Montag, 29. Mai 2023

Eleanor Scott - Der Volkstanz (1929)




In den 1920er Jahren zerbröckelte allmählich die Vormachtstellung der Kurzgeschichte, die die Briten bis zum Ende des 1. Weltkriegs besaßen – der Staffelstab ging an die Amerikaner über. Das gilt in gewisser Weise auch für die britische Horrorgeschichte. Natürlich gab es noch eine Handvoll ältere Kultautoren wie E.F. Benson, Algernon Blackwood, M. R. James und Arthur Machen – doch sie wurden von der nachfolgenden englischen Generation eher imitiert als überboten, während sich in Amerika allmählich ein hochindividuelles Geflecht an vielen jungen und neuen Stimmen herausbildete.

Als typische James/Machen-Imitatorin gilt auch Helen Leys (1892-1965), die ihre wenigen Horrorstorys unter dem Pseudonym Eleanor Scott (und, wie einige Forscher meinen, auch noch N. Dennett) schrieb.

Eine Erzählung von ihr wurde weltberühmt und ist in viele Sprachen, auch ins Deutsche, übersetzt worden:“Celui-la“, ein herrlich gruseliges Meisterstück, das die Autorin allerdings tatsächlich als wenig unabhängige Autorin ausweist; es könnte auch als M.R. James-Story durchgehen. Dafür fand ich die folgende Erzählung umso erstaunlicher – hat sie doch ein gewisses lovecraftsches „Bukett“. Wir finden hier viele Lovecraft-Zutaten:

Uralte Bräuche und merkwürdige Schriften, und einen Ort, dessen bedrückend-bezaubernde Atmosphäre etwas vom Ambiente typischer Lovecraft-Schauplätze, wie etwa Innsmouth hat.

Doch Helen Leys dürfte Lovecraft kaum gekannt haben – der war 1929, zum Zeitpunkt der Entstehung, auch in den USA nur einem eingeweihten Zirkel ein Begriff. Der Lovecraft-Touch kommt wohl dadurch zustande, dass Lovecraft genau wie Leys ein Riesenfan von James und Machen war.

Beide ließen sich von ähnlichen Vorbildern inspirieren. Ich finde, die dezidiert britische Atmosphäre verleiht dieser Geschichte hier etwas Besonderes – und so etwas Harmloses wie ein Volkstanz ist selten Gegenstand einer Horror-Story gewesen.

Insofern, finde ich, könnte die Wiederentdeckung auch für ein deutsches Lesepublikum durchaus eine Bereicherung darstellen.


Ich behaupte ja nicht, ein Ästhet zu sein“, sagte Heyling mit jenem Tonfall halb verächtlicher Gleichgültigkeit, die für die Arroganz von Wissenschaftlern gegenüber der Kunst typisch ist „aber ich muss sagen, dass mir diese Sache mit den Volkstänzen ziemlich blöd vorkommt. Ich gebe ja zu, dass es sinnvoll ist, sich zu körperlich zu betätigen. Aber ich kapiere nicht, warum ein Kerl in grellbunten Hosenträgern herumhüpfen muss, wenn er sein Fett abtrainieren will.“

Er zündete sich eine Zigarette an.

Alle Revivals wirken ein bisschen albern, nehme ich an“, sagte Mortlake mit seiner ruhigen, angenehmen Stimme, „aber in diesem Fall ist es nicht nur eine sportliche Frage, weißt du? Leute, die sich damit auskennen, sagen, dass es sich dabei oft um die Überreste religiöser Kulte handelt - Opferriten und so weiter. Es gibt da vermutlich noch einige sehr seltsame Tänze, die an abgelegenen Orten getanzt werden.“

Wie meinst du das?“, fragte Heyling unbeeindruckt „Du glaubst doch nicht wirklich, dass es in diesem Land noch irgendeinen heidnischen Kult gibt?“

Naja“, gab Mortlake zu, „viel ist nicht mehr davon übrig. So was gibt`s eher in Wales, glaube ich, oder in Frankreich, als hier. Aber wenn wir einen Ort finden könnten, an dem die Menschen den Kult nie verlernt haben, könnten wir einige seltsame Dinge erfahren. Es gibt ein paar solcher Orte“, fuhr er fort, „Orte, an denen man sagt, dass sie hin und wieder ihren eigenen Ritus durchführen. Ich werde das mal nachschlagen. Übrigens“, fügte er hinzu und setzte sich plötzlich aufrecht hin, „hast du nicht gesagt, dass du über das Wochenende in ein Dorf namens Randalls fahren würdest?“

Ja - ein kleines Nest irgendwo in den Cotswolds. Boney hat mir die Adresse gegeben.“

Willst du da arbeiten oder dich erholen?“

Bloß nicht arbeiten! Boney hat Angst um meine kostbare Gesundheit. Er glaubt, ich überanstrenge meine empfindliche Konstitution.“

Na, wenn du die Gelegenheit hast, solltest du einen Blick auf die Aufzeichnungen im alten Rathaus werfen und nachsehen, ob du irgendwelche Hinweise auf Volksbräuche findest. Man glaubt, dass Randalls einer der Orte ist, an denen Traditionen noch eine wichtige Rolle spielen. Mir ist so, als gäbe dort ein Spiel oder einen Tanz, der „Randalls Round“ heißt. Ich würde zu gerne wissen, ob es irgendwelche schriftlichen Aufzeichnungen darüber gibt - irgendwas Bestimmtes. Du musst nicht, wenn du keine Lust hast oder das Ganze langweilig findest. Nur wenn du nichts Besseres zu tun hast …“

Klar, mach ich“, versicherte Heyling, und damit war das Thema beendet.

