Röhre.

Zu nächst sah alles nach einem Fehlschlag aus. Nach einer Stunde schienen alle Flagellaten verstorben zu sein. Er sah unter dem Mikroskop, dass die nun bewegungslosen Einzeller enorm angeschwollen waren – und seltsam trocken wirkten, trotz der Tatsache, dass sie in Wasser schwammen. Außerdem wirkte ihr kräftiges Grün nun sonderbar ausgebleicht und durchscheinend.

Er war in Hochstimmung. Die Zellen waren umgekommen, zweifellos, aber was spielte das für eine Rolle, wenn sie gleichzeitig gewachsen waren? Das Ganze war anscheinend einfach eine Frage der Strahlendosierung.

Die nächste Probe ließ er nur für wenige Minuten unter der Röhre. Nach eine Stunde Pause wiederholte er die Prozedur. Durch die Linse des Mikroskops war klar zu sehen, dass sie viel größer geworden waren als normale Geißeltierchen. Benny war unbeschreiblich hingerissen. Er hatte keinen blassen Schimmer, worauf dieses Experiment hinauslaufen sollte – doch er konnte sich schon jetzt die Überraschung und Anerkennung ausmalen, mit der sein Club ihn bedenken würde, wenn er Erfolg hatte. Womit auch immer.

Damit der Prozess ohne Unregelmäßigkeiten fortgesetzt werden konnte, ersann er eine Art automatische Zeitvorrichtung, die es ihm erlaubte, die Behandlung die Nacht über fortzusetzen – und natürlich auch am Tag, wenn er auf Arbeit war. Und die kleinen Organismen fuhren fort, zu wachsen!

Nach einer Weile hatten einzelne Flagellaten die Größe von 5 Millimetern erreicht. Es ließ sich nicht vermeiden, eine Auswahl zu reffen. Nur noch etwa zwanzig von ihnen wurden in einem großen Glaskrug weiter gezüchtet. Benny bemerkte, dass sie mehr und mehr Futter benötigten. Er entdeckte außerdem, dass die nötige Dosierung der Strahlen proportional zu ihrer Größe war und die nötige Dauer der Bestrahlung ständig wuchs – und mit ihr die Kreaturen.

Selbst mit bloßem Auge waren nun die feinen fadenähnlichen Tentakeln zu erkennen, die aus ihren grünen Körpern herauswuchsen. Doch durch das Mikroskop bot sich ein weit aufregenderer Anblick: Jeder Einzeller hatte sich in eine Ansammlung von zahllosen durchscheinenden Zellen verwandelt! Ihre winzigen Tentakeln erschienen wie starke Seile, die geschmeidig durchs Wasser peitschten. Wunder über Wunder! Sie waren nicht nur ins Gigantische emporgeschossen, sie hatten sich auch weiterentwickelt! Und das war Evolution – denn es war die Zellteilung, die sie so anschwellen ließ. Von sehr simplen Lebewesen entwickelten sie sich zu komplexen, spezialisierten Kreaturen weiter!

Als sie zweieinhalb Zentimeter groß waren, beschloss Benny, sie dem Scientific Club vorzustellen. Er lächelte, als er an das Erstaunen dachte, das sie auslösen würden. Dann würde er ihnen ins Gesicht lachen – dem ganzen Club – und ihnen zeigen, wer am Ende recht hatte! Er schaufelte die Dinger in ein großes Einweckglas und wandte sich zum Gehen. Doch dann zauderte er skeptisch. Was, wenn die Clubmitglieder ihm nicht glaubten? Sie könnten annehmen, er hätte irgendwo sonderbare Quallen oder andere rare See-Organismen aufgegabelt. Nein, das würde nichts bringen. Er musste seine Experimente fortsetzen, bis er etwas gezüchtet hatte, das alles übertraf, was bisher existierte. Er schütte die Viecher in ihren Behälter zurück und verfluchte sich innerlich für seine Feigheit.

Bisher hatten sich seine Flagellaten nicht vermehrt. Er trennte eine vom Rest, um sie ihr normales Leben ungehindert fortleben zu lassen. Sie wuchs weiter. Er wartete ungeduldig darauf, dass etwas passierte. Dann, eines Morgens, fand er, dass das Ding sich in zwei lebende, sich bewegende Wesen geteilt hatte. Er war ziemlich enttäuscht, denn unzählige winzige Organismen vermehren sich so. Er zerstörte die Exemplare.

Als der Platz im Gefäß eng wurde, weil die Flagellaten ununterbrochen weiter wuchsen, entnahm er sie nach und nach, um für den Rest Platz zu schaffen. Schließlich blieb nur eine Überlebende übrig. Als sie den Durchmesser von 40 Zentimetern erreicht hatte, erwies sich das Ding als gelbgrüne Kreatur mit seltsamen blattähnlichen Auswüchsen an einem Ende. Nur einige wenige Tentakel waren verblieben, die kranzähnlich auf horizontaler Ebene um den Körper arrangiert waren. Noch merkwürdiger aber war, dass das Lebewesen die Tendenz zeigte, das Wasser zu verlassen!



3.


Einmal, als er von der Arbeit zurückkehrte, war es der Kreatur tatsächlich gelungen, aus dem Behälter zu entkommen; sie lag auf dem Esstisch, wo er die Röhre und sein Equipment aufgebaut hatte. Eine plötzliche Furcht, sie möge verstorben sein, überrollte ihn. Doch als er nach ihr griff, machte sie eine abrupte Bewegung, als wolle sie ihm ausweichen. Als er sie zurück ins Wasser fallen lassen wollte, klammerte sie sich hartnäckig mit starken Tentakeln an ihn.

Schau mal an! Wir müssen uns was überlegen, damit du da drin bleibst!“, informierte Benny die Monstrosität. „Sonst fällst du noch vom Tisch und verletzt dich!“

Danach hielt er sie in einem Käfig, der mit Fensterscheiben verglast war und in den er das Wassergefäß platzierte. Das Ding hatte inzwischen eine wundersame Metamorphose durchgemacht. Es hatte aus den grünen Anhängseln einen fächerartigen Schwanz entwickelt, der ordinären Blättern verdammt ähnlich sah. Der Körper hatte etwa die Form und Farbe eines Kiefernzapfens, allerdings eines Kiefernzapfens, der knapp einen Meter groß war. An einem Ende befand sich ein Organ, das aus drei blütenblatt-ähnlichen Membranen bestand, die geöffnet und geschlossen werden konnten. Benny wusste, dass das eine Art Maul war, denn in letzter Zeit hatte die Kreatur mehr und mehr Nahrung durch diese Öffnungen aufgenommen, als es durch den Körper selbst absorbiert hatte, wie es für diese Lebensform im mikroskopischen Zustand üblich war.

Zur Probe warf eine eine Fliege in das Wasser, in der das Ding zur Hälfte eingetaucht war. Sofort öffnete sich das blütenähnliche Fresswerkzeug, und das Insekt verschwand darin.

Soso! Du entwickelst also eine weitere animalische Charakteristik!“ rief Benny entzückt. Dann kam ihm eine fantastische Idee. Diese Monstrosität war sowohl Pflanze wie auch Tier – was wohl passierte, wenn er Erde in der Nähe platzierte?

Er wagte nicht, die Erde ins Wasser zu schütten aus Angst, das Wesen zu verletzten. Deswegen streute er sie in eine Ecke des Käfigs, nicht weit vom Wasserbehälter. Sofort kletterte das Biest heraus und nutzte dazu geschickt seine sechs Tentakel – auf den ersten Blick wirkte es wie eine gigantische Spinne.

Atemlos beobachtete Benny es. Er hatte noch nicht abschließend geklärt, ob es über einen Gesichtssinn verfügte oder nicht, doch es gab einige runde, rot pigmentierte Flächen über dem Maul, die, schlussfolgerte er, höchstwahrscheinlich lichtempfindlich waren. Es lief ziemlich sicher zum Erdhaufen. Dann wurden Bennys Bemühungen durch einen erstaunlichen Anblick belohnt – das Ding fraß gewöhnliche Erde – mit einer Gier, als wenn es halb verhungert wäre!

Mann, das ist ja unglaublich!“ ächzte Benny, vor Erregung zitternd. Aber wenn man drüber nachdachte – was war schon so besonders daran? Das Ding war eine Pflanze, und genau wie eine Pflanze musste es bestimmte Elemente der Erde zu sich nehmen, um seinen Körper aufzubauen.

