Montag, 29. Mai 2023

Edith Nesbit – No.17 (1910)

 



Der Geistergeschichtenjäger muss man manchmal nicht weniger Geduld haben als der Geisterjäger. Es ist kein Problem, unübersetzte Storys aus der „Golden Ära“ 1890-1945 zu finden. Aber es stellen sich dem neugierigen Stöberer in alten Magazinen doch zwei immense Schwierigkeiten in den Weg: Oft sind die wirklich guten Geschichten wegen diverser Copyright-Probleme nicht so ohne weiteres übertragbar, und zum zweiten ist das Feld der berühmten copyrightfreien Namen dann doch erheblich abgegrast.

Ziemlich hoffnungslos checkt man dann eine Entdeckung, die einem gefallen hat, mit den entsprechenden Datenbanken, und findet in 99 von 100 Fällen einen Eintrag für eine erfolgte deutsche Übersetzung. Zu meiner Verblüffung – sie muss der mit Ungläubigkeit gemischten Freude des Ghost-Busters gleichen, der wirklich mal keinen Typen im Bettlaken enttarnt, sondern in frischem Ektoplasma stochert – konnte ich keine Übersetzung der folgenden Story finden, die von der großen Edith Nesbit (1858-1924) stammt. Die weltberühmte Kinderbuchautorin machte öfter Abstecher in die Welt des Grusels, nicht allzu oft, aber ein einzelner Band ließe sich mit ihren Horrorgeschichten doch bequem füllen (und wurde, nebenbei gesagt, auch gefüllt, 2000 nämlich in der bahnbrechenden Sammlung „In the Dark“ bei Harper Collins Publishers.) Warum entging „Number 17“ den deutschen Übersetzern?

Die Antwort auf die Frage findet man, wenn man einen Blick in das Magazin des Erstdrucks wirft:

Im Strand-Magazine vom Juni 1910 wird die Autorin der Story als „E. Bland“ aufgeführt. Das ist völlig korrekt, sogar korrekter als Edith Nesbit, denn Nesbit war der Mädchenname der Autorin, ihr richtiger (angeheirateter) Name war damals Bland. Doch obwohl sie den Mädchennamen fast immer für ihre literarischen Produktionen nutzte, ging das hier nicht, denn in der „Strand“-Ausgabe stand damals bereits ein anderer Nesbit-Text – nichts Geringeres als eine Fortsetzung ihres vielgelesenen Fantasy-Romans „The Magic City“. Da ein zweites Mal aufzutrumpfen, wäre unbescheiden gewesen.

Ich hoffe, Sie können sich mit mir über den hübschen Fund freuen...


I.


Ich gähnte. Ich konnte es nicht verhindern. Aber die monotone, unerbittliche Stimme fuhr fort.

Vom journalistischen Standpunkt aus – und ich weiß, wovon ich rede, meine Herren, schließlich war ich mal Anzeigenredakteur des Bradford-Wollwaren-Journals – vom journalistischen Standpunkt aus bin ich der Meinung, dass die besten Geistergeschichten eigentlich immer wieder dasselbe beschreiben. Wenn ich meinen Job aufgeben und eine literarische Karriere einschlagen würde, dann wäre das Geisterthema für mich tabu. Heutzutage ist Realismus gefragt, wenn man auf der Höhe der Zeit sein will!“

Der fette Geschäftsmann holte tief Luft.

Beim Publikum weiß man nie, was ankommt“, meinte ein hagerer, ältere Reisender, „das ist wie in der Modebranche. Man weiß nie, was einschlägt. Ob es sich nun um einen mechanischen Vogel Strauß handelt oder um Sometit-Seide oder um eine besondere Form von getöntem Glas oder um eine Tabakdose, die wie ein rohes Kotelett aussieht: Man weiß nie, ob man Glück hat.“

Das hängt davon ab, wer sich drum kümmert“, sagte der elegante Mann in der Ecke am Feuer. „Wenn man den richtigen Dreh raushat, kann man jede Sache zum Laufen bringen, egal, ob es sich um ein mechanisches Spielzeug oder eine Fleischimitation handelt. Und bei Geschichten, nehme ich an, ist es genau dasselbe – egal ob realistische oder Geistergeschichten. Aber die effektivste Gespenstergeschichte wäre wohl die realistischste, denke ich.“

Der fette Geschäftsmann atmete wieder aus.