Es ist ziemlich ungewöhnlich, dass sich Oxford-Studenten mit Erlaubnis der College-Behörden ein langes Wochenende mitten im Herbstsemester freinehmen; aber Heyling, von dem sein Tutor Großes erwartete, hatte sich zweifellos überanstrengt. Das Wetter war in diesem Herbst ungewöhnlich klamm und feucht, selbst für Oxford, und Heyling war so nervös, dass er die Gelegenheit, für ein Wochenende aus Oxford zu verschwinden, gerne wahrnahm.

Als er die Woodstock Road entlang radelte, war das Wetter schwül und warm; aber je mehr Kilometer er zurücklegte und je höher er kam, desto klarer wurde er sich der Sanftheit der Atmosphäre, der angenehmen Linien der kahlen, abfallenden Felder und der Ruhe der tief hängenden Wolken bewusst. Er fühlte sich schon jetzt ruhiger und gelassener.

Mit zunehmender Höhe veränderte sich der Charakter der Gegend. Sie wurde offener, düsterer; sie hatte etwas von der Qualität eines Hochmoores, und die kleinen verstreuten Steinhäuser wirkten so, als ob sie eins mit der Erde wären - Moorhäuser im wahrsten Wortsinn.

Randalls war, genau wie Heylings Tutor ihm gesagt hatte, ein ziemlich kleiner Ort, obwohl es einst ein größerer Marktflecken gewesen war. Um einen kleinen quadratischen Platz, der jetzt mit Gras bewachsen war und auf dem einst Herden geduldiger Rinder und zotteliger Cotswold-Schafe zum Verkauf gestanden hatten, gruppierten sich Häuser, meist aus dem siebzehnten oder frühen achtzehnten Jahrhundert, erbaut aus dem schönen, weichen Stein der Cotswolds-Gegend. Heyling bemerkte unter ihnen ein Gebäude von außergewöhnlicher Schönheit, älter als die anderen, lang und niedrig, mit einem tiefen, quadratischen Vorbau und Stabwerkfenstern.

Ich nehme an, das ist das Rathaus, von dem Mortlake gesprochen hat“, dachte er, als er sich auf den Weg zum Gasthof „The Flaming Hand“ machte, wo er sein Quartier gebucht hatte. „Ein schöner Ort, um in den Stadtbüchern schmökern“.

Heyling wurde im Gasthaus herzlich willkommen geheißen. Zu dieser Jahreszeit waren Besucher nicht sehr häufig, denn rund um Randalls gibt es weit und breit keine guten Jagdreviere. Selbst ein spontaner Wochenendbesucher war etwas Außergewöhnliches. Heyling bekam ein besonders schönes Zimmer - oder besser gesagt zwei Zimmer, die miteinander verbunden waren - im Erdgeschoss. Das vordere, das auf den alten Marktplatz hinausging, war als Wohnzimmer eingerichtet; das andere lag zum Hof des Gasthauses hin, ein gut gepflastertes Karree, das von einer moosbewachsenen Mauer und Scheunen mit schönen Flechtendächern umgeben war.

Heyling war gut gelaunt und fühlte sich belebt, als er seine Pfeife anzündete und sich auf einen gemütlichen Abend einstimmte.

Als er sich mit einem der wenigen Romane des Gasthauses in seinen Sessel lümmelte, war er etwas überrascht, dass von draußen singende Kinderstimmen zu hören waren. Der Guy-Fawkes-Tag war noch nicht fällig, [britischer Gedenktag zur Feier eines verhinderten Sprengstoffattentates auf das Parlament 1605] und die Melodie, die sie sangen, glich kaum dem formlosen Wirrwarr, das normalerweise bei diesem festlichen Anlass erklingt. Es handelte sich um eine echte Melodie - ein seltsames, klagendes Lied, das mit einer abrupten Floskel endete, die ihm gefiel. So wenig er auch von Volkskunde wusste und so sehr er sie auch verachtete: Heyling konnte doch erkennen, dass es sich um ein echtes Volkslied handelte, und zwar um ein sehr schönes.

Die Kinder schienen nicht weiter zu betteln; als sie ihr Lied beendet hatten, gingen sie einfach weg. Aber Heyling war verblüfft, als er einige Minuten später das gleiche Lied noch einmal hörte, diesmal auf einer Flöte oder einem Flageolett. Auf dem Marktplatz waren viele Füße zu hören.

Anscheinend hatte sich die gesamte Bevölkerung dort eingefunden, um einem Event beizuwohnen. Interessiert erhob sich Heyling und ging zum Erkerfenster seines Zimmers.

Der kleine Platz war voller Dorfbewohner, die alle auf einen Punkt in der Mitte starrten. An einem Ende des Platzes stand ein Mann, der auf einer langen und seltsam lieblich klingenden Pfeife blies: Er spielte immer wieder dieselbe eindringliche, klagende Melodie. In der Mitte befand sich eine Stange, wie sie in manchen Dörfern als Maibaum aufgestellt wird; aber statt Girlanden und Bändern war über diese Stange das zottelige Fell eines ochsenähnlichen Tieres geworfen worden.