Danach kehrte es nie wieder ins Wasser zurück. Es schien alle nötigen Nährstoffe und genügend Feuchtigkeit aus der Erde ziehen zu können, mit der Benny es jeden Tag fütterte. Außerdem fügte er er Nahrung eine große Anzahl von Fliegen, Grashüpfern, ja sogar Stücke rohen Fleisches bei, die es mit größtem Vergnügen zu verspeisen schien. Eine seltsame Eigenschaft registrierte Benny mit höchstem Interesse. Das Wesen hatte die Eigenheit, die Reste des Verdauten wieder auszuwürgen. Dies schien seine natürliche Art der Eliminierung zu sein. Organisches wie Anorganisches wurde hochgeröchelt, nachdem ihnen so viel Nährstoffe wie möglich entzogen worden waren.

Besonders die tägliche Portion Erde schien dem Geißeltier gut zu bekommen, denn es wuchs rasend und sprunghaft. Benny bildete sich ein, fast sehen zu können, wie es anschwoll. Anderthalb Meter groß, bewegte es sich auf sieben Zentimeter dicken Tentakeln. Sein riesiger pfauenartiger Schwanz aus Blättern berührte inzwischen schon die Käfigdecke.

Er hatte inzwischen längst aufgehört, es mit Strahlen zu behandeln. Denn zum einen konnten sie nicht mehr alle Teile des Körpers gleichermaßen erreichen. Und dann war er zu der Erkenntnis gekommen, dass die Flagellate nun nicht unbedingt noch größer werden musste. Schließlich fraß sie immer mehr Fleisch, und das war nur ein kleiner Teil ihrer Nahrung.


4.


Als er eines Morgens aufstand, bemerkte er, das die Kreatur sich gemausert und seine schuppige Haut abgestreift hatte. Nun wirke sie etwas dünner, und Benny konnte den Gedanken an ein gerupftes Huhn nicht unterdrücken. Er verstand allerdings nicht, warum das Wesen sich so verhalten hatte. Die bräunlichen Schuppen waren überall im Käfig über die feuchte Erde verstreut. Er examinierte eine. Sie war etwa zweieinhalb Zentimeter im Durchmesser, einigermaßen kreisrund geformt und recht flach. Es gab symmetrische Einschnitte auf ihnen wie feine Schnitzereien. Er konnte sechs Tentakeln ausmachen, die gegen den Körper gefaltet waren, und einen winzigen, perfekt geformten Blattfächer auf der anderen Seite... Und plötzlich verstand er. Das, was er da in der Hand hielt, war eine Art Samen, ein Miniatur-Abbild des großen Wesens... Alles, was nötig war, um sie zum Leben zu erwecken, war Wasser!

Schon oft hatte er eine Saatbohne oder eine ordinäre Erdnuss auseinandergenommen, um die Plumula zu inspizieren – das kleine fischförmige Gewächs zwischen den beiden Hälften. Klar gezeichnete Blätter und Stengel waren in komprimierter Form in der Plumula vorgezeichnet. Obwohl inaktiv, hart und scheinbar tot – er wusste, dass solch ein Keim nur auf günstige Bedingungen wartete, um aufzugehen und zu wachsen. Und offensichtlich hatte die Kreatur sich genau in dieser Weise reproduziert. Er schätzte, dass er vor zirka eintausend solcher Saat-Kreaturen stand, die buchstäblich die gesamte feuchte Erde bedeckten.

Am nächsten Tag begannen die kleinen Saatwesen erste Anzeichen von erwachendem Leben zu zeigen. Ihre Blattschwänze, die über ihren Körpern zusammengefaltet waren, fingen an, sich grün zu färben und sich dem Licht entgegen zu recken wie die Blätter wachsender Bohnenpflanzen. Benny besprenkelte sie mit Wasser, um den Prozess zu beschleunigen. Zwei Tage später krabbelten die kleinen Biester über den Boden wie ein Schwarm von Spinnen auf Futtersuche. Aus der Erde gesogene Feuchtigkeit hatte ihre Körper wohlgerundet, ihre Beine entfaltet und sie in ein Stadium wahrnehmbarer Vitalität versetzt. Sie waren exakte Replikationen ihrer Mutter, nur viel kleiner.

Ihre ersten Bewegungen waren noch schwächlich und langsam, ähnlich wie bei einem Insekt, das seiner Puppenhülle entronnen ist. Doch nachdem sie etwas Erde gefressen hatten, entwickelten sie Kräfte, die Benny den Atem verschlugen. Allerdings wirkte ihr grüner Schwanz noch kränklich grün – wie bei Pflanzen, die zu wenig Sonnenlicht abbekommen hatten. Er wusste, dass er sie nach draußen tragen musste. Sonnenlicht ist unverzichtbar für die Produktion von Stärke in Pflanzenleben.

Eines frühen Aprilmorgens beschloss er, die kleinen Kreaturen im warmen Sonnenschein zu baden. Da er ihre Quartiere noch nicht geändert hatte, nahm er den Käfig und platzierte ihn auf der Terrasse zu seinem Hinterhof, wo die Strahlen des Sonnenlichts genau auf sie fallen konnten. Für einen Moment zögerte er, um den wunderbaren Morgen zu genießen. Frühling lag in der Luft, und die Vegetation war auf dem Höhepunkt ihres luxuriösen Wachstumsrausches. Insekten dröhnen und summten im Gebüsch, oder krabbelten über die warme Oberfläche der Einfahrt. Die Flagellaten schienen ähnlich begeistert, denn ihre Bewegungen beschleunigten sich, und ihre Schwänze begannen sich zu öffnen, um ein Optimum an Sonnenlicht in sich aufzunehmen. Zögernd betrat Benny wieder das Haus. Er würde sich diesen Morgen sehr schnell rasieren müssen, oder er würde abermals zu spät zur Arbeit kommen. Als er sein Gesicht einseifte, geschah das mit fast automatischen Bewegung. Sein Geist formte emsig Bilder von einer Welt, die hingerissen war vom Wunder seiner Kreation. Natürlich war die Idee, verschiedene Spezies mit Strahlen zu entwickeln, nicht wirklich neu. Eine östliche Universität hatte eine Pflanze kreiert mit Hilfe der Anwendung von Röntgenstrahlen und sie zu einem völlig normalen Gartengewächs entwickelt. Aber das Experiment schien nicht sehr weit gediehen zu sein, jedenfalls unterschied es sich völlig in seiner Methode. Auch hatten sie keinesfalls solche Resultate wie er erzielt. Ein Organismus, der beides war, tierisch und pflanzlich! Die wissenschaftliche Welt würde überwältigt sein vor Erstaunen! Dann würde er Angebote erhalten, um an großen Universitäten und Laboratorien für ein fabelhaftes Gehalt zu arbeiten! Reichtum! Ruhm!


5.


Benny wurde inmitten seiner angenehmen Vision durch den Hund des Nachbarn unterbrochen, der unter seinem Fenster bellte.

"Verflixt!", murmelte er. "Warum können die ihren kläffenden Köter nicht im Haus lassen?" Doch viel zu schüchtern, um bei seinen Mitmenschen Ruhe einzufordern, beließ er es bei dem grimmigen Gedanken.

Plötzlich gab es einen lauten Knall im Hinterhof. Das Bellen steigerte sich zu einem wütenden Geheule. Benny stand wie betäubt da, den Rasierapparat in der Luft erstarrt. Da war ein Geräusch, das klang, als ob etwas eine Treppe hinunterstürzte! Alle Farbe schwand aus seinem Gesicht. Der Käfig mit den Flagellaten! Er hatte ihn vergessen! Kein Wunder, dass der Hund durchdrehte!

Aber als er die hintere Terrasse erreichte, war es schon zu spät. Der Käfig lag am Fuß der Treppe, die Tür war offen. Der Verursacher des ganzen Ärgers, ein großer Mischlingshund, kläffte und schnappte spielerisch nach den kleinen Geißeltieren, als sie herauswuselten. Wie ein Schwarm von Vogelspinnen schwirrten sie über den hinteren Rasen, flohen in die umliegenden Büsche und das Unterholz. Bis auf das ursprüngliche Exemplar blieb kein einziges übrig. Das Muttertier war viel zu groß geworden, um durch die kleine Tür zu entkommen.

Benny war in Panik. Wenn er es nicht schaffte, jedes einzelne von ihnen wieder einzufangen, war nicht abzusehen, was passieren würde! Wenn sie ausgewachsen waren, konnten die kräftigen Exemplare mit ihren sechs Beinen schneller laufen als ein Rennpferd. Und als Fleischfresser könnten sie kleine Kinder angreifen - oder sogar Erwachsene!

Benny fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, von einem weiteren schrecklichen Gedanken geplagt. In zwei Monaten würden die Dinger geschlechtsreif sein und tausend Nachkommen pro Stück produzieren.