Ich selbst glaube nicht an Gespenstergeschichten“, sagte er mit humorloser Drögheit, „aber einer Cousine zweiten Grades einer angeheirateten Tante von mir ist etwas ziemlich Seltsames passiert eine sehr vernünftige Frau, der jeglicher Unsinn zuwider ist. Eine Seele von Rechtschaffenheit. Eine ehrliche Haut. Ich hätte es nie geglaubt, wenn sie eine von der flatterhaften, phantasievollen Sorte gewesen wäre.“

Bitte erzählen Sie uns diese Geschichte nicht“, flehte ein melancholischer Mann, ein Eisenwarenvertreter, „Sie werden uns so ängstigen, dass wir dann keine Lust mehr haben, ins Bett zu gehen.“

Der gut gemeinte Versuch schlug fehl. Der fette Geschäftsmann fuhr fort, wie ich es geahnt hatte; seine Worte quollen über seine Lippen, wie seine Figur über seinem Stuhl quoll. Ich wandte mich meinen eigenen Angelegenheiten zu, verließ den Clubraum des Hotels und kehrte rechtzeitig zurück, um das Resümee zu hören.

Die Türen waren alle verschlossen, und sie war sich ganz sicher, dass sie eine große, weiße Gestalt an sich vorbeigleiten und verschwinden sah. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn...“ Und so weiter, und so weiter, von wenn sie nicht die Cousine zweiten Grades gewesen wäre bis zu wirklich, eine ehrliche Haut!

Ich gähnte wieder.

Sehr gute Geschichte“, sagte der kluge kleine Mann am Feuer. Er war Vertreter, wie wir anderen auch, das bewies seine Anwesenheit im Clubzimmer. Während des Abendessens war er eher schweigsam gewesen, und danach, als die roten Vorhänge zugezogen und das rot-schwarze Tuch zwischen den Gläsern, den Karaffen und dem Mahagoniholz ausgelegt wurde, hatte er sich stillschweigend auf den besten Sessel in der wärmsten Ecke gesetzt. Wir hatten unsere Briefe geschrieben, und der fette Vertreter hatte uns schon eine ganze Weile gelangweilt, bevor ich überhaupt bemerkte, dass es so etwas wie einen „besten Sessel“ gab und dass dieser schweigsame, helläugige, adrette Mann ihn sich gesichert hatte.

Sehr gute Geschichte“, sagte er, „aber sie ist nicht grade das, was ich realistisch nennen würde. Sie erzählen uns nicht genug, Sir. Sie sagen nicht, wann und wo es passiert ist, oder zu welcher Jahreszeit, oder welche Haarfarbe die Cousine zweiten Grades Ihrer Tante hatte. Sie sagen uns auch nicht, was sie gesehen hat, oder wie der Raum aussah, in dem sie es gesehen hat, oder warum sie es gesehen hat, oder was danach passiert ist. Nichts gegen die Cousine einer Tante ersten oder zweiten Grades, aber ich muss sagen, ich mag Geschichten aus erster Hand lieber.“

Ich auch“, knirschte der fette Vertreter, „falls ich eine höre.“

Er blies durch seine Nase wie in eine trotzige Trompete.