Heyling konnte gerade noch den stumpfen, schweren Kopf mit den kurzen, dicken Hörnern sehen. Dann, ohne ein Wort oder ein Zeichen, traten Männer aus der Mitte des Publikums hervor und begannen einen seltsamen Tanz.

Heyling hatte in Oxford Volkstänze gesehen, und er erkannte einige Merkmale wieder; aber es schien ihm eine ernstere, barbarischere Angelegenheit zu sein als die Aufführungen, die er früher gesehen hatte. Das Ganze wirkte fast feierlich.

Während er zusah, begannen die Tänzer eine Formation einzunehmen, die ihm bekannt vorkam. Sie fassten sich an den Händen, mit dem Gesicht nach außen, und begannen dann, sich mit erhobenen Händen langsam gegen den Uhrzeigersinn zu drehen. Erinnerungen wurden wach, und zwei Dinge kamen Heyling in den Sinn: zum einen der Klang von Mortlakes Stimme, als sie beide einer Aufführung der „Headington Mummers“ beigewohnt hatten:“

Das ist der Back Ring. Er soll den Tod symbolisieren - ein Überbleibsel aus einer Zeit, als ein Opfer in der Mitte lag und die Tänzer sich von ihm abwandten.“

Die andere Erinnerung war schwächer, und er konnte sich nicht erinnern, wer ihm gesagt hatte, dass es Unglück bringt, sich gegen den Uhrzeigersinn im Kreis zu bewegen. Es musste wohl ein Schotte gewesen sein, denn er erinnerte sich an das spezifische schottische Wort „widdershins“ statt „entgegengesetzt“.

Diese schwachen Erinnerungsfetzen wurden durch eine plötzliche Bewegung im Tanz draußen endgültig fortgeweht. Zwei neue Gestalten näherten sich - ein Mann, dessen Kopf von einer Maske in der groben Form eines Stiers bedeckt war, und eine andere Person, von Kopf bis Fuß in ein weißes Laken gehüllt, so dass sogar das Geschlecht nicht zu erkennen war. Ohne einen Laut traten die beiden in den Raum, der in der Mitte des Tanzes freigehalten wurde. Der stierköpfige Mann stellte die zweite Gestalt mit dem Rücken zu der Stange, an der das Fell hing. Die Tänzer bewegten sich immer langsamer. Offensichtlich stand der Höhepunkt des Rituals bevor.

Plötzlich ruckte der stierköpfige Mann an der Stange, so dass das zottelige Fell ausgebreitet auf die davorstehende, verhüllte Figur fiel. Es machte einen grauenhaften Eindruck, als wäre die schlaff an der Stange hängende Kreatur plötzlich zum Leben erwacht und hätte das hilflose Opfer, das passiv vor ihr stand, mit einer schnellen, furchtbaren Bewegung verschlungen und völlig vertilgt.

Heyling fühlte sich ziemlich schockiert - so erschrocken, dass er sogar daran dachte, sich einzumischen. Er riss sogar das Fenster auf, als wolle er hinausspringen und das grausame Ritual unterbrechen. Dann zog er sich zurück und lachte über seine eigene Torheit. Der Tanz war zu Ende: Der stierköpfige Mann hatte der verhüllten Gestalt das Fell abgenommen und es achtlos über die Schulter geworfen. Der Flötenspieler hatte seine Melodie beendet, und die Menge löste sich auf.

Was für eine seltsame Darbietung“, sagte Heyling sich. „Jetzt verstehe ich, was der alte Mortlake meint. Es sieht nach einer Art heidnischem Überbleibsel aus. Wo habe ich sein Buch?“

Er kramte in seinem Rucksack und holte einen Band hervor, den Mortlake ihm geliehen hatte – eine berühmte Abhandlung über Volkskunde. Sie enthielt zahlreiche Berichte über dörfliche Spiele und Feste, die alle auf nüchterne und wissenschaftliche Weise auf einen barbarischen, primitiven Ritus zurückgeführt wurden.

Ihn überraschte, wie oft Tiermasken oder Tierhäute oder -schwänze erwähnt wurden, die die Darsteller bei diesen seltsamen Festen trugen. In den Berichten war nichts Fantastisches oder Überspanntes zu finden - nichts von dem romantischen Stil, den Heyling verächtlich als „ästhetisch“ bezeichnete. Alles war so sorgfältig und gut beglaubigt wie die Fakten in einer wissenschaftlichen Abhandlung. Auch Randalls wurde erwähnt und der Tanz beschrieben - eher dürftig, dachte Heyling, bis er beim Weiterlesen feststellte, dass der Autor zugab, dass er ihn nicht selbst gesehen, sondern die Schilderung einem Freund zu verdanken hatte.

Dann stieß Heyling stieß auf etwas, das ihn aufmerken ließ.