"Im zweiten Monat werden es insgesamt eine Million sein - in vier Monaten tausend Millionen..." Weiter wagte er nicht zu rechnen. Zum ersten Mal wurde ihm der Ernst der Lage klar. In kurzer Zeit würden die Viecher die Erde überschwemmen. Das war einfach eine Frage der mathematischen Progression mit schwindelerregenden Zahlen - Tausende, Millionen, Milliarden - und die Bewohner der Erde waren ihnen als Nahrung wehrlos ausgeliefert! Natürlich würden viele der Geißeltierchen den Tod finden, aber dem stand die Tatsache gegenüber, dass sich jedes von ihnen in seiner Lebensspanne um ein Vielfaches vermehren konnte. Bennys fruchtbare Phantasie malte sich eine Welt aus, die von diesen Monstern belagert war. Tod und Zerstörung überall!

Er vergaß die Zeit, die Arbeit, alles. Nur ein Gedanke beherrschte ihn nun: dass er die Kreaturen fangen musste. Er begann wie ein Verrückter, Blumen und Sträucher auszureißen. Mit seiner Rasiercreme im Gesicht wirkte er wie ein rasender Irrer, der Schaum vor dem Mund hatte. Glücklicherweise war niemand außer seiner Nachbarin Zeuge des Anfalls. Als sie beobachtete, wie ihr im wahrsten Sinne des Wortes schäumender Nachbar auf Händen und Knien im Unkraut herumfuchtelte und wild mit einem Brett auf irgendetwas einschlug, nahm sie das Ganze recht gelassen auf. Benny war ihrer Meinung nach einfach ziemlich exzentrisch – und das schon eine ganze Weile.

Gegen Mittag gab Benny verzweifelt auf. Er hatte nur siebenundfünfzig von ihnen aufgespürt und diese Exemplare durch Schläge mit einem Knüppel erlegt, als sie aus dem Unkraut hervorsprangen. Soweit er wusste, konnte der Rest ganze Häuserblocks weit entfernt sein. Sie konnten, wie erwähnt, mit erstaunlicher Schnelligkeit über den Boden rasen.

Für den Rest des Tages war er zu krank vor Verzweiflung, um zur Arbeit zu gehen. Er konnte nur sein Unglück verfluchen und daran denken, wie viele zukünftige Tragödien er mit seiner Dämlichkeit auslösen würde. In einem plötzlichen Wutanfall schleuderte er die teure Vakuumröhre auf den Boden; dann bereute er seine Tat sofort.


6.


Qualvoll zogen anderthalb Monate ins Land. Benny war dünn geworden vor Sorge und aus Schlafmangel. Die Flagellaten würden jetzt fast ausgewachsen sein. Seine Anspannung stieg von Tag zu Tag, während er die Zeitungen nach Neuigkeiten über die Dinger durchforstete. Wahrscheinlich würde man sie in Zusammenhang mit irgendeinen grausamen Mord entdecken.

Er hatte immer noch die ersten Flagellate - und zwar in einem so massiven Käfig, dass er ihn kaum bewegen konnte. Er wusste nicht, was er mit der Kreatur machen sollte; sie war nun ziemlich nutzlos. Doch er wagte nicht, sie jemandem zu zeigen oder überhaupt irgendwem von seinem Experiment zu erzählen. Zu allem Übel wuchsen schon wieder braune Schuppensamen auf dem Körper des Muttertiers. Es würde sich bald erneut vermehren...

Benny beschloss, das Ding zu beseitigen, es zu vernichten, bevor sich die Katastrophe wiederholen konnte. Außerdem war der Unterhalt des Viehs recht kostspielig geworden - der Appetit des Monsters auf große Mengen Fleisch ging ins Geld. Also holte er noch am selben Abend seine großkalibrige Pistole und schoss, nachdem er sich genügend Mut angetrunken hatte, auf das Geißeltier. Aber zu seinem Entsetzen starb das Ding nicht - es schien nicht einmal zu merken, dass es nun ein sauberes Loch sein eigen nannte, das quer durch den Körper verlief. Etwas grüne Flüssigkeit sickerte aus der Wunde, aber das war auch schon alles.

Benny versuchte einen weiteren Schuss - mit dem gleichen Ergebnis. Dann noch einen und noch einen. Ein Bein war komplett weggesprengt, aber immer noch machte das Vieh keine Anstalten zu sterben. In seiner Verzweiflung ergriff der Hobbyforscher ein großes Schlachtermesser und hackte die seltsame Kreatur buchstäblich in Stücke. Er hätte mit derselben Leichtigkeit auch Butter zerteilen können, denn Körper des Lebewesens bestand nur aus pflanzenähnlichen Zellen; es waren keinerlei Knochen vorhanden. Jetzt, und wirklich erst jetzt, war es wirklich tot.

Benny schlief in dieser Nacht sehr wenig.

Am nächsten Tag wurden seine schlimmsten Befürchtungen wahr. Eine kleine Nachricht in der Morgenzeitung, verfasst in einer recht scherzhaften Art, schreckte ihn auf. Eine wilde sechsbeinige Kreatur war im nördlichen Teil von Los Angeles von mehreren Schulkindern gesehen worden. Sie sollte etwa einen Meter hoch gewesen sein und eine größere Beinspannweite aufgewiesen haben als ein großer Oktopus. Die verängstigten Kinder waren alle heil davongekommen.

"Donnerwetter!", stöhnte Benny. " In L.A.! Ziemlich weiter Weg von hier aus. Die Dinger müssen schon über ein Gebiet von Tausenden von Quadratmeilen verteilt sein!"

Die Zeitung des nächsten Morgens brachte noch schlimmere Nachrichten. Mehrere der Viecher waren in der Nähe dicht besiedelter Stadtteile von Erwachsenen gesehen worden. Diesmal war der Artikel etwas ernster gehalten.

Zwei Tage später sorgten die Flagellaten für echte Schlagzeilen. Sie waren bei Dutzenden von Gelegenheiten gesichtet worden, sowohl in der Nähe als auch aus der Ferne, und allein ihr Erscheinen versetzte ganze Städte in Angst und Schrecken. Mehrmals war der Verkehr auf den Hauptstraßen durch ihren Anblick zum Erliegen gekommen; es gab Tote und Verletzte. Obwohl bisher kein tatsächlicher Angriff auf Menschen durch die Monster gemeldet worden war, wurde die Polizei angewiesen, auf allen Straßen zu patrouillieren und die Dinger bei Sichtung sofort zu erschießen.

Auch das wissenschaftliche Interesse war geweckt. Das Smithsonian Institut, die National Geographic Society und ein College im Norden schickten einige der angesehensten Biologen des Landes, um einen der "Freaks der Natur" einzufangen und zu studieren.

Benny kündigte seinen Job. Die schnell ansteigende Zahl der gesichteten Flagellaten und der landesweite Alarm, der dadurch ausgelöst wurde, gab ihm den Rest. Er würde nicht mehr da sein, wenn die Dinger außer Kontrolle gerieten. Sie vermehrten sich rasend schnell, und da Kugeln ihnen kaum etwas anhaben konnten, wäre selbst eine ganze Armee als Schutzmaßnahme völlig nutzlos. Seine blühende Fantasie aalte sich selbstquälerisch in zahlreichen alten Legenden, in denen von Menschen geschaffene Wesen die die Erde überrannten. Und die Menschen würden aus diesen Erfahrungen nichts lernen - zumindest war es in den Geschichten immer so gewesen.


7.


Er brauchte nicht lange, um sein Auto mit Proviant und ein paar Dingen des täglichen Bedarfs zu beladen und sein Haus stehenden Fußes zu verlassen. Die Miete würde in ein paar Tagen fällig sein, aber das war ihm egal. Er raste am Club vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und befand sich bald auf der offenen Landstraße.

Dann überfiel ihn eine unbändige Neugierde. Es würde sich vielleicht lohnen, sagte er sich, auf dem Weg zu seinem Versteck durch Los Angeles zu fahren. Dann könnte er sich selbst ein Bild davon machen, wie es in dem terrorisierten Stadtteil aussah, oder ob die Zeitungen übertrieben hatten. Er wollte sich nicht eingestehen, dass er einen letzten Blick auf eins seiner Geißeltiere werfen wollte, bevor er in die Berge fuhr. Also nahm er den längeren Weg. Ein Umweg von vielen Meilen zwar, aber als er sich einmal entschieden hatte, raste er mit einer Zielstrebigkeit drauflos, die für einen so schüchternen Menschen wie ihn wirklich erstaunlich war.