Aber“, meinte ein Mann mit Hasengesicht, „wir wissen doch heute, durch den Fortschritt der Wissenschaft und so, dass es so etwas wie Geister gar nicht gibt. Das sind Halluzinationen. Genau das sind sie – Halluzinationen!“

Es spielt keine Rolle, wie man sie nennt“, entgegnete der elegante Mann. „Wenn Sie etwas sehen, das so echt aussieht wie Sie selbst, etwas, das Ihnen das Blut in den Adern gefrieren lässt und Sie krank und starr vor Angst werden lässt - nun, nennen Sie es Geist oder nennen Sie es Halluzination oder nennen Sie es Lieschen Müller; auf den Namen kommts dann nicht an.“

Ein älterer Vertreter hustete und sagte: „Man kann es mitunter auch anders nennen. Man könnte es nach ein paar Gläsern auch...“

Nein, das können Sie nicht“, rief der kleine Mann munter, „nicht, wenn die Person, der es passiert ist, fünf Jahre lang Abstinenzler war und es bis heute ist.“

Warum erzählen Sie uns nicht die Geschichte?“ fragte ich.

Ich wäre dazu bereit“, räumte er ein, „wenn der Rest der Gesellschaft damit einverstanden wäre. Aber ich warne Sie, es ist nicht diese Art von Story, die jemand erlebt hat, der sich einbildet, etwas gesehen zu haben. Nein, Sir. Alles, was ich Ihnen erzählen werde, ist klar und deutlich, so klar wie ein Fahrplan – vielleicht sogar noch klarer. Aber ich erzähle es nicht gerne, vor allem nicht Leuten, die nicht an Geister glauben.“

Mehrere von uns versicherten eifrig, dass wir an Geister glaubten. Der fette Mann schnaubte und schaute auf seine Uhr. Und der Mann im besten Sessel begann.


II.


Drehen Sie das Gas ein bisschen runter, ja? Danke. Kannte jemand von Ihnen Herbert Hatteras? Er war viele Jahre in dieser Gegend unterwegs. Nein? Na ja, macht nichts. Er war ein netter Kerl, denke ich, mit guten Zähnen und einem schwarzen Schnurrbart. Ich kannte ihn nicht persönlich. Das war vor meiner Zeit. Das, was ich Ihnen jetzt erzähle, geschah in einem bestimmten Business-Hotel. Ich werde dem Hotel keinen Namen geben, denn so etwas spricht sich herum, und in jeder anderen Hinsicht ist es eine gute Unterkunft mit akzeptablen Preisen, und wir müssen schließlich alle über die Runden kommen. Es war einfach ein gutes, gewöhnliches, altmodisches, Business-Hotel, wie das hier zum Beispiel. Und ich habe es seitdem oft besucht, obwohl sie mich nie wieder in jenem Zimmer untergebracht haben. Vielleicht haben sie es nach dem Vorfall verschlossen.

Nun, es fing damit an, dass ich einem alten Schulkameraden begegnete; in Boulter`s Lock war es, an einem Sonntag, erinnere ich mich. Jones war sein Name, Ted Jones. Wir ruderten beide in Kanus. Wir tranken danach Tee in Marlow, und wir unterhielten uns über dies und das und alte Zeiten und alte Freunde; und erinnerst du dich an Jim und was ist Tom geworden und so weiter. Na, Sie wissen schon. Und dann fragte ich zufällig nach seinem Bruder, Fred hieß er. Ted wurde blass, er ließ fast seine Tasse fallen und sagte: „Du willst doch nicht etwa sagen, dass du es nicht gehört hast?“ „Nein“, meinte ich und wischte den Tee, den er verschüttet hatte, mit meinem Taschentuch auf. „Was gehört?“ fragte ich.

Es war schrecklich!“, rief er. „Sie haben nach mir telegraphiert, und ich habe ihn danach gesehen. Ob er es selbst getan hat oder nicht, weiß niemand; aber sie haben ihn mit durchgeschnittener Kehle auf dem Boden liegend gefunden“.

Ted sagte mir, dass es keinen Grund für die überstürzte Tat gab. Ich fragte ihn, wo es passiert sei, und er nannte mir den Namen eines Hotels - ich werde ihn nicht verraten. Und als ich ihm mein Beileid aussprach und ihm von den alten Zeiten erzählte und dass der arme alte Fred so ein guter Kerl war und so, fragte ich ihn nebenbei, wie dieses Zimmer aussah. Ich möchte immer gerne wissen, wie die Orte aussehen, an denen etwas Besonderes passiert.