Der Ursprung dieses Tanzes“, las er, „ist mit ziemlicher Sicherheit ein Opfertanz. In der Nähe von Randalls befindet sich eine jener „Kuppen“ oder Hügel, die von Dickicht umgeben sind und die die Dorfbewohner nicht betreten wollen. Diese Hügel sind in den Cotswolds keine Seltenheit, aber nur wenige scheinen mit so viel Ehrfurcht betrachtet zu werden wie die Randalls-Kuppe, die die Landbevölkerung strikt meidet. Die Kuppe hat eine ovale Form und wurde mit ziemlicher Sicherheit von einem Hügelgrab aus der Altsteinzeit gebildet. Diese Theorie wird durch die Tatsache untermauert, dass einst der kuriose „Randalls Round“ um den Hügel getanzt wurde, wobei das Opfer in den Rand des Dickichts geführt wurde, das ihn umgibt.“ (Eine Fußnote fügte hinzu: „Ob dies immer noch der Fall ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.“)

Die Erlaubnis, den Grabhügel zu öffnen, wurde von der Gemeinde nie gewährt.“

Wirklich amüsant“, dachte Heyling, als er das Buch weglegte und nach einem Streichholz tastete. „Gott, was für ein Spaß wäre es, in diesem Grabhügel zu buddeln“, fuhr er in seinem inneren Monolog fort und zog an seiner Pfeife.“

Ob ich eine Erlaubnis kriegen könnte? Die Dorfbewohner scheinen ihre Gewohnheiten ja ein bisschen geändert zu haben - sie führen ihre Show jetzt hier im Dorf auf. Vielleicht sind sie nicht mehr so auf ihren heiligen Hügel fixiert wie früher. Wo genau liegt der eigentlich?“

Er zog eine Landkarte hervor und fand ihn bald - ein Feld etwa anderthalb Meilen nordwestlich des Dorfes mit dem Wort „HÜGELGRAB“ in gotischen Buchstaben.

Das werde ich mir morgen ansehen“, sagte sich Heyling und faltete die Karte zusammen. „Ich muss herausfinden, wem das Feld gehört, und mir die Erlaubnis holen, da ein bisschen rumzustöbern. Bestimmt weiß der Gastwirt, wer der Besitzer ist.“

Leider machte das Wetter Heylings Plänen einen Strich durch die Rechnung, denn der nächste Tag war nass, auch wenn gelegentliche Risse in den Wolken seine Hoffnung nährten, dass sich die Lage bald bessern würde. Heylings Interesse war über Nacht nicht verraucht, und er beschloss, sobald es aufklarte, mit dem Fahrrad zur Randalls-Kuppe zu fahren und sich das Grab anzuschauen.

In der Zwischenzeit wäre es vielleicht gar nicht so schlecht nachzusehen, ob es im Rathaus irgendwelche Aufzeichnungen gäbe, die ihm bei seiner Suche weiterhelfen könnten, wie Mortlake vorgeschlagen hatte. So suchte er einen Beamten auf, der neben vielen anderen Pflichten auch die des Stadtschreibers innehatte, und ließ sich von ihm zu dem Gebäude aus dem fünfzehnten Jahrhundert führen, das ihm auf dem Weg zur „Flaming Hand“ aufgefallen war.

Im alten Rathaus war es kühl und dunkel. Die Atmosphäre dort gefiel Heyling; er mochte das einfache Dachgebälk und die abgenutzte Steintreppe, die zum Archiv hinaufführte. Das „Archiv“ entpuppte sich als ein niedriger, angenehmer Raum mit tiefen Fenstern und einer einzigartig schönen Decke; Heyling bemerkte, dass er auch eine kleine Präsenzbibliothek enthielt.

Während der Stadtschreiber mit den Schlüsseln in den Schlössern der Truhen und Schränke herumhantierte, las Heyling müßig die Titel der Bücher, die dekorativ in den Regalen des Raumes aufgereiht standen.

Sein Blick fiel auf den Band „Prähistorische Spuren in den Cotswolds“.

Er schlug ihn auf. Das erste Kapitel befasste sich mit prähistorischen Relikten im Allgemeinen, und als er es überflog, sah er, dass dort lange und gewölbte Grabhügel erwähnt wurden. Er behielt das Buch in der Hand, um es sich genauer anzusehen. Er wusste wenig über Grabhügel, und ein wenig Recherche vor seinem Ausflug konnte nicht schaden. Als der Stadtschreiber ihn im Archiv allein ließ, war dieser Band der erste, den er genauer studierte.

Es war zwar nur eine Einführung ins Thema, aber sie enthielt ein paar durchaus interessante Fakten. Langgräber, so erfuhr er, waren älter als Rundgräber und seltener.

Außerdem waren sie oft Gegenstand abergläubischer Ehrfurcht bei der Landbevölkerung, die sich im Allgemeinen gegen jeden Versuch wehrte, sie zu erforschen. Das ganze Kapitel war sehr kurz und dürftig und Heylings Interesse bald erschöpft.

Die städtischen Aufzeichnungen waren faszinierender, und er fand bald Hinweise auf sein spezielles Interessengebiet. Im frühen siebzehnten Jahrhundert gab es einen Rechtsstreit, der diese Gegend betraf, und die Aufmerksamkeit Heylings wurde durch die Unbestimmtheit einiger seltsamer Andeutungen noch mehr gefesselt.