Er vermied den Innenstadtbereich so weit wie möglich, denn es war offensichtlich, dass dort keine Flagellaten zu finden waren. Im einem hügeligen nördlichen Wohnviertel bog er ab. Sein Weg führte durch den Elysian Park und durch den berühmten Tunnel in der Figueroa Street - eine Röhre in drei Abschnitten, die unter einer Reihe von Hügeln im Park im Abstand von mehreren hundert Metern entlanglief.

Als er durch den ersten Tunnel fuhr, hielt ein Motorradpolizist neben ihm an. Einen Moment lang dachte er, er hätte gegen eine Verkehrsregel verstoßen, aber die ersten Worte des Polizisten waren beruhigend.

"Hey, Kumpel!", rief er über das Dröhnen des Verkehrs hinweg. "Haben Sie es gesehen?"

"Was gesehen?" schrie Benny mit einiger Anstrengung zurück.

"Na, diese sechsbeinige Missgeburt natürlich!"

"Oh", sagte Benny. Eine plötzliche Erleuchtung durchflutete sein Hirn. Noch bevor er antworten konnte, sauste ein dunkles Etwas an ihnen vorbei, als sie sich dem Ende des Tunnels näherten. Das Ding raste in den hellen Sonnenschein, und Benny stöhnte laut auf. Ein riesiges Geißeltier! Zwei Meter hoch stand es da, hinten sah man deutlich seinen geschlossenem Blattschwanz. Es galoppierte in atemberaubendem Tempo dahin, die Beine ein einziger Bewegungswirbel.

Der heranstürmende Strom von Autos, die aus dem zweiten Tunnel kamen, wurde von Panik erfasst, als ihre Fahrer das herannahende Monster erblickten. Der vorderste Wagen schrammte verzweifelt gegen den Bordstein, an dem er abprallte - von dort wurde er gegen die Betonschutzwand geschleudert. Der nächste Wagen kollidierte mit dem in den Weg ragenden Heck des ersten, und eine Sekunde später hatte sich ein Dutzend rasender Fahrzeuge zu einem schrecklichen Haufen verbeulter Wracks aufgetürmt. Blitzschnell war das Monster an ihnen vorbei und im nächsten Tunnel verschwunden.

Die Motorradstreife war zurückgeblieben, aber Benny raste weiter in den zweiten Tunnel, bevor sein aufgeschreckter Verstand wieder funktionierte. Schnell fuhr er auf den Bordstein zu, mit der vagen Absicht, verletzten Fahrern zu helfen. Aber bevor er anhalten konnte, ertönte hinter ihm eine Sirene, und ein Polizeifahrzeug raste vorbei, Gewehre feuerten und hallten durch die Röhre wie zehn Kanonen. Beim Versuch, aus dem Weg zu steuern, geriet er fast selbst in die Fänge der Randverkleidung.

Schnell legte der Streifenwagen die verbleibende Strecke im Tunnel zurück, überholte und verschmolz mit der Dunkelheit der dritten Röhre, dicht auf den Fersen des einsamen Geißeltiers.

Benny zitterte, und kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Die Berichte in den Zeitungen hatten nicht übertrieben! Er beschleunigte. Der Ort wurde ihm zu heiß. Er beruhigte sein Gewissen, indem er sich einredete, dass andere Leute anhalten würden, um den Verletzten zu helfen.

Der dritte Tunnel war nahezu blockiert mit abgewürgten und zertrümmerten Autos. Es schien wenig oder keine Schwerverwundete zu geben, denn überall kletterten unverletzte Menschen aus ihren demolierten Fahrzeugen, als er vorbeikam. Von dem Geißeltier oder dem Polizeiauto war nirgendwo etwas zu sehen.

Als er eine Minute später die offene Straße erreichte, schien es, als ob die ganze Stadt hellwach war. Nahe und fern, aus verschiedenen Richtungen kommend, ertönte düsteres Sirenengeheul, das immer näher kam. Er vermutete, dass es sich um Krankenwagen handelte oder um Einsatzfahrzeuge, die zur Unterstützung der Verfolgung abgestellt worden waren. Der auch sonst sehr schnelle Stadtverkehr floss jetzt doppelt so rasch; überall wimmelte es Motorradpolizisten, die auf nichts und niemanden Rücksicht nahmen, und von Polizeiautos, die vor Gewehren und Männern nur so strotzten. Bald schon rasten sie mit kreischenden Sirenen an ihm vorbei.

Endlich erreichte Benny das offene Land. Er atmete erleichtert auf. Die Stadt war wie ein aufgewühlter Ameisenhaufen gewesen – dort herrschten völlige Verwirrung und Chaos. Nicht lange, und er würde das ganze Land – die ganze Welt! - in völliger Unordnung sehen! Eine Erde, überrannt von einer furchtbaren Kreatur, die sich mit unglaublicher Schnelligkeit und in schwindelerregender Zahl vermehrte! Überall Tod! Die Menschheit im finalen Existenzkampf!


8.


Langsam krochen die Wochen dahin. Mehr als vier Monate waren vergangen, seit Benny seinen überstürzten Abgang aus der Zivilisation bewerkstelligt hatte. In eine einsame Hütte hoch in den San Gabriel Mountains hatte er sich geflüchtet. In dieser Abgeschiedenheit hatte er in letzter Zeit nur wenige Menschen gesehen, und die auch nur aus der Ferne.

Hin und wieder wagte er sich ein paar Meilen weit weg von seiner Behausung, um Kaninchen zu jagen. Aber die meiste Zeit verbrachte vor dem Kamin, wärmte sich und dachte nach. Er fühlte sich in seinem Versteck ziemlich sicher. Die extreme Kälte und der Schnee würden die große Masse der Geißeltiere, die sich in seine Gegend trauten, schon bald abschrecken. Und wenn er zufällig auf eine der Kreaturen stoßen sollte, konnte er sich mit dem gewaltigen Degen verteidigen, den er um seine Hüfte geschnallt trug. Ansonsten fürchtete er die Menschen beinahe mehr als die Flagellaten, denn er erwartete nun jeden Tag einen großen Menschenstrom in die Berge. Wie Flüchtlinge, die vor einer überwältigenden Flut flohen, würden sie die höher gelegenen Teile der Erde aufsuchen - das wäre dann die letzte Bastion der Spezies Mensch.

Natürlich brannte Benny trotz allem vor Neugierde auf das, was in dem Land unten geschah. Er schätzte, dass sich nicht weniger als eine Million Geißeltiere dort aufhielten, die meisten von ihnen wahrscheinlich in Südkalifornien. Die Leute könnten nicht mehr aus ihren Häusern treten, ohne auf ein Dutzend der Dinger zu stoßen. Die ganze Armee wäre da unten und würde vergeblich auf sie schießen und mehr Schaden als Nutzen anrichten. Eine Billion Flagellaten bräuchten viel Fleisch zum Fressen...

Schließlich war Benny gezwungen, sich mit der Zivilisation in Verbindung zu setzen. Sein Vorrat an Proviant war gefährlich knapp geworden und musste vor dem nächsten Einschneien aufgefüllt werden. Und er verspürte nach den vielen appetitlosen Nächten nicht mehr die geringste Neigung, auch nur für eine einzige Mahlzeit den Gürtel enger zu schnellen.

Er erstellte eine Vorratsliste und fuhr sechzig Meilen zum nächsten Laden. Wie vermutet, gab es auf dem Weg dorthin keine Anzeichen für irgendwelche Monster. Sie würden noch einige Zeit brauchen, um in die Weiten des Gebirges vorzudringen.

Der Laden lag am Rand der Wüste, weit entfernt vom Haupt-Highway und wurde von Bergarbeitern als Ausrüstungsstation genutzt. Der tattrige Kerl hinter dem Tresen schien gewohnheitsmäßig zu schweigen, also beschloss Benny, sich nicht nach den Flagellaten zu erkundigen, es sei denn, der Mann erwähnte sie selbst. Man würde ihn für betrunken oder verrückt halten, falls er leugnete, je von ihnen gehört zu haben.

Der Typ beäugte ihn ohnehin schon auf eine nicht gerade diskrete Weise.

Bennys Auftrag wurde schweigend ausgeführt, doch plötzlich begann der alte Mann völlig überraschend ein Gespräch.

"Bist auf der Suche nach Gold, Partner?"

"Hm?... Oh, nein! Das heißt-"

Benny überlegte schnell. Offensichtlich konnte er nicht die Wahrheit sagen. "Ähm. Silber. Ich bin auch auf der Jagd nach Silber", verkündete er lahm.

Der Mann beäugte ihn misstrauisch. "Dann solltest du besser ein paar Dosen von diesem Zeug hier kaufen. Futtert heutzutage jeder – viel besser als Brot."