Nein, das Zimmer hatte nichts Besonderes an sich, nur ein französisches Bett mit roten Vorhängen in einer Art Nische und einen großen Mahagonischrank, so groß wie ein Leichenwagen, mit einer Glastür, und statt eines Drehspiegels war dort ein geschnitzter, schwarz gerahmter, der zwischen den Fenstern an die Wand geschraubt war, und es gab ein Bild vom „Fest des Belsazar“ über dem Kaminsims. Ja, was ist?

Er hielt inne, denn der fette Vertreter hatte seinen Mund geöffnet und wieder geschlossen.

Ich dachte, Sie wollten etwas sagen. Nun, wir sprachen über andere Dinge und trennten uns, und ich dachte nicht weiter darüber nach, bis mich meine Geschäfte nach X brachten - ich nenne die Stadt besser auch nicht - und ich fand heraus, dass meine Firma genau dieses Hotel - das, in dem der arme Fred zu Tode gekommen war, wissen Sie? -für mich reserviert hatte. Und ich musste mich auch dort einquartieren, weil sie alle Post dorthin schickten. Außerdem wäre ich wohl sowieso aus Neugierde dorthin gegangen.

Nein, damals habe ich nicht an Geister geglaubt. Ich war wie Sie, Sir.

Er nickte freundschaftlich dem fetten Vertreter zu.

Das Haus war sehr voll, und wir waren eine ziemlich große Gesellschaft im Clubzimmer - eine sehr angenehme Gesellschaft, genau wie heute Abend; und wir sprachen über Geister - so wie heute. Da war ein Kerl mit Brille, der dort drüben saß, ich erinnere mich - ein alter Hase des Vertreter-Geschäfts, und er sagte, so wie es jeder von euch sagen könnte: „Ich glaube nicht an Gespenster, aber ich würde trotzdem nicht in Nummer Siebzehn schlafen wollen!“ Und natürlich fragten wir ihn warum. „Darum“, sagte er kurz und bündig.

Aber nachdem wir ihn ein wenig auf ihn eingeredet hatten, erzählte er es uns.

Weil das der Raum ist, in dem sich alle mit ihrem Rasiermesser die Kehle durchschneiden“, sagte er. „Ein Kerl namens Bert Hatteras fing damit an. Sie fanden ihn in seinem Blut. Und seitdem wurde jeder Mann, der dort geschlafen hat, mit aufgeschnittener Kehle gefunden.“

Ich fragte ihn, wie viele dort geschlafen hätten. „Nun, nur zwei, außer dem ersten“, sagte er, „dann haben sie es verschlossen.“

Ach, wirklich?“, meinte ich. „Tja, sie haben es anscheinend wieder geöffnet. Nummer Siebzehn ist mein Zimmer!“

Ich sage Ihnen, die Kerle haben vielleicht geglotzt.

Aber Sie schlafen doch nicht da drin?“, fragte einer von ihnen. Und ich erklärte, dass ich nicht einen halben Dollar für ein Zimmer bezahlt hätte, um dann darin wach zu bleiben.

Ich nehme an, der Geschäftszwang hat sie dazu gebracht, es wieder zu öffnen“, vermutete der Herr mit der Brille. „Eine sehr mysteriöse Angelegenheit. In diesem Raum herrscht ein geheimes Grauen, das wir nicht verstehen“, sagte er, „und ich erzähle Ihnen noch etwas Seltsames. Jeder von diesen armen Kerlen war ein Vertreter. Das ist es, was mir daran nicht gefällt. Da war Bert Hatteras - er war der erste, und ein Kerl namens Jones - Frederick Jones, und dann Donald Overshaw - ein Schotte, er vertrat Kinderunterwäsche.“