Ein gewisser Beale erhob Anklage wegen Hexerei gegen „gewüße Personnen der Statt“. Er hatte Grund zur Beunruhigung, denn sein Sohn, „ein jungg und rechtschaffen pursch von zwantzig jahrr“, war offenbar völlig verschwunden:“worauff der erwürdike Beale offen bekennet, dass sein sohn Frauncis von hexenmeystern in der daemmrung ward entführet (denn sein ringk, der er lang getragen und geheget, ward in jennem veltt gefonden, von dem Ihr wisset) und wo er in dero abscheul`gen rituali zum tode gekommen.

Der Fall war wohl vertuscht worden, obwohl mehrere Personen zugaben, in der Nacht des Verschwindens in der Gesellschaft des vermissten Jugendlichen gewesen zu sein - und das war, wie Heyling frappiert feststellte, genau an diesem Tag, dem 31. Oktober.

Ein weiteres Dokument späteren Datums erwähnte den gescheiterten Verkauf eines „veltts“ (der genaue Ort wurde nicht genannt) und die Weigerung des Käufers, seinen Vertrag zu erfüllen, wegen „des gar argen ruffs dess orts, dero man ihm zu verheimeligen suchtte, und von dero er nichts dergleichen hat gewusst.“

Die einzigen anderen Dokumente, die für Heyling von Interesse waren, stammten aus dem siebzehnten Jahrhundert, in denen die Behörden des Landes gegen „gar scheusslige tanz- und saengerey, welche im bunde mit dem Teuffel, den sie zitieren gewollet“ wetterten. Sie sprachen offen von Teufelsanbetung und „gar abscheulichen zeremonies um den hüggeln“. Es schien, dass mehr als eine Person wegen der Durchführung dieser Zeremonien vor Gericht gestanden hatte, und in einem Fall (datiert vom 7. November 1659) wurde geschrieben: „Conuicti et combusti.“

Großer Gott - verbrannt!“, schrie Heyling laut. „Schrecklich! Bestimmt haben die armen Kerle bloß dasselbe getan wie die Leute, die ich gestern gesehen habe!“

Er saß eine Zeit lang gedankenverloren da. Er dachte daran, dass die seltsame Melodie und der gleiche Tanz in diesem abgelegenen Dorf wohl schon seit Jahrhunderten gespielt und aufgeführt wurden. War das Ganze früher mit mehr Bedeutung aufgeladen gewesen, fragte er sich. Hatte dieses merkwürdige Ritual mit der Tierhaut etwas - nun ja - etwas wirklich Teuflisches zu bedeuten?

Bilder kamen ihm in den Sinn - kahle, gedrungene kleine Männer, breitschultrig und langarmig, nackt und behaart, die in feierlicher, grässlicher Anbetung tanzten, vor langen Zeiten, düsteren Zeiten... Diese Sache nahm ihn stärker in Beschlag, als er es für möglich gehalten hätte.

Falls noch etwas von der alten Teufelei übrig ist, dann steht sie in Verbindung mit diesem Feld“, dachte er. „Sollten sie das Feld heute immer noch meiden, wie das Buch von Mortlake andeutet, dann könnte das ein Hinweis sein. Finden wir es heraus.“

Er stand auf, ging hinunter, um dem Stadtschreiber mitzuteilen, dass seine Nachforschungen abgeschlossen waren, und kehrte dann in einer fröhlicheren Verfassung ins Gasthaus zurück. Auf jeden Fall lenkte ihn dieses Wochenende von seiner Arbeit ab: Seit er die Kinder vor dem Gasthaus singen gehört hatte, hatte er keinen Gedanken mehr an seinen Job verschwendet.

Der Wirt der „Flaming Hand“ war ein stämmiger Bursche, der einen ehrlichen und vernünftigen Eindruck machte. Heyling hatte das Gefühl, dass er bei ihm genau an der richtigen Adresse war, wenn er etwas über das seltsame Feld erfahren wollte. Also sprach er ihn nach dem Mittagessen an und stellte amüsiert, überrascht und verärgert zugleich fest, dass der Mann ihm auswich. Er lehnte jegliche Erkundung der Gegend entschieden ab.

Ich bin nicht so abergläubisch wie andere hier, Sir“, meinte er. „Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es schlecht für Sie wäre, wenn Sie bei Tageslicht da rausgingen. Aber es ist nicht gesund, wenn es dunkel ist, Sir. Das Feld ist nicht geheuer. Es wäre auch keine gute Idee, im Hügelgrab zu buddeln. Ich lebe seit vierzig Jahren hier, und Junge Junge!, ich weiß, wovon ich spreche!“

Aber warum ist es nicht gesund? Ist es sumpfig?“

Nein, Sir, kein bisschen.“

Wird das Feld von den Bauern nicht bewirtschaftet?“

Tja, Sir, ich kann nur sagen, dass ich seit vierzig Jahren hier lebe, und es wurde da noch nie gegraben, gepflügt, gesät oder geerntet, solange ich denken kann. Und mein Vater oder Großvater konnten sich auch nicht dran erinnern. Auf diesem Feld kann man nicht ernten, Sir.“

Naja, aber ich kann mir den Hügel doch ansehen, oder? Wer ist der Besitzer? Ich sollte seine Erlaubnis einholen, nehme ich an.“

Die werden Sie nicht kriegen, Sir.“

Warum nicht?“

Weil ich der Besitzer bin, Sir. Und ich will nicht, dass irgendjemand, und wärs der König selbst, oder der Sohn des Königs, in diesem Hügel gräbt. Nicht für eine Wagenladung Gold, oh nein, Sir.“

Heyling sah ein, dass es zwecklos war.