Der war so neugierig wie eine alte Klatschtante, dachte Benny und warf einen hastigen Blick auf eine Dose, die ihm der Ladenbesitzer zur Ansicht hinhielt. Auf dem Etikett war das Bild einer vielbeinigen Kreatur abgebildet.

"Ich mag kein Krabbenfleisch aus der Dose!", grummelte er. Alles, was er wollte, war, seine Vorräte einzusammeln und so schnell wie möglich in seine Hütte zurückzukehren.

"Is kein Krabbenfleisch!", erklärte der Mann. "Is das Fleisch von so nem großen, komischen sechsbeinigen Vieh, das ..."

Benny erstarrte. "Was? Ein Tier mit sechs Beinen?"

"Ja! Hast du nix davon gehört? Eines Tages is ein Haufen von diesen Dingern aus dem Nichts in L.A. Aufgetaucht. Sanft wie die Lämmer! Die Leute haben angefangen, die zu fressen. Das Zeug schmeckt besser als Kuchen! Jetzt gibt's voll den Boom, weil die Viecher nur in Südkalifornien gedeihn - das Wetter, verstehste? Alle sind ganz verrückt nach dem Zeug. Wir verschiffen es in die ganze Welt. Millionen von Dollar werden damit gemacht... Was ist los, Junge? Gehts dir nich gut?"

Benny hatte sich auf eine Bank fallen lassen. Sein Gesicht war leichenblass. "Die Sachen ver-schiffen ... Millionen von Dollars werden gemacht?"

"Klar, Mann! Aber sie kriegen nicht genug, um den Bedarf zu decken, weil jeder in der Gegend auf eigene Faust loszieht und sich eins oder zwei von den Biestern holt, um sie selbst zu verspachteln. Aber die bauen jetzt richtige Farmen auf, weißte, wo sie die züchten können. Willste ne Dose kaufen?"

Benny nickte schwach mit dem Kopf.




Maurice Duclos

Spawn of the Ray

Amazing Stories, 1938-02

Übersetzung © Matthias Käther 2021


Winston K. Marks – Der Wasserfresser (1953)

 

Winston K. Marks – Der Wasserfresser (1953)


Winston K. Marks gehört zu meinen Favoriten unter den SF- und Horror-Autoren. Nach schüchternem Start im legendären Fantasy-Magazin „Unknown“ in den Vierzigern schwieg er einige Jahre – vermutlich kriegsbedingt –, um dann sein Hauptwerk in den 50ern zu schreiben – und für immer zu schweigen. Ein erstaunlicher Typ, der fast an alle renommierten SF-Magazine der Ära Qualitätsware verkaufte und doch bis heute selbst in Amerika kaum (noch) bekannt ist. Vielleicht, weil seine Art, seltsam zu sein, nicht in die 50er passte. Hätte sie besser in psychodelischen New-Wave-Jahre der 60er gepasst? Ich weiß nicht recht. Marks Blasphemien scheinen in kein Zeitalter zu passen. Sie (ver)stören überall und immer, auch wenn er seine Pillen oft mit einem hinreißenden trockenen Humor versüßt.

Nicht alle seine Storys treffen ins Schwarze. Doch es gibt eine Reihe echter Meisterwerke. Sein Kanon ist überschaubar. 62 Kurzgeschichten hat er hinterlassen, erst sechs wurden ins Deutsche übersetzt; nicht immer die besten. Dies hier ist eine bisher unübersetzte Lieblingsgeschichte von mir, eine weitere wird garantiert noch folgen.



Ich habe gerade ein Wochenende verloren. Ich bin nicht besonders erpicht darauf, es zu wiederzufinden. Kleiner Scherz. Aber ganz ehrlich - all das wär nicht passiert, wenn ich wie geplant mit McCarthy und den Jungs angeln gegangen wäre. Ich wünschte, ich hätte es getan ...

Ich verdiene meinen Lebensunterhalt als Bierlieferant. Nun ist es fast Montagmittag und ich bin noch keinen Meter gefahren. Ich bekomme Bier im Großhandel und lebe quasi vom Rabatt. Aber natürlich nicht am Wochenende.

Da ist Abhängen angesagt. Aber anstatt am Samstag und Sonntag zu angeln, zu bowlen, zu pokern oder mit den Kindern in den Vergnügungspark zu fahren, habe ich mir diesmal graue Haare wachsen lassen. Wegen eines Experiments. Auch ein Hobby...

Unten im Elks' Club sagen die Jungs, dass ich für einen einfachen Arbeiter ziemlich viel in der Birne habe. Ich schätze, das liegt daran, dass sie mich immer dabei beobachten, wie ich „Popular Science“ und „Scientific American“ und so weiter lese, anstatt mich, wie es diese Bande tut, auf den Stapel Erotik-Magazine zu stürzen, der sich einen halben Meter hoch auf dem großen Tisch im Club-Lesesaal stapelt.

Nun ja, ich gebs zu, es war mein Forscherdrang, der mich meine Frau, die Haut meiner rechten Hand, meine Lebensfreude und meinen Schlaf gekostet hat - ich habe wirklich seit zwei Tagen kein Auge zugetan! Das ist der Hauptgrund, warum ich das jetzt aufschreibe. Ich habe irgendwo gelesen, dass man seine Probleme loswerden kann, indem man sie aufschreibt.

Und ich dachte, ich hätte Freitagabend Probleme, als ich in die Einfahrt fuhr und Lottie mich von der Veranda aus anschrie: "Das Feuer ist aus! Und wir haben ne Öl-Überschwemmung! Komm schnell!"

Ärger, hah! Das war nichts in Vergleich zu dem, was noch folgen sollte.


* * * *


Lottie ist die süßeste Ex-Kellnerin, die je einen Bieruntersetzer auf einen Tisch geknallt hat, aber sie ist technisch einfach ne Niete. Der Tag, an dem Onkel Alphonse starb und uns 2.500 Dollar hinterließ und ich loszog und eine neue Küche und eine Wagenladung moderner Haushaltsgeräte für sie kaufte, war ein trauriger Tag, wirklich. Seitdem führt sie ein Leben voller Angst. Sie ist zu stolz auf ihren Geschirrspüler und diesen ganzen automatischen Gerätekram, als dass sie daran denken würde, das Zeug zu verkaufen, aber sie hat eine Heidenangst vor den Geräuschen, die die Dinger machen, und vor den Vibrationen und all den mysteriösen Displays und Lichtern und so.

Als also an diesem Freitagnachmittag der Ölheizer ausfiel, bekam sie einen Riesenschreck, schickte die Kinder mit dem Taxi zu ihrer Großmutter und saß zwei Stunden lang da und versuchte sich zu entscheiden, ob sie die Feuerwehr oder den Klempner anrufen sollte.

Währenddessen sprudelte der verflixte Ölofen sein Öl aus.

"Verdammt, mach ihn aus!" schrie ich. "Ich bin gleich da!"

Ich tauchte ab in die Garage und holte eine Handvoll Lappen und ein Stück Schnur und einen kurzen Stock. Das hatte ich schon mal erlebt. Ich ging hinein und küsste ihr hübsches weißes Gesicht, und ein paar Sorgenfalten verschwanden.

"Hol mir eine Pfanne oder sowas", sagte ich und begann, die Vorderseite des Heizers auseinanderzunehmen.

Diese Schwerkraft-Ölheizer wurden nicht so gebaut, dass man überschüssiges Öl leicht ablassen kann. Es gibt einen Messing-Propfen am Einlass, aber niemand in der Geschichte der Menschheit war je in der Lage, den rauszuzeihen, sagte mir der Ölhändler. Ich habe 200 Pfund Lebendgewicht, und legte jedes davon in die Hebelwirkung, aber alles, was dabei rumkam, war, mein Werkzeug zu ruinieren.

Die einzige Möglichkeit, das Öl rauszubekommen, war, die Vorderseite zu öffnen, Lappen durch den schmalen Feuerschlitz zu stopfen, das Zeug aufzusaugen und die Lappen mit einer um das Bündel gebundenen Schnur herauszufischen. Dann wringt man die Lappen mit bloßen Händen in eine Pfanne aus.

"He, Lottie", rief ich, "das ist deine Bratpfanne! Wird schwer sein, den Ölgeruch da wieder rauszukriegen!"

Aber da war es natürlich schon zu spät. Ich hatte bereits einen halben Liter Öl hineingekippt. Also tunkte und wrang ich weiter und dachte daran, wie lausig meine Zigaretten den ganzen Abend schmecken würden, und war froh, dass ich für meinen Lebensunterhalt Bier und nicht Öl auslieferte.