Nun, wir saßen da und unterhielten uns ein wenig, und wenn ich nicht eine solche Frohnatur gewesen wäre, weiß ich nicht, ob ich nicht in Panik verfallen wäre, meine Herren - ja, wirklich in Panik verfallen; denn je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger gefiel mir der Gedanke an Nummer Siebzehn. Am Zimmer war mir nichts Besonderes aufgefallen, außer dass die Möbel seit der Zeit des armen Fred ausgetauscht worden waren. Also schlich ich mich nach einer Weiler hinaus und ging zu dem kleinen Glas-Schalter am Eingang, wo die Rezeptionistin sitzt - genau wie hier im Hotel, und fragte:

Hören Sie mal, Fräulein, haben Sie nicht noch ein anderes Zimmer frei außer der Siebzehn?“

Nein“, meinte sie, „ich glaube nicht.“

Und was ist das dann?“ hakte ich nach und zeigte auf einen Schlüssel, der an der Tafel hing, den einzigen, der noch da war.

Oh“, seufzte sie, „das ist Sechzehn.“

Ist denn jemand in Sechzehn? Ist das ein komfortables Zimmer?“

Nein“, gab sie zu. „Keiner. Und ja, sehr komfortabel. Es ist neben Ihrem Zimmer, genau dieselbe Sorte.“

Dann nehme ich Sechzehn, wenn Sie nichts dagegen haben“, sagte ich und ging zu den anderen zurück, wobei ich mir sehr schlau vorkam.

Als ich zu Bett ging, schloss ich meine Tür ab, und obwohl ich nicht an Gespenster glaubte, wünschte ich mir, dass Siebzehn nicht neben mir wäre, und dass es keine Tür zwischen den beiden Zimmern gäbe, obwohl sie verschlossen war und der Schlüssel auf meiner Seite steckte. Ich hatte nur eine Kerze außer den beiden auf dem Toilettentisch, die ich nicht angezündet hatte, und ich legte grade meinen Kragen und meine Krawatte ab, als mir auffiel, dass die Möbel in meinem neuen Zimmer die Möbel aus Nummer Siebzehn waren: ein französisches Bett mit roten Vorhängen, ein Mahagonischrank so groß wie ein Leichenwagen, der geschnitzte Spiegel über dem Toilettentisch zwischen den beiden Fenstern und „Das Fest des Belsazar“ über dem Kaminsims. Ich hatte also zwar nicht das Zimmer bekommen, in dem sich die Herren Kollegen die Kehle durchzuschneiden pflegten, aber ich hatte die Möbel aus diesem Zimmer. Und einen Moment lang schien mir, dass das viel schlimmer wäre als das andere. Ich dachte daran, was diese Möbel erzählen würden, wenn sie sprechen könnten...

Es war dumm von mir, aber wir sind hier alle Freunde, und es macht mir nichts aus, es zuzugeben: Ich habe unter dem Bett nachgesehen, und ich habe in den Leichenschrank geschaut, ich habe sogar in den zweiten kleineren Schrank geschaut, in dem.... etwas hätte aufrecht stehen können.“

Etwas?“ fragte ich.

Ein Mann, meine ich. Wissen Sie, mir schien, dass diese armen Kerle entweder von jemandem ermordet worden waren, der sich in Nummer Siebzehn versteckt hatte, oder dass es dort etwas gab, das sie so erschreckte, dass sie sich die Kehle durchschnitten; und bei meiner Seele, ich kann Ihnen nicht sagen, welcher Gedanke mir besser gefiel!

Er hielt inne und füllte sehr bedächtig seine Pfeife. „Na weiter!“, rief jemand. Und er fuhr fort.

Sie werden vielleicht gemerkt haben, dass alles, was ich Ihnen bis zu dem Zeitpunkt erzählt habe, an dem ich in jener Nacht zu Bett ging, nur vom Hörensagen stammt. Ich verlange also nicht, dass Sie es glauben - obwohl die drei gerichtsmedizinischen Untersuchungen ausreichen würden, um die meisten Leute zu überzeugen, würde ich sagen. Aber was ich Ihnen jetzt erzähle, ist mein Teil der Geschichte – also das, was mir selbst in diesem Zimmer passiert ist.