Oh! Na gut. Wie Sie meinen!“, sagte er gelassen.

Der sture, halb verängstigte Blick wich aus den Augen des Gastwirts.

Vielen Dank, Sir!“, murmelte er, ziemlich erleichtert.

Aber er hatte keinen echten Sieg errungen. Heyling konnte genauso stur sein wie er, und er hatte sich vorgenommen, vor seiner Abreise aus Randalls das Hügelgrab zu untersuchen. Wenn er keine Erlaubnis bekommen konnte, dann musste es eben ohne gehen. Er beschloss loszuziehen, sobald die Dunkelheit hereinbrach. Er würde sich einen Spaten aus dem offenen Wagenschuppen des Gasthauses leihen - einen Spaten und eine Hacke, falls er eine finden würde. Ihn ihm begann Forscherleidenschaft aufzusteigen.

Er entschied, einen Teil des Nachmittags damit zu verbringen, die Außenseite des Hügels zu untersuchen. Bis zum ominösen Feld, das an der Straße lag, waren es nicht mehr als zehn Minuten mit dem Rad. Er sah, dass es, eingezäunt und hinter einem großen verschlossenen Tor unbewirtschaftet dalag, so wie der Wirt gesagt hatte. Fast in der Mitte erhob sich ein Wust von verkrüppelten Bäumen und Büschen - ein dichtes Gewirr von ineinander verschlungenen Ästen, das zu durchdringen sicher einige Anstrengung kosten würde. War das wirklich ein Grab, fragte sich Heyling? Und er dachte mit einer gewissen Ehrfurcht an das seltsame prähistorische Wesen, das dort liegen mochte, seinen groben Schmuck und seine Waffen um sich versammelt.

Er kehrte zum Gasthaus zurück, sein Interesse war nun größer denn je. Sobald es dunkel genug war, um es riskieren zu können, würde er ganz sicher in diesen Grabhügel eindringen. Er fühlte sich unruhig, wie stets, wenn man einem Ereignis, das nur wenige Stunden entfernt lag, mit Spannung entgegensah. Er wuselte in seinem Zimmer herum, ein Auge ständig auf seine Uhr gerichtet.

Er wollte so schnell wie möglich nach Einbruch der Dunkelheit auf das Feld, denn seine beiläufige Inspektion am Nachmittag hatte ihm gezeigt, dass es keine leichte Aufgabe sein würde, sich durch die verworrenen und verflochtenen Büsche zu schlagen; und dann war da noch die Öffnung des Grabhügels, der seit Jahrhunderten weder mit dem Spaten noch mit dem Pflug bearbeitet worden war, und der mit der Hacke aufgebrochen werden musste, bis man sich einen Zugang zu der inneren Kammer verschaffen konnte. Er würde sich auf den Weg machen, sobald er an die Werkzeuge, die er ausleihen wollte, herankonnte.

Aber das Schicksal wollte es anders. An diesem Abend schien die „Flaming Hand“ dauernd von Besuchern frequentiert zu werden - nicht von gewöhnlichen Arbeitern, die auf einen Drink vorbeikamen, sondern von privaten Besuchern des Wirtes, die in seine Stube hinter der Theke gingen und das Lokal über den Hof verließen. Er kam sich tatsächlich wie in einem schlechten Krimi vor, dachte Heyling nervös: die Sache auf dem Marktplatz, das seltsame Verhalten des Wirts, was das Feld anging, und jetzt dieses verstohlene Kommen und Gehen...

Er schritt zum Fenster seines Schlafzimmers und blickte hinaus in den Hof. Lagen Hacke und der Spaten noch im offenen Wagenschuppen? Zu seiner Erleichterung waren sie noch da, aber als er hinaussah, nahm er etwas wahr, das ihn schockierte. Ein Mann schlüpfte aus der Tür der Gasthausküche und schlich über den Hof in die Gasse dahinter. Ein anderer folgte ihm, und gleich darauf noch einer, und alle drei hatten schwarze Gesichter. Ihre Hände und Hälse waren weiß, aber die Gesichter hatten sie mit Ruß beschmiert, so dass die Züge nicht mehr zu unterscheiden waren.

Absolut verrückt!“, rief Heyling halblaut aus. „Wer hätte gedacht, dass ich hier so eine Farce erleben würde? Ob sich all diese mysteriösen Besucher des alten Cross ihr Gesicht geschwärzt haben? Wie auch immer, ich wünschte, sie würden endlich verschwinden. Wenn ich nicht bald aufbreche, wird`s zu spät für den Hügel, und wer weiß, wann so eine Gelegenheit wiederkommt.“

Die seltsamen Vorkommnisse im Gasthaus erschienen ihm jetzt nicht mehr unheimlich, sondern verärgerten ihn lediglich, weil sie seine Pläne behinderten. Er fragte sich, ob es im Dorf heute Abend so etwas wie einen Mummenschanz gab, oder vielleicht Spiele, wie sie in Schottland zu Halloween gespielt werden... Aber natürlich! Das war wahrscheinlich die Erklärung. Es war Halloween! Hoffentlich würden sie sich irgendwo amüsieren, wo sie ihn nicht störten.