* * * *


Ich schaffte es seltsamerweise, das Haus nur ein einziges Mal in eine finstere Rußwolke einzuhüllen, als ich den Heizer neu zündete. Dann schüttete ich das Öl in der Straße vorm Haus weg und stellte die Bratpfanne in die Spüle. Lottie war dabei, Kartoffeln fürs Abendessen zu schälen, und brachte es dabei sonderbarerweise fertig, gleichzeitig ihre blonden Locken um mich zu winden, als sie versöhnlich und dankbar ihre Schulter an meiner rieb. Ich schrubbte mir den Ruß und das Öl von den Händen und sagte ihr, alles klar, Baby, nur nächstes Mal, um Himmels willen, schalt bitte wenigstens den Herd aus, wenn du in Panik aus der Küche rennst.

Das Wasser, das ich in die Bratpfanne spritzte, sammelte sich in kleinen, schrumpfenden Tropfen und erinnerte mich daran, dass wir die Schweinshaxen, die ich zum Sonntagsessen mitgebracht hatte, wegschmeißen konnten, wenn wir den Ölgeruch nicht aus der Pfanne bekamen.

"Jetzt pass mal auf", sagte ich zu Lottie. "Hol mir all deine Reinigungsseifen und so Zeug, und dann sehen wir mal, was wir daraus mixen können."

Lottie probiert ständig irgendwelche neuen praktischen chemischen Küchenhelfer aus, also hievte sie eine ganze Armladung hoch. Tja, als ich in der Highschool war, habe ich Chemie geliebt. "Charlie, der kleine Wissenschaftler", haben mich meine Kumpels genannt. Aber ich war wirklich ein ziemliches Ass in sowas, und seitdem lese ich ne Menge Wissenschaftsmagazine. Ich weiß also, was ein Waschmittel bewirken soll, und alles darüber, wie Seifen funktionieren, und ich kenne den ganzen Mist, den die Werbefritzen darüber so schreiben. Die Leute glauben einfach alles.

"Dieses hier", sagte ich zu Lottie, "hat eine Menge Lauge drin, siehst du?"

Sie nickte und sagte, das sei das Teufelszeug, das ihre Aluminium-Kaffeekanne ruiniert hat. Daran erinnerte sie sich besonders gut.

Ich goss sehr heißes Leitungswasser in die Bratpfanne und schüttete das starke Seifenpulver hinein. "Das ist zum Verseifen des Öls", erklärte ich.

"Was ist verseifen?" fragte Lottie.

"Seife ist hauptsächlich eine Mischung aus einer Art Lauge mit Fett oder Öl.

"Aber wir haben doch Seife", sagte sie. "Warum benutzt du nicht einfach die Seife, die wir haben?"

Wir vertieften uns in das Geschäft der Seifenherstellung. In der Zwischenzeit las ich noch ein paar Etiketten und fügte eine Prise von diesem und jenem Waschmittel hinzu und ein paar Spritzer von flüssigen "Wunderreinigern", auf denen nicht stand, was drin war.

In ihrer forschen schottischen Art machte Lottie mir klar, dass sie fände, ich würde ihr Seifenpulver und meine Zeit verschwenden und das Waschbecken verstopfen, also rundete ich den Cocktail ab mit einer halben Tasse Doozey-Seifenflocken, füllte die Pfanne bis zum Rand mit dem Zeug und stellte sie samt Gebräu hinten aufs Spülbrett, damit das Zeug gewissermaßen sein Geschäft verrichten konnte, Sie wissen schon.


* * * *


Nach dem Abendessen war ich im Wohnzimmer und las die Zeitung, als ich Lottie am Waschbecken murmeln hörte. Lottie murmelt normalerweise nicht, also ging ich raus, um zu sehen, was los war.

"Schöne Sauerei", sagte sie und zeigte auf die Bratpfanne. Das Zeug darin war abgekühlt und hatte sich zu einem gelatine-artigen Zustand verklumpt.

"Hah!" sagte ich. "Wir hatten eine übersättigte Lösung. Als sie abgekühlt ist, ist sie coagualisiert."

Lottie runzelte die Stirn. Es macht sie nervös, wenn ich bombastische Worte benutze, was ich nur tue, wenn ich über Chemie und dergleichen spreche.

"Also entkongolisiere es und hol es raus aus der Pfanne", sagte sie zu mir.

Mein wissenschaftlicher Forscherdrang war geweckt, als ich die Pfanne auf den Tisch schob und im vollen Licht betrachtete. Wir hatten hier eine Gelatine aus verschiedenen Reinigern, von denen jeder von sich behauptete, der beste überhaupt zu sein. Was würde diese neue revolutionäre Kombination bewirken?

Ich schnappte mir einen Topf vom Herd, in dem ein Haufen verbrannter Karottenreste am Boden klebte. Lottie hatte ihn mit etwa einem halben Zentimeter Wasser eingeweicht. Als ich nach einem Esslöffel griff, erhob Lottie Einspruch. "Hör mal, wenn du schon wieder Experimente machen willst, dann schütte diese Sauerei erst mal aus und lass mich mit die Bratpfanne abspülen!"

Ich rettete etwa eine Tasse voll von der schleimigen Schmiere, und sie ging zurück zu ihrem Geschirr.

"Es wird dir leid tun", sagte ich leise, "wenn sich herausstellt, dass dies die einzige Probe des besten Reinigers auf der ganzen Welt ist. Und wir haben nur eine Tasse voll."

Eine Minute später war ich froh, dass sie mich nicht gehört hatte. Als ich einen kleinen Klumpen von dem Zeug in den Möhrentopf fallen ließ und ein bisschen umrührte, schien sich die Mischung nicht aufzulösen und durch das zusätzliche Wasser zu verdünnen. Sondern sie schien die gleiche Dichte wie vorher zu behalten, nachdem sie das Wasser geschluckt hatte.

"Gib mir eine Kuchenform", forderte ich.

Lottie seufzte, aber sie holte eine flache Form aus der Speisekammer und reichte sie mir. Da hinein schüttete ich das Gelee aus dem Karottentopf und machte meine erste wichtige Entdeckung.

Das Zeug war nicht dazu geeignet, verbrannte Karotten zu entfernen.

Der Topf war knochentrocken. Und die Möhren auch. Sie sahen ausgetrocknet aus und klebten schlimmer denn je am Boden. Ich strich mit dem Finger drüber und die obersten Schichten zerfielen zu Staub. Dann bemerkte ich, dass nicht ein Tröpfchen oder Klecks des Gelees im Topf geblieben war. Als ich es ausgegossen hatte, war alles komplett rausgelaufen , als ob es unbedingt zusammenhängen wollte.

Auch die verkohlte Schicht ganz unten war steinhart und trocken. Das würde eine Kratzerei geben, Mannomann.


* * * *


Die Kuchenform war jetzt fast bis zum Rand voll. Das klumpige Zeug rollte komisch darin herum und versuchte, einen flachen Zustand zu erreichen, wie Gelees nun mal so sind, was ihm schließlich auch glückte. Doch es bewegte sich sonderbar. Aber die Bewegung war nicht so erschreckend wie die plötzliche Ruhe, die sich nach einem letzten Plätschern über die Oberfläche des Zeugs legte.

Es sah aus, als warte es.

Die Versuchung war größer als bei einer Parkbank mit der Aufschrift "frisch gestrichen". Ich steckte meinen Finger hinein. Genau in die Mitte.

Eine Art Welle ging von dieser Mitte aus, wie wenn man einen Kieselstein in einen Pool fallen lässt, und diese Welle traf auf den Rand und lief dann zurück zu meinem Finger. Als sie auf ihm auftraf, kletterte sie sie an meinem Finger etwa einen einen Zentimeter hoch. Eine weitere Welle, ein weiterer Zentimeter, und jetzt fühlte ich auch so was wie ein sanftes Sauggefühl. Außerdem war da noch eine andere Empfindung, die ich nur als "ultratrocken" bezeichnen kann.

Ich zuckte schnell weg und schüttelte meinen Finger kräftig, aber das war nicht nötig. Nichts von dem Zeug war hängengeblieben. In der Tat, mein Finger war verdammt trocken – staubtrocken!

Dann bekam ich das Gefühl, dass mir jemand über die Schulter starrte. Und so war es auch. Lottie. Und sie hatte einen so entsetzten Blick aufgesetzt, dass ich zusammenschrak.

"Schmeiß es weg, Charlie!", schrie sie. "Schmeiß es weg! Bitte wirf es weg!"

"Aber Schatz", sagte ich. "Es ist doch nicht lebendig."

"Ist es doch!", beharrte sie.