Er hielt wieder inne und hielt die Pfeife in der Hand, die nicht angezündet war.

Es entstand ein beklommenes Schweigen. Ich brach es.

Also, was ist passiert?“ fragte ich.

Ich hatte ein wenig mit mir selbst zu kämpfen. Ich erinnerte mich daran, dass es nicht in diesem Zimmer, sondern im nächsten passiert war. Ich rauchte ein oder zwei Pfeifen und las die Morgenzeitung. Die Anzeigen - und alles andere. Und schließlich ging ich zu Bett. Die Kerze habe ich allerdings brennen lassen, das gebe ich zu.“

Haben Sie schlafen können?“ fragte ich.

Ja. Ich habe geschlafen. Völlig ruhig. Ich wurde durch ein leises Klopfen an meiner Tür geweckt. Ich setzte mich auf. Ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben so erschrocken. Aber ich zwang mich, im Flüsterton zu fragen: „Wer ist da?“.

Ich hatte weiß Gott nicht erwartet, dass jemand antworten würde. Die Kerze war erloschen, und es war stockdunkel. Draußen gab es ein leises Gemurmel und ein schlurfendes Geräusch. Und niemand reagierte. Hätte ich auch nicht erwartet. Aber ich räusperte mich und rief mit lauter Stimme: „Wer ist da?“.

Ich, Sir“, murmelte eine Stimme. „Rasierwasser, Sir; sechs Uhr, Sir.“

Es war das Zimmermädchen.

Eine Bewegung der Erleichterung ging durch unseren Kreis.

Ich halte nicht viel von Ihrer Geschichte“, sagte der fette Vertreter.

Sie haben sie ja auch noch nicht zu Ende gehört. Es war sechs Uhr an einem Wintermorgen und stockdunkel. Mein Zug fuhr um sieben. Ich stand auf und begann mich anzuziehen. Meine eine Kerze war nicht viel wert. Ich zündete die beiden auf dem Toilettentisch an, um mich zu rasieren. Aber - es gab kein heißes Rasierwasser vor meiner Tür! Und der Gang war so schwarz wie ein Kohlenloch! Also habe ich angefangen, mich mit kaltem Wasser zu rasieren. Das muss man manchmal, wie Sie wissen. Ich hatte mir das Gesicht rasiert und war gerade dabei, mich an den Hals unterm Kinn zu machen, als ich sah, dass sich im Spiegel etwas bewegte. Ich meine: etwas, das sich bewegte, wurde im Spiegel reflektiert. Die große Schranktür war aufgeschwungen, und in einer Art Doppelspiegelung konnte ich das französische Bett mit den roten Vorhängen sehen. Auf der Kante des Bettes saß ein Mann in Hemd und Hose - ein Mann mit schwarzem Haar und Backenbart, mit dem furchtbarsten Ausdruck von Verzweiflung und Angst auf seinem Gesicht, den ich je gesehen oder geträumt habe. Ich stand wie gelähmt und beobachtete ihn im Spiegel. Ich hätte mich nicht umdrehen können, und wenn`s um mein Leben gegangen wäre. Plötzlich lachte die Erscheinung. Es war ein schreckliches, stummes Lachen, bei dem er alle seine Zähne zeigte. Sie waren sehr weiß und gleichmäßig. Und im nächsten Moment hatte er sich vor meinen Augen die Kehle von Ohr zu Ohr durchgeschnitten. Haben Sie jemals einen Mann gesehen, der sich die Kehle durchgeschnitten hat? Das Bett war vorher ganz weiß...“

Der Erzähler hatte seine Pfeife weggelegt und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, bevor er fortfuhr.

Als ich mich wieder rühren konnte, tat ich es. Es war niemand im Zimmer! Das Bett war so weiß wie immer.


III.