Tatsächlich sollte seine Geduld nicht mehr lange auf die Probe gestellt werden. Kurz nach neun ebbten die Geräusche in Haus und Hof ab. Um ganz sicher zu gehen, verließ Heyling sein Zimmer erst, als Randalls Kirche zehn Uhr schlug.

Vorsichtig sprang er aus dem Fenster seines Schlafzimmers und landete sanft auf dem Kopfsteinpflaster des Hofes. Die Werkzeuge lehnten noch immer an der Wand des offenen Schuppens – was für ein Gottvertrauen dieser Mr. Cross von der „Flaming Hand“ hatte! Der Schuppen, in dem sein Fahrrad stand, war allerdings verschlossen. Er fluchte leise. Der Zeitverlust, den er dadurch in Kauf nehmen musste, war beträchtlich. Zu Fuß würde das fünfundzwanzig Minuten dauern.

Tatsächlich brauchte er nicht ganz so lange, denn seine Ungeduld trieb ihn an. Die Gegend nahm sich im Licht des langsam aufsteigenden Vollmondes wunderschön aus. Die langen, kahlen Linien der Felder zogen sich bis zu den Bergkämmen hinauf und hoben sich schwarz vom dunklen, ruhigen Blau des Nachthimmels ab. Die Luft war kühl und klar und roch nach Frost. Heyling, der die raue, weiße Straße entlangeilte, war sich der Schönheit der friedlichen Nacht allerdings kaum bewusst.

Endlich kam das Feld in Sicht, leer und still im kalten Mondlicht. Nur der Hügel in seiner Grabesschwärze durchbrach die Flut des Lichts. Das Tor stand weit offen. Selbst in seiner Ungeduld kam Heyling das seltsam vor …

Ich hätte schwören können, dass ich es geschlossen habe!“, sagte er zu sich selbst. „Ich weiß sogar noch, dass mir das verdammt wichtig war - damit niemand merken würde, dass ich hier war. Hm. Das zeigt, dass die Leute den Ort doch nicht so geflissentlich meiden, wie der alte Cross es mir weismachen wollte.“

Er beschloss, den Grabhügel von der Seite aus zu betreten, die von der Straße abgewandt war, damit ihn kein spät vorüber kommender Arbeiter überraschen konnte. Er ging um die Erhebung herum und suchte nach einer lichten Stelle im Schutz der Dornen- und Haselsträucher, aber es gab keine. Das Gestrüpp bildete einen dichten Gürtel um den Grabhügel und war so hochgeschossen, dass er die Spitze des Hügels von dort aus nicht erblicken konnte. So wie es aussah, musste das verflixte Zeug bis zur Hälfte des Grabhügels hinaufgewachsen sein.

Er gab die Idee auf, eine zugängliche Stelle zu finden. Er musste einfach versuchen, irgendwo durchzubrechen. Doch gerade als er diesen heldenhaften Entschluss umsetzen wollte, hielt er inne und lauschte. Es hörte sich für ihn so an, als würde sich ein Wesen im Gebüsch bewegen - etwas Schweres, Unförmiges, das die kleineren Äste des Unterholzes zerbrach.

Muss ein Fuchs sein“, dachte er. „Aber wenn, dann ein monströser Fuchs … Klingt eher wie eine Kuh. Obwohl - das kanns natürlich nicht sein. Na, dann mal los.“

Er drehte dem dichten Unterholz den Rücken zu, neigte den Kopf nach vorn und wollte sich gerade rückwärts durch das Gebüsch zwängen, als er erneut innehielt und lauschte. Diesmal war es ein ganz anderes Geräusch, das ihn innehalten ließ - es war das ferne Spiel einer Flöte. Er erkannte die klagende Melodie des „Randalls Round“.

Ja - Füße kamen die Straße hinauf - viele Füße, die ungleichmäßig trappelten. Da war also ein Dorfspiel im Gange!

Die Worte aus dem Buch von Mortlake kamen ihm wieder in den Sinn. Der Autor hatte gesagt, dass der Grabhügel einst das Zentrum des Tanzes war. War es möglich, dass sich daran gar nichts geändert hatte - dass es eine zweite Version des Tanzes gab, die vielleicht weniger harmlos war und nachts stattfand?

Auf jeden Fall durfte er nicht gesehen werden, das war sicher. Zum Glück lag der Hügel zwischen ihm und der Straße. Vorsichtig schlich er in den Schatten einer Hecke auf der anderen Seite des Feldes. Gott sei Dank war es eine stattliche Hecke und nicht eine dieser niedrigen Steinmauern, die die meisten Felder in den Cotswolds umgaben.

Als er vorsichtig in Deckung ging, kam er sich wie ein Volltrottel vor. War es wirklich notwendig, so vorsichtig zu ein? Doch dann erinnerte er sich an den sturen, entschlossenen Blick des Gastwirts.