Lottie plappert ziemlich viel und sagt ziemlich offen, was sie denkt. Aber sie stellt nie ohne Grund irgendwelche Behauptungen auf. Wenn sie mit einer ernsthaften Behauptung herausplatzt, dann passiert das immer auf dem Boden ihrer 22-karätigen weiblichen Intuition, und sie hat eigentlich immer recht.

"Wie kann es lebendig sein?" argumentierte ich. Ich argumentiere oft, wenn ich weiß, dass ich falsch liege. Diesmal argumentierte ich, weil ich meiner Frau diesen furchtbaren Ausdruck aus dem Gesicht wischen wollte. "Komm mit ins Wohnzimmer und entspann dich", beruhigte ich sie.


* * * *


Und dann tat die gutmütige, honighaarige kleine Lottie etwas sehr Brutales. Immer noch über meine Schulter auf die Kuchenform starrend, kreischte sie mit weit aufgerissenen Augen auf und rannte aus dem Haus. Eine Sekunde später hörte ich, wie sie mit das Auto mit 30 Meilen pro Stunde im Rückwärtsgang aus der Einfahrt rausbretterte. Sie verbrannte vorne Gummi und war weg.

Ich hatte mich nicht einen Zentimeter bewegt. Denn als sie schrie, schaute ich zurück auf das Gelee, um zu sehen, warum. Das Zeug war über den Rand der Kuchenform gesickert und floss langsam über den Tisch auf mich zu.

Ich weiß ein wenig über den großen Sprachforscher Paul Korzybski und wie er immer wollte, dass jeder eine - wie er es nannte - „kortiko-thalamische“ Pause macht, wenn er sich zu Tode erschreckt. Ich machte also diese „kortiko-thalamische“ Pause, die eigentlich darin bestand, bis zehn zu zählen, während Lottie das Haus verließ. Als ich mit meiner Pause fertig war, sprang ich so heftig zurück und fiel so unglücklich über meinen Küchenstuhl, dass ich mir den Kopf heftig an der Spüle stieß.

Als ich wieder zu mir kam, war es nach Mitternacht. Das Licht in der Küche war noch an. Lottie war immer noch weg. Da war ich mir sicher. Wenn sie hier wäre, hätte sie mich ins Bett gebracht. Egal, wie viel ich von dem Produkt meines Arbeitgebers ausprobiert habe, nie hat Lottie mich auf dem Küchenboden ausschlafen lassen. Ihre 110 Pfund sind meinen 200 in mehr als einer Hinsicht ebenbürtig, und sie kümmert sich gut um ihren Mann.

Dann wurde mir klar, dass dies keine Bier-Orgie gewesen war. Es war irgendwas mit einem Topf Seifengelee.

Es war noch da. Ein langer Klumpen des halbtransparenten Zeugs war von der Tischkante runtergeglitscht und hing dort immer noch wie ein eklig aussehender Eiszapfen.

Der Knubbel an meinem Hinterkopf pochte so sehr, dass ich zuerst nicht so richtig wusste, was mit der Luft nicht stimmte. Dann sagte mir meine schmerzende, trockene Kehle, was los war. Die Luft war so trocken wie die eines Sommermittags, den wir auf einer Touristenranch in Arizona verbracht hatten. Meine Nasenlöcher kräuselten sich, und meine Zunge fühlte sich an wie ein Bündel faltiger Peperoni.

Als ich aufstand und auf die Küchentischplatte blickte, geriet ich fast wieder in Panik. Aber dieses Mal funktionierte die Kortiko-dingens-Pause und ich bekam mich schneller in Griff.

Lebendig oder tot, der Schleim war das stärkste Trockenmittel, von dem ich je gehört hatte. Es hatte das Wasser im Möhrentopf aufgesaugt, die Oberflächenfeuchtigkeit von meinem Finger gesaugt und sich dann die letzten Stunden von der Luftfeuchtigkeit ernährt.

Es war durstig. So wie Alkohol eine Affinität zu Wasser hat, so war's auch mit diesem Zeug, nur in weit stärkerem Maße. Tatsächlich streckte es sich sogar nach allem aus, was Wasser enthielt – zum Beispiel nach mir.


* * * *


Was ist daran so beängstigend, fragte ich mich? Auch Pflanzen wachsen in Richtung Wasser.

Aber Pflanzen sind lebendig.

Das war es, was Lottie gesagt hatte - oder geschrien ...

"Du bist also durstig?" fragte ich laut. "Okay, dann bekommst du jetzt einen richtigen Drink!"

Ich holte einen Eimer von der Veranda und nahm den Pfannkuchenwender, um den klebrigen Albtraum hinein zu schaufeln. Einen kleinen Rest kellte ich nach - dieser Tropfen schien auf unheimliche Weise dankbar dafür zu sein, dass er wieder zu dem elterlichen Klumpen zurückdurfte, der etwa einen Viertel des Eimers füllte.

Ich schleppte das Ding in die Waschküche unter den Wannenhahn und drehte das Wasser kräftig auf. Nach nur anderthalb Sekunden hatte ich mir fast das Handgelenk verstaucht, als ich ihn panisch wieder zudrehte. Nicht nur, dass das Gelee das Wasser aufsaugte, ohne sich aufzulösen, es begann auch in einer Säule von etwa zehn Zentimetern Dicke den Strahl hinaufzukriechen, während das Wasser hineinlief!

Als ich das Wasser abstellte, sank der unheimliche Gelee-Tentakel enttäuscht in sich zusammen.

Und nun war der Eimer über die Hälfte voll mit dem Zeug.

Ich warf versuchsweise einen Eiswürfel hinein. Es spritzte nicht einmal. Die Oberfläche zog sich etwas zurück, so dass der Würfel eine Delle eindrückte, aber allmählich kroch der verdrängte Glibber wieder um ihn herum, als wolle er ihn behutsam ausprobieren.

Ich konnte die trockene Luft nicht mehr ertragen, also riss ich Türen und Fenster auf und ließ die kühle, feuchte Nachtluft hinein. Der Eiswürfel war verschwunden, ohne auch nur eine Pfütze an der Oberfläche zu hinterlassen. Jetzt, als die Feuchtigkeit zurückkam, glaubte ich, ein merkwürdiges Schimmern im Gelee zu bemerken.

Das Telefon klingelte. Es war Lotties Mutter, die wissen wollte, warum Lottie hysterisch rübergekommen war, und wo ich mich seit sieben Uhr rumgetrieben hatte. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe, aber es erfüllte seinen Zweck. Lottie ist nicht zurückgekommen, und sie haben auch nicht mehr angerufen.

Als ich zum Eimer zurückkehrte, schien das Zeug gewachsen zu sein, aber ich konnte es nicht genau sagen, weil ich den Pegel nicht markiert hatte. Ich holte Lotties Fieberthermometer aus der Hausapotheke und maß die Temperatur des Gelees. Es zeigte 14 Grad an. Das Wandthermometer zeigte auch 14 Grad an. Raumtemperatur, mit offenen Fenstern. Was für eine Art von "Leben" könnte das sein, das keine Eigen-Temperatur hat?

Aber was für einen ausgeklügelten Stoffwechsel kann man auch von einem Organismus erwarten, der sich nur von Wasser aus dem Michigansee ernährt, direkt aus dem Staubecken?


* * * *


Ich holte einen Stift und ein Notizbuch aus Lotties ordentlichem kleinen Schreibtisch und begann, mir Notizen zu machen.

Ich wunderte mich über die Dichte des Stoffes. Eis schwamm darin, und der Eimer schien ziemlich schwer zu sein. Ich zerbrach das Thermometer und ließ einen Tropfen Quecksilber auf die unruhige Oberfläche fallen. Das Tröpfchen sank langsam auf den Boden, ohne erkennbare Wirkung.

Schwerer als Wasser. Leichter als Quecksilber.

Ich nahm ein Bier aus dem Kühlschrank und stürzte es hinunter. Die letzten Tropfen schüttete ich in den Eimer. Die Tropfen zischten über die Oberfläche, bis nur noch ein feiner Staub übrig war. Ein winziges Plätschern ließ diesen Staub zum Rand des Eimers hinüberschwappen, als ob er einen durstigen Schlund zum Einsatz freimachen musste. Das lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Rand der Flüssigkeit. Es gab dort keine Wölbung, weder nach oben noch nach unten.

Wenn ich mich recht entsann, bedeutete dies, dass es keine Oberflächenspannung gab, was mich daran erinnerte, dass ein Teil dieser Mischung aus Waschmitteln bestand.

Hatte ich eine neue Form von Leben erschaffen? War es wirklich lebendig, wie Lottie sagte? Mit Sicherheit konnte es sich selbst reproduzieren. Und es hatte genug Verstand, um die Richtung von Wasser einzuschlagen.