Nun, das ist alles“, sagte er abrupt, „außer, dass ich jetzt natürlich verstand, wie diese armen Kerle zu Tode gekommen waren. Sie alle hatten diesen Schrecken gesehen - den Geist des ersten armen Kerls, nehme ich an - Bert Hatteras, wissen Sie; und unter dem Schock müssen ihnen die Hände ausgerutscht und die Kehlen durchtrennt worden sein, bevor sie innehalten konnten. Übrigens, als ich auf die Uhr sah, war es erst zwei Uhr nachts, es war also überhaupt kein Zimmermädchen da gewesen. Das muss ich geträumt haben. Aber das andere habe ich nicht geträumt. Oh! Und noch etwas. Es war natürlich dasselbe Zimmer. Sie hatten nicht die Möbel ausgetauscht, nur die Zimmernummer. Es war derselbe Raum!“

Hören Sie mal“, schnaufte der fette Mann, „das Zimmer, von dem Sie gesprochen haben... Mein Zimmer hat die Nummer Sechzehn. Und es hat dieselben Möbel wie das, das Sie beschrieben haben. Dasselbe Bild und alles.“

Ach, wirklich?“, sagte der Erzähler, dem es ein wenig unangenehm zu sein schien. „Das tut mir leid. Aber jetzt ist die Katze aus dem Sack, und es lässt sich nicht mehr ändern. Ja, es war dieses Hotel, von dem ich sprach! Ich nehme an, sie haben den Raum wieder geöffnet. Aber Sie glauben ja nicht an Geister, Ihnen wird nichts passieren.“

Genau“, grunzte der Dicke, stand auf und verließ das Zimmer.

Er ist rausgegangen, um zu fragen, ob er sein Zimmer wechseln kann. Sie werden sehen – genau das macht er jetzt!“, feixte der Mann mit dem Hasengesicht. „Kein Wunder ...“

Der fette Vertreter kam zurück und ließ sich auf seinen Stuhl fallen.

Ich könnte einen Drink gebrauchen“, ächzte er und griff nach der Klingel.

Wenn Sie gestatten, meine Herren, kann ich auch etwas Punsch vertragen“, sagte unser eleganter Geschichtenerzähler. „Ich bin ziemlich stolz auf meinen Punsch. Ich gehe an die Bar und hole, was ich dafür brauche.“

Ich dachte, er hätte gesagt, er sei Abstinenzler?“, fragte der dicke Reisende, als er gegangen war. Und dann summten unsere Stimmen wie ein Bienenschwarm. Als unser Geschichtenerzähler wieder hereinkam, drehten wir uns zu ihm um - alle sechs auf einmal - und schrien durcheinander.

Einer nach dem anderen!“, beschwichtigte er sanft. „Ich habe nicht ganz verstanden, was Sie gesagt haben.“

Wir wollen wissen“, sagte ich, „wie Sie das fertiggebracht haben wollen! Wenn der Anblick des Gespenstes all diese Kerle dazu gebracht hat, sich die Kehle durchzuschneiden, weil sie beim Rasieren erschreckt wurden - wie kam es, dass Sie sich nicht die Kehle durchtrennt haben, als Sie es gesehen haben?“

Aber das hätte ich!“, versicherte er ernst. „Ohne den geringsten Zweifel! Ich hätte mir die Kehle durchgeschnitten! Nur“, er blickte unseren dicken Freund an, „dass ich mich mit einem Rasierapparat rasiere. Ich bin Rasierapparat-Vertreter“, fügte er versonnen hinzu und schnitt eine Zitrone in zwei Hälften.

Aber – aber ... „, stotterte der fette Mann, als er sich endlich durch unser Gelächter hindurch bemerkbar machen konnte, „ich war grade draußen und habe mein Zimmer aufgegeben!“

Ja“, seufzte der elegante Mann und drückte die Zitrone aus, „und ich habe gerade meine Sachen reinbringen lassen. Es ist das beste Zimmer im Haus. Ich finde es immer lohnenswert, sich das zu sichern. Auch wenn`s manchmal ein bisschen anstrengend ist.“



E. Bland– No.17

The Strand Magazine, June 1910

Übersetzung: Matthias Käther © 2022

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