Ja, wenn er das Grab später untersuchen wollte, musste er jetzt verborgen bleiben. Außerdem könnte es gleich etwas Interessantes zu sehen geben - etwas, das das Herz des alten Mortlake erfreuen würde …

Die Melodie kam näher, und das Geräusch der Schritte klang gedämpfter. Sie waren also auf der Wiese angelangt. Vorsichtig hob Heyling den Kopf aus dem Heckengraben, in dem er lag, aber der Hügel versperrte ihm noch die Sicht. Was für ein Glück, dass er zufällig genau zu dieser Zeit nach Randalls gekommen war - Halloween! Er erinnerte sich an die Dokumente im Rathaus und an Beales Anklageschrift gegen die Männer, die sich an Halloween mit seinem Sohn davongemacht hatten. Heylings Blut kribbelte vor Aufregung.

Die Musik kam näher, und jetzt konnte Heyling die Gestalten der Leute erkennen, die sich zu einem Kreis formierten, den sie für den „Randalls Round“ benötigten. Wieder war er von dem seltsamen, barbarischen Aussehen der Tanzfiguren und der Schwere ihrer Bewegungen verblüfft, und dann machte sein Herz plötzlich einen heftigen Sprung. Die Tänzer besaßen alle die geschwärzten, maskenartigen Gesichter der Männer, die er beim Verlassen des Gasthauses gesehen hatte! Wie seltsam! dachte Heyling. Sie treten ganz offen auf dem Dorfplatz auf und schleichen sich dann nachts davon, mit unkenntlichen Gesichtern …

Der Tanz war äußerst beeindruckend, wenn man ihn hier, auf diesem leeren Feld unter dem stillen Mond sah. Es gab kein anderes Geräusch als das Flüstern ihrer Füße auf dem langen trockenen Gras und die melancholischen Klänge der Pfeife. Dann, ganz plötzlich, hörte Heyling wieder das knackende, raschelnde Geräusch aus dem dichten Gebüsch um den Hügel. Es war genau so, als würde sich ein großes, behäbiges Tier rühren. Die Tänzerinnen und Tänzer hörten es auch; eine Art erschüttertes Keuchen ging durch die Reihen; Heyling sah, wie ein Mann seinen Nachbarn ansah, seine Augen leuchteten hell und erschrocken in seinem geschwärzten Gesicht.

Die Melodie wurde langsamer, und mit aufsteigendem Grauen wusste Heyling plötzlich, dass der Tanz sich irgendeinem schrecklichen Höhenpunkt näherte. Langsam bildeten die Tänzer einen Ring, bei dem die Gesichter vom Hügel abgewandt waren; dann kam von außerhalb des Kreises eine verhüllte Gestalt, geführt von einem Mann, der eine stierkopfähnliche Maske trug. Die verhüllte Gestalt wurde in die Mitte geführt. Die Flöte klagte weiter.

Erneut wurde die Stille durch ein splitterndes, krachendes Geräusch aus dem Inneren des Gebüschs um den Grabhügel unterbrochen. Da war irgendein riesiges Tier, das sich seinen Weg nach draußen bahnte...

Dann sah er es, massig und schwarz im reinen weißen Licht - eine schreckliche primitive Kreatur, mit schwerem, gesenktem Kopf. Die Tänzer drehten sich langsam im Kreis; das Wispern der Flöte wurde schwächer.

Heyling fröstelte, ihm war hundeelend zumute. Das war abscheulich, teuflisch... Er vergrub den Kopf in seinen Armen und versuchte, den Klang dieser trauernden Melodie zu ersticken.

Doch andere Geräusche drangen durch die dämpfenden Hände an seinen Ohren - ein knirschendes, reißendes Geräusch und dann ein noch schrecklicheres – es klang wie ein animalisches Schmatzen. Schweiß brach auf Heylings Rücken aus. Es hörte sich an wie Knochen, die... Er konnte weder denken noch sich bewegen oder beten... Die eindringliche Musik dudelte immer noch weiter...

Wieder das krachende, splitternde Geräusch, als die Äste brachen. Es - was immer es war - kehrte in sein Versteck zurück. Die Melodie wurde schwächer und schwächer. Auf der Straße ertönten wieder Schritte - langsame Schritte, ohne Leben in ihnen. Das schreckliche Ritual war vorbei.

Ganz vorsichtig kam Heyling auf die Beine. Seine Knie zitterten, und sein Atem ging schnell und rau. Er fühlte sich krank vor Entsetzen und Furcht, als er den Hügel umrundete. Seine gebannten Augen sahen die Schneise in den Haselnusssträuchern und dem Dornengestrüpp; dann fielen sie auf einen feuchten Fleck auf dem Boden - dunkel und nass wurde etwas vom trockenen Gras aufgesaugt. Ein weißes Gewand lag in der Nähe, mit dunklen Flecken übersät …

Heyling konnte es nicht mehr ertragen. Er stieß einen erstickten Schrei aus und rannte, blindlings stolpernd, manchmal hinstürzend, aus dem Feld und die Straße hinunter.


Eleanor Scott: Randalls Round

Eleanor Scott: Randalls Round (Collection) 1929

Übersetzung und Vorwort © Matthias Käther 2022

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Laurence Kirk: Dr. Macbeth (1940)

Heute möchte man es kaum noch glauben: Die „Cosmopolitan“ war mal ein richtig gutes Literaturmagazin! Bereits im 19. Jahrhundert gegründe...