Vor nicht allzu langer Zeit gab es diesen bedeutenden Physiker, der darüber schrieb, wie das Leben wahrscheinlich entstanden ist, als sich die Erde gerade bildete. Er argumentierte, dass die Schöpfungs-Theorie mehr oder weniger ein Haufen Schwachsinn sei. Was tatsächlich stattfand, als die Erde abkühlte, war wohl, dass all die heißen Chemikalien, die sich vermischten, irgendwie auf eine oder zwei Kombinationen stießen, die die ersten Merkmale des Lebens aufwiesen.

Mit anderen Worten: dieser Typ hat dort angesetzt, wo Mr. Darwin mit seiner Evolutionstheorie begann.

Also ich...ich weiß es nicht. Lottie zwingt mich, jeden Sonntag mit den Kindern in die Kirche zu gehen, und ich geh auch ganz gern hin. Wenn diese chemische Theorie über die Entstehung des Lebens richtig ist, dachte ich immer, nun, dann haben eine Menge Leute eine völlig falsche Vorstellung von der Welt.

Aber konnte dieser Physiker das wabbelnde Chaos von Protoplasma erklären, das mir an diesem speziellen Freitagabend in meiner Waschküche Gesellschaft leistete?

Ich experimentierte noch ein wenig. Ich holte das Kinderlexikon heraus und schlug einige Dinge nach, die ich vergessen, und einige, die ich gar nicht erst gelernt hatte.


* * * *


Es wurde also Samstagmorgen. Fred und Claude riefen wegen des Angelausflugs an, und ich erfand eine Ausrede. Niemand sonst störte mich. Den ganzen Samstag über büffelte ich. Und den ganzen Samstagabend. Und Sonntag. Aber ich konnte keine vernünftige Antworten finden, die mich in Hinsicht auf meinen neuen Mitbewohner zufriedenstellten.

Es sah so aus, als hätte ich irgendeine Form von Leben erschaffen. Entweder das, oder irgendeine Lebensform, die eine Milliarde Jahre geschlafen hatte, hatte plötzlich einen Zustand gefunden, der ihr gefiel, und beschlossen, den Winterschlaf zugunsten der Fortpflanzung an den Nagel zu hängen.

Was mich antrieb, war der Gedanke, dass ich hier auf etwas gestoßen sein konnte, das kommerziell von Bedeutung war - eine neue Kultur von etwas, das irgendeinen Zweig der Chemie oder Biologie revolutionieren würde. Ich hielt nicht nicht mal damit auf, mir zwischendurch ein Ei zu braten. Ich kaute ein paar Cracker und trank noch ein paar Flaschen Bier, bis mein Magen protestierte. Ich war nicht wirklich müde, obwohl sich meine Augen anfühlten, als würden sie vier Zentimeter in meinen Schädel hineingedrückt.

Juniors kleiner Chemiebaukasten sagte mir nicht viel, als ich die wenigen Tests machte, die ich kannte. Lackmuspapier blieb entweder rot oder blau, wenn man es in das Gelee steckte. Das überraschte mich ein wenig, denn diese ganze Masse aus Waschmittelmischung hatte anfangs einem ordentlichen Schuss Lauge enthalten.

So wuchsen meine Notizen, nicht aber meine nützlichen Informationen. Bis Sonntag um Mitternacht stellte sich heraus, dass meine Gelee-Erfindung nur ein entscheidendes Talent hatte: nämlich die Fähigkeit, alles, was Wasser enthält, unbegrenzt aufzusaugen. Und nur Wasser wurde akzeptiert, wie es schien. Gelöste Feststoffe wurden in Form von verschiedenfarbigen Staub-Varianten wieder ausgespien.

Inzwischen war der Schleim aus dem Eimer herausgewachsen und befand sich zu zwei Dritteln in der Wäschewanne. Ein regelmäßiges Tropfen aus dem Wasserhahn hielt die Oberfläche meines Ungetüms in einem Zustand ständiger Raserei. Es war, als würde man einen Alkoholiker fingerhutweise mit Bier füttern.

Faszinierende Sache - zu beobachten, wie sich die kleinen Gelee-Finger nach jedem Tropfen streckten, nach mehr griffen und dann mit einem gereizten kleinen Peitschenschlag zurückfielen.


* * * *


Heute um zwei Uhr früh fing ich an, wieder zur Vernunft zu kommen. Vielleicht war es auch nur die Angst, die mich schließlich wieder einholte.

Denn hier lauerte Gefahr.

Ich war mir nicht ganz sicher, worin diese Gefahr bestand, aber ich begann, dem ganzen Projekt gegenüber einen tödlichen Hass zu entwickeln.

"Töte es!" schoss mir durch den Kopf. "Werde es los, Charlie!"

Lotties Schrei schrillte mir in die Ohren, und der Wunsch nach Zerstörung wurde immer drängender. Wut stieg in mir auf.

"Du willst einen Drink?", brüllte ich. Ich setzte den Teekessel auf, und als er auf vollen Touren lief, brachte ich ihn zurück zur Wanne. "Ich gebe dir einen Drink, der es in sich hat!"

Was dann geschah, würde ich gerne vergessen. Zehnmal so schnell, wie es den Kaltwasserlauf hinaufgeklettert war, schoss es den kochenden Wasserstrahl hinauf, flutete in den Teekessel, sprengte den Deckel ab und schwappte mit einer glühend-trockenen Geste über meine Hand, so dass ich den Kessel in die Wanne fallen ließ und vor Schmerz aufschrie.

Das Gelee dampfte und klebte lange genug an meinem Fleisch, um es fast bis auf die Knochen wegzufressen. Dann zerrte es an den Fleischfetzen und ließ mich mein Handgelenk packen und die Hand gewaltsam losreißen, um den Schmerz zu stoppen.

Da wurde ich verdammt wütend. Ich holte meinen Schweißbrenner, den ich zum Absengen von Farbe benutze, zündete ihn an, stellte ihn auf die größtmögliche Flamme ein und zielte damit auf die Wanne.

Es passierte nicht allzu viel. Das Gelee schrumpfte vor der brüllenden Hitze, aber es kletterte nicht über den Rand der Wanne. Es schrumpfte weiter.

Das Zeug wurde einfach immer weniger, und was übrig war, begann trüb zu werden. Und als ich den Boden der Wanne erreichte, bewegte sich der letzte Klumpen ziemlich lebhaft herum und versuchte, der Hitze zu entkommen, aber ich erwischte ihn. Jedes verdammte letzte Fitzelchen davon! Ich lachte und weinte, als ich den Brenner schließlich in die Wanne fallen ließ. Ich hatte ihn mit meiner verätzten Hand gehalten und wurde wohl ohnmächtig.

Ich war nicht lange bewusstlos. Ich stand auf und rieb meine Hand mit Schmalz ein, und es fühlte sich ziemlich gut an. Dann nahm ich ein paar Aspirin und setzte mich an Lotties Schreibmaschine. Ich weiß, dass ich nicht schlafen werde, bis ich mir alles von der Seele getippt habe, wie das alles passiert ist und so, denn ich werde es wahrscheinlich selbst nicht mehr glauben, wenn ich wieder normal bin.

Ich bin gerade rausgegangen und habe den Schweißbrenner aus der Wäschewanne gefischt. Alles, was von dem Zeug auf dem Boden der Wanne übrig geblieben ist, ist vielleicht ein halbes Pfund angesengter Seifenflocken...


* * * *


So, ich bin fertig damit, alles aufzuschreiben. Aber ich bin immer noch nicht müde. Ich mache mir keine Sorgen darüber, wie die Sache mit Lottie wieder in Ordnung kommt. Sie ist die wunderbarste, verständnisvollste Frau, die ein Mann je gehabt hat.

Meine Hand fühlt sich jetzt richtig gut an. Ich habe sie in Schmalz und Gaze eingewickelt und könnte den Truck fahren, wenn ich wollte.

Ich habe keine Angst, dass man mich feuert oder anschnauzt, weil ich nicht pünktlich zur Arbeit gekommen bin.

Nein, der Grund, warum ich heute keinen einzigen Kilometer mit meinem Bierlaster gefahren bin, ist ein andrer.

Freitagabend, als Lottie die Bratpfanne waschen wollte, habe ich, wie Sie wissen, eine Tasse des Gelees für meine Experimente aufgehoben. Den Rest spülte sie in den Abfluss.

Der Abfluss mündet in den Michigansee.

Die Brauerei, bei der ich arbeite, liegt direkt am Ufer.

Ich habe Angst, hinzufahren und nachzusehen.

Winston K. Marks

The Water-Eater

Galaxy, Juni 1953

Übersetzung: Matthias Käther © 2021